1945 gab es 50 Staaten auf der Welt, 2005 sind es bereits fast 200. Dies bedeutet nahezu eine Vervierfachung der Anzahl der Staaten in den vergangenen 60 Jahren. Die meisten der neuen Staaten entstanden durch Sezession. Zwei Ereignisse stechen dabei besonders hervor. Der Prozeß der Dekolonialisierung , auf dessen Höhepunkt es zu dutzenden Staatsneugründungen durch Sezession im Afrika der 1960er Jahre kam, und das Ende des Kalten Krieges, das zum Zusammenbruch der Vielvölkerstaaten Sowjetunion und Jugoslawien führte und etliche neue, durch Sezession entstandene Staaten hervorbrachte.
In Deutschland mag das Phänomen Sezession als stärkste Form der Desintegration aufgrund der Geschichte einer langen Integration vom Deutschen Reich (1871) über den Föderalismus der Bundesrepublik, die Wiedervereinigung mit der ehemaligen DDR bis hin zur europäischen Integration nicht sonderlich gegenwärtig sein. Die offensichtliche Vernachlässigung der Thematik durch die deutsche Forschung ist dadurch aber nicht zu rechtfertigen. Das Streben nach Sezession stellt einen Hauptgrund für kriegerische Konflikte dar. 1994 hatten 49% der 39 weltweit stattfindenden Kriege einen sezessionistischen Hintergrund, 1996 waren es 40 %.
Diese Arbeit will deshalb versuchen, den Ursachen von Sezessionen auf den Grund zu gehen. Wichtigster Akteur und treibende Kraft einer Sezession ist die dahinterstehende Sezessionsbewegung, die sogenannte ´distinct community´. Viva Ona Bartkus hat in ihrem Werk „The dynamic of secession“ von 1999 ein Konzept entwickelt, mit dessen Hilfe die Anreizstrukturen einer sezessionswilligen Gruppe analysiert werden können. Die Sezessionsbewegung trifft die Entscheidung pro oder contra Sezession aufgrund der Abwägung der dadurch entstehenden Kosten und Nutzen. Bartkus verwendet dafür die Begriffe „cost and benefit“, respektive Kosten und Nutzen, die aber synonym zu Vor- und Nachteilen verwendet werden. Aufgrund der Bedeutung wirtschaftlicher Interessen für politische Entscheidungen wird das Konzept vom Autor um einige ökonomische Faktoren erweitert. Weiß man um die Beweggründe einer sezessionistischen Bewegung, ist eine Vorhersage der weiteren Entwicklung sowie eine Einflußnahme auf den Verlauf des Konfliktes möglich. Ratschläge können erteilt werden, wie eine friedliche Lösung des Konfliktes zu erreichen ist. Durch das bessere Verständnis der ´Rebellen´ können deren Reaktionen auf Handlungen der Zentralregierung antizipiert werden.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
1. Hinführung
2. Aufbau der Arbeit
II. Theorie
3. Grundlagen
3.1. Definition von Sezession
3.1.1. Etymologisch
3.1.2. Allgemein
3.1.3. Staatsrechtlich
3.1.4. Politikwissenschaftlich
3.2. Warum Sezession?
3.3. Die zur Sezession neigende Einheit – die ´distinct community´
3.3.1. Bindungs- und Spaltungskräfte
3.3.2. ´Ethnos´ und ´demos´
3.4. Sezession vs. Autonomie: externe vs. interne Selbstbestimmung
3.5. Sezession (politische Desintegration) und ökonomische Integration
3.6. Sezessionsrecht in der Verfassung
4. Sezession im Dilemma des Völkerrechts
4.1. Das Prinzip der territorialen Integrität
4.2. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker
4.3. Kollision der völkerrechtlichen Prinzipien?
4.4. Opium für die Völker?
4.5. Fazit: Dominanz der territorialen Integrität
5. Politische Theorien der Sezession
5.1. Die konservative Theorie (remedial-right-only-theory)
5.1.1. Inhalt und Begründung
5.1.2. Kritik
5.2. Die liberale Theorie (primary-right-theory)
5.2.1. Inhalt und Begründung
5.2.1. Kritik
5.3. Die libertäre Theorie (absolute-right-theory)
5.3.1. Inhalt und Begründung
5.3.2. Kritik
5.4. Fazit
6. Die Ökonomie der Sezession
6.1. Die Bedeutung ökonomischer Interessen für Sezessionsbewegungen
6.2. Sezessionskonflikte mit überragendem ökonomischen Hintergrund
6.3. Fazit
III. Empirie
7. Kosten und Nutzen von Sezession
7.1. Allgemeine Kosten und Nutzen von Sezession
7.2. Kosten und Nutzen von Sezession für die ´distinct community´ - Das Konzept von Bartkus
7.2.1. Der Nutzen einer Mitgliedschaft
7.2.2. Die direkten Kosten der Sezession
7.2.3. Die Kosten der Mitgliedschaft
7.2.4. Der direkte Nutzen der Sezession
7.3. Die Wahrscheinlichkeit einer Sezession
7.3.1. „Last resorts“: eine Zunahme der Kosten einer Mitgliedschaft
7.3.2. „Opportune moments”:
eine Reduktion der direkten Kosten einer Sezession
7.3.3. Eine Reduktion des Nutzens einer Mitgliedschaft
7.3.4. Eine Zunahme des direkten Nutzens einer Sezession
8. Anwendung des Kosten-Nutzen-Konzepts auf die `Nación Camba´/Ostbolivien
8.1. Warum gab es in Südamerika solange keinen Sezessionskonflikt?
8.2. Die Sezessionsbewegung der ´Nación Camba`
8.2.1. ´Ethnos´ oder ´demos´?
8.2.2. Ursachen und möglicher Verlauf des Sezessionskonflikts
8.2.2.1. Erhöhung der Kosten der Mitgliedschaft
8.2.2.2. Reduktion der direkten Kosten der Sezession
8.2.2.3. Reduktion des Nutzens aus der Mitgliedschaft
8.2.2.4. Erhöhung des direkten Nutzens der Sezession
8.2.3. Fazit
9. Sezession und Desintegration von der EU
9.1. Tendenzen der Desintegration
9.1.1. Der Fall Grönland
9.1.2. Ökonomische Interessen
9.1.3. Die Europawahlen 2004
9.2. Anwendung des Kosten-Nutzen-Konzepts
9.2.1. Der Nutzen einer Mitgliedschaft in der EU
9.2.2. Die direkten Kosten einer Sezession von der EU
9.2.3. Die Kosten einer Mitgliedschaft in der EU
9.2.4. Der direkte Nutzen einer Sezession von der EU
9.3. Dynamik der Sezession
9.3.1. Anstieg der Kosten einer Mitgliedschaft
9.3.2. Reduktion der direkten Kosten einer Sezession
9.3.3. Reduktion des Nutzens einer Mitgliedschaft
9.3.4. Anstieg des direkten Nutzens einer Sezession
9.4. Szenario einer Harmonisierung der
Unternehmensbesteuerung in der EU
9.5. Fazit
IV. Zusammenfassung
Quellenverzeichnis
Anhang:
Karte von Bolivien mit dem Sezessionsgebiet der Nación Camba
Lebenslauf des Autors
Eidesstattliche Erklärung
I. Einleitung
1. Hinführung
1945 gab es 50 Staaten auf der Welt, 2005 sind es bereits fast 200.[1] Dies bedeutet nahezu eine Vervierfachung der Anzahl der Staaten in den vergangenen 60 Jahren. Die meisten der neuen Staaten entstanden durch Sezession. Zwei Ereignisse stechen dabei besonders hervor. Der Prozeß der Dekolonialisierung[2], auf dessen Höhepunkt es zu dutzenden Staatsneugründungen durch Sezession im Afrika der 1960er Jahre kam, und das Ende des Kalten Krieges, das zum Zusammenbruch der Vielvölkerstaaten Sowjetunion und Jugoslawien führte und etliche neue, durch Sezession entstandene Staaten hervorbrachte.[3]
In Deutschland mag das Phänomen Sezession als stärkste Form der Desintegration aufgrund der Geschichte einer langen Integration vom Deutschen Reich (1871)[4] über den Föderalismus der Bundesrepublik, die Wiedervereinigung mit der ehemaligen DDR bis hin zur europäischen Integration nicht sonderlich gegenwärtig sein. Die offensichtliche Vernachlässigung der Thematik durch die deutsche Forschung ist dadurch aber nicht zu rechtfertigen.[5] Das Streben nach Sezession stellt einen Hauptgrund für kriegerische Konflikte dar. 1994 hatten 49% der 39 weltweit stattfindenden Kriege einen sezessionistischen Hintergrund, 1996 waren es 40 %.[6]
Diese Arbeit will deshalb versuchen, den Ursachen von Sezessionen auf den Grund zu gehen. Wichtigster Akteur und treibende Kraft einer Sezession ist die dahinterstehende Sezessionsbewegung, die sogenannte ´distinct community´. Viva Ona Bartkus hat in ihrem Werk „The dynamic of secession“[7] von 1999 ein Konzept entwickelt, mit dessen Hilfe die Anreizstrukturen einer sezessionswilligen Gruppe analysiert werden können. Die Sezessionsbewegung trifft die Entscheidung pro oder contra Sezession aufgrund der Abwägung der dadurch entstehenden Kosten und Nutzen. Bartkus verwendet dafür die Begriffe „cost and benefit“, respektive Kosten und Nutzen, die aber synonym zu Vor- und Nachteilen verwendet werden. Aufgrund der Bedeutung wirtschaftlicher Interessen für politische Entscheidungen wird das Konzept vom Autor um einige ökonomische Faktoren erweitert. Weiß man um die Beweggründe einer sezessionistischen Bewegung, ist eine Vorhersage der weiteren Entwicklung sowie eine Einflußnahme auf den Verlauf des Konfliktes möglich. Ratschläge können erteilt werden, wie eine friedliche Lösung des Konfliktes zu erreichen ist. Durch das bessere Verständnis der ´Rebellen´ können deren Reaktionen auf Handlungen der Zentralregierung antizipiert werden. Somit kann entweder einer kriegerischen Lösung des Konflikts vorgebeugt, eine friedliche Sezession eingeleitet oder eine Trennung gänzlich vermieden werden.
