Im Verlauf des Studiums bin ich auf Bullinger gestossen und vor allem auf sein bekanntestes Werk, das Zweite Helvetische Bekenntnis. Die Lektüre dieses Werkes hat mir gezeigt, wie man die Prädestinationslehre behandeln kann, ohne den biblischen Aussagen Gewalt antun zu müssen.
Da ich persönlich sehr viel von Bullingers Gedanken profitieren konnte, war es mein Wunsch, mich eingehender mit seiner Person und seinen Werken auseinander zu setzen, um die gewonnenen Erkenntnisse weitergeben zu können.
Dazu kam die Koinzidenz des Bullinger-Jubiläums im Jahr 2004. Der Besuch einer internationalen wissenschaftlichen Tagung in Zürich hat mir noch weitere Einblicke in die Bullinger-Forschung ermöglicht. Rechtzeitig zur Eröffnung des Jubiläums sind einige neue Bücher über Bullinger und sein Werk erschienen. Es sind z.B. die neuste Bullinger-Biographie von FRITZ BÜSSER und die erste umfassende Untersuchung des theologischen Gehalts der Dekaden von PETER OPITZ.
In der vorliegenden Arbeit gebe ich zunächst einen Überblick über Bullingers Leben, angefangen von seinen Jugendjahren und den ersten Begegnungen mit der Reformation bis hin zu seiner Arbeit als Vorsteher der Zürcher Kirche.
In einem zweiten Teil werden seine Hauptwerke kurz vorgestellt, hauptsächlich mit Blick auf die für unser Thema relevanten Schriften.
Als Drittes befasse ich mich eingehend mit der Darstellung der Prädestinationslehre bei Bullinger. Ich gehe dabei chronologisch vor und überprüfe schrittweise verschiedene Schriften auf ihre Aussagen hin. Es wird bei der Untersuchung auch wichtig sein zu beobachten, ob Bullinger eine Entwicklung in seiner Sicht durchgemacht hat und ob gewisse Ereignisse seine Meinung geprägt haben. Ich folge bei der thematischen Entfaltung hauptsächlich dem Aufbau im Buch Heinrich Bullinger and the Doctrine of Predestination von Professor CORNELIS P. VENEMA vom Princeton Theological Seminary.
Zuletzt gebe ich noch meine praktische Beurteilung zu Bullingers Prädestinationslehre ab. Ich führe aus, wie seine Ausführungen Grundlage für eine nüchterne Diskussion in der Gemeinde sein könnten.
Inhaltsverzeichnis
0. Vorwort
1. Abkürzungen
2. Biographie
2.1. Jugend
2.2. Ausbildung
2.2.1. Bremgarten (1509 – 1516)
2.2.2. Emmerich (1516 – 1519)
2.2.3. Köln (1519 – 1522)
2.2.3.1. Vom Humanisten zum Reformator (1520 –1522)
2.3. Erste Erfahrungen in Kappel (1523 – 1529)
2.4. Pfarrer in Bremgarten (1529 – 1531)
2.4.1. Hochzeit (1529) und Familienleben
2.5. Wirksamkeit in Zürich (1531 – 1575)
2.5.1. Die Wahl Bullingers (1531)
2.5.2. Der Nachfolger
2.5.3. Der Antistes und Prediger
2.5.4. Die „Fürträge“
2.5.5. Die Schola Tigurina oder Prophezei
2.5.6. Die Einigung der Schweizer Reformation
2.6. Bullingers Lebensabend und Sterben (1575)
3. Werke
3.1. Die Dekaden (1549/1551)
3.2. Das Zweite Helvetische Bekenntnis (1566)
4. Die Prädestinationslehre
4.1. Die Problematik
4.2. Die Prädestinationslehre in der Periode 1536-1556
4.2.1. Die Oratio von 1536
4.2.2. Die Dekaden von 1549-1551
4.2.3. Die Summa Christenlicher Religion von 1556
4.2.4. Fazit
4.3. Bullingers Korrespondenz 1551-1553
4.3.1. Korrespondenz mit Calvin betreffend Bolsec
4.3.2. Korrespondenz mit Bartholomäus Traheronus
4.3.3. Fazit
4.4. Auseinandersetzungen über die Prädestinationslehre 1560 – 1561
4.4.1. Der Streit zwischen Vermigli und Bibliander
4.4.2. Das Zürcher Gutachten zur Prädestination von 1561
4.5. Das Zweite Helvetische Bekenntnis
4.5.1. Der Platz der Prädestinationslehre im Bekenntnis
4.5.2. Die Prädestinationslehre im Bekenntnis
4.5.3. Fazit
5. Abschliessende Beurteilung
6. Literaturverzeichnis
0. Vorwort
Anlass zu dieser Arbeit war eine persönliche Auseinandersetzung mit der Thematik rund um die Prädestinationslehre.
