Linkshändigkeit im Schulalltag der Grundschule


Proyecto/Trabajo fin de carrera, 2002

120 Páginas, Calificación: 2,0


Extracto


INHALTSVERZEICHNIS

I. Einleitung

1. Fragestellung

2. Überblick über die Arbeit

II. Wissenschaftliches Verständnis von Linkshändigkeit

3. Medizinische Definition

4. Geschichte der Linkshändigkeit
4.1 Ursprung der Linkshändigkeit
4.2 Linkshändigkeit in der Gesellschaft früher
4.2.1 Händigkeitsthematik im Alten und Neuen Testament
4.2.2 Die spätere Geschichte
4.3 Linkshänderdidaktik früher
4.3.1 Problematik der Umschulung

5. Linkshändigkeit heute
5.1 Linkshändigkeit in der Gesellschaft heute
5.2 Einrichtungen / Spezielles für Linkshänder

6. Linkshändigkeit in der Grundschule
6.1 Feststellung von Linkshändigkeit
6.2 Präsenz der Linkshändigkeit in den Lehrplänen
6.3 Gezielte Fördermaßnahmen für das linkshändige Kind
6.3.1 Der Schreiblernprozess
6.3.2 Der Handarbeits- und Werkunterricht
6.3.3 Der Musikunterricht
6.3.4 Der Sportunterricht
6.3.5 Allgemein
6.4 Zusammenhang zwischen Linkshändigkeit und Legasthenie

III. Linkshändigkeit im Schulalltag der Grundschule

7. Zielsetzung

8. Methodologische Fragestellung

9. Umsetzung
9.1. Findung der Probanden
9.2 Kriterien für die Auswahl der Interviewtechnik
9.3 Interviewtechniken im Überblick
9.3.1 Interviews mit Kindern
9.4 Technik der Unterrichtsbeobachtung
9.5 Auswahl der Techniken entsprechend den Fragestellungen dieser Arbeit
9.5.1 Das Lehrerinterview
9.5.2 Das Kinderinterview
9.5.3 Die Unterrichtsbeobachtung

10. Ergebnisse der Feldforschung
10.1 Alltagstheorien linkshändiger Lehrer bezüglich Linkshändigkeit
10.1.1 Interview mit Lehrer 1
10.1.2 Interview mit Lehrer 2
10.2 Alltagstheorien rechtshändiger Lehrer bezüglich Linkshändigkeit
10.2.1 Interview mit Lehrer 3
10.2.2 Interview mit Lehrer 4
10.3 Befragung der linkshändigen Kinder
10.3.1 Schüler von Lehrer 1
10.3.2 Schüler von Lehrer 2
10.3.3 Schüler von Lehrer 3
10.3.4 Schüler von Lehrer 4
10.4 Eigene Beobachtungen im Unterricht
10.4.1 Bei Lehrer 1
10.4.2 Bei Lehrer 2
10.4.3 Bei Lehrer 3
10.4.4 Bei Lehrer 4
10.5 Gesamtzusammenfassungen
10.5.1 Lehrer 1
10.5.2 Lehrer 2
10.5.3 Lehrer 3
10.5.4 Lehrer 4

11. Vergleich der Lehrkräfte / Fazit

IV. Schlusswort

V. Anhang: wörtliche Verschriftlichung der Lehrerinterviews sowie zwei interessante Ergebnisse der Kinderinterviews I

12. Wörtliche Verschriftlichung des Interviews mit Lehrer 1

13. Wörtliche Verschriftlichung des Interviews mit Lehrer 2

14. Wörtliche Verschriftlichung des Interviews mit Lehrer 3

15. Wörtliche Verschriftlichung des. Interviews mit Lehrer 4

Literaturverzeichnis

I. Einleitung

1. Fragestellung

In dieser Arbeit wird das Thema „Linkshändigkeit im Schulalltag der Grundschule“ behandelt.

Der Entschluss, die Thematik der Linkshändigkeit im Hinblick auf die Grundschule zu differenzieren, fiel nicht spontan. Zunächst war es die Linkshändigkeit selbst, die mich interessierte und bewog, hierüber eine wissenschaftliche Arbeit zu verfassen.

Der Grund hierfür liegt in meiner eigenen Linkshändigkeit.

Ich selbst wurde nie mit Problemen seitens anderer Menschen konfrontiert. Man ließ mich schreiben, wie ich wollte, und schrieb mir auch bei anderen Tätigkeiten nicht vor, mit welcher Hand ich sie auszuführen hatte.

Meine Linkshändigkeit wurde von niemandem dramatisiert, eigentlich nicht einmal thematisiert. Nur gelegentliche Kommentare von Rechtshändern, sie seien verwundert, wie ich mit der linken Hand so gut zurecht käme, zeigten mir damals, dass etwas bei mir anders war als bei anderen.

Die Unwissenheit über dieses Phänomen, diesen anscheinenden „Sonderfall“ bei mir, veranlasste mich, mich genauer mit diesem Thema auseinander zu setzen.

Welches sind die medizinischen Hintergründe? Wo sind die Ursprünge zu suchen? Wie wurden und werden Linkshänder in der Gesellschaft gesehen und, damit verbunden, wie wird ihnen geholfen?

Wenn ich oben ausführte, meine Linkshändigkeit wurde nicht einmal thematisiert, dann bedeutet dies aber auch, dass man mir nicht sagte, wie ich den Stift halten konnte, ohne dass meine Hand verkrampfte und die Tinte verwischte.

Es wurde mir nicht gezeigt, wie ich das Blatt richtig drehen und wo ich am besten sitzen sollte.

Ich gehöre vermutlich zu einer Minderheit unter den Linkshändern, die es durch Zufall richtig machte. Meine Schreibhaltung ist so, wie es in den modernen Büchern für Linkshänder empfohlen wird.

Meine Beobachtungen bei anderen Linkshändern zeigten mir aber, dass der Regelfall, zumindest bei Personen in meinem Alter und darüber, die sogenannte Hakenhand ist, bei der die Hand von oben den Stift führt.

Dies ist ganz offensichtlich ein Hinweis dafür, dass in der Schule nicht auf die richtige Schreibhaltung bei Linkshändern eingegangen wurde.

