Eine dramatische Zunahme von kardiovaskulären Risikofaktoren ist seit dem Zweiten Weltkrieg zu verzeichnen (vgl. Wirth 2004b, A1745). Eine Erklärung können weder genetische Einflüsse noch Umweltfaktoren bieten. Sie ist primär auf den veränderten Lebensstil der Bevölkerung und sekundär auf die gestiegene Lebenserwartung zurückzuführen (vgl. Wirth 2004b, A1747). Rauchen, fett- und zuckerreiche Ernährung, Alkohol, Bewegungsmangel und Stress sind charakteristisch für unsere
Wohlstandsgesellschaft. In jüngster Zeit wurde ein kardiovaskuläres Risiko-Cluster identifiziert: das Metabolische Syndrom. Dieses Wohlstandssyndrom wird auch als ´the Deadly Quartet` bezeichnet (vgl. Hanefeld 1996, 15). Der beängstigende Name birgt bereits die mögliche Folge in sich. Das Cluster ist aufgrund seiner atherosklerotischen Komplikationen mit einer hohen Mortalität verknüpft (vgl. Wirth 2003, 24). Der Prävention und Therapie dieses Störungskomplexes kommt aus diesem Grund eine besonders herausragende Bedeutung zu. Die Ursachen des Syndroms sind in den riskanten Lebensweisen unserer Überflussgesellschaft, aber auch in mangelnden gesundheitsförderlichen Ressourcen zu suchen.
Präventive und therapeutische Interventionen richten sich mitunter auf den Abbau des Bewegungsmangels wie auch auf die Stärkung von Ressourcen beim Sport treiben. Dass Bewegung irgendwie gesund hält, scheint jedem ganz natürlich. Umfragen zu den mit Sport verbundenen Zielen und Wünschen, ergaben auch zahlreiche Nennungen für den Bereich -Die Gesundheit stärken- (vgl. Pudel & Westenhöfer 1998, 198; Lange 1994, 283). Währenddessen zeigt sich in der sportwissenschaftlichen Diskussion deutliche Kritik. Aussprüche, wie „Der oft synonyme Gebrauch von Sport und Gesundheit ist rational nicht begründet. [...] Wer sind die ‛Priester’, die diesen Glauben verbreiten?“ (Ulmer 1991, 86) oder „Sofern sich damit der Glaube verbindet, Sport sei eo ipso gesund, [...] liegt dem eine recht naive Vorstellung zugrunde.“ (Balz 1992, 258) sind nicht die Ausnahme. Ob Sport tatsächlich das ‘Non-Plus-Ultra’ der Prävention und Therapie dieses Syndroms darstellt, soll in dieser Arbeit herausgefunden werden. Neben den physischen Beeinflussungen werden auch psychosoziale Wirkungen des Sports untersucht.
INHALTSVERZEICHNIS
1 Einleitung
1.1 Gesundheit und Krankheit
1.2 Bestimmung und Eingrenzung des Themas
2 Prävention
2.1 Das Risiko-Faktoren-Modell
2.2 Gesundheitsförderung
2.3 Salutogenese
2.4 Präventionskonzepte
3 Das Metabolische Syndrom
3.1 Die mit dem Metabolischen Syndrom assoziierten Störungen
3.1.1 Adiopsitas als Aspekt des Metabolischen Syndroms
3.1.1.1 Ätiopathogenese und Epidemiologie der Adipositas
3.1.2 Gestörter Kohlenhydratstoffwechsel als Aspekt des Metabolischen Syndroms
3.1.2.1 Die Bedeutung des Insulins im Stoffwechsel
3.1.2.2 Klassifikation des Diabetes mellitus
3.1.2.3 Ätiopathogenese und Epidemiologie des Diabetes mellitus Typ II
3.1.3 Dyslipoproteinämie als Aspekt des Metabolischen Syndroms
3.1.3.1 Grundlagen des Lipoproteinstoffwechsels
3.1.3.2 Klassifikation der Dyslipoproteinämie
3.1.3.3 Ätiopathogenese und Epidemiologie der Dyslipoproteinämie
3.1.4 Hypertonie als Aspekt des Metabolischen Syndroms
3.1.4.1 Ätiopathogenese und Epidemiologie der essenziellen Hypertonie
3.2 Das Metabolische Syndrom aus psychologisch- neuroendokrinologischer perspektive
3.2.1 Psychosoziales Modell der Krankheitsentstehung