Die hier zu behandelnde Forschungsfrage lautet folglich:
Was sind die Ursachen von Sezession?
Dieser Frage soll allgemein als auch konkret nachgegangen werden. Mittels der Analyse der Kosten und Nutzen einer Sezession für die sezessionswillige Gruppe kann allgemein formuliert werden, welche Faktoren Sezession verursachen. Anhand zweier Fallbeispiele soll die Ursachenforschung konkretisiert werden. Die Wahl fiel dabei auf den bestehenden Konflikt im östlichen Tiefland Boliviens sowie auf einen potentiellen Sezessionskonflikt in der EU, dessen Analyse sich freilich auf die möglichen Ursachen einer Sezession beschränken muß.
Der international wenig beachtete bolivianische Fall (siehe Karte im Anhang) ist deshalb von gesteigertem Forschungsinteresse, weil er den ersten derartigen Konflikt in Südamerika seit über 100 Jahren nach der Sezession Panamas von Kolumbien 1902 darstellt. Der Rest der Welt scheint mit Sezessionskonflikten übersät. Eine Auswahl der wichtigsten aktuellen Fälle umfaßt Quebec, das Baskenland, Katalonien, Korsika, Montenegro, Abchasien, Transnistrien, Tschetschenien, „Kurdistan“, das Tamilengebiet auf Sri Lanka, Aceh, Tibet, Taiwan, Somaliland, der Südsudan, Westsahara und einige mehr. In der Fallstudie soll der Frage nachgegangen werden, worauf das lange Ausbleiben von Sezessionskonflikten in Südamerika zurückzuführen ist, was die bolivianische Krise verursacht und wie der weitere Verlauf aussehen könnte.
Im Falle der EU liegt die bisher einzige Sezession mit dem Austritt Grönlands 20 Jahre zurück. In der beeindruckenden Geschichte der europäischen Integration geht dieser Fall beinahe unter. Die fortwährende Erweiterung und Vertiefung der EU-Integration scheint ein für viele Weltregionen nachahmenswertes Erfolgsmodell zu sein. Dennoch kommt es auch hier, nicht das erste Mal, aber dennoch jüngst verstärkt zu Tendenzen der Desintegration, die zu Sezessionskonflikten führen können. Die Autoren der EU-Verfassung scheinen ebenfalls von der Möglichkeit einer Sezession auszugehen, haben sie doch in Artikel 59 erstmals ein Austrittsrecht formuliert. In der Analyse sollen die möglichen Ursachen und die Dynamik der sezessionsfördernden Faktoren erforscht werden.
Vor Darstellung und Anwendung der Kosten-Nutzen-Analyse im empirischen Teil soll das Phänomen Sezession theoretisch definiert, dargestellt und erörtert werden.
2. Aufbau der Arbeit
Zunächst soll der Begriff der Sezession definiert werden und geklärt werden, warum generell Sezession entsteht. Daraufhin soll der entscheidende Akteur in einem Sezessionskonflikt, die Sezessionsbewegung oder ´distinct community´ untersucht werden. Was hält sie zusammen, welche Unterscheidungen lassen sich machen?
Hierauf soll das Verhältnis von Sezession zu ökonomischer Integration und zu Autonomie untersucht werden. Die Grundlagen schliessen ab mit der Frage nach der Funktion eines in der Verfassung verankerten Sezessionsrechts.
Im völkerrechtlichen Teil wird einer möglichen rechtlichen Grundlage eines Sezessionsrechts nachgegangen. Ein Sezessionsrecht würde sich aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker ableiten. Konzediert man die Existenz eines Selbstbestimmungsrechts der Völker, scheint es mit der Basis der modernen Staatenwelt, dem Souveränitätsprinzip, zu kollidieren. Staaten wollen aus Machterhaltungsinteresse die Reduzierung ihres Einflußbereiches durch Sezession vermeiden. Sie berufen sich dabei auf das Prinzip der territorialen Integrität, welches auf dem Souveränitätsprinzip beruht. Etliche Völker streben aber nach Unabhängigkeit und nehmen dafür das in der UN-Charta deklarierte Selbstbestimmungsrecht der Völker in Anspruch. Es kommt zum Normenkonflikt. Nach dessen Analyse wird gefragt, wie die Staatenpraxis mit dem Konflikt umgeht.
Nachdem der rechtliche Teil vermittelt hat, wie ernsthaft die Staaten als völkerrechtssetzende Instanz das Gebot der kollektiven Selbstbestimmung nehmen, soll im nächsten Schritt die politische Philosophie sagen, wie es um ein Sezessionsrecht stehen sollte.
Die politischen Theorien bilden einen theoretischen Schwerpunkt der Arbeit. Sie eruieren vornehmlich die Frage nach der Rechtfertigung von Sezession. Sezession kann, wie zu sehen sein wird, auf mindestens drei Arten gerechtfertigt werden. Deshalb werden sie in drei Kategorien unterteilt, die in einem Spektrum von sezessionsfeindlich und völkerrechtsnah (konservative Theorie) bis zu sezessionsfreundlich und völkerrechtsfern (libertäre Theorie) rangieren. Die drei Theorien stellen eine Grobeinteilung nach Ermessen des Autors dar. Sie werden dargestellt, untersucht und kritisiert. Trotz oftmaligen Verschmähens soll der libertären Theorie ob ihrer Stringenz und Radikalität ausreichend Raum zur Darstellung gegeben werden.
Im Kapitel über die Ökonomie der Sezession werden wichtige Erkenntnisse für die weitere Analyse und die Fallstudien gewonnen. Wirtschaftliche Interessen spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle in Sezessionskonflikten. Einige Beispiele sollen dies veranschaulichen.
Im empirischen Abschnitt wird unter Zuhilfenahme des bereits erwähnten Konzepts von Bartkus eine Kosten-Nutzen-Analyse von Sezessionen erörtert, vor allem um ökonomische Aspekte erweitert, an Beispielen veranschaulicht und auf zwei Fälle angewendet.
Da Bartkus die Kosten und Nutzen einer Sezession für die abspaltungswillige Gruppe untersucht, sollen vorher Vor- und Nachteile von Sezessionen allgemein erörtert werden. In der Analyse unterscheidet Bartkus vier Faktoren, die die Entscheidung einer ´distinct community´ zu sezedieren beeinflussen. Der Nutzen der Mitgliedschaft zu einem Staat sowie die zu erwartenden direkten Kosten einer Sezession sprechen für den Verbleib in der bisherigen politischen Einheit. Dagegen sprechen die Kosten der Mitgliedschaft und der zu erwartende direkte Nutzen einer Sezession. Jede Veränderung eines dieser Faktoren beeinflußt die Entscheidung einer ´distinct community´ über Integration oder Desintegration. In der Darstellung des Konzepts werden etliche Beispiele für bereits vollendete Sezessionen und Sezessionskonflikte geliefert. Die Erkenntnisse für die Kosten-Nutzen-Analyse werden aus vergangenen Sezessionskonflikten gewonnen. Um der Analyse aber praktischen Nutzen zu verleihen, muß sie auf gegenwärtige Sezessionskonflikte angewendet werden. Nur dann sind Ratschläge für die Politik und Risikoeinschätzungen möglich. Da in einem Sezessionskonflikt die Sezession ja noch nicht vollzogen ist, können zwar die Faktoren Kosten und Nutzen der Mitgliedschaft festgestellt werden, die direkten Kosten und der direkte Nutzen[8] einer Sezession für eine Sezessionsbewegung müssen aber weitgehend auf Einschätzungen beruhen.