Hierbei sei gesagt, dass allein die Tatsache, dass diese Personen mit der linken Hand schreiben und wohl auch in der Schule schreiben durften, den Lehrkräften positiv anzurechnen ist.

Die freie Auswahl der Schreibhand war und ist auch heute nicht in allen Bundesländern eine Selbstverständlichkeit, wie ich später an Hand eines Lehrplans zeigen werde.

Da ich den Wunsch habe Grundschullehrerin zu werden, liegt der Fokus dieser Arbeit bei der Linkshändigkeit in ihrem Bezug zum Grundschul-alltag.

Ich möchte es später nicht dem Zufall überlassen, ob ein Kind die richtige Schreibhaltung einnimmt, oder durch die falsche schnell beim Schreiben ermüdet, oder ob es sogar Haltungsschäden erleidet, weil es den Kopf schief hält, um das Geschriebene zu sehen.

Literatur mit Anleitungen, Tipps und Hintergründen ist heute in ausreichender Zahl vorhanden, so dass Situationen vermieden werden können, in denen Linkshänder beim Schreiblernprozess die Tinte verwischen oder sogar die Buchstaben falsch schreiben, weil der Musterbuchstabe der Lehrerin durch die eigene Hand verdeckt ist.

Ob, und wenn ja, inwieweit dieses Wissen bei den Lehrkräften vorhanden ist und angewendet wird, ist die vordergründige Fragestellung meiner Arbeit.

Mich interessieren die Alltagstheorien der Lehrer bezüglich der Linkshändigkeit. Wie aktuell ist der Informationsstand, welche Erfahrungen wurden gemacht und wie sehen die eigenen Konzepte aus, sofern diese überhaupt existieren?

Ferner werde ich untersuchen, ob eine Differenz zwischen rechtshändigen- und linkshändigen Lehrern besteht, d.h. ob linkshändige Lehrkräfte einen anderen Umgang oder eine andere Sichtweise auf linkshändige Kinder haben, bzw. ob das Vorwissen ein anderes ist.

An Hand von Aussagen linkshändiger Schüler über ihr Erleben des Schulalltags verbunden mit der Sichtweise auf den Lehrer sowie durch eigene Beobachtungen während einer Hospitation möchte ich prüfen, inwieweit die Lehrertheorien tatsächlich zur Anwendung kommen bzw. wie die Kinder ihre Linkshändigkeit im Unterricht erleben.

2. Überblick über die Arbeit

Kapitel II dieser Arbeit fundiert mit Erläuterungen zu allgemeinen Hinter-gründen der Linkshändigkeit die feldforschungsbezogene Arbeit des Kapitels III.

Es werden medizinische Fakten sowie die geschichtliche Entwicklung der Linkshändigkeit in der Gesellschaft und insbesondere in der Schule bis zu ihrem heutigen Stand skizziert.

Vorgestellt werden hierbei Beispiele aktueller Möglichkeiten in der Linkshänderdidaktik.

Diese sind Resultat einer fortschreitenden Kenntnis im medizinischen, soziologischen und pädagogischen Bereich.

Die Ausführungen ermöglichen eine Einordnung der Aussagen in den Lehrerinterviews des Kapitels III, da ersichtlich wird, auf welchem Stand sich die Lehrkräfte bezüglich der Linkshänderthematik befinden.

Kapitel III befasst sich mit der Datensammlung sowie -auswertung anhand von Interviews mit Lehrern, ihren linkshändigen Schülern und eigenen Beobachtungen im Unterricht.

Kapitel 11 versteht sich als Synthese von wissenschaftlichen Hintergründen und den Ergebnissen der Feldforschung.

Im Anhang befinden sich zwei interessante Produkte der Kinderinterviews sowie die wörtlich- verschriftlichten Versionen der einzelnen Lehrer-interviews. Aus diesen wird in Kapitel 10.1 bis 10.2 zitiert, der Inhalt wird jedoch aus Gründen der besseren Lesbarkeit für den Hauptteil zusammen-gefasst.

Es sei erwähnt, dass sich Bezeichnungen wie „Lehrer“, „Schüler“ o.ä. nicht als geschlechtsbezeichnend, sondern als Synonym für die Sache an sich verstehen.

II. Wissenschaftliches Verständnis von Links-händigkeit

3. Medizinische Definition

Das menschliche Gehirn besteht aus zwei Teilen, der linken und der rechten Gehirnhemisphäre. Beide sind verbunden durch eine Art Kabel aus Milliarden von Nervenfasern, dem sog. Balken (corpus callosum).

Die meisten Nervenbahnen, die Impulse aus der linken Hemisphäre in den Körper weiterleiten, kreuzen sich im oberen Rückenmark (medulla oblongata) und sind somit für die rechte Körperhälfte zuständig.

Rechtshändigkeit entspricht also einer Linkshirnigkeit und bei Links-händigkeit steuert die rechte Gehirnhälfte die Motorik.[1]

J.B. Sattler beschreibt den Sachverhalt wie folgt:

„Händigkeit ist vor allem Ausdruck einer motorischen Dominanz im menschlichen Gehirn, und diese betrifft sowohl die Bevorzugung der einen Hand als auch die stärkere Betonung der hemisphärischen Verarbeitungsart in der entsprechenden, nämlich kontralateralen Gehirnhälfte.“[2]

Ob ein Mensch Rechts- oder Linkshänder wird, steht bereits vor der Geburt fest, d.h. die Händigkeit ist genetisch angelegt und wird vererbt.[3] Dies beweist ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Händigkeit von Eltern und ihren Kindern.[4]

Linkshändigkeit zeigt sich bei den meisten Kindern schon im frühen Kindesalter, bei Greifbewegungen, Daumenlutschen, Essen etc..[5]

Allerdings führt Swelam eine mögliche Labilität in der Handbevorzugung an, die bis zum 5. Lebensjahr, möglicherweise bis zum 7. oder 8. Lebensjahr andauern kann.[6]

Bis dahin zeigt sich beim Kind eine sog. Ambidextie, eine Beidhändigkeit.