3.2.2 Psychosoziale Faktoren beim Metabolischen Syndrom
3.3 Folgen des Metabolischen Syndroms
3.3.1 Komplikationen und Folgekrankheiten
3.3.2 Psychosoziale Folgen der Adipositas
3.3.3 Kosten
3.4 Zwischenbilanz zur Ätiopathogenese und Epidemiologie
3.5 Therapie und Prävention des Metabolischen Syndroms
4 Sport in der Prävention und Therapie des Metabolischen Syndroms
4.1 Sport in der Therapie des Metabolischen Syndoms
4.1.1 Sport und Übergewicht / Adipositas
4.1.2 Sport und gestörter Kohlenhydratstoffwechsel
4.1.3 Sport und Dyslipoproteinämie
4.1.4 Sport und Hypertonie
4.1.5 Trainingsempfehlungen in der Therapie
4.1.5.1 Form des Trainings
4.1.5.2 Trainingsintensität
4.1.5.3 Trainingsdauer
4.1.5.4 Trainingsfrequenz
4.1.6 Sportarten in der Therapie
4.1.6.1 Bewegungsformen speziell bei der Adipositas
4.1.6.2 Bewegungsformen speziell bei der Hypertonie
4.1.7 Zusammenfassung und Diskussion:
Sport als Mittel der Therapie des Metabolischen Syndroms
4.2 Sport in der Prävention des Metabolischen Syndroms
4.2.1 Empfehlungen für die Prävention des MTS
4.2.2 Zusammenfassung und Diskussion: Sport in der Prävention
4.3 Psychosoziale Auswirkungen körperlicher Aktivität in der Prävention
4.3.1 Modellvorstellung zum Einfluss der sportlichen Aktivität in der Stress-Gesundheits-Beziehung
4.3.2 Ursache-Wirkungs-Theorien
4.3.3 Sport und Wohlbefinden
4.3.3.1 Sport und aktuelles psychisches Befinden (Stimmungen)
4.3.3.2 Sport und habituelles Befinden
4.3.3.3 Sport und Beschwerdeerleben
4.3.3.4 Sport und soziales Wohlbefinden
4.3.4 Sport und Selbstkonzept
4.3.5 Sport und die generalisierte Kompetenzerwartung
4.3.6 Zusammenfassung, Vergleich und Diskussion: Sport und
psychosoziale Aspekte
4.4 Forderungen an den Gesundheitssport
4.4.1 Sinnzuschreibungen, Konsequenz- und Kompetenzerwartungen
4.4.1.1 Sinnzuschreibungen als motivationaler Aspekt
4.4.1.2 Konsequenzerwartungen als motivationaler Aspekt
4.4.1.3 Kompetenzerwartungen als motivationaler Aspekt
4.4.2 Wissensvermittlung als motivationale Voraussetzung
4.4.3 Die Funktion des Übungsleiters
4.5 Gesundheit für alle?
5 Zusammenfassung und weiterführende Gedanken
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Als der Mensch der westlichen Industrienationen die moderne Technik erfand, verbannte er auch die körperliche Anstrengung aus seinen Alltagstätigkeiten. Wir sitzen beim Arbeiten vor dem Bildschirm des modernen Computers und in der Freizeit bietet der Fernseher das entbehrte Amüsement. Eigentlich ist unser Körper aber für diese Art von Sesshaftigkeit nicht gemacht. Die Kombination von schlaffer Muskulatur und falscher Ernährungsgewohnheiten fordert seinen Preis. Gekoppelt mit den entsprechenden genetischen Dispositionen ziehen diese Verhaltensweisen zahlreiche Erkrankungen nach sich, die nicht nur zur Kostenexplosion im Gesundheitswesen führen, sondern auch für den Einzelnen mit großem Leid verbunden sein können.
Eine dramatische Zunahme der kardiovaskulären Risikofaktoren ist seit dem Zweiten Weltkrieg zu verzeichnen (vgl. Wirth 2004b, A1745). Eine Erklärung können weder genetische Einflüsse noch Umweltfaktoren bieten. Sie ist primär auf den veränderten Lebensstil der Bevölkerung und sekundär auf die gestiegene Lebenserwartung zurückzuführen (vgl. Wirth 2004b, A1747). Rauchen, fett- und zuckerreiche Ernährung, Alkohol, Bewegungsmangel und Stress sind charakteristisch für unsere Wohlstandsgesellschaft.