Im Verlauf des Studiums bin ich auf Bullinger gestossen und vor allem auf sein bekanntestes Werk, das Zweite Helvetische Bekenntnis. Die Lektüre dieses Werkes hat mir gezeigt, wie man die Prädestinationslehre behandeln kann, ohne den biblischen Aussagen Gewalt antun zu müssen.
Da ich persönlich sehr viel von Bullingers Gedanken profitieren konnte, war es mein Wunsch, mich eingehender mit seiner Person und seinen Werken auseinander zu setzen, um die gewonnenen Erkenntnisse weitergeben zu können.
Dazu kam die Koinzidenz des Bullinger-Jubiläums im Jahr 2004. Der Besuch einer internationalen wissenschaftlichen Tagung in Zürich hat mir noch weitere Einblicke in die Bullinger-Forschung ermöglicht. Rechtzeitig zur Eröffnung des Jubiläums sind einige neue Bücher über Bullinger und sein Werk erschienen. Es sind z.B. die neuste Bullinger-Biographie von Fritz Büsser und die erste umfassende Untersuchung des theologischen Gehalts der Dekaden von Peter Opitz.
In der vorliegenden Arbeit werde ich zunächst einen Überblick über Bullingers Leben geben, angefangen von seinen Jugendjahren und den ersten Begegnungen mit der Reformation bis hin zu seiner Arbeit als Vorsteher der Zürcher Kirche.
In einem zweiten Teil werden seine Hauptwerke kurz vorgestellt, hauptsächlich mit Blick auf die für unser Thema relevanten Schriften.
Als Drittes werden wir uns eingehend mit der Darstellung der Prädestinationslehre bei Bullinger befassen. Ich werde dabei chronologisch vorgehen und schrittweise verschiedene Schriften auf ihre Aussagen hin überprüfen. Es wird bei der Untersuchung auch wichtig sein zu beobachten, ob Bullinger eine Entwicklung in seiner Sicht durchgemacht hat und ob gewisse Ereignisse seine Meinung geprägt haben. Ich werde bei der thematischen Entfaltung hauptsächlich dem Aufbau im Buch Heinrich Bullinger and the Doctrine of Predestination von Professor Cornelis P. Venema vom Princeton Theological Seminary folgen.
Zuletzt möchte ich noch meine praktische Beurteilung zu Bullingers Prädestinationslehre abgeben. Ich möchte ausführen, ob seine Ausführungen Grundlage für eine nüchterne Diskussion in der Gemeinde sein könnten.
1. Abkürzungen
Dekaden H. Bullinger, Sermonum Decades. Zürich: Froschauer, 1549-1551
In dieser Arbeit zitiert nach der deutschen Übertragung von W. Hollweg, Heinrich Bullingers Hausbuch. Eine Untersuchung über die Anfänge der reformierten Predigtliteratur. In: Beiträge zur Geschichte und Lehre der Reformierten Kirche. Band 8, Neukirchen/Kreis Moers: Verlag der Buchhandlung des Erziehungsvereins, 1956.