Zuckrigl zitiert hierzu G. E. Arnold: „Je weniger eine klare Dominanz in einem bestimmten Kind ausgeprägt ist, desto größer sind die Zeichen einer allgemeinen Unreife, einschließlich der verzögerten Sprachentwicklung.“[7]

Die beiden Gehirnhälften sind aber nicht nur auf die Steuerung physio-logischer Funktionen hin angelegt. Ihnen kommen verschiedene Spezialisationen zu.

Roger W. Sperry konnte anhand von Experimenten zeigen, dass „... die linke Hemisphäre (die sensorisch und motorisch die rechte Körperseite kontrolliert) das analytische, logisch- sprachliche Denken beherrscht und linear, d.h. aufeinanderfolgend operiert, während die rechte Hemisphäre das synthetische, ganzheitliche Denken bevorzugt, welches beziehungsreich und gleichzeitig ist.“[8]

Männer zeigen in speziellen Funktionen meist eine ausgeprägtere Laterali-sation als Frauen.[9]

Für die komplexen Verhaltensmuster und Bewusstseinsprozesse der Menschen ist es notwendig, dass beide Gehirnhälften ihre besonderen Fähigkeiten aufeinander abstimmen. Hierfür werden ständig Informationen über den o.g. Balken ausgetauscht.[10]

Das Sprachzentrum ist bei fast allen Rechtshändern in der linken Gehirnhälfte lokalisiert, hingegen aber nicht bei den meisten, sondern lediglich bei etwa 50% der Linkshänder in der rechten Hemisphäre.[11] Sattler geht sogar davon aus, dass, wenn überhaupt, in der rechten Hemisphäre lediglich „rudimentäre Ansätze“ vorhanden sind.[12]

4. Geschichte der Linkshändigkeit

4.1 Ursprung der Linkshändigkeit

Die Meinungen über den Urzustand der Händigkeit beim Menschen gehen weit auseinander.

Der französische Forscher Mortillet vertritt die Meinung, dass es im Neolithikum (Jungsteinzeit) etwa gleich viele Links- wie Rechtshänder gab. Er stützt diese Annahme auf Untersuchungen von prähistorischen Steinwerkzeugen.[13]

Kobler geht davon aus, dass Linkshänder einmal vorherrschend waren, da sich die Anzeichen hierfür häuften, je weiter man in der Zeit zurückgehe.[14]

Wegener wiederum glaubt, dass „... die Beidhändigkeit der ursprüngliche Zustand des Urmenschen gewesen sei.“[15]

Die heutige Ausdifferenziertheit der Händigkeit des Menschen sei Folge einer Aufwärtsentwicklung in der Evolution. In der Ambidextie der Tiere als Vorgänger des Menschen sieht er dessen Ursprünge ebenfalls als Beidhänder.

Der Beginn einer Trennung der Hände wird in der Erfindung der Waffen gesehen, da hier der einen Hand die Führung selbiger und der anderen Hand der Schutz des Herzens zukam.

Das Überwiegen von Rechtshändigkeit kann aber erst seit der Bronzezeit nachgewiesen werden.

Rechts wurde zum Maße aller Dinge, vermutlich weil Linkshänder eher Einzelkämpfer sind und Rechtshänder Herdentiere – die Gruppe ist als Meinungsbildner stärker als das Individuum.[16]

Allerdings geht Sovák nach einer 1962 durchgeführten Untersuchung an 1000 Kindern davon aus, dass die Erbanlagen für die Händigkeit auch heute noch 1:1 verteilt sind.[17]

Diese Annahme stützt ebenfalls Sattler, wenn sie schreibt:

„So ist es heute keine Seltenheit mehr, einen Anteil von 20 bis 30 Prozent nicht umgeschulter Linkshänder in Grundschulklassen zu finden, wobei man immer noch eine Dunkelziffer an umgeschulten Linkshändern anrechnen muß, so dass die Hypothese von 50 Prozent Linkshändern in der Bevölkerung nicht als Absurdum von vornherein abzulehnen ist.“[18]

4.2 Linkshändigkeit in der Gesellschaft früher

„Die gesellschaftlichen Einstellungen im allgemeinen sind die Folge einer Wechselbeziehung von Kultur und Erziehung.“[19]

Daher zeigen sich auch bei der Betrachtung der Geschichte verschiedener Kulturen hinsichtlich der Händigkeit unterschiedliche Auffassungen.

Der Gegensatz von Rechts und Links wird überall auf der Welt thematisiert, und meist ist Rechts verbunden mit „... Lebensquell, Wahrheit, Schönheit, Tapferkeit, Himmel, Sonnenschein, Männlichsein. Links dann natürlich mit dem Gegenteil von all dem.“[20]

Das älteste bekannte System ist die Tafel der Gegensätze des Pythagoras, welches ungefähr aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. stammt. Folgende Gegensatzpaare sind hier unter anderen aufgeführt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eine männliche Dominanz ist hier eindeutig abzulesen. Die Überlegungen des Pythagoras dürften laut Smits mit den indioeuropäischen Kulturen zusammenhängen, bei denen „... Licht, Sonne und Himmel ... eng mit den dominanten Gottheiten verbunden [sind].[22]

Nur wenige Völker bilden eine Ausnahme von dieser Rechtsdominanz.

Es handelt sich hierbei zum größten Teil um alte amerikanische Hoch-kulturen, wie die Inkas, Mayas und Azteken.

Allerdings findet hier nicht eine Ehrung der Linken, sondern lediglich keine Thematisierung von Seitigkeit an sich statt.

„Die Hände und Füße werden immer gemeinsam paarweise erwähnt, ohne rechts und links zu differenzieren.“[23]

Aber auch wenn Rechts in vielen Kulturen als ehrenvollere Seite angesehen wird, so ist doch der Grad der Tabuisierung innerhalb dieser Kulturen different.

So z.B. wäre es im Islam völlig undenkbar, mit der linken Hand zu essen, während dies im fast gesamten europäischen Kulturkreis kaum von Bedeutung ist.[24]

Wie kam nun aber in unserem Kulturkreis die rechte Seite zu mehr Wertigkeit als die linke?

Man kann für die Beantwortung dieser Frage unsere Sprache zu Hilfe nehmen.