In jüngster Zeit wurde ein kardiovaskuläres Risiko-Cluster identifiziert: das
Metabolische Syndrom[1]. Gern wird dieses Wohlstandssyndrom auch als ´the Deadly Quartet` bezeichnet (vgl. Hanefeld 1996, 15). Der beängstigende Name birgt bereits die mögliche Folge in sich. Das Cluster ist aufgrund seiner atherosklerotischen[2] Komplikationen mit einer hohen Mortalität verknüpft (vgl. Wirth 2003, 24). Der Prävention und Therapie dieses Störungskomplexes kommt aus diesem Grund eine besonders herausragende Bedeutung zu. Die Ursachen des Syndroms sind in den riskanten Lebensweisen unserer Überflussgesellschaft, aber auch in mangelnden gesundheitsförderlichen Ressourcen zu suchen.
Die medizinische Weiterentwicklung mit ihren Errungenschaften in den letzten Jahrzehnten erwecken den Eindruck, dass sich sämtliche Krankheiten über die moderne Medizin verbannen und beseitigen ließen (vgl. Wirth 2004b, A1747). Bei auftretender Krankheit wird schnell die medizinische Betreuung in Anspruch genommen, mit der scheinbaren Gewissheit, dass der ‛Gott in Weiß’ schon wieder alles richten wird. Unterschätzt werden dabei oft die Nebenwirkungen der medizinischen Eingriffe, welche grundsätzlich die physische Homöostase stören, aber auch für den Einzelnen mit einer verminderten Lebensqualität verbunden sein können.
Die WHO rief in ihrer Ottawa Charta im Jahr 1986 zu dem selbstbestimmten gesundheitlichen Handeln auf. Menschen sollen zum aktiven Eingriff auf ihre Gesundheit befähigt werden, um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen (vgl. WHO 1992, 17). Passive Gesundheitsverhalten, wie die ständige Beanspruchung der medizinischen Versorgung, sollen nicht zuletzt auch wegen der stetigen Mehrkosten im Gesundheitswesen in den Hintergrund treten und durch eigenständiges, gesundheitsrelevantes Handeln ersetzt werden (vgl. Fuchs 2003, 58).
Dass Bewegung irgendwie gesund hält, scheint jedem ganz natürlich. Umfragen zu den mit Sport verbundenen Zielen und Wünschen, ergaben auch zahlreiche Nennungen für den Bereich -Die Gesundheit stärken- (vgl. Pudel & Westenhöfer 1998, 198; Lange 1994, 283). Währenddessen zeigt sich in der sportwissenschaftlichen Diskussion deutliche Kritik. Aussprüche, wie „Der oft synonyme Gebrauch von Sport und Gesundheit ist rational nicht begründet. [...] Wer sind die ‛Priester’, die diesen Glauben verbreiten?“ (Ulmer 1991, 86) oder „Sofern sich damit der Glaube verbindet, Sport sei eo ipso gesund, [...] liegt dem eine recht naive Vorstellung zugrunde.“ (Balz 1992, 258) sind nicht die Ausnahme. Ob Sport tatsächlich das ‘Non-Plus-Ultra’ der Prävention und Therapie dieses Syndroms darstellt, soll in dieser Hausarbeit herausgefunden werden.
1.1 Gesundheit und Krankheit
Die Literatur bietet zahlreiche Gesundheits- oder Krankheitsmodelle. Grundsätzlich kann zwischen dem klassischen Modell der Medizin und neueren, biopsychosozialen Ansätzen unterschieden werden. Nach dem medizinisch-pathogenetischen Modell wird Gesundheit als das nicht Vorhandensein von organischen Defekten bestimmt. Beim Auftreten von Gesundheitsstörungen werden individuelle Ursachen gesucht, die es zu beheben gilt. Als gesund gilt derjenige, dessen physische Prozesse nicht gestört sind (vgl. Bengel, Strittmatter & Willmann 1998, 16f.).