HBBibl Heinrich Bullinger Werke. Bibliographie, Bd. 1, Beschreibendes Verzeichnis der gedruckten Werke von Heinrich Bullinger.
Hrsg. J. Staedtke, Zürich: Theologischer Verlag, 1972.
Oratio H. Bullinger, Oratio de moderatione servanda in negotio providentia praedestinationis, gratiae et liberi arbitrii. Abgedruckt in: J. H. Hottinger, Historiae ecclesiasticae novi testamenti. Bd. 8, Zürich, 1667 (HBBibl Nr. 721).
RGG3 Religion in Geschichte und Gegenwart. Bd. 1, 3. völlig neu bearbeitete Aufl., in Gemeinschaft mit H. v. Campenhausen ... [et al.] hrsg. von K. Galling, Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), 1986.
Summa H. Bullinger, Summa Christenlicher Religion. Zürich: Froschauer, 1556 (HBBibl Nr. 291).
ZHB H. Bullinger, Das Zweite Helvetische Bekenntnis. Ins Deutsche übertragen von W. Hildebrandt und R. Zimmermann, 5. Auflage, Zürich: TVZ, 1998.
2. Biographie
2.1. Jugend
Heinrich Bullinger wurde am 18. Juli 1504 in Bremgarten, im heutigen Kanton Aargau, geboren. Sein Geburtshaus „Zum wilden Mann“ kann heute noch besichtigt werden, es befindet sich an der Marktgasse 22 und ist heute das „Hollywood-Pub“.[1][2]
Seine familiäre Situation ist auf den ersten Blick aussergewöhnlich, über die wir, dank dem „Verzeichnis des Geschlechts der Bullinger“, das Bullinger uns hinterlassen hat, gut informiert sind. Er war Sohn des Priesters Heinrich Bullinger und der Anna Wiederkehr, die zusammen im Konkubinat lebten. Die Priesterehe war zwar kirchenrechtlich verboten, doch im 16. Jahrhundert durchaus üblich. Die Beziehung zwischen Heinrich d. Ä. und Anna Wiederkehr wurde sehr ernsthaft angegangen, sie hatten sich von Anfang an die eheliche Treue versprochen. Die Ernsthaftigkeit ihrer Absichten zeigten sie am „31. Dezember 1529 durch öffentlichen Kirchgang im Zürcher Grossmünster“[3].
Heinrich d. Ä. (1469 – 1533) hatte in Deutschland Theologie studiert und wurde 1493 zum Priester geweiht. Er musste zunächst als Kaplan und Helfer in verschiedenen Schweizer Städten dienen, bis er in Bremgarten zunächst Kaplan und 1506 Pfarrer wurde. 1514 wurde er schliesslich sogar Dekan des Dekanats Bremgarten. Heinrich d. Ä. war in Bremgarten sehr beliebt. „Nicht zuletzt aufgrund seiner Verbindung mit Anna Wiederkehr, einer ungewöhnlich schönen Tochter des sehr vermögenden und einflussreichen Müllers und Ratsherrn Heinrich Wiederkehr aus Bremgarten, führte er ein stets offenes Haus.“[4]
Dieser Ehe entsprossen 5 Kinder. Zwei davon, Johann Heinrich und Johann Erhart, starben sehr jung. Johann Reinhart, der ältere Bruder Heinrichs, wurde Pfarrer, zuletzt in Kappel, wo er 1557 starb. Der vierte Bruder Heinrichs, Hans Bernhard starb 1529 in Wien während der Belagerung durch die Türken.
2.2. Ausbildung
2.2.1. Bremgarten (1509 – 1516)
Als knapp Fünfjähriger trat Bullinger in die Trivial- und Lateinschule der Stadt Bremgarten ein. Ziel war, die lateinische Sprache und den Kirchengesang zu erlernen. Zu diesem Zweck durften die Schüler selbst unter sich nur lateinisch sprechen, ausgenommen waren Unterhaltungen mit den Eltern und mit Laien.