Es fällt auf, dass „... Rechts... als Wortstamm in vielen positiven Wörtern, im Sinne unseres Weltverständnisses... enthalten... [ist]. Links erscheint in Worten, die eindeutig pejorativen Sinn haben... .“[25]

„Wer recht hat, macht alles richtig und weiß zur rechten Zeit, was rechtens ist. Daß er die rechte Hand des Chefs wird, ist nur recht und billig. Ein linker Vogel, der linkisch ist, linksgestrickt wirkt und auch noch zwei linke Hände hat, weil er morgens mit dem linken Fuß zuerst aufsteht, wird links liegen gelassen... .“[26]

Dieser Sprachgebrauch findet sich auch im englischen und romanischen Sprachkreis. Und hier sind die Bezüge zur Vergangenheit zu suchen, denn „Kein Volk tat sich eifriger darin hervor, die Rechte zu propagieren als dies die Römer taten.“[27]

Die Hand wurde mit rechts geschüttelt, ein Rechts- Links- Alphabet eingeführt und gegessen wurde mit rechts, da man auf den linken Arm gestützt am Tisch lag.[28]

Dies war jedoch nicht immer so. Tatsächlich galt bei den Römern vor der Kaiserzeit die linke, als die glückbringende Seite.[29]

Dies wird auf die Augurationen (Weissagungen von Priestern) zurück-geführt. Hierbei sollen sie sich nach Süden orientiert haben und hatten so den Osten zur Linken, welcher in den abendländischen Kulturen durch den Aufgang der Sonne als Ursprung alles Guten galt.[30]

Über die Germanen als direkte Vorfahren der Deutschen und deren Verhältnis zur Seitigkeit gibt es kaum Informationen.

Da sie über längere Zeit im Römischen Reich lebten ist anzunehmen, dass dort übliche Gebräuche zumindest z.T. übernommen wurden.

Bekannt ist, dass die Partner sich beim Abschluss eines Vertrages die erhobene rechte Hand reichten. Die Unfähigkeitsgeste soll die Umgreifung des rechten Unterarmes mit der linken Hand gewesen sein.[31]

4.2.1 Händigkeitsthematik im Alten und Neuen Testament

In unserem Kulturkreis ist das Christentum als wertevermittelnde Instanz vorherrschend. Daher bietet es sich an, in der Bibel nach möglichen Gründen für die Geringschätzung der linken Hand in Deutschland zu suchen.

Wenn im Alten Testament von Rechts gesprochen wird, so ist dies meistens verbunden mit der Hand oder Seite Gottes.[32]

Alte Bilder zeigen Gott oft, indem seine „heilige Rechte“ dargestellt wird, denn „... im alten Testament stand die Hand des Herrn für Jahwe selbst.“[33]

Bei Handlungen Gottes wird sie meist als die Ausführende beschrieben. Im Bezug auf das Volk Israel ist es die Rechte Gottes, die geleitet, beschirmt, bestraft und segnet.

So z.B. in Psalm 21,9: „Deine Hand wird all deine Feine finden; / wer dich hasst, den trifft deine Rechte.“

Oder In Psalm 17,7: „Du rettest alle, die sich an deiner Rechten vor den Feinden bergen.“

Allerdings heißt es in Psalm 73,23: „Ich aber bleibe immer bei dir, / du hältst mich an meiner Rechten.“

Rein theoretisch müsste Gott hier seine linke Hand gereicht haben.

Sattler schließt daraus, „... dass die Rechte für den „Normalhändigen“ wichtiger ist und daher ganz natürlich überbetont wird...“[34]

Eine weitere mögliche Erklärung für die häufigen Wiederholungen der Phrase „Rechte Gottes“ sieht sie darin, dass einfach vorangegangene Stellen in der Bibel zitiert worden sind.[35]

Im Buch der Richter 20,16 wird den Linkshändern sogar eine kriegerische Fähigkeit zugeschrieben: „Unter diesen Männern befanden sich sieben-hundert besonders auserlesene Männer; sie waren alle Linkshänder und konnten einen Stein haargenau schleudern, ohne je das Ziel zu verfehlen.“

Die o.g. Beispiele und die auch nicht unerhebliche Tatsache, dass beim Segnen beide Hände verwendet werden dürfen, lassen die Schlussfolgerung zu, dass zwar die rechte Hand im Alten Testament bei vielen Handlungen als die bevorzugte gilt, dass aber die linke nicht als moralisch minderwertig betrachtet wird.

In diesem Sinne kann zwar von einer konventionellen Betonung , nicht aber

von einer moralischen Aufwertung der rechten, bzw. Abwertung der linken Seite im Alten Testament gesprochen werden.[36]

Im Neuen Testament verhält es sich ähnlich. Die rechte Hand oder Seite wird bei vielen Handlungen oder Tätigkeiten Gottes oder Jesu als die Aus-führende angegeben. Die Linke bleibt ohne diskriminierende Äußerungen schlicht unangesprochen.[37]

Eine sehr schwer wiegende Unterscheidung von Rechts und Links stellt allerdings die Trennung der Böcke von den Schafen im Gleichnis für das Jüngste Gericht (Matthäus 25,32ff) dar:

“Und alle Völker werden vor ihm zusammengerufen werden und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. Er wird die Schafe zu seiner Rechten versammeln, die Böcke aber zur Linken.“

Diese Unterscheidung ist ein nicht erklärter Sonderfall, und auch wenn im späteren Brauchtum aus der Nichtnennung der Linken eine Abwertung dieser abgeleitet wurde, so geht Sattler doch davon aus, dass dies vom Neuen Testament nicht explizit vorgegeben war.

4.2.2 Die spätere Geschichte

Erst durch Einflüsse aus der griechisch- römischen Kultur erfolgte später eine moralische Bewertung der Seiten.[38]

Weiterhin wurde das Christentum ab dem 2. Jh. n. Chr. beeinflusst durch den Manichäismus, welcher nach Fritsch „… den Höhepunkt des bewer-tenden Dualismus darstellt… .“[39] Es wurde im „… Christentum ver-wurzelt… [und hat] …dort weiter [gewirkt].“[40]

Erstaunlich ist, dass im späten Mittelalter, als Hexenverbrennungen und ketzerische Anklagen auf der Tagesordnung standen, Linkshänder nicht zu den Verfolgten gehörten.