Neuere Ansätze (vgl. Becker 1997, 520ff.) beachten bei ihrem Gesundheits- oder Krankheitsverständnis neben den physischen auch soziale, psychische, materielle, kulturelle, ökologische und strukturelle Einflüsse. Es wird untersucht welchen Einfluss die Umwelt, die Gesellschaft, die individuelle Lebenslage, Anforderungen und Ressourcen aber auch körperliche Prozesse auf die Gesundheit des Menschen nehmen. Das Gesundheitsverständnis wurde demnach erweitert und neben dem medizinischen Bereich ist auch die Psychologie, Soziologie und Ökologie in die Gesundheitsdiskussion eingetreten. Diesen Modellen (vgl. Becker 1992, 99ff.; Antonovsky 1997, 44; Schwarzer 1996, 150f.) liegt ein Verständnis zugrunde, dass der Mensch über bestimmte Widerstandsressourcen verfügt, um mit Belastungen beziehungsweise Stressoren umzugehen. Bei ausgeprägten Ressourcen und der Möglichkeit der Mobilisation dieser, kann das Gleichgewicht im Wechselspiel mit den Stressoren erhalten oder wieder hergestellt werden.
Sowohl Antonovsky (1997, 23) als auch Becker (1997, 519) verstehen Gesundheit nicht als ein statisches, erreichbares Ziel des „[...] vollkommenen physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens [...]“, wie es 1946 von der WHO (1987, 117) definiert wurde, sondern siedeln Gesundheit und Krankheit auf einem Kontinuum an. Der Einzelne kann sich auf diesem Kontinuum in Richtung mehr Gesundheit oder aber in Richtung mehr Krankheit bewegen. Gesundheit und Krankheit werden demnach als veränderbare Konstrukte aufgefasst, wobei Menschen mehr oder weniger gesund und krank sein können.
1.2 Bestimmung und Eingrenzung des Themas
Eine präzise und eindeutige Bestimmung des Begriffs Sport ist nicht möglich. Das allgemeine Verständnis dieses Begriffs ist abhängig vom alltäglichen Gebrauch und wird von gesellschaftlichen Einflüssen bestimmt. Dem Sport können viele Bereiche zugeordnet werden, wie beispielsweise der Breitensport, Spitzensport, Alterssport und viele mehr. Diese Bereiche unterscheiden sich nach der jeweiligen Zielgruppe und Zielsetzung (vgl. Prohl & Rhötig 2003, 494f.).
In dieser Hausarbeit wird der Gesundheitssport und die sportliche Aktivität im Bezug auf das Metabolische Syndrom genauer betrachtet. Der Deutsche Sportbund (vgl. Kindermann, Jüngst, Philipp, Rosemeyer, Rost, Schwenkmezger & Zimmermann 1993, 198) hat vorgeschlagen für präventive und therapeutische Programme den Oberbegriff ‛Gesundheitssport ’ zu verwenden. „Gesundheitssport ist eine aktive, regelmäßige und systematische körperliche Belastung mit der Absicht, Gesundheit in all ihren Aspekten, d.h. somatisch wie psychosozial, zu fördern, zu erhalten oder wiederherzustellen. Gesundheitssport umfasst den Präventivsport, die Bewegungs- und Sporttherapie sowie den Rehabilitationssport.“ (Kindermann et al. 1993, 198). Der Gesundheitssport zeichnet sich somit gegenüber den anderen Sportbereichen durch seine spezifischen, die Gesundheit betreffenden, Zielsetzungen aus. Sport kann allerdings auch durchaus die Gesundheit beeinflussen, wenn er nicht in therapeutischen und präventiven Programmen betrieben wird. Auch unter der Betrachtung der Zielsetzungen des Individuums kann Sport die Gesundheit beeinflussen, wenn dieses spezielle Ziel nicht im Mittelpunkt beim Sport treiben steht.
Unter diesem Aspekt eignet sich der Begriff ‛sportliche Aktivität’, denn er bezieht alle Formen des organisierten Sports wie auch die selbst-initiierten Aktivitäten ein und ist mit keinem speziellen Motiv besetzt (vgl. Fuchs 2003, 9).