2.2.2. Emmerich (1516 – 1519)
Als Zwölfjähriger verliess Bullinger Bremgarten in Richtung Emmerich am Niederrhein. 1526 setzt er dort seine Lateinstudien an der Lateinschule St. Martin fort.[5][6]
Im 14. Jahrhundert gewann in Emmerich die Bewegung der Devotio Moderna, bzw. die „Brüder vom gemeinsamen Leben“, auf geistiger Ebene an Einfluss. Das Moderne an dieser Bewegung war die Zuwendung des Glaubens zur Erfahrung, die sich in der praktischen Frömmigkeit (Praxis pietatis) zeigte. Das bekannteste Werk dieser Zeit ist das Buch „Von der Nachfolge Christi“ von Thomas von Kempen. Die Lateinschule wurde im 15. Jahrhundert in ein humanistisches Gymnasium umgewandelt.
Neu an dieser Schule war die Einführung heidnischer Literatur von Autoren wie Plinius, Cicero, Vergil und Horaz. So wurde Bullinger mit heidnischer und christlicher Literatur zugleich vertraut. Auch lernte er die Grundlagen des Griechischen und der Logik kennen.
An der Schule herrschte eine strenge Disziplin. Neben der Pflicht sich nur auf lateinisch unterhalten zu dürfen, kam das Recht, ja sogar die Pflicht der Lehrer, die Schüler Tag und Nacht zu kontrollieren.
Ein drittes Merkmal dieser Schule war die Pflege der damals geltenden Religion. Bullinger sagt von sich, er sei so sehr vom Aberglauben geblendet worden, dass er sich ernsthaft überlegte, später in den Karthäuserorden[7], den damals strengsten Orden, einzutreten.
Sein Vater gab ihm zwei Kleidungen mit und bezahlte das Schulgeld und die Unterkunft. Seinen Lebensunterhalt musste sich Heinrich aber durch Singen erbetteln. Es war der Wunsch seines Vaters, dass er so „das unglückliche Los der Bettelnden aus Erfahrung“[8] kennen lerne.
2.2.3. Köln (1519 – 1522)
Im Sommer 1519 begann Bullinger seine Studien in der Metropole Köln, dem „deutschen Rom“. „Zu Beginn des 16.Jahrhunderts war die Universität Köln mit ihren vier Fakultäten (Theologie, Jura, Medizin, Artes) die angesehenste Hochschule des Reiches“[10].[9]
Schon vor der Gründung der Universität hatten in Köln Albert d. Gr., Thomas von Aquin (Dominikaner) und Johannes Duns Scotus (Franziskaner) gelehrt, ebenso Meister Eckhart und dessen Schüler Johannes Tauler und Heinrich Seuse (Mystiker).
Die historischen Ereignisse während seines Kölner Aufenthaltes waren entscheidend für das Leben Bullingers: 1519 fand die Leipziger Disputation und 1521 der Reichstag von Worms statt. In Köln begegnete Bullinger sowohl der alten Welt der Scholastik als auch der neuen Welt von Humanismus und Reformation.
Bullinger wurde 1519 in die Artistenfakultät[11] aufgenommen, die als Grundlage für ein Studium an den drei Hauptfakultäten (Theologie, Jura, Medizin) diente. Seine Studien waren zunächst stark scholastisch bestimmt, wobei er sich vor allem mit Logik beschäftigte. Bullinger genoss in Köln eine gute thomistische Ausbildung, lernte aber gleichzeitig auch den Humanismus kennen, der sein Denken und Handeln sehr stark prägte. Nach den Notizen Bullingers müssen „die zwei Hauptziele der deutschen Humanisten eine zentrale Rolle gespielt haben: in methodischer Hinsicht die Berücksichtigung der Rhetorik, in inhaltlicher Beziehung die Rückkehr zur klassischen (auch christlichen) Antike“[12].
