Dieser Essay enthält Erinnerungen aus den Jahren 1970 bis 2018 über das Studentenleben im alten West-Berlin, mein Wohnquartier in Grunewald, die Familie meines Hauswirtes, Erinnerungen an den "Alten Fritz", an den Bildhauer Harro Magnussen und an die Filmidee zu "Herz aus Stein".
Erinnerungen an Eberhard Beutner -
(West-)Berliner Zeitzeuge bis 1987 und preußisches Original
von
Kraft-Eike Wrede
Zeitgenossen alias „Zeugen der Zeit“, also Zeitzeugen, sind heutzutage gefragte Leute, wenn es darum geht, Menschen anzutreffen, deren Lebenszeit voll ins 20. Jahrhundert fällt, die im 1. Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts geboren wurden und deren Tod mit dem epochalen Ereignis des Zusammenbruches des sozialistischen Lagers (der Sowjetunion und ihrer europäischen Satellitenstaaten einschließlich des ostdeutschen Teilstaates DDR) verbunden ist.
Kurz: es geht um Menschen, die sich noch erinnern, wie es in der Monarchie des wilhelminischen Kaiserreiches war, die erzählen können, wie sie den Ersten Weltkrieg (1914-1918) miterlebten und an Hunger litten, wobei der Hungerwinter 1916 - jener legendäre „Steckrübenwinter“ - für diese Generation eine besonders markante Erinnerung bedeutet. Sie können erzählen vom Zusammenbruch der Monarchie 1918, vom Neuanfang der Weimarer Republik danach, mussten die Erfahrung machen, dass ihre Eltern aufgrund des verlorenen Krieges und in Folge der Kriegsschulden und der im Versailler Friedensvertrag auferlegten Reparationsleistungen ihr gesamtes Vermögen durch die Inflation der früheren durch Gold gedeckten “Deutschen Reichsmark” verloren hatten und infolgedessen verarmt waren. Man erinnert sich an die Einführung der “Rentenmark” nach der Inflation 1923. Auch sie hieß “Deutsche Reichsmark”. Wiederum auch sie wurde nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg (1939-1945) ein „Opfer der Inflation“ und wurde am 20. Juni 1948 abgelöst durch die (fast schon legendäre) “Deutsche Mark”, von der wir endgültig erst am 1. März 2002 zugunsten des Euro Abschied nahmen.
Scheinblüte der Weimarer Republik nach Abschaffung der Monarchie, um sozialen Ausgleich bemühte SPD-Regierungen in Preußen und im Deutschen Reich, aber auch Weltwirtschaftskrise 1928 und darauf folgend wirtschaftliche Rezession in Deutschland: Mehr als sechs Millionen Arbeitslose votierten mit dem „Mut der Verzweifelten“ für die Nationalsozialisten, die für Adolf Hitler am 30. Januar 1933 in Berlin durchs Brandenburger Tor marschierten, nachdem der „böhmische Gefreite“ vom greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg (der das böhmische Braunau mit dem oberösterreichischen, am Grenzfluss Inn gelegene Braunau verwechselte) zum Reichskanzler ernannt worden war. Wieder Scheinblüte durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, wirtschaftlicher Aufschwung, Bau der legendären Reichsautobahnen, aber auch Aufrüstung nach den in Hitlers Buch „Mein Kampf“ offen dargelegten politischen Plänen, für Deutschland „Raum im Osten“ zu gewinnen. Wer politischen Verstand hatte, wußte damals schon, dass die Opfer nicht nur die als „minderrassig“ angesehenen Slawen in Polen und in der Sowjetunion werden würden, sondern auch „die Juden“, die nach Hitlers Meinung „an allem schuld“ waren, dass es Deutschland so schlecht ging in der Zeit nach dem Versailler Friedensvertrag bis zur „Machtergreifung“ und zum Antritt der „Regierung der nationalen Erhebung“. Kriegsteilnehmer am nur 20 Jahre später vom Zaun gebrochenen Zweiten Weltkrieg waren 1939 dann auch die meisten der um 1910 geborenen deutschen Männer. Wenn sie Glück hatten, die Kriegskämpfe zu überleben und in Gefangenschaft der westalliierten Siegermächte gerieten, konnten sie nach relativ kurzer Kriegsgefangenschaft wieder nach Hause - das hieß oft in zerstörte Städte - zurückkehren. Diejenigen Soldaten, die 1945 in sowjetische Gefangenschaft gerieten, hatten ein ungleich schwierigeres Los zu beklagen. Sie konnten - vielleicht auch erst nach schwerer Zwangsarbeit in den sibirischen Gulags - erst nach Bundeskanzler Konrad Adenauers Moskau-Besuch 1955 - zehn Jahre nach Kriegsende! - den Weg über das Grenzdurchgangslager Friedland zurück „in die Heimat“ finden.
Die Heimat war ein in Folge des Zweiten Weltkriegs geteiltes Deutschland: die “Bundesrepublik Deutschland” im Westen und die “Deutsche Demokratische Republik” im Osten (beide Staaten gegründet 1949). Weitere Folge war ein wirtschaftlicher Zusammenbruch bei annähernd totaler Zerstörung der Städte bei zusätzlicher Demontage zahlreicher Produktionsbetriebe und Reparationsleistungen an die Siegermächte: das war die Ausgangslage nach dem 8. Mai 1945.