Bewegungsmangel wird als ein wesentlicher Risikofaktor angesehen, der sich auf die Manifestation des Metabolischen Syndroms und seine Folgeerkrankungen auswirkt (vgl. Wirth 2003, 22). Hettinger und Hollmann (1990, 434) definieren Bewegungsmangel ganz allgemein als eine „muskuläre Beanspruchung, die chronisch unterhalb einer Reizschwelle liegt, deren Überschreitung notwendig ist zum Erhalt oder zur Vergrößerung der funktionellen Kapazität.“ Es soll herausgefunden werden, wie die Beseitigung dieses Risikofaktors über eine sportliche Aktivierung in der Prävention und als Therapiebaustein, Auswirkungen auf diese Störung und auf einige Ressourcen zeigt. Es wird damit der Einfluss der sportlichen Aktivität sowohl im physischen als auch im psychosozialen Bereich betrachtet. Außerdem wird erläutert, wie die sportliche Aktivität und der Gesundheitssport gestaltet sein müssen, damit sich gesundheitsrelevante Wirkungen zeigen.
Im Mittelpunkt steht das frühe und mittlere Erwachsenenalter. Im mittleren Er-wachsenenalter ist eine risikobehaftete Lebensweise mit Risikoverhaltensweisen und Stress besonders ausgeprägt (vgl. Baumstark, Berg, Halle & Keul 1996, 163). Das Syndrom entwickelt sich häufig im 4. Lebensjahrzehnt (vgl. ebd., 167) und deshalb wird im Sinne der Prävention auch das frühe Erwachsenenalter betrachtet. Erfolgsversprechende präventive Maßnahmen sind natürlich auch im Kindesalter anzusetzen, allerdings ist dies ein gesondertes Thema, das ich in dieser Arbeit nicht betrachte.
2 Prävention
In der Literatur findet man zwei verschiedene Vorstellungen der Prävention. Ihnen liegen verschiedene Gesundheits-Krankheits-Konzeptionen zugrunde, die in das medizinisch ausgerichtete Risiko-Faktoren-Modell und das ganzheitliche Modell der Gesundheitsförderung eingeteilt werden können. Diese Modelle werden zu Beginn vorgestellt, um im Anschluss den Einfluss dieser Ansätze in die Präventionsentwürfe darzustellen.
2.1 Das Risiko-Faktoren-Modell
Dem Risiko-Faktoren-Modell liegt der Gedanke zugrunde, dass bestimmte Risikofaktoren Krankheiten auslösen. Im Mittelpunkt dieses Modells steht die Vermeidung von Risikoverhaltensweisen, die zur Entstehung einer Krankheit beitragen. Im Kontext dieses Modells sind damit Verhaltensweisen wie Rauchen oder Bewegungsmangel gemeint. Aus diesen beeinträchtigenden Verhaltensweisen entwickeln sich Risikofaktoren der eigenen Person, welche für die Entstehung einer Krankheit verantwortlich sind. In Bezug zu den Herz-Kreislauf-Erkrankungen gehören zu diesen Risikofaktoren beispielsweise der Bluthochdruck oder die Fettstoffwechselstörungen (Knoll 1997, 22f.; Bös & Brehm 1998, 12).
Bei diesem Modell richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Auswirkungen von Störungen, welche als physische Defekte direkt messbar sind. Die Beseitigung der Störungen führt dabei weitestgehend zur Genesung des Einzelnen. Diese Beeinträchtigungen werden in dem Verhaltensbereich gesucht, während verhältnisspezifische Risikofaktoren, wie beispielsweise die Umweltbelastung oder die Arbeitslosigkeit, in dieses Modell in der Regel nicht eingehen (vgl. Bengel et al. 1998, 19).
2.2 Gesundheitsförderung
Als Gegenpol zu der pathogenetischen Betrachtungsweise von Krankheit lässt sich die Gesundheitsförderung kennzeichnen. Sie befasst sich nicht mit der schnellen Beseitigung von Symptomen und Risikofaktoren der Krankheit, sondern sie ist durch eine ganzheitliche Sicht geprägt (vgl. Bengel et al. 1998, 19). Eine allgemeine Definition kennzeichnet die Gesundheitsförderung folgendermaßen:
„Gesundheitsförderung bezeichnet alle vorbeugenden Aktivitäten und Maßnahmen, die die gesundheitsrelevanten Lebensbedingungen und Lebensweisen von Menschen zu beeinflussen suchen.“ (Laaser & Hurrelmann 2003, 395)
Nach dieser Definition ist die Gesundheitsförderung nicht auf bestimmte Risikogruppen ausgerichtet, sondern auf alle Menschen, die von der Gesundheitsförderung beeinflusst werden sollen. Sie richtet sich nicht nur auf den Abbau oder Aufbau personaler Verhaltensweisen, sondern es werden hier auch verhältnisbezogene Maßnahmen bedacht. Eine genauere Bestimmung der Gesundheitsförderung wurde anlässlich der internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung im Jahr 1986 in
Ottawa von der WHO in ihrer Charta bekannt gegeben.
„Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozeß, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, daß sowohl einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern bzw. verändern können. In diesen Sinne ist die Gesundheit als ein wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens zu verstehen und nicht als vorrangiges Lebensziel. “ (WHO 1992, 17)
Betont werden gleichermaßen auch die Ressourcen und körperliche Fähigkeiten, welche Einfluss auf die Gesundheit nehmen (vgl. WHO 1992, 17).
Der Akzent dieser Definition liegt auf der Selbstbestimmung. Alle Menschen sollen befähigt werden, selbstbestimmt auf ihre Gesundheit einzuwirken, damit sie ihr Gesundheitspotenzial entfalten können. Im Vordergrund steht die Gesundheit im Sinne von Lebensqualität.
Die Idee der Gesundheitsförderung wurde mitunter von Antonovsky angeregt (vgl. Bandura 1992, 44). Antonovsky (1997, 29) stellte sich nicht die pathogenetische Frage des Risiko-Faktoren-Modells „Was macht Menschen krank?“, sondern er stellte sich die Frage „Was erhält Menschen gesund?“
2.3 Salutogenese
Antonovsky (vgl. 1997, 29ff.) ist bei seiner Forschung zur Beantwortung dieser Frage auf Widerstandsressourcen gestoßen, die es dem Menschen ermöglichen, mit Belastungen des Alltags besser umzugehen. Diese Ressourcen beziehen sich auf den personalen, sozialen und materiellen Bereich und sind damit sowohl innerlich als auch in der äußeren Umgebung zu finden. Ein Mensch bleibt nach Antonovsky (1997, 29ff.) umso gesünder, je besser er den Gleichgewichtszustand im Umgang mit inneren und äußeren Stressoren erhalten oder wiederherstellen kann. Stressoren müssen damit nicht unausweichlich krankheitsrelevant sein, sondern können nach Ausprägung von Ressourcen auch bewältigt werden. Als besondere Ressource kennzeichnet Antonovsky (vgl. 1997, 34f.) das Kohärenzempfinden. Kohärenz steht für eine Art von Grundhaltung gegenüber der Welt. Sie vereint die drei Komponenten Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit in sich.
- Verstehbarkeit:
Diese Komponente umfasst die Fähigkeit, äußere Stimuli als sinnhaft, strukturiert, vorhersehbar und erklärbar anzunehmen.
- Handhabbarkeit:
Diese Komponente beschreibt das eigene Wahrnehmen von Ressourcen im Umgang mit den Anforderungen der Stimuli. Sie stellt die Überzeugung dar, dass Probleme gelöst werden können.
- Bedeutsamkeit:
Diese Komponente charakterisiert die emotionale Teilhabe an den Prozessen des eigenen Lebens. Die Motivation zur Teilhabe und dem Engagement ergibt sich aus der wahrgenommenen Bedeutsamkeit und Sinnhaftigkeit bestimmter Lebensbereiche. Die Stressoren werden nicht als Last, sondern als Herausforderung erlebt.
„Eine Einstellung gegenüber der Welt, in der Stimuli als bedeutsam, verstehbar und handhabbar gesehen werden, liefert die motivationale und kognitive Basis für Verhalten, mit dem von Stressoren gestellte Probleme wahrscheinlicher gelöst werden können als eine, die die Welt als beschwerlich, chaotisch und überwältigend ansieht.“ (Antonovsky 1997, 137)
Der salutogenetische Ansatz setzt auf die Stärkung von Ressourcen, um den Organismus gegen äußere, störende Einflüsse widerstandsfähiger zu machen. Nicht nur Antonovsky postuliert die Gesundheits- oder Widerstandressourcen als zentral bei der Salutogenese. Auch zahlreiche andere Autoren sind auf bestimmte Ressourcen gestoßen, welche