II. Theorie
3. Grundlagen
3.1. Definition von Sezession
3.1.1. Etymologisch
Etymologisch stammt der Begriff aus dem Lateinischen (secedere: weggehen, trennen) mit der Bedeutung Trennung oder Abspaltung. Im Jahre 494 v. Chr. kam es wahrscheinlich zur ersten sogenannten Sezession[9], als das römische Volk, die plebs, die von den adligen Patriziern beherrschte Stadt verließ (´secessio plebis´) und auf den ´Mons sacer´ ging, um für Partizipationsrechte zu demonstrieren. Die Forderungen der Plebejer führten zur Schaffung des ´Volkstribunats´.[10]
3.1.2. Allgemein
Allgemein wird unter Sezession die politische Abspaltung eines Territoriums verstanden. Anders, etwas umständlicher ausgedrückt, bedeutet Sezession: Die Trennung zweier vormals politisch verbundener, territorial-basierter Kollektive. Übereinstimmend meint Guido Hülsmann: “Secession is commonly understood as a one-sided disruption of bonds with a larger organized whole to which the secessionists have been tied. Thus, secession from a state would mean that a person or a group of persons withdraws from the state as a larger whole to which they have been attached. However, defining the entity from which the secessionists defect as a “larger whole” is not useful and defies common sense.”[11]
Mit dieser Definition wird auch die in der angelsächsischen Forschung gelegentlich gemachte Bezeichnung von Sezession als ´political divorce´[12] verständlich. Die politische Scheidung oder Trennung wird analog zu einer solchen im Individualbereich gesehen. Der Ehevertrag zwischen zwei Individuen entspräche dem (Staats-)Vertrag zwischen zwei Kollektiven. Die Ehescheidung wie die Sezession kann als Auflösung einer Lebensgemeinschaft interpretiert werden. Beide bedürfen dazu eines Bruchs des Bündnisses oder einer Kündigung des Vertrages.[13]
3.1.3. Staatsrechtlich
Zur staatsrechtlichen Definition ist Knut Ipsen zu zitieren: „Unter Sezession (Abtrennung) versteht man einen Fall der Staatennachfolge, bei dem ein Teilgebiet unabhängig wird und der alte Staat – wenn auch mit nunmehr verkleinertem Staatsgebiet – als Völkerrechtssubjekt fortbesteht.“[14]
Sezession ist damit zu unterscheiden von einer Partition oder Dissolution eines Staates, bei der sich ein Staat in zwei oder mehrere neue Staaten aufteilt, ohne daß einer rechtlich die Nachfolge des alten antritt. Dieser im Völkerrecht auch Dismembration genannte Vorgang erfolgte bei der Auflösung der Tschechoslowakei, die deshalb im staatsrechtlichen Sinne nicht als Sezessionsfall zu sehen ist. Abzugrenzen ist weiterhin von einem Ausschluß, also der unfreiwilligen Trennung eines Gebietes vom anderen, wie im Falle Singapur´s geschehen, das 1965 von Malaysia ausgeschlossen wurde.[15]
3.1.4. Politikwissenschaftlich
Häufig übernehmen Politikwissenschaftler die staatsrechtliche Definition von Sezession. Neben Bartkus[16] stimmt etwa auch Caney[17] darin überein, daß im Falle einer Sezession der alte Staat erhalten und ein neuer geschaffen wird.
Die staatsrechtliche Definition von Sezession unterscheidet sich von der ´allgemeinen´ Definition dadurch, daß sie für den Fall einer Sezession die Abspaltung von einem Staat sowie die Gründung eines neuen Staates fordert. Die ´allgemeine´ Definition läßt hingegen den politischen Status des alten, größeren Territoriums ebenso offen wie denjenigen des neuen. Da sich politische Wissenschaft nicht auf die Betrachtung von Staaten beschränkt, sondern allgemein die Analyse sozialer Organisationsformen zum Ziel hat, scheint die definitorische Beschränkung von Sezession auf die staatsrechtliche Sichtweise unnötig. Weil außerdem die Beschaffenheit sowohl der ´präsezessionellen´ als auch der ´postsezessionellen´ Organisationsform für die in dieser Arbeit angewandte Kosten-Nutzen-Analyse nach Bartkus unerheblich ist, soll hier die ´allgemeine´ Definition zur Anwendung kommen.
Damit sind erheblich erweiterte Untersuchungen von Sezessionen möglich. Subnationale Abspaltungen (Jura von Kanton Bern, 1947-77)[18] sind ebenso wie Sezessionen von internationalen Organisationen (EU) in diese Definition eingeschlossen. Gegenstand der Betrachtung sind damit auch territoriale Abspaltungen, die nicht die Schaffung eines eigenen Staates intendieren[19] oder die Angliederung an einen bereits bestehenden Staat erstreben.[20]
Die Sezession von internationalen Organisationen soll mit der Untersuchung einer möglichen Sezession von der EU in diese Arbeit Eingang finden.
Neben Hülsmann[21] findet diese Definition von Sezession Bestätigung bei den Autoren Doering[22] und Fritz-Vannahme[23], die ebenso im Falle der EU von möglicher Sezession sprechen. Auch Dördelmann[24] kann keine allgemeine Definition für Sezession ausmachen, verwirft die staatsrechtlichen Feinheiten und bezieht auch Dissolutionen mit ein in ihre Untersuchung.
Oft werden die Begriffe Sezessionismus und Separatismus synonym verwendet. Dabei ist Separatismus ein Oberbegriff für Sezessionismus. Sezessionismus stellt eine verschärfte Form von Separatismus dar, weil er die politische Abspaltung von einem Territorium intendiert, wohingegen Separatismus allgemein die Distanzierung von einer politischen Einheit bedeutet, also auch die Selbstbestimmung innerhalb eines Staates impliziert.
Fazit:
Da in der Politikwissenschaft keine einheitliche Definition des Begriffes Sezession auszumachen ist und die staatsrechtliche Definition unnötig einschränkend wirkt, soll für diese Arbeit die weiter oben ´allgemein´ genannte Definition von Sezession gelten: Sezession ist die politische Abspaltung eines Territoriums.
3.2. Warum Sezession?
Die Unzufriedenheit eines Menschen mit der Politik seines Staates führt zur Distanzierung und Desintegration von demselben. Ist ein Individuum nicht gewillt, einen unbefriedigenden politischen Zustand beizubehalten, kann es entweder unter Aufgabe bisherigen Grundbesitzes und sozialer Beziehungen auswandern oder versuchen, die es betreffende Politik zu verändern. Erscheint eine Reformierung des bestehenden Systems als zu kostenintensiv oder unmöglich, bleiben als Optionen Revolution oder Sezession. Die Trennung vom bestehenden erscheint machbarer als der Umsturz des ganzen Systems. Da individuelle Sezession schwierig, wenn nicht gar unmöglich erscheint und Menschen in größeren sozialen Einheiten zu leben pflegen, wird kollektiv sezediert.
Menschliche Gemeinschaften können durch unterschiedliche Faktoren zusammengehalten werden. a) Traditionelle, sogenannte primordiale Faktoren wie Verwandtschaft, Rasse, gemeinsame Sprache, Religion oder Kultur dominieren die Ursachen für Gruppenkohäsion. Die Mehrheit sezessionistischer Konflikte hat einen ethnischen Hintergrund[25], die Trennungslinie der Gruppen in einem Staat verläuft also meist entlang der Grenzen der Ethnien, die sich wiederum durch Abstammung, Rasse, Sprache oder Kultur definieren.
b) Interessen- und Wertegemeinschaften hingegen definieren sich aufgrund gemeinsamer politischer oder wirtschaftlicher Ziele. (Mehr zu dieser Unterscheidung im folgenden Kapitel).
Die Unzufriedenheit mit dem politischen Status kann verschiedene Ursachen haben. Entweder wird die Situation als unbefriedigend empfunden, weil ein neuer, besserer Zustand angestrebt oder der bisherige schlechte abgelehnt wird. Beides ist nicht immer klar voneinander zu trennen, äußert sich aber in der Motivation und Rhetorik der Sezessionisten und hat vor allem Auswirkungen auf die Legitimität ihrer Bewegung.