2.2.3.1. Vom Humanisten zum Reformator (1520 –1522)
Am meisten Einfluss auf Bullinger hatte wohl der grösste Humanist des 16. Jahrhunderts, Erasmus von Rotterdam. 1516 erschien seine erste Ausgabe des Neuen Testaments in griechischer Sprache mit lateinischer Übersetzung und 1519 die zweite verbesserte Auflage. Ferner erschienen die „Paraphrasen“, eine populäre Auslegung des Bibeltextes. Parallel dazu erschienen auch seine Ausgaben der Kirchenväter.
In Köln fand Bullinger nicht nur den Weg zum Humanismus, sondern auch den Weg zur Reformation, welche zur Spaltung unter den Humanisten führte. Einige schlossen sich Luther an, andere wie Bullinger, Zwingli oder Calvin wandelten sich weitgehend selbstständig von Humanisten zu Reformatoren. Wieder andere, so Erasmus selbst, blieben Rom treu oder gingen eine „Via media“.
In den Jahren 1520 – 1522 fand Bullinger den Anschluss an die Reformation. Er begann sich zunächst für den Streit um Luthers Lehre zu interessieren. 1520 werden in Köln häretische Bücher verbrannt (darunter vermutlich auch Luthers Schriften). Bullinger selbst datiert den Anfang seiner Bekehrungsgeschichte in dieses Jahr, als er sich nicht entscheiden konnte ob nun Luther oder der Papst Recht habe.
So begann er die Kirchenlehre (die Sentenzen des Petrus Lombardus) und das Kirchenrecht zu studieren und entdeckte, dass sie sich weitgehend auf die Kirchenväter beriefen. Beim direkten Studium der Kirchenväter gelangte er zur Einsicht, dass sie die Heilige Schrift anders behandelten als in der Kirchenlehre üblich. Er sah, dass sich Ambrosius, Augustinus und Origenes auf die Heilige Schrift beriefen.
Danach begann Bullinger mit der Lektüre der 1520 verfassten reformatorischen Hauptschriften Luthers. Da merkte er, dass auch Luther sich immer wieder auf die Schrift berief und so entschied er sich dasselbe zu tun. Er kaufte sich ein Neues Testament und begann mit der Lektüre des Matthäusevangeliums. Auch las er in dieser Zeit die systematische Abhandlung der christlichen Lehre, die „loci communes“ des Melanchthon.
Diese Lektüre führte bei Bullinger zum Bruch mit der Römischen Kirche. Erst danach schloss er sich der Reformation an. Er kam zum Schluss, dass die Heilige Schrift sich selbst auslegt und dass sie allein zur Erkenntnis Christi führt.
Es ist bemerkenswert, wie Bullinger, der nicht einmal zwanzig war und nie Theologie studiert hat - er schloss das Studium als Magister der freien Künste ab -, zum reformatorischen Durchbruch gelangt ist. Sein späteres Wissen hatte er sich autodidaktisch angeeignet.
2.3. Erste Erfahrungen in Kappel (1523 – 1529)
Im Jahr 1523 wurde der 18 ½ jährige Bullinger von Wolfgang Joner als Klosterlehrer nach Kappel berufen. Er konnte dabei die Anstellungsbedingungen so geschickt aushandeln, dass er der Reformation treu bleiben konnte, keine Mönchspflichten eingehen musste und der Messe fernbleiben durfte.[13]
Bullinger drängte zu einer Reformation der Schule nach dem Vorbild von Emmerich. Täglich, ausser Sonntag, hielt er öffentliche Vorlesungen, in denen er die Heilige Schrift auslegte, dazu noch Schriften von Erasmus und Melanchthon. Insgesamt hat er in den sechs Jahren in Kappel 21 der 27 Bücher des Neuen Testaments ausgelegt. An den Vorlesungen nahmen nicht nur die Schüler teil, sondern auch alle Mönche und der Abt selbst, dazu noch interessierte Laien. Die Vorlesungen hielt er in deutscher Sprache. Am Nachmittag unterrichtete er Grammatik und Dialektik, zusätzlich las er klassische Autoren wie Cicero, Vergil und Sallust. Sein Unterricht zeigte schnell Folgen: Viele Mönche wurden vom reformatorischen Eifer gepackt und begannen das Evangelium zu predigen. 1525 wurden Bilder und Messe abgeschafft und 1527 wurde das Kloster dem Rat von Zürich übergeben.