Schließlich war der Teufel, als Umkehrung des rechtshändigen Gottes ebenfalls Linkshänder.

Smits vermutet hierzu: „ Was die Linkshänder gerettet hat, ist vermutlich die Tatsache, daß sie sich, anders als Juden und Zigeuner, nie als Gruppe manifestierten.“[41]

Und weiter: „Vermutlich liegt es an diesem Mangel an Verbundenheit, an fehlendem Gruppengefühl, daß Linkshänder nie die Aufmerksamkeit auf sich zogen… .“[42]

Weiterhin führt er es auf die Größe der Linkshändergruppe zurück. Da in fast jeder Familie Linkshänder vorkommen, wären die Verluste in den eigenen Reihen zu groß gewesen.[43]

Vermutlich war dies auch der Grund, warum Linkshänder im National-sozialismus nicht den Greueltaten der Euthanasie anheim fielen. Nach genaueren Berichten aus dieser Zeit sucht man vergebens.

Lediglich eine Quelle besagt, dass

„... Linkshändigkeit als Hinweis für Homosexualität, Inzest und Perversität angesehen [ wurde ] . Es wurde behauptet, dass Linkshänder mit einem unnatürlich hohen Anteil an Eigenschaften des jeweils anderen Geschlechts veranlagt seien. Diese angebliche Vermischung von männlichen und weiblichen Eigenschaften führe außerdem zu einer Degeneration des ganzen Menschen, die eine kriminelle Karriere des Betroffenen sozusagen vorprogrammierte.“[44]

Doch scheinbar war dies nicht Gendefekt genug, um Tötungen vorzunehmen.

4.3 Linkshänderdidaktik früher

Auch wenn nicht immer offensichtlich oder direkt, so war doch die linke Hand in unserem Kulturkreis zu allen Zeiten mit vielen Negativismen behaftet. Smits führt hierzu aus:

„ Es spiegelt klar wider, was wir im tiefsten Innern wirklich mit links und rechts assoziieren, als die zwar auf ihm beruhenden und zum Teil ausgedachten Systeme der offiziellen Religionen, der Etikette oder der Philosophie... . Aberglauben, in dem links und rechts oder die linke Hand eine Rolle spielen, ist in Europa weit verbreitet, und fast immer dreht es sich um Hexerei und Betrug.“[45]

Diese von vornherein abwertende Haltung gegenüber der linken Hand, die Abweichung von der Norm und vielleicht auch noch der Gedanke, es dem Linkshänder in der Rechtshänderwelt leichter zu machen, bewogen damals die Lehrkräfte dazu, den Linkshänder umzuschulen.

Hurlock (1970) und Wiley (1959) führen zu dem letztgenannten Punkt aus: „In unserer Kultur gibt es nur eine Antwort: das Kind sollte, wenn es nicht zu schwer oder unmöglich ist, die rechte Hand vorziehen.“[46]

Wiley (1959) und Hildereth (1949) gingen damals davon aus, dass das Kind nicht von Geburt an eine Vorzugshand habe und man es auf keinen Fall selbst wählen lassen sollte.[47]

„Bis Mitte der siebziger Jahre schrieben ... die Kultusministerien vor, dass die Rechtshändigkeit das bevorzugte Erziehungsziel sei.“[48]

Eine 1974 vom Hessischen Kultusministerium herausgegebene Elternbroschüre gibt an, die meisten Menschen seien wohl in erster Linie beidhändig und lediglich kulturelle Einflüsse würden eine einseitige Prägung hervorrufen.[49]

Eine Umstellung wird zwar nicht abgelehnt, allerdings sind erste Ansätze eines Umdenkens erkennbar, denn immerhin wird darauf hingewiesen, dass kein Zwang ausgeübt werden dürfe.

Entgegen den heutigen Kenntnissen geht man davon aus, dass ein Kind zur Umschulung „noch nicht“ reif sein könnte und man eventuell bis zum zehnten Lebensjahr warten sollte.[50]

Wenn man heute ein Kind „rückschulen“ will, also nach einer von Eltern oder Erziehern initiierten Umschulung wieder auf links umstellen möchte, so sind die Chancen am größten, je jünger das Kind ist.

Die Methoden der Umschulung waren unterschiedlich.

Berichte aus Schulen der damaligen Zeit muten an wie Folterberichte.

Linkshändigkeit wurde regelrecht „ausgeprügelt“, indem man immer wieder auf die „böse“ Hand schlug.

Weiterhin wurde die Linke an den Körper, Stuhl oder Tisch gebunden. Ärzte sollen sogar mit Gips gearbeitet haben, um die dominante Hand zu unterdrücken.[51]

Die Tendenz des Linkshänders, sich bei einer spontanen Drehung rechtsherum zu drehen, wurde Schülern im Sportunterricht zum Verhängnis, wie ein Zeuge über seine Erfahrungen von 1919 berichtet: „Unser Lehrer schlug... [den Linkshändern]...mit dem Stock auf den rechten Arm und erklärte dazu: ,Da wo`s weeeh tut, da ist reeechts!´ “[52]

Helmut Tamm berichtet aus den fünfziger Jahren, „... daß mancherorts Kinder, die linkshändig zu schreiben versuchten ... um die Bankreihen laufen und dabei aufsagen mußten: ,Mit der Rechten muß ich schreiben, mit der Linken laß ich`s bleiben. ...´ “[53]

Neben diesen gewaltsamen Versuchen, auf die rechte Hand umzutrainieren, gab es auch die sog. „sanften Umschulungen“. Hierbei wurde zwar keine körperliche Beeinflussung vorgenommen, dafür aber um so mehr eine geistige.

„... ausgeklügelte Belohnungssysteme oder individuell beeindruckende, oft moralisch gefärbte Überredungskünste... “[54] stellten einen psychischen Terror dar, der auf dem narzisstischen Bedürfnis der Kinder fußte.

Aus diesem resultieren, auch heute noch, Umschulungsmaßnahmen, die die Kinder selber initiieren, um sich der Umwelt anzupassen und so Zuwendung, Anerkennung und Akzeptanz zu erlangen.

So oder so, eine Umschulung ist, wie Sattler es ausdrückt, ein „unblutiger, aber massiver Eingriff ins Gehirn“[55]. Welche Folgen eine Umschulung haben kann, wird im nächsten Kapitel beschrieben.