Befindet sich eine separatistische Gruppe in einem demokratischen Rechtsstaat und wird ihr interne Selbstbestimmung (Autonomie) gewährt, erscheint ein weiteres Streben nach externer Selbstbestimmung oder Unabhängigkeit häufig als unverständlich, da dem Reststaat keine Versäumnisse vorzuwerfen sind, die Gruppe also ´lediglich´ nach mehr Selbstbestimmung verlangt[26]. Bewegungen solcher Art, wie z.B. die Sezessionsbewegungen in Quebec, Katalonien oder dem Baskenland finden nicht nur bei den sie beherbergenden Staaten, sondern auch bei den meisten theoretischen Rechtfertigungen für Sezessionen wenig Verständnis. Dennoch gewinnen die Sezessionisten durch die Erlangung von Unabhängigkeit Selbstbestimmung und Freiheit.
Häufiger und klarer ist der Fall, wenn Diskriminierung, Benachteiligung, Unterdrückung oder Mord von Seiten des Staates auf die ´distinct community´ einwirkt. Verletzungen von Menschenrechten werden meist[27] als Sezessionsgrund anerkannt.
Ausgangspunkt von Sezession ist also die Unzufriedenheit eines Menschen mit dem politischen Status quo. Diese Unzufriedenheit wird hervorgerufen durch die Nachteile oder Kosten, die die Mitgliedschaft in einem Staat mit sich bringt, sowie durch die Vorteile oder den Nutzen, den eine Sezession mit sich bringen könnte. Diese beiden Faktoren stellen die allgemeinen Ursachen von Sezession dar. Sie werden ausführlich weiter unten im empirischen Teil der Arbeit im Kapitel über die Kosten einer Mitgliedschaft sowie über den direkten Nutzen einer Sezession erörtert.
3.3. Die zur Sezession neigende Einheit – die ´distinct community´
Es gibt keine klare Definition und Unterscheidung der Begriffe Volk, Nation und Ethnie. Meist werden sie synonym verwendet. Alle drei Begriffe beschreiben ein irgendwie zusammengehöriges Kollektiv von Menschen, die sich über Abstammung, Sprache, Religion oder Kultur definieren. Relevant sind die Begriffe hier nur insofern, als die Grundlage eines möglichen Sezessionsrechts, das Völkerrecht, von einem Selbstbestimmungsrecht der Völker spricht. Insofern ist die Definition von Volk entscheidend für die Erlangung von Selbstbestimmung. Da es aber auch im Völkerrecht keine Einigung auf den Begriff gibt, sind die ´Völker´ der Erde auf das Wohlwollen der Juristen angewiesen, respektive ihrer Willkür ausgesetzt.[28] Während andere Autoren und die Umgangssprache meist trotz deren Unklarheit an den Begriffen `Volk´[29] und ´Nation´ festhalten, entwickelt Bartkus, auf deren Konzept später ausführlich eingegangen wird, deshalb den Begriff der ´distinct community´. Auch diese Arbeit wird die ´distinct community´ zum Protagonisten der Untersuchung machen. Bartkus nennt als Bedingungen der Klassifikation einer Gemeinschaft als ´distinct community´ lediglich deren territorialen Bezug und ihren Willen zur politischen Veränderung: „Any territorially concentrated community of people seeking to change its political situation, either through demands for increased autonomy or for outright independence, either peacefully or through the use of force, will be called not a nation, nor a tribe, nor an ethnic group, but rather a “distinct community””[30].
Sezessionisten scheinen in der Presse oft in schlechtem Licht zu stehen, werden negativ assoziiert, weil sie es sind, die den Konflikt dem Anschein nach verursachen. Sezessionisten stören den status quo, weil sie ihn durch ihr Bestreben zu ihren Gunsten verändern wollen. Dass ihre Aktion eine Reaktion auf ein Unrecht des sie beherbergenden Staates sein kann, kommt manchmal nicht deutlich zu Tage. Ursache von Sezession sind nämlich, wie bereits erwähnt, oft die Kosten, die einer ´distinct community´ durch die Zugehörigkeit zum Reststaat entstehen. Das ´westliche´ Medieninteresse erwacht für viele Teile der Welt erst bei humanitären Tragödien, die etwa durch einen Sezessionskrieg ausgelöst werden können. Eine vorhergehende, eventuell lang andauernde Unterdrückung fand hingegen keine oder nur wenig Aufmerksamkeit[31].
Hinzu kommt eine Eigenschaft der menschlichen Natur[32], die eher für die Sache der Sezessionisten spricht und in einer der berühmtesten Sezessionsdokumente der Geschichte, der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776, angesprochen wird: „ ... all experience hath shewn, that mankind are more disposed to suffer, while evils are sufferable, than to right themselves by abolishing the forms to which they are accustomed.“[33]
3.3.1. Bindungs- und Spaltungskräfte
Um die Ursachen von Sezessionen zu verstehen, ist es wichtig, die Kräfte ausfindig zu machen, die eine Ansammlung von Individuen zu einer Gemeinschaft werden läßt. Die Faktoren, die zur Gruppenkohäsion beitragen, unterscheiden sie gleichzeitig auch von anderen Gruppen. Ob zwei oder mehr Gruppen oder Gemeinschaften zusammen unter einer ´Verfassung´ leben können, hängt oft davon ob, wie ähnlich sie sich sind. Besteht bereits ein Bund zwischen ihnen, kann es auch wieder zu dessen Auflösung kommen. Diese geschieht am wahrscheinlichsten entlang von objektiven Unterscheidungsmerkmalen oder Interessenskonflikten. Unterscheiden lassen sich Menschen vor allem nach ihrer Herkunft, Rasse, Religion, Sprache und Kultur. Unterschiedliche Interessen können politischer und ökonomischer Natur sein.
Samarasinghe[34] unterscheidet deshalb zwei Kategorien, die eine Anzahl von Individuen zu einer Einheit oder Gemeinschaft werden läßt und die eine ´Gemeinschaft´ zur Sezession bewegen können. Er stützt sich dabei auf die Untersuchungen von Ralph Premdas: “The Premdas[35] framework makes a distinction between primordial factors – language, religion, race etc. – and secondary factors – economic and political grievances – that lead to separatism and secession.” Die Faktoren geben an, entlang welcher Eigenschaften sich eine Gesellschaft spalten kann.
Vergleichbar dazu unterscheidet Farer: “(i) a blood community from (ii) a constitutional community. The first is constituted of people who typically share culture, language, and ancestors. A constitutional community is a grouping of people based on political and legal norms and perceived as a community of choice. The members of a constitutional community may differ in race, religion, and even language; but they share a common political culture.”[36]
Ähnlich hierzu ist wiederum die Unterscheidung zwischen ´ethnos´ und ´demos´:
3.3.2. ´Ethnos´ und ´demos´
Sezessionswillige Gruppen können bezüglich ihres Zusammenhalts in zwei Kategorien unterteilt werden. Definiert sich eine Gruppe als ´ethnos´, also entlang der Kriterien Abstammung, Religion, Sprache und Kultur, soll von einer ethnischen Sezession die Rede sein. Sollte die ethnische Sezessionsbewegung auf einer nationalistischen Ideologie beruhen, nennt man dies Ethnonationalismus. Versteht sich eine ´distinct community´ aber als ´demos´, also als zivile Einheit, soll sie hier als zivile Sezession bezeichnet werden. Analog könnte die entsprechende Ideologie ´ziviler Nationalismus´ getauft werden.[37] Der ´ethnos´ bildet eine ´social community´, der ´demos´ hingegen eine ´political community´[38].
Ethnische Sezessionsbewegungen scheinen klar in der Mehrheit zu sein. Spencer findet, daß 1996 alle 16 Sezessionskonflikte ethnischer Natur waren[39]. Dieser Umstand mag dadurch bestärkt werden, daß die angestrebte kollektive Selbstbestimmung lediglich Völkern, die als ethnische Entitäten wahrgenommen werden, zugesprochen wird. Um ihre Legitimität zu erhöhen, würden zivile Gruppen (´political communities´) zur Herausbildung ethnischer Elemente tendieren.
Da die wenigsten Staaten oder Regionen ethnisch homogen sind, besteht bei sich ethnisch definierenden Staaten die Gefahr, daß ethnische Minderheiten diskriminiert werden oder es schlimmstenfalls zu sogenannten „ethnischen Säuberungen“ kommt. Sezessionsbewegungen stehen häufig unter großem Druck. Die Geschlossenheit der Gruppe, die zur Handlungsfähigkeit und damit zu ihren Erfolgsaussichten beiträgt, wird durch Schaffung eines starken Nationalismus mit einem Wir-Ihr-Gegensatz befördert. Die ´Anderen´ werden als Gegner wahrgenommen. Handelt es sich um ethnischen Nationalismus, werden die anderen Ethnien schnell zum Feind.