Es ist bemerkenswert, dass Bullinger 1523, zwei Jahre vor Zwingli in Zürich, in Kappel bereits die erste „Prophezei“[14], die erste reformierte Theologenschule gründete. In Kappel gründete er zudem die erste reformierte Lateinschule der Schweiz nach dem Vorbild von Emmerich.
Bullinger wirkte in seiner Zeit auch in der Umgebung von Kappel als Reformator, vorzüglich Richtung Zug. Seine Bemühungen um Zug scheiterten leider. Kappel war als Ausgangsort für die Reformation der Innerschweiz bedeutend. Und gerade darum stand Bullinger selbst in Gefahr. Er wäre in Lebensgefahr geraten, hätte er sich auf katholischem Boden bewegt. So wagte er es nicht mehr, über die Grenzen des Zürchergebietes zu gehen.
Langsam kam Bullinger auch in Kontakt mit der Zürcher Reformation. Die Ereignisse in Zürich, die Erste Zürcher Disputation (Januar 1523), die Zweite Zürcher Disputation (Oktober 1525), dann die Abschaffung der Bilder und der Messe und die theologischen Auseinandersetzungen Zwinglis mit den Vertretern der katholischen Kirche, um nur einige zu erwähnen, blieben von Bullinger nicht unbeachtet. Dazu kamen die politischen Spannungen mit den Glaubenskriegen von Baden[15] (1526) und Bern[16] (1528), schliesslich der Erste Kappelerkrieg (1529).
1523 lernte Bullinger Zwingli persönlich kennen, von dem er bereits einige Schriften gelesen hatte, von denen er sehr angetan war. Ein zentrales Thema der Diskussionen zwischen Bullinger und Zwingli war das Abendmahl. Zwingli zog Bullinger 1525 zu den Gesprächen mit den Täufern bei, wobei Bullinger selber das Wort nicht ergriff. Zwingli und Bullinger kamen sich theologisch und menschlich nahe. So ist es nicht erstaunlich, dass diese Beziehung weitere Kreise zog.
Für das Jahr 1527 nennt Bullinger drei wichtige Ereignisse: „einen Studienaufenthalt in Zürich[17], seine Verlobung und das Aufgebot zur Teilnahme an der Berner Disputation von Januar 1528“[18].
Die Teilnahme Bullingers an der Berner Disputation brachte ihm die Bekanntschaft mit „nahezu allen führenden Reformatoren der Eidgenossenschaft und Süddeutschlands“[19].
Der Höhepunkt der Integration Bullingers in die Zürcher Reformation, war seine Aufnahme in den Zürcher Kirchendienst im April 1528.
2.4. Pfarrer in Bremgarten (1529 – 1531)
Bullingers Vaterstadt Bremgarten lag im Grenzgebiet zwischen katholischen und protestantischen Orten. Bullingers Vater, damals Dekan, wollte die Reformation in Bremgarten einführen. Nach wochenlangen Diskussionen siegte die reformierte Partei. An Pfingsten 1529 hielt Heinrich d. J. eine Gastpredigt in Bremgarten, von der die Gemeinde so begeistert war, dass sie alles daran setzte, ihn als Pfarrer zu bekommen. In Absprache mit Zwingli und der Klosterleitung in Kappel übernahm er die Pfarrstelle seines Vaters.[20]
Bullinger legte in kurzer Zeit das ganze Neue Testament aus und förderte mit aller Konsequenz die Reformation.