Meyer schreibt 1991, dass gewaltsame Umschulungen noch bis vor wenigen Jahren üblich waren.

Jetzt würde dies zwar nicht mehr in solch einer Art und Weise gehandhabt, aber der moralische Druck, den Eltern bewusst oder unbewusst auf ihre Kinder ausüben, um sie von dem „notwendigen“ Gebrauch der rechten Hand zu überzeugen, sei durchaus noch präsent.[56]

Alfred Zuckrigl stellt sich hierzu die berechtigte Frage: „ Sollte das >primum non nocere< nicht auch für Eltern, Erzieher und Lehrer gelten?“[57]

Doch auch Bärmann meint: „Es dürfte noch geraume Zeit dauern ,bis ,Rechts` und ,Links` nichts anderes sein werden als wertneutrale Richtungsbezeichnungen.“[58]

4.3.1 Problematik der Umschulung

Der Begriff „Umschulung“ verharmlost den eigentlich massiven Eingriff ins Gehirn. Besser trifft es der amerikanische Ausdruck „brain breaking“, was soviel heißt wie „Brechen des Gehirns“.

Eine Umschulung bedeutet nicht nur eine Umtrainierung, sondern ist auch ein „schwerer Eingriff in [die] Persönlichkeit... .“[59]

Wie in Kapitel 3 bereits ausgeführt, ist Händigkeit „... Ausdruck einer motorischen Dominanz im menschlichen Gehirn... .“[60]

Eine Umstellung auf die rechte Hand beim Linkshänder bewirkt keine Umpolung dieser Dominanz, sie bleibt weiterhin in der rechten Hemisphäre angesiedelt.[61], die umgeschulte Person weist lediglich äußerlich die Merkmale eines Rechtshänders auf.

Ein Konflikt zwischen den Gehirnhälften entsteht. „Die starke darf nicht, die schwache kann nicht, beide behindern sich gegenseitig: Knoten im Hirn.“[62]

Betroffene beschreiben das hieraus resultierende Phänomen oft als eine Art „Wackelkontakt im Gehirn“[63].

Gemeint ist eine Diskrepanz zwischen der Aufnahme- sowie Begriffsfähigkeit eines Menschen und der Unfähigkeit, das Wissen adäquat schriftlich oder sprachlich auszudrücken.

Primärfolgen einer Umschulung können sein:

- „Gedächtnisstörungen (besonders Abrufen von Lerninhalten)
- Konzentrationsstörungen (schnelle Ermüdbarkeit)
- Legasthenische Probleme (Lese- u. Rechtschreibschwierigkeiten)
- Raum- Lage- Labilität (Links- Rechts- Unsicherheit)
- Sprachstörungen (Stammeln bis zum Stottern)
- Feinmotorische Störungen (z.B. Schriftbild)“[64]

Eine weitere Folge kann motorische Unruhe sein, welche mit erheblichen Spannungen und Reizbarkeit einhergeht.

„Die Kinder sind kaum in der Lage, ruhig zu sitzen, sie verbreiten um sich her den Anschein dauernder, leider zu oft störender Aktivität.“[65]

Ob, und wenn ja wie stark, ein Kind unter diesen Primärfolgen zu leiden hat, ist von mehreren Faktoren abhängig.

Hauptmerkmal ist die Plastizität, also die Trainierbarkeit der rechten Hand. Diese wiederum ist abhängig von dem Grad der Lateralität im Gehirn.

Es gibt sowohl für Linkshänder als auch für Rechtshänder verschiedene Ausprägungsgrade in der Seitigkeit.

Eine extreme Lateralisation würde sich z.B. darin ausdrücken, dass die Person neben der Linkshändigkeit auch linksäugig, linksohrig und linksfüßig ist.[66]

Weniger stark lateralisierte Linkshänder erlernen Bewegungen mit der Rechten leichter, dementsprechend geringer fällt die Belastung im Gehirn aus.

Liegt jedoch bei einem Linkshänder nur eine sehr geringe Plastizität der rechten Hand vor, dann kann eine Umschulung schwersten Schaden verursachen.[67]

Weitere Faktoren, die allerdings nicht Hauptursache, jedoch einfluss-nehmend auf den Ausprägungsgrad der Störungen sind, können familiäre Spannungen, Misserfolgerlebnisse, Erziehungswechsel, usw. sein.[68]

Sie bilden nach Sovàk das „pathoplastische Terrain“.

Hervorzuheben ist, dass zu keiner Zeit eine Intelligenzminderung durch die Umschulung auftritt.

Lediglich die fehlgeschaltete Vernetzung, hervorgerufen durch die Überbelastung der nichtdominanten Gehirnhälfte, verhindert oft den uneingeschränkten Zugriff auf Wissen und Möglichkeiten.[69]

Die „Pseudorechtshänder“ versuchen, mit oft bis zu 30 Prozent mehr Einsatz dieses Defizit auszugleichen.[70]

Dies führt bei Kindern oftmals zu einer „...unerwartet großen Schwankungsbreite der Noten ... und häufig auch zu einem relativ schnellen Abfallen der benoteten Leistungen im Schuljahr.“[71]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Im Erwachsenenalter kann dieser Zwang eines extrem gesteigerten Arbeitseinsatzes, einer oft „... bis zum Exzeß betriebene[n] Selbstdisziplin und Leistungsfähigkeit...“[73], zu einem Charakterzug werden und beschert den umgeschulten Linkshändern oftmals hohe Positionen.

Doch den hohen Einsatz fordern sie meist auch von ihren Mitmenschen und Kollegen, was sie häufig hinsichtlich menschlicher Beziehungen scheitern lässt und zu physischen und psychischen Zusammenbrüchen führen kann.[74]

Neben dem genannten „Wackelkontakt“, der sich meist erst in der Schulzeit durch mangelnde Aufnahme- Behaltens- und Abruffähigkeiten richtig bemerkbar macht, findet im Alltag noch eine Überbelastung des Gehirns anderer Art statt.

Denn durch den ständigen Verweis auf den Umgang mit der rechten Hand wird in einen der wichtigsten Lernprozesse eingegriffen: die Automa-tisierung von alltäglichen Handlungsabläufen.