Hinzu kommt, daß die Menschen durch die Aufteilung in Ethnien in ihrer Freiheit eingeschränkt werden. Man kann den ´ethnos´ nicht ändern und etwa willentlich Teil eines solchen werden. Diese Tatsache spricht dagegen, den ´ethnos´ zur Basis eines Staates zu machen. Brian Barry drückte dies folgendermaßen aus: “The reason why ethnicity cannot in itself be a basis for the composition of a state on individualist premises is quite simple that there is no necessary connection between descent, which is a matter biology, and interest, which is a matter of the fulfilment of human needs and purposes.”[40]
Da das Völkerrecht Gemeinschaften ein kollektives Selbstbestimmungsrecht nur einräumt, wenn es sich um ´Völker´ handelt, die primordial oder als ´blood group´ gesehen werden, ist nicht auszuschließen, daß manche ´distinct communities´ ihre eventuellen Eigenschaften als Volk betonen und verstärken. Andere, vielleicht eher aus sekundären Gründen sezessionswillige Gruppen, verstärken oder bilden deshalb eventuell extra Volkseigenschaften heraus, um in den Genuss des Selbstbestimmungsrechts zu kommen. Dieser Punkt soll in den Fallstudien möglichst überprüft werden.
Weiterhin bietet die Berufung auf primordiale Ursachen der Zusammengehörigkeit von Menschen Führern die Möglichkeit, eine nationalistische Bewegung aus der Taufe zu heben, die starke kollektivistische Energien freisetzen kann. Auch lassen sich primordiale Ursachen eher für mythische Zwecke verwenden, um etwa die Zugehörigkeit zum `Volk´ mit starken Emotionen oder transzendenten Elementen zu verkoppeln.
Die Kategorisierung einer „distinct community“ als ´ethnos´ oder ´demos´ ist wichtig, weil sie uns etwas über das Konfliktverhalten einer Gemeinschaft verraten kann. Ethnische Sezessionsgruppen begründen ihren Zusammenhalt und ihre Motivation eher mit schwer kalkulierbaren Faktoren wie Religion oder Abstammungsmythen. Zivile Sezessionsgruppen, also solche, die sich auf einen ´demos´ zurückführen lassen, argumentieren hingegen mit politischen oder ökonomischen Argumenten, die ausrechenbar und verhandelbar sind. Mit ihnen sollte deshalb eher eine friedliche Lösung des Konfliktes erreichbar sein.
Da das Völkerrecht, wie oben ausgeführt, einen Anreiz für zivile Gruppen bietet, sich ethnisch zu definieren, wird die Konfliktlage erschwert.
In der Fallstudie über die Sezessionsbewegung in Bolivien soll deshalb eine Einteilung der „distinct community“ in ´ethnos´ oder ´demos´ versucht werden.
3.4. Sezession versus Autonomie : externe versus interne Selbstbestimmung
Das Selbstbestimmungsrecht eines ´Volkes´ kann entweder innerhalb eines aus mehreren, relativ autonomen Einheiten bestehenden Staates oder durch die Gründung eines eigenen ausgeübt werden.[41] Da beide Varianten dasselbe Ziel, nämlich Selbstbestimmung, haben, Autonomie aber den Konflikt mit der territorialen Integrität des Staates und damit ein erhöhtes Konfliktpotential vermeidet, erscheint die Propagierung von föderalistischen Systemen mit z.T. weitgehenden Autonomierechten der Untereinheiten als Patentlösung zur Lösung von Sezessionskonflikten[42]. Die interne Selbstbestimmung ist aber limitiert im Vergleich zur externen. Der Unterschied im Grad der Selbstbestimmung mag gering sein, ist aber entscheidend. Er bedeutet den Unterschied zwischen Freiheit und Unfreiheit. Die Tatsache, daß viele ´Völker´[43] sich nicht zufrieden geben mit einem autonomen oder föderalen Status, deutet daraufhin, daß sie einerseits nach Unabhängigkeit und Freiheit streben; andererseits mag es auch eine Lehre aus der Vergangenheit sein, in der immer wieder Zentralregierungen die Rechte ihrer Teilgebiete auf Autonomie oder relative Eigenständigkeit verletzten.[44] Föderalismus mit der Möglichkeit von weitgehender Eigenständigkeit der Teilrepubliken ist zwar eine Möglichkeit der Koexistenz verschiedener unterschiedlicher menschlicher Gemeinschaften und kann die Gefahr kriegerischer Sezessionen mindern. Autonomie kann aber nicht das gleiche Maß an Selbstbestimmung und Unabhängigkeit bieten wie Sezession, und kann sie daher auch nicht gänzlich ersetzen.
3.5. Sezession (politische Desintegration) und ökonomische Integration
Bedeutet politische Desintegration auch wirtschaftliche Desintegration? Kurzfristig ist von einer Bejahung der Frage auszugehen, da, wenn sich ein Territorium in zwei Teile spaltet, zwischen beiden Grenzen oder Schranken errichtet werden, die den Handel behindern und den Wirtschaftsraum schmälern. Mittel- und langfristig sollte politische Desintegration allerdings zu wirtschaftlicher Integration führen. Denn, so Hoppe, „je kleiner das Land, desto größer wird der Druck sein, sich für Freihandel statt Protektionismus zu entscheiden. Alle Regierungseingriffe in den Außenhandel beschränken zwangsweise das Ausmaß gegenseitig vorteilhaften interregionalen Tauschs und Handelns und führen somit zu relativer Verarmung sowohl im Inneren wie im Ausland. Aber je kleiner ein Territorium und dessen interne Märkte, umso dramatischer wird dieser Verarmungseffekt sein.“[45] Die erfolgreiche ökonomische Integration einiger Kleinstaaten wie Liechtenstein, Luxemburg, der Schweiz, Singapur und Hongkong scheinen diese These zu unterstützen[46]. Sezession bedeutet also politische Desintegration, keinesfalls notwendigerweise auch ökonomische.
3.6. Sezessionsrecht in der Verfassung
Bei allen möglichen Vorbehalten gegen ein in der Verfassung verankertes Sezessionsrecht sind die möglichen positiven Auswirkungen nicht außer Acht zu lassen. Schlechte oder ungerechte Politik würde nicht nur an der Zahl der Demonstrationen, Emigranten oder Flüchtlinge ersichtlich werden, sondern auch an den Sezessionsdrohungen. Die Drohung mit Spaltung des Staates kann als wirksames Mittel gegen schlechte Politik oder Machtmißbrauch angesehen werden. Hätte es ein Sezessionsrecht z.B. für die Südstaaten der USA oder für die Kurden im Irak gegeben und wäre es gewährt worden, hätte tausendfacher Tod vermieden werden können. Die Möglichkeit der Sezession verhindert nicht nur Machtmißbrauch, sondern zwingt den Staat auch, seine Politik zu optimieren. Der Staat muss nach der bestmöglichen Politik für seine Bürger streben, will er sie nicht durch Sezession verlieren. Oft reicht bereits die Drohung mit Sezession, um einen Politikwechsel herbeizuführen. Stefan Oeter fügt hinzu: „Die faktische Gefahr der Sezession hat in einem gewissen Sinne – man verzeihe den Ausdruck – geradezu verfassungshygienische Funktion, hält sie doch allen Beteiligten die bündisch-genossenschaftliche Wurzel des Bundesstaates bewußt und damit die im Kern konsensuale Grundlage der politischen Gemeinsamkeit einer Vielheit in der staatlichen Einheit des Bundesstaates.“[47]
Frank-Florian Seifert listet die seltenen Fälle auf, in denen ein Sezessionsrecht in der Verfassung verankert worden war: „In nur vier Staatsverfassungen der Nachkriegszeit wurde ein Sezessionsrecht anerkannt: in der Verfassung Burmas aus dem Jahre 1947, in Präambel und Art. 1 Abs. 2 des Verfassungsgesetzes über die tschechoslowakische Föderation vom 27.10.1968, in Abschnitt I des Einführungsteiles der Verfassung Jugoslawiens vom 21.02.1974 und in Art. 72 der Verfassung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) vom 07.10.1977.“[48] Keines dieser Sezessionsrechte existiert heute noch. Das burmesische Sezessionsrecht wurde 1974 wieder abgeschafft. Das jugoslawische und das sowjetische Sezessionsrecht wurde nicht gewährt, die Sezessionen von diesen Staaten mussten teilweise blutig erkämpft werden. Lediglich im Fall der ehemaligen Tschechoslowakei könnte das in der Verfassung garantierte Sezessionsrecht einen positiven Einfluß auf die friedliche Trennung der beiden Staaten gehabt haben.