Dann spitzten sich die Ereignisse bis zum Zweiten Kappeler Krieg 1531 zu. Ganz hart traf Bullinger das Schicksal Zwinglis. Zwingli hatte zu einem Präventivschlag gegen die Innerschweizer gedrängt, doch Bern war dagegen. Bern verhängte eine Korn- und Proviantsperre, um so die Innerschweizer zur Einhaltung des Friedens zu bewegen. Doch kam es im Oktober 1531 zum zweiten Krieg in Kappel. Es folgten eine schwere Niederlage der Evangelischen und der Tod Zwinglis.
In vielen Gebieten, so auch in Bremgarten, wurde die Messe gewaltsam wieder eingeführt. In der Stadt kam schliesslich ein Friede zustande, von dem aber die Geistlichen ausgeschlossen waren. So musste unter anderen Heinrich Bullinger, auf Wunsch der Stadtregierung, Bremgarten verlassen und nach Zürich auswandern.
2.4.1. Hochzeit (1529) und Familienleben
Im Jahr 1525 wurde in Zürich das Zölibat abgeschafft, sodass für Bullinger, auch kirchenrechtlich, einer Hochzeit nichts mehr im Wege stand.[21]
Wie schon erwähnt, lernte Bullinger 1527 in Zürich die ehemalige Nonne Anna Adlischwyler kennen, die Tochter eines aus Rapperswil stammenden Zürcher Wirtes. Um seine Liebe der Öffentlichkeit geheim zu halten, schrieb Bullinger, entgegen dem damaligen Brauch, seine Angebetete am 30. September direkt an. Am 27. Oktober kam die Antwort: Anna Adlischwyler versprach darin die eheliche Treue. Zwei Tage später folgte die Verlobung.
Doch bis zur Heirat vergingen fast zwei Jahre. Die Mutter der Anna Adlischwyler war entschieden gegen die Vermählung ihrer Tochter mit Heinrich Bullinger, sodass erst nach deren Tod die Hochzeit möglich wurde. Diese fand am 17. August 1529 in Birmensdorf statt[22].
Aus verschiedenen Schriften[23] Bullingers wissen wir, dass Ehe und Familie wichtige Elemente seines Lebens wurden. Die Familie Bullinger wohnte später in Zürich in unmittelbarer Nähe des Grossmünsters. Bullingers hatten stets ein offenes Haus, in dem nicht nur seine Grossfamilie[24] wohnte, sondern auch noch Platz für die Bediensteten, für Freunde und Verwandte bot, die oft für längere Zeit bei ihm wohnten.
In den Jahren 1564 und 1565 wütete in Europa die Pest. Bullinger erkrankte daran, doch Gott liess ihn wieder gesund werden. Anders erging es seiner Frau, die auch erkrankte und nach 35 Jahren Ehe am 25. September 1564 starb. Vor ihm starben auch acht seiner Kinder.
Bullinger betätigte sich in seinem Leben auch als Ehe- und Familienberater. Weit verbreitet wurde sein Buch „Der christlich Ehestand“, das er 1540, nach elfjähriger Erfahrung als Ehemann und Vater, verfasste. Es handelt sich um eine umfassende Darstellung aller möglichen Probleme rund um die Ehe, unter Berücksichtigung der Bibel, der Kirchenväter und der gesamten einschlägigen Literatur. Schon hier zeigt sich, wie sehr Bullinger die Theorie in die Praxis umzusetzen wusste.
2.5. Wirksamkeit in Zürich (1531 – 1575)
2.5.1. Die Wahl Bullingers (1531)
Nach dem Tod Zwinglis, 1531, suchte die Stadt Zürich einen geeigneten Nachfolger.[25]
Auf die Niederlage in Kappel folgte in der Stadt und auf dem Land Zürich eine Krise. Es wurden sogar Stimmen laut, welche in der Niederlage Zürichs und dem Tod Zwinglis ein Gericht Gottes sahen[26]. Mancher fragt sich, warum die so mächtige Stadt Zürich so schnell aufgegeben hatte und zu einem Frieden drängen liess. Zürich musste so handeln, weil die Untertanen auf dem Land es so gefordert hatten. Die militärische Krise wurde von einer innenpolitischen Krise begleitet. Einerseits stand die politische Beziehung zwischen der Stadt Zürich und den Untertanen auf dem Land, andererseits das Verhältnis zwischen Staat und Kirche zur Debatte.