Was normalerweise subkortikal, also unterbewusst vonstatten geht, muss nun bewusst ausgeführt werden.

Die Automatisierung als ein Ökonomieprinzip des Gehirns, um sich auf Wesentlicheres konzentrieren zu können, wird mit der Umschulung außer Kraft gesetzt.

„Die daraus entstehende Unsicherheit überträgt sich auf alle Handlungen, ... [die] Haltung, ... Arbeitseinstellung, auf ... Reaktionen in neuen Situationen.“[75]

Das umgeschulte Kind, sowie oftmals auch seine Umwelt, können seine Fehlleistungen zumeist nicht richtig einordnen.

Entwickelte es sich im Kindergarten noch völlig unauffällig, fallen die Leistungen in der Schule plötzlich rapide ab.

„Ein solcher Bruch trifft die Eltern ...[und das Kind]... völlig unerwartet. ... Es dauert geraume Zeit, bis dann das Kind endgültig als das >dümmere<, >unbegabtere< in der Familie neu eingeordnet wird... .“[76]

Hier setzen die Sekundärfolgen einer Umschulung ein.

Wie o.g. wird die Intelligenz nicht reduziert, und so kann sich das Kind sehr wohl begabungsmäßig einordnen.

Es weiß, dass seine Denkfähigkeit mit der der Mitschüler mithalten kann.

Trotzdem kommt es zu ständigem Versagen.

Das Kind „... reagiert mit Panik, Angst und Scham und zieht sich... zurück .“[77] Es entwickelt von sich das Bild eines Versagers.

Dieses manifestiert sich in:

- Minderwertigkeitskomplexen
- Unsicherheit
- Zurückgezogenheit
- Überkompensation durch erhöhten Leistungseinsatz
- Trotzhaltung, Widerspruchsgeist, Imponier- und Provokations-gehabe
- Unterschiedlich ausgeprägten Verhaltensstörungen
- Bettnässen und Nägelkauen[78]

Es findet eine tief einschneidende Persönlichkeitsdeformierung statt, die das ganze Leben beeinflussen kann.[79]

5. Linkshändigkeit heute

5.1 Linkshändigkeit in der Gesellschaft heute

1989 schreibt Swelam: „Bis heute merkt man, dass viele Menschen gegenüber der Linkshändigkeit skeptisch sind, wenn nicht gar voller Vorurteile.“[80]

Jetzt, dreizehn Jahre später, hat sich dieses Bild in Anfängen gewandelt. Es findet sich zwar kaum aktuelle Literatur, die den heutigen Stand der Linkshänder in der Gesellschaft beschreiben würde, dennoch ist nach und nach ein Umdenken in der Bevölkerung zu beobachten.

Linkshändigkeit wird langsam zumindest an der Oberfläche zu einem anerkannten Normalzustand, auch wenn die Gesellschaft von der Entwicklung einer linkshändergerechten Umwelt noch weit entfernt ist.

1985 wurde die Interessenvereinigung für Linkshänder gegründet, deren Aufgabe es, neben anderen, ist, die Bevölkerung über Linkshändigkeit und Umschulungsproblematiken aufzuklären.

„Es entwickelte sich allmählich eine größere Sensibilität für die negativen Folgen der Umschulung der Händigkeit. Die Praxis wurde durch immer präzisere Forschungsergebnisse untermauert, und auch das Interesse der Medien wurde immer größer und die Problematik immer bekannter.“[81]

Doch der Prozess schreitet nur langsam voran und noch immer ist unsere Gesellschaft in ihrer Funktionalität ausgerichtet auf die „angebliche“ Mehrheit der Rechtshänder.

Allerdings scheint die Wahrscheinlichkeit zu steigen, im öffentlichen Bereich einen Linkshänder anzutreffen.

Wenn sich das Wertegefüge hinsichtlich der Händigkeit also tatsächlich in Richtung Mitte verschiebt und so immer mehr Linkshänder ihrer Natur nachkommen, wird sich vielleicht die von Sattler bereits genannte Annahme von 50 % Linkshändern in der Bevölkerung bestätigen.

Spätestens dann wird eine Umstellung der Umwelt auf die Benutzbarkeit für beide Hände nicht mehr aufzuschieben sein.

Ein Faktum wird sich aber, trotz Toleranz, nur schwerlich ändern lassen: unsere rechts-, und damit dem Linkshänder zuwiderlaufende Schrift.

Es gibt hier, wie in Kapitel 6.3 ausgeführt werden wird, gute Möglichkeiten, mit dieser Problematik umzugehen, doch ob die Lehrerschaft um diese Möglichkeiten bereits weiß, steht noch zu klären und wird Gegenstand der Untersuchungen im Schulalltag sein.

5.2 Einrichtungen / Spezielles für Linkshänder

Es gibt inzwischen eine Vielzahl von Läden, die sich auf Linkshänderartikel spezialisiert haben.

Eine reichhaltige Auswahl findet sich in Barbara Sattlers Buch “Übungen für Linkshänder“, erschienen im Auerverlag, Donauwörth, 1999.

Hier sind sogar Läden aufgeführt, die Musikinstrumente für Linkshänder anbieten.

Für den Schulalltag der Linkshänder sind spezielle Füller (abgeflachte Feder), Filzstifte (schnell trocknend gegen Verwischen), Spitzer (nach außen drehend), Lineale (Zahlenreihe von rechts nach links) und Stühle (Collegeplatte auf der linken Seite) hilfreich.[82]

Das Linkshänderlineal ist nur unter Vorbehalt sinnvoll. Es sollte erst in höheren Klassen zum Einsatz kommen, wenn die Schreibrichtung bereits eintrainiert ist. Ansonsten wäre es dem Bestreben des linkshändigen Kindes, von rechts nach links zu schreiben, förderlich und würde somit den Schreiblernprozess behindern.[83]

Die Linkshänderschere hingegen sollte einem Kind schon vor Schulbeginn zur Verfügung stehen, auch wenn seine Händigkeit noch nicht eindeutig ausgeprägt ist und es so die Gebrauchshand noch wechselt.[84]

Hat es sich erst an die Rechtshänderschere gewöhnt, sind Linkshänderscheren meist unbrauchbar und aus eigener Erfahrung ist das Schneiden mit schmerzhaften Druckstellen bis hin zur Blasenbildung sowie Verkrampfungen der Hand verbunden.