Ziel müsste es demnach sein, nicht nur ein Sezessionsrecht in den Verfassungen der Welt zu verankern, sondern auch für dessen Einhaltung zu sorgen. Denn, so der Standpunkt von Ludwig von Mises: “Recognition of the right to secede “is the only feasible and effective way of preventing revolutions and civil and international wars.””[49] Das in der EU-Verfassung geplante Austrittsrecht muss daher als Fortschritt angesehen werden.[50]
4. Sezession im Dilemma des Völkerrechts
Das Phänomen Sezession ist völkerrechtlich gesehen schwieriges, ja vermintes Terrain. Kollidieren doch in dieser Frage zwei in der UN-Charta festgelegte fundamentale Prinzipien des Völkerrechts, nämlich das Prinzip der territorialen Integrität und das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Letzteres bedeutet im Extremfall Sezession. So scheint es nicht verwunderlich, dass die Ansichten diesbezüglich sowohl theoretisch, vorwiegend in der politischen Diskussion, als auch letztlich praktisch, in der Anwendung der beiden Prinzipien durch die Staatenwelt, große Widersprüche aufzeigen. Das Streben nach Sezession hat seinen Ursprung im Begehren eines ´Volkes´ oder einer `distinct community` nach Selbstbestimmung seiner politischen Angelegenheiten. Mildere Formen dieses Wunsches beinhalten Lösungen föderalistischer Natur oder Autonomiestatuten innerhalb eines Staates. Da viele Staaten mehreren ´Völkern´ Raum bieten, kann es hier zu einem Interessenskonflikt zwischen dem Staat, der nach Erhaltung seines Staatsgebietes strebt, und eines, meist eine Minderheit stellenden, nicht-dominanten, in diesem Staat lebenden und nach Selbstbestimmung strebenden Volkes kommen.[51]
In den Vereinten Nationen, die sich entgegen ihrer Bezeichnung nicht aus Nationen sondern aus Staaten konstituieren, können allein Staaten Mitglied sein. Das bedeutet, dass in diesem bedeutenden, die Weltpolitik oft bestimmenden Gremium die Macht bei den Staaten liegt und damit überwiegend deren Interessen vertreten werden. Staaten bzw. diese Staaten repräsentierende Politiker haben ein Interesse, ihre eigene Existenz zu wahren und zu festigen. Dazu gehört insbesondere auch die territoriale Integrität der Staaten. Das damit in der Realität oft kollidierende Selbstbestimmungsrecht der Völker, angenommen es sei rechtlich gleichwertig, hat somit keine Lobby in den völkerrechtssetzenden Institutionen.
4.1. Das Prinzip der territorialen Integrität
Das Prinzip der territorialen Integrität[52] ist in der UN-Charta in Artikel 2, Ziffer 4 festgehalten: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“[53] Völkerrechtlich ist die territoriale Integrität als Bestandteil der Souveränität eines Staates zu sehen. Man unterscheidet dabei die interne Souveränität (territoriale Integrität) von der externen Souveränität (politische Unabhängigkeit). „Eine in der Völkerrechtslehre gängige Definition von territorialer Integrität ist die folgende: „Völkerrechtlich heißt territoriale Integrität Unversehrtheit der Gebietshoheit, also Erhaltung des territorialen Kompetenzbereiches.““[54]
4.2. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker
Das im Artikel 1, Ziffer 2 der UN-Charta und in den jeweiligen Artikeln 1 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte festgelegte Selbstbestimmungsrecht der Völker erfordert eine nähere Erläuterung seines Gehalts. Die UN sieht es als eines ihrer Ziele, „freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen.“[55] Die Menschenrechtspakte werden expliziter: „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.“[56]
Das Selbstbestimmungsrecht der Völker[57] hat seinen Ursprung in den Forderungen der Amerikanischen und Französischen Revolution. „Hand in Hand mit der demokratischen Emanzipation im späten 18. Jahrhundert, vor allem in der Amerikanischen und Französischen Revolution, hat sich die Idee der Selbstbestimmung im Kampf gegen die Souveränität der Fürsten herausgebildet.“[58] Einen erneuten und starken Schub erhielt die Idee der kollektiven Selbstbestimmung durch das 14-Punkte-Programm des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson zum Ende des 1. Weltkrieges. Lee Buchheit sieht die Geburtsstunde des Prinzips zu diesem Zeitpunkt:
“The doctrine was shaped by two factors of overwhelming importance. First, it was articulated after two centuries in which nationalism had become the foremost expression of rebellion against ´artificial´ multinational empires. Self-determination was therefore to borrow from nationalism the conviction that societies could be broken down into “natural” political units, lossely given the title of nations. Second, the doctrine won adherents among the generation saddled with the task of reorganizing Europe after the First World War. This generation was thus given a unique (and irresistible) chance to test on a vast scale the fundamental promise of self-determination, namely, that a rearrangement of political frontiers corresponding to the associational desires of the inhabitants would significantly reduce social and international unrest.”[59]
Rechtsdogmatisch läßt sich das Selbstbestimmungsrecht der Völker in zwei Kategorien unterteilen. Das interne oder auch defensiv genannte Selbstbestimmungsrecht bezieht sich auf alle Formen der kollektiven Selbstbestimmung innerhalb eines Staates, womit auch alle Arten von Subsidiarität, Föderalismus und Autonomie bis an die Grenze zur Unabhängigkeit verstanden werden. Föderale Strukturen und Regelungen zum Minderheitenschutz sind Mittel zur Gewährleistung des inneren Selbstbestimmungsrechts. Als Kern des Selbstbestimmungsrechts der Völker kann allerdings die offensive oder externe Variante bezeichnet werden, die Selbstbestimmung außerhalb des bisherigen Staates sucht und dazu die Gründung eines eigenen beabsichtigt (Sezession).
Unklar an diesem Begriff ist vorerst Subjekt und Objekt, also die Frage nach dem `Wer bestimmt` und nach dem `Was wird bestimmt ?`.[60] Letzteres kann als die Freiheit verstanden werden, seinen politischen Status selbst bestimmen zu können. Ersteres wirft die Frage nach dem Begriff des Volkes[61] auf, der noch immer einer konsensfähigen Definition harrt.[62] Sir Ivor Jennings drückte dies anschaulich aus: “`On the surface it seemed reasonable: let the people decide. It was in fact ridiculous because the people cannot decide until somebody decides who are the people.`”[63] Hinzu kommt, daß die externe ´objektive´ Einschätzung einer Gemeinschaft als ´Volk´ deren subjektiver Eigenwahrnehmung als Volk oder sich selbst zu bestimmender Einheit widersprechen kann und somit dessen ´Selbstbestimmung´ zuwider läuft.
4.3. Kollision der völkerrechtlichen Prinzipien?
Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und das Prinzip der territorialen Integrität kommen bei jeder Sezessionskrise miteinander in Konflikt. Deshalb muß entschieden werden, welches Vorrang hat oder was im Falle der Gleichrangigkeit der Normen zu geschehen hat. Da beide Prinzipien in der UN-Charta vermerkt sind, aber keinerlei Hierarchie angedeutet wird, kann gefolgert werden, daß sie gleichrangig sind. Allgemein wird angenommen, daß bei der Kollision mit einem gleichrangigen Rechtsgut eine Abwägung zwischen beiden gemacht werden muss, die keines von beiden völlig außer Kraft setzt. Alfred Cobban sah den Konflikt folgendermaßen:
“The truth seems to be that if we take the right of sovereignty on the one hand, and the right of secession on the other, as absolute rights, no solution is possible. Further, if we build only on sovereignty, we rule out any thought of self-determination, and erect a principle of tyranny without measure and without end, and if we confine ourselves to self-determination in the form of secessionism, we introduce a principle of hopeless anarchy into the social order. The only hope, it seems, must be in a combination of the two principles, allowing each to operate within its own proper field, and recognizing neither as an absolute right, superior to the rights of the individuals, which are the true ends of society. Is such a compromise possible?”[64]
In der völkerrechtlichen Diskussion aber besteht kein Konsens darüber, wie die beiden Prinzipien hierarchisch zueinander stehen. Es gibt Lehrmeinungen, die sowohl für den Vorrang des einen als auch des anderen plädieren, als auch solche, die von der Gleichwertigkeit beider Prinzipien ausgehen und sodurch eine Kollision feststellen.[65]
Deshalb soll nun danach gesehen werden, wie es in der Praxis um den Konflikt bestellt ist.