In einem Beschwerdebrief (Meilener Artikel) der Landschaft an die Stadt wurde unter anderem die „Beseitigung der aufrührerischen Schreier, insbesondere unter den Pfarrern“[27] gefordert. Es wurden nur noch friedfertige und sich für den Frieden einsetzende Pfarrer gewünscht.
Am 9. Dezember 1531 stimmten der Bürgermeister und die Räte Zürichs dem Antrag zu. Am gleichen Tag wurde auch Bullinger als Nachfolger Zwinglis nach Zürich berufen, obwohl durchaus Alternativen[28] vorhanden gewesen wären. Bullinger selbst hatte gleichzeitig noch weitere Anfragen, unter anderen aus Bern und Basel, die er aber zugunsten Zürichs ablehnte.
[...]
[1] Literatur (Auswahl): F. Büsser, Heinrich Bullinger, Leben, Werk und Wirkung. Band I, Zürich: TVZ, 2004; F. Blanke, Der junge Bullinger. Zürich: Zwingli-Verein, 1942; F. Blanke/I. Leuschner, Heinrich Bullinger. Vater der reformierten Kirche. Zürich: TVZ, 1990.
[2] Vgl. F. Büsser, Heinrich Bullinger, a.a.O., S. 3-6.
[3] Ebd., S. 5.
[4] Ebd., S. 6.
[5] Vgl. F. Büsser, a.a.O., S. 6-7.
[6] Ebd., S. 9-12.
[7] Die Karthäuser halten sich an die Benediktinerregel und üben sich in strenger Askese und Abkehr von der Welt.
[8] F. Büsser, a.a.O., S. 12.
[9] Vgl. ebd., S. 12-26.
[10] Ebd., S. 13.
[11] In zwei Jahren erlernte man dort die sieben freien Künste: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Astronomie, Arithmetik, Geometrie und Musik. Danach, als Baccalaureus, widmete man sich weitere zwei Jahre dem Studium der Metaphysik, Ethik und Politik.
[12] F. Büsser, a.a.O., S. 16.
[13] Vgl. F. Büsser, a.a.O., S. 28-50.
[14] Eine gemäss 1Kor 14,29 (der Prophet wurde als Ausleger gedeutet) 1525 von Zwingli gegründete wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft (Auslegungsschule) zur Auslegung des Alten Testamentes. Die Arbeitsgemeinschaft tagte täglich ausser Freitag und Sonntag. Anschliessend wurden die Erkenntnisse öffentlich der Gemeinde vorgestellt.
[15] Inhaltlich ein Gespräch über Messe und Schriftprinzip.
[16] Die Lehre Zwinglis siegte und die Berner Obrigkeit erliess ein Reformationsmandat für das gesamte Bernbiet.
[17] Bei seinem Studienaufenthalt hörte er Vorlesungen Zwinglis und lernte Hebräisch und Griechisch.
[18] F. Büsser, a.a.O., S. 45.
[19] Ebd., S. 48.
[20] Ebd., S. 61-68.
[21] Vgl. F. Büsser, a.a.O., S. 69-80.
[22] Interessant ist, dass Bullinger im selben Jahr auch der Hochzeit seiner Eltern beiwohnen durfte.
[23] Das Diarium, die Viten, Briefe und persönliche Texte.
[24] Heinrich d. J. und Anna hatten gemeinsam elf Kinder.
[25] Vgl. F. Büsser, a.a.O., S. 83-107.
[26] Sogar Luther sieht es so.
[27] F. Büsser, a.a.O., S. 92.
[28] Wie z.B. Leo Jud oder Johannes Oekolampad.
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