Deutschland wurde vom „Alliierten Kontrollrat“ in Berlin von vier Besatzungsmächten regiert und war in vier Zonen aufgeteilt worden. Die Ostprovinzen waren (Ostpreußen nordhälftig der Sowjetunion) Polen zugesprochen, das eine “Westverschiebung” erfuhr, und die Oder-Neiße-Grenze war ein politisches Problem bis zur erfolgreichen Ostpolitik Willy Brandts 1970. Zweistaatlichkeit seit 1949 und zunehmende ideologische Trennung der beiden deutschen Staaten bis zur Zementierung der Teilung durch den Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 unter der Weltlage des Kalten Krieges bestimmten die deutsche Nachkriegspolitik, bis sich die Ostblock-Staaten den gefährlichen Rüstungswettlauf mit dem wirtschaftlich stärkeren Westen nicht mehr leisten konnten. „Solidarnoszcz“ unter Lech Walesa in Polen und „Perestroika“ unter Michail Gorbatschow in der Sowjetunion führten einen Wechsel der politischen Großwetterlage herbei; das Ausbluten der DDR durch die „Abstimmung mit den Füßen“ zumindest bis zum Mauerbau 1961, danach gezielte „Freikäufe“ einzelner Personen durch die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, die Flucht ganzer Familien via Warschauer und Prager Botschaften der Bundesrepublik Deutschland und zuletzt durch den aufgeschnittenen Stacheldrahtzaun zwischen Ungarn (toleriert vom damaligen ungarischen Ministerpräsidenten Gyula Horn) und Österreich, aber auch die Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche unter der umsichtigen Leitung des Pfarrers Christian Führer (1943-2014), die friedlichen Umzüge der Bürgerrechtler in Leipzig, an deren Spitze man den international renommierten Gewandhaus-Dirigenten Kurt Masur sah, hatten letztlich den Zusammenbruch der DDR zur Folge, die schließlich am 9. November 1989 - ohne verhindernden Einsatz der Stasi - dem Druck der Bürger folgte und ihre Grenzen öffnete. Nach ersten freien, demokratischen Wahlen zur Volkskammer im März 1990 führte das alles - nach weniger als einem Jahr - am 3. Oktober 1990 zur „Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit“ - gemäß der Aufforderung zur nationalen Einheit in Frieden und Freiheit entsprechend der Präambel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland.
Das waren - gleichsam im historischen Zeitraffer betrachtet - die Deutschland betreffenden wichtigsten geschichtlichen Ereignisse des 20. Jahrhunderts.
In diesen Zeitraum - schon etwas früher einsetzend - fällt auch die Geschichte der Familie des Baumeisters Hans Beutner und seiner Ehefrau Elisabeth, geborene Graeber, oder besser, weil für mich nachvollziehbarer: die Geschichte der nachfolgenden Generation, nämlich das Leben ihrer fünf Kinder Roland, Hans, Davida, Ingeburg (genannt “Inge”) und Eberhard Beutner, von denen drei (Davida, Inge und Eberhard) lebenslang im elterlichen Haus wohnen blieben, bis sie nacheinander (in der Reihenfolge Davida, Eberhard und Inge) in den 80-er Jahren starben und ihre Gräber auf dem Grunewalder Friedhof in der Bornstedter Str. in Berlin-Halensee fanden.
Ohne das Erinnerungsprotokoll Kristina Behnkes aus dem „Gemeindeblatt der Gemeinde Grunewald“ zu deren 100-jährigem Jubiläum 1989 hier paraphrasieren zu wollen, nenne ich ihren mit „In Treu und Glauben“ betitelten Beitrag, in welchem sie die „Familie Beutner in der Humboldtstraße 32“ vorstellte.[1]
In diesem Gemeindeblatt wurden „Erinnerungen an die Vergangenheit in Grunewald, Häuser und Leute, Straßen und Plätze“ vorgestellt. Eberhard Beutner, der Gewährsmann und Informant Kristina Behnkes, konnte leider diese Erinnerungsschrift nach deren Erscheinen nicht mehr lesen - so, wie er auch den Fall der Berliner Mauer 1989 nicht mehr erleben durfte; im Mai 1987 war er, schon seit längerer Jahre an Altersschwäche laborierend, schließlich still in seiner Schlafkammer der von ihm bewohnten Souterrain-Wohnung des elterlichen Hauses Humboldtstraße 32 gestorben. Da der „Diplom-Architekt und Architekt“, wie es auf seinem Grabstein auf dem Grunewalder Friedhof an der Bornstedter Straße zu lesen steht, allein, d.h. ohne Zeugen verstarb und erst einige Stunden nach Eintritt des Todes vorgefunden wurde, kam die Kriminalpolizei ins Spiel, die verpflichtet ist, ohne erkennbare Todesursache aufgefundene Leichen gerichtsmedizinisch untersuchen zu lassen. Daher ist auch Eberhard Beutners Todesdatum vage: das Doppeldatum 8/9. Mai 1987 steht daher auf dem Grabstein. Geboren wurde er am 15. Februar 1908 in Berlin.
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[1] Kristina Behnke: „In Treu und Glauben“, in: Gemeindeblatt der Gemeinde Grunewald, „Zum „100-jährigen Jubiläum der Gemeinde Grunewald 1889“, Berlin 1989.
- Arbeit zitieren
- Kraft-Eike Wrede (Autor:in), 2018, Erinnerungen an Eberhard Beutner. (West-)Berliner Zeitzeuge bis 1987 und preußisches Original, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/436349
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