4.4. Opium für die Völker?
Jörg Fisch rät davon ab, den Begriff des ´Selbstbestimmungsrechts der Völker´ überhaupt zu verwenden, weil er dessen Existenz abstreitet und für „Opium für die Völker“ hält:
„Wenn man die Formel beim Wort nimmt, dann ergibt sich daraus das Recht jeder menschlichen Gemeinschaft, die sich selbst als Volk versteht, auf einen eigenen Staat (die Feststellung dessen, was ein Volk ist, durch andere wäre ja Fremdbestimmung). Ein solches Recht wäre gleichbedeutend mit einem allgemeinen und uneingeschränkten Sezessionsrecht, das ebenso anarchisch wie utopisch ist und deswegen von den Völkerrechtlern nicht weniger vehement abgelehnt wird als von den Politikern. Auch in Zukunft werden nicht die Völker schlechthin das Selbstbestimmungsrecht haben, sondern lediglich einige von ihnen, die von besonders günstigen Konstellationen profitieren.“[66]
Aber: „Ein Recht ohne allgemein definierbares Subjekt ist kein Recht, sondern ein Privileg. Man kann die Menschheit genau so wenig abschließend in Völker einteilen, wie man sie in Rassen einteilen kann. Wir sind in dieser Hinsicht noch immer die Gefangenen einer romantischen, vor allem auf Herder zurückgehenden Auffassung.“[67]
Die Genese des Selbstbestimmungsrechts der Völker unterteilt Fisch in vier Phasen, von denen er keiner einzigen die Existenz eines wahren Selbstbestimmungsrechts zuspricht. Nie sei das Interesse irgendeines Volkes für einen Akt der Selbstbestimmung eines ´Volkes´ ausschlaggebend gewesen, sondern immer wären Machtinteressen anderer im Vordergrund gestanden. In der von der Französischen Revolution bis zum Ersten Weltkrieg reichenden Phase, in der der Begriff seine philosophischen Wurzeln[68] hatte, aber noch kaum angewendet wurde, seien die Einigungen Deutschlands und Italiens, als vermeintlicher Ausdruck der Selbstbestimmung der jeweiligen Völker, durch Waffengewalt herbeigeführt worden. In der Zwischenkriegszeit sei die Neugründung von Staaten aus den zerfallenen Vielvölkerstaaten lediglich grob an den Nationalitäten-Grenzen erfolgt, Plebiszite erfolgten kaum. Die Selbstbestimmung der besiegten Völker war nicht im Interesse der Sieger, die kein Risiko eingehen wollten, daß etwa das deutsche Volk in einer Volksabstimmung sich mit Österreich, dem Sudentenland oder gar Elsaß-Lothringen wieder vereine.[69] In der dritten Phase nach dem 2. Weltkrieg „erfolgte die Entkolonisierung praktisch ausschließlich nach dem Prinzip des „uti-possidetis“, das demjenigen der Selbstbestimmung geradezu ins Gesicht schlägt.“[70] Auf Völker wurde im Kolonialismus keine Rücksicht genommen, Grenzen, wie in Afrika[71], am Reißbrett gezogen. „Statt von einem Recht auf Selbstbestimmung muß man von einem Recht auf Unabhängigkeit in den Kolonialgrenzen sprechen“[72], da das bei der Dekolonisierung Lateinamerikas entwickelte „uti-possidetis“-Prinzip die Bewahrung der kolonialen Verwaltungsgrenzen vorschrieb. Und auch in der wohl noch andauernden aber auszuklingen scheinenden bisher letzten Phase seit 1989 erfolgten die Sezessionen von der Sowjetunion, Jugoslawien, Äthiopien (Eritrea), Indonesien (Ost-Timor) und selbst von Somalia (Somaliland) nach bisherigen, z.T. kolonialen, Verwaltungsgrenzen.
[...]
[1] Vgl. Junkers, S. 9
[2] “Eighty nations whose peoples were formerly under colonial rule have joined the United Nations as sovereign independent states since the UN was founded in 1945.” Farer (2003), S.165, Fußnote 14
[3] „The mushrooming of independent states in the Baltic, the Caspian, and Central Asia, the consensual split of the Czechs and Slovaks and the vertiginous collapse of central authority in Yugoslavia could be read as auguries of a tsunami of national self-assertion unseen, outside the West´s colonies, since the fragmentation of Ottoman and Austro-Hungarian authority in the course of World War I.” (Farer, S.148)
[4] Hoppe (2003), S.224: „So bestand Deutschland in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts aus 234 Ländern, 51 freien Städten und 1500 unabhängigen Ritter- und Fürstentümern. Bis zum frühen 19. Jahrhundert war die Gesamtzahl aller drei Territorialtypen auf unter 50 gefallen. 1871 wurde die Vereinigung erreicht.“
[5] Daß die Sezessionsforschung beinahe ausschließlich im angelsächsisch geprägten Raum stattfindet, mag teilweise auch aus den historischen Erfahrungen dieser Staaten erklärbar sein. Die USA verdanken ihre Existenz als auch die Entstehung des Bürgerkrieges von 1861-65 einer Sezessionsbewegung. Die frankophone Provinz Quebec fordert den kanadischen Staat seit Jahrzehnten durch Sezessionsversuche heraus.
[6] nach Spencer, S.18
[7] Bartkus, Viva Ona: The Dynamic Of Secession; Cambridge Studies in International Relations (64), Cambridge University Press 1999
[8] zur Erklärung der Bezeichnung der Faktoren siehe Kapitel „Kosten und Nutzen von Sezessionen“
[9] Allerdings fehlt der „secessio plebis“ der territoriale Aspekt, der, wie weiter unten zu sehen sein wird, notwendiger Bestandteil einer Sezession im modernen Sinne ist. Die Plebejer hingegen drohten daher sozusagen eher mit kollektiver Emigration aus Rom.
[10] Zur Funktion von Sezessionsforderungen als politisches Druckmittel siehe auch Kapitel „Sezessionsrecht in der Verfassung“. Ähnlich wie das römische Volk forderten im 18. Jahrhundert auch die amerikanischen Siedler ein Mitspracherecht in den sie betreffenden politischen Angelegenheiten, wenn sie schon Steuern an die Englische Krone entrichten sollten (´no taxation without representation´). Da in diesem Fall aber kein Kompromiss erzielt werden konnte, kam es zum ersten Sezessionskrieg der US-amerikanischen Geschichte.
[11] Hülsmann, S. 372
[12] etwa: Yates, Steven: When is political divorce justified?
[13] Die Analogie scheint etwas zu hinken, da der konstituierende territoriale Aspekt der Sezession nicht auf Anhieb im individuellen Bereich ersichtlich ist. Der territoriale Besitz eines Kollektivs oder seiner Einzelteile kann aber als, gegebenenfalls spezielle, Form von Eigentum gesehen werden, auf das ein Individuum Recht hat. Somit muss die Ehescheidung nicht territorial erfolgen, aber doch hinsichtlich des gemeinsamen Eigentums (Gütertrennung). Die Analogie ließe sich weiter spinnen, wenn man etwa die Gründe einer Trennung im individuellen und im kollektiven Bereich gegenüber stellte. Ebenso könnte die Kosten-Nutzen-Analyse einer Trennung zweier Individuen mit einer solchen zweier Kollektive verglichen werden.
[14] Ipsen, S. 421
[15] siehe auch Doering, S.10, Fußnote 5; Grund für den Ausschluß soll der hohe chinesische Bevölkerungsanteil in Singapur gewesen sein.
[16] Bartkus, S. 3: Sezession ist „the formal withdrawal from an established, internationally recognized state by a constituent unit to create a new sovereign state.“
[17] Caney, S.152/153
[18] Bartkus, S.9
[19] „Further, a distinct community may only desire to be left alone. The aspirations of the Inuit and other Native Americans do not extend to sovereign statehood.” (Bartkus, S. 77);
[20] Zum damit verbundenen Phänomen des ´irredentism´ siehe: Chazan, Naomi: Irredentism and international politics; Lynne Rienner Publishers, London, 1991
[21] siehe oben unter „Allgemein“
[22] Doering, Detmar: Friedlicher Austritt; Braucht die Europäische Union ein Sezessionsrecht?
[23] Fritz-Vannahme Joachim: Aus eins mach zwei, oder: Europa vor der Sezession. Was geschieht, wenn demnächst ein EU-Mitglied zum Verfassungsvertrag nein sagt? Das weiß niemand so genau; DIE ZEIT 36/2004; http://zeus.zeit.de/text/2004/36/Referendum
[24] Dördelmann, Gabriele: Rechtsethische Rechtfertigung der Sezession von Staaten; 2002, S.13
[25] Vgl. Spencer, S.18
[26] Vgl. dazu Kapitel „Sezession versus Autonomie: externe versus interne Selbstbestimmung“
[27] abhängig von der Schwere der Menschenrechtsverletzungen, siehe Kapitel: „Politische Rechtfertigungstheorien von Sezession“
[28] Über die Unzulänglichkeiten des Völkerrechts mehr im Kapitel: „Sezession im Dilemma des Völkerrechts“
[29] Mack, S.79: „Vermutlich aufgrund der unterschiedlichen Ideologien und Vorstellungen, die in der Welt herrschen, konnte sich bis heute keine allgemeine, von der Mehrheit der Staatengemeinschaft anerkannte Definition durchsetzen.“
[30] siehe Bartkus, S.14 und Kapitel “Das Konzept von Bartkus”
[31] Regelmäßig scheint diese ´Dynamik´ der Medienberichterstattung im Falle Tschetscheniens beobachtbar. Jede erneute Gewalteskalation des Konfliktes steigert das Volumen der Berichterstattung, in der freilich auch die eventuelle Aggression der Tschetschenen thematisiert wird. In ´ruhigen´ Zeiten hingegen erlahmt das Interesse und die systematische Unterdrückung von russischer Seite wird schwer sichtbar. Hinzu kommt die Steuerung der Berichterstattung durch die russische Seite.