Bei der Linkshänderschere sind die Schneideblätter andersherum angeordnet als bei der Rechtshänderschere, d.h. das obere Schneideblatt ist links, also außen, so dass der Linkshänder von Innen auf die Schneidelinie sehen kann.

Bei Scheren für Erwachsene sind zudem meist die Grifflöcher anders geformt.[85]

Um die Problematik des Linkshänders in einer Rechtshänderwelt zu verdeutlichen, folgend einige Haushaltsgeräte, die für Linkshänder umge-stellt erhältlich sind :

- Kartoffelschäler (erlaubt dem Linkshänder, von sich weg zu schälen)
- Dosenöffner ( auch mit links nach außen zu drehen)
- Korkenzieher (dreht gegen den Uhrzeigersinn)
- Soßenlöffel (Ausguss rechts)
- Bügeleisen (Kabel hinten, nicht an der Seite)
- Kräutermühle (kurbelt gegen den Uhrzeigersinn)[86]

Seit 1985 gibt es in München die Interessenvereinigung für Linkshänder „ONRS“ (Organisation für neutrale Wissenschaften) unter dem Vorsitz von Dr. Johanna Barbara Sattler.

Es handelt sich hierbei um eine Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder, die von der Stadt München gefördert wird und eng mit dem Psychologischen Institut der Universität Köln zusammenarbeitet.[87]

„Ein Schwerpunkt liegt auf der Entdeckung und Bestimmung der Händigkeit beim Kind und auf der Einstellung zu seiner Händigkeit. Beratung erfolgt im Hinblick auf die Kindergartenzeit, die Zeit der Einschulung und Beratung hinsichtlich der richtigen Schreibhaltung. ... Weiterbildungsveranstaltungen werden von hier aus in ganz Bayern und im übrigen Bundesgebiet durchgeführt (für Lehrer, Erzieher, Pädagogen und Ärzte).[88]

[...]


[1] vgl. Zuckrigl (1991): 12

[2] Sattler (2000): 129

[3] vgl. Meyer (1991): 22

[4] vgl. Smits (2002): 166

[5] vgl. Sattler (1997): 15

[6] vgl. Swelam (1989): 20

[7] Zuckrigl (1991): 15

[8] Sattler (1996): 33

[9] vgl. Sattler (2000): 119

[10] Sattler (1996): 36f

[11] vgl. Swelam (1989): 23

[12] Sattler (2000): 114

[13] vgl. Zuckrigl (1991): 12

[14] vgl. Zuckrigl (1991): 12.

[15] Zuckrigl (1991): 15

[16] vgl. Bäumer (1999)

[17] vgl. Zuckrigl (1991): 12

[18] Sattler (1997): 16

[19] Swelam (1989): 4

[20] ebd.: 5

[21] Smits (2002): 18

[22] ebd.

[23] Smits (2002): 18

[24] vgl. Smits (2002): 20

[25] Sattler (2000): 42

[26] Bäumer (1999)

[27] Swelam (1989): 6

[28] vgl. Swelam (1989): 6

[29] vgl. Sattler (2000): 42

[30] ebd.: 44

[31] vgl. Swelam (1989): 6

[32] vgl. Sattler (2000): 49

[33] Swelam (1989): 9

[34] ebd.: 49

[35] vgl. Sattler (2000): 49

[36] vgl. Sattler (2000).: 52

[37] ebd.

[38] vgl. Sattler (1996): 118

[39] Sattler (2000): 60

[40] ebd.: 64

[41] Smits (2002): 51

[42] ebd.: 52

[43] vgl. Smits (2002): 52

[44] Studienkreis (2001)

[45] Smits (2002): 34

[46] in: Swelam (1989): 27

[47] vgl. Swelam (1989): 27

[48] Drescher (2002)

[49] vgl. Binas, Roth- Bernstein, Sandrock, Wenning (1974): 4

[50] vgl. Binas, Roth- Bernstein, Sandrock, Wenning (1974): 12f

[51] vgl. Sattler (1996): 52

[52] in: Bärmann (1991)

[53] ebd.

[54] Sattler (1996): 52

[55] in Bäumer (1999)

[56] vgl. Meyer (1991): 73

[57] Zuckrigl (1991): 48

[58] Bärmann (1991)

[59] Schenk- Danziger (1974): 17

[60] Sattler (2000): 129

[61] vgl. Sattler (1997): 70

[62] Bäumer (1999)

[63] Sattler (1997): 72

[64] Sattler (1997): 70

[65] Aschmoneit (1972): 38

[66] vgl. Sattler (1997): 32

[67] vgl. Schenk- Danziger (1974): 19

[68] vgl. Aschmoneit (1972): 37

[69] vgl. Sattler (1996): 50

[70] vgl. Bäumer (1999)

[71] Sattler (1997): 73

[72] ebd.

[73] Sattler (1997): 77

[74] vgl. Sattler (1997): 77

[75] Schenk- Danziger (1974): 18

[76] Meyer (1991): 72

[77] Sattler (1996): 57

[78] vgl. Sattler (1996): 50

[79] Meyer (1991): 72

[80] Swelam (1989): 12

[81] Sattler (1996): 137

[82] vgl. Sattler (1997): 47f

[83] vgl. Sattler (1997): 47

[84] ebd.

[85] vgl. Sattler (1999): 71

[86] ebd.: 82f

[87] vgl. Meyer (1991): 116

[88] Meyer (1991): 116

Final del extracto de 120 páginas

Detalles

Título
Linkshändigkeit im Schulalltag der Grundschule
Universidad
University of Frankfurt (Main)
Calificación
2,0
Autor
Año
2002
Páginas
120
No. de catálogo
V43716
ISBN (Ebook)
9783638414531
ISBN (Libro)
9783638707138
Tamaño de fichero
1280 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Linkshändigkeit, Schulalltag, Grundschule
Citar trabajo
Sonja Götz (Autor), 2002, Linkshändigkeit im Schulalltag der Grundschule, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43716

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Título: Linkshändigkeit im Schulalltag der Grundschule



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