[32] Auch Buchheit (S.220) spricht diesen Punkt an: „Inefficient or outright incompetent government is usually treated with a remarkable leniency; encroachments upon what were once thought to be “inalienable” liberties are are generally borne with only mild protest; and even blatant displays of venality and corruption by those governing are rarely sufficient to induce a wholesale rejection of the basic system of government.”
[33] Aus der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 4.Juli 1776; Auch Buchheit (S.220) spricht diesen Punkt an: „Inefficient or outright incompetent government is usually treated with a remarkable leniency; encroachments upon what were once thought to be “inalienable” liberties are are generally borne with only mild protest; and even blatant displays of venality and corruption by those governing are rarely sufficient to induce a wholesale rejection of the basic system of government.”
[34] Samarasinghe, u.a.: Secessionist Movements in Comparative Perspective
[35] Premdas, Ralph ist Mitherausgeber obengenannten Buches
[36] Chatterjee, Deen and Scheid, Don, S.12
[37] Vgl. dazu Lehning (1998), S..11
[38] Vgl. Lehning (1998), S.x
[39] vgl. Spencer, S.18
[40] zitiert nach Lehning (1998), S. 9 aus: Barry, Brian: `Self-government revisited´, in Democracy and Power: Essays in Political Theory, vol. 1, Oxford: Clarendon Press, 1991, p. 169
[41] zur rechtlichen Unterscheidung siehe auch Kapitel: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker
[42] Vgl. hierzu auch Beran (1998), S. 40: „ ... the right of secession is not a panacea for social conflict. … Other ways include minority rights, power-sharing and federation” und Freeman, S. 369: “Various forms of collective autonomy—such as devolution, federalism, consociationalism, etc.—are often favoured as solutions to self-determination conflicts, since they recognise both a limited right to national self-determination and the territorial sovereignty of existing states. Such policies are, however, not necessarily successful. Conservative fears of slippery slopes to secession are sometimes justified. Canada has made a number of concessions to the francophone Québecois without having removed the threat of secession.”
[43] Beispielsweise wurden die Sezessionisten in Quebec, Katalonien und dem Baskenland auch durch weitgehende Autonomierechte nicht besänftigt.
[44] Man denke z.B. an den Umgang der Staaten China, Sowjetunion, Jugoslawien oder Äthiopien mit ihren jeweiligen autonomen Teilgebieten.
[45] Hoppe (2003), S.237
[46] vgl hierzu auch Desrochers, Pierre and Duhaime, Eric, S. 240 :“To most people, secession is alarming because, in their opinion, getting smaller inexorably means deterioration. However, it should be noted that there does not seem to be any optimal country size. Hongkong, Singapore, and Switzerland are all fairly prosperous economies while many large countries have miserable economies.” und Hoppe(1998), S.217 Fußnote 24: “ … that political disintegration and economic integration are not only compatible but positively correlated is illustrated by the fact that the first flourishing of capitalism occurred under conditions of highly decentralized political power: in northern Italy and southern Germany.”
[47] Oeter, S.91
[48] Seifert (2000), S.80
[49] Gordon, S.xiv, zitiert Ludwig von Mises
[50] siehe dort Art. 59 und Kapitel: Sezession und Desintegration von der EU
[51] Der Begriff `Völkerrecht` ist eine mangelhafte Bezeichnung, weil er strenggenommen nicht das Recht der Völker betrifft, sondern vorwiegend das der Staaten. Staaten und ferner internationale Organisationen sind die Hauptakteure im Völkerrecht, sie setzen dieses Recht. Dito ist die englische Bezeichnung für Völkerrecht `international law` irreführend, da es ein Recht der Nationen suggeriert. Vergleiche dazu auch Lee Buchheit, S.22/23
[52] „Der Ausdruck „Integrität“ wird spätestens 1815 im Protokoll des Wiener Kongresses im Zusammenhang mit der Schweiz benutzt. In späteren internationalen Verträgen wird er dann gebraucht, um die Verpflichtung oder das Versprechen zur Garantie der Respektierung der Souveränität der jeweiligen Staaten zu postulieren.“ (Mack, S. 127)
[53] UN-Charta: http://www.runiceurope.org/german/charta/charta.htm
[54] Mack, S.127: Zitat von: Rumpf, H.: „Integrität“. In: WV Bd.I. Berlin 1962
[55] Artikel 1, Ziffer 2 der UN-Charta
[56] Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966; http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/infoservice/download/pdf/mr/sozialpakt.pdf
[57] “There is a lively and long-standing debate over whether self-determination is still merely a principle or is now a right. If it is a right, that does not determine who holds the right or what the right entails when exercised, particularly whether it embraces a right to secede. United Nations instruments speak variously of both the right and the principle of s.-d., but there remains a consensus that there is no general right of ethnic groups to secession.” (Horowitz, in: Moore; S.200)
[58] Schoch, S.1358
[59] Buchheit, S.4
[60] “The expression itself gives no clue to the nature of the self that is to be determined; nor does it provide any enlightenment concerning the process of determination or the source and extent of the self´s putative right to this process.” (Buchheit, S.8)
[61] siehe hierzu Simon, S.136/137: „Ein Volk ist mithin eine Menschengruppe, die durch objektive Merkmale wie gemeinsame Sprache, Religion, Herkunft, kurz eine kulturelle Verbundenheit, charakterisiert ist und darüber hinaus über ein Identitätsbewußtsein verfügt, das es ihm erlaubt, aus dem Schatten des individuellen Daseins herauszutreten und in politischer Organisation seine eigenen Interessen zu artikulieren.“
[62] siehe Seifert, S. 69: „In der völkerrechtlichen Theorie gilt die Frage nach dem Subjekt als das schwierigste, umstrittenste und nach wie vor am wenigsten geklärte Problem des Selbstbestimmungsrechts. Mittlerweile
wurde erkannt, dass das Völkerrecht selbst eine abschließende Definition des Begriffes `Volk` nicht leisten kann und auch nicht leisten braucht.“
[63] Zitiert nach Buchheit, S.9
[64] Mack, S.1: Zitat von Alfred Cobban, The Nation-State and National Self-Determination, London, 1969
[65] siehe Mack, S. 226 ff.
[66] Fisch, S.29
[67] Fisch, S.18
[68] siehe auch Bartkus, S.70: “ With its roots in the notion of popular sovereignity in the late eighteenth century …”
[69] „Für die Siegermächte waren keineswegs ethnische Grenzen entscheidend: Wirtschaftliche und sicherheitspolitische Motive wogen vor.“ (Krumeich, Gerd: Joch der Völker: Gibt es guten und schlechten Nationalismus?; in: SZ vom 12.11.2004, Nr.263, S.18)
[70] Fisch, S.23
[71] Übrigens ist strikte Einhaltung der Grenzziehung im postkolonialen Afrika kaum als Ausdruck von Völkerrechtstreue bezüglich territorialer Integrität (oder gar Selbstbestimmungsrecht) zu verstehen. Ob ihrer eigenen ethnischen Heterogenität und Konfliktanfälligkeit fürchten afrikanische Staaten Sezessionsbewegungen und die Einmischung anderer Staaten in Sezessionskonflikte, so daß die Gründung der OAU bzw. AU mit einem ihrer Grundpfeiler, der Unveränderbarkeit der Grenzen, nicht verwunderlich erscheint. Mit der de-jure Unabhängigkeit Eritreas 1993 als ehemaliger italienischer Kolonie und der de-facto Unabhängigkeit Somalilands 1991 als ehemaliger britischer Kolonie hielten sich die einzigen nach der Dekolonialisierung stattgefundenen Sezessionen noch immer an das „uti-possidetis“-Prinzip. Die Theorie, daß ethnisch heterogene Staaten ob ihrer höheren Vulnerabilität (nach Saideman, S.723) Sezessionsbewegungen per se einschränken wollen, bestätigt der Ausnahmefall Somalias. Als wohl einziger ethnisch homogener afrikanischer Staat gab es allein in Somalia Bestrebungen, das auf mehrere Staaten verteilte Volk der Somali zu vereinen (Pansomalismus) Der Ogadenkrieg 1977/78 zwischen Somalia und Äthiopien wurde um den zu Äthiopien gehörigen, aber mit Somalis besiedelten Ogaden geführt. Somalischer Irredentismus hat in den Nachbarstaaten zu Sezessionsbestrebungen der somalischen Bevölkerungsteile geführt.
[72] Fisch, S. 24
- Quote paper
- Bernhard Storhas (Author), 2005, Theorie und Empirie der Sezession, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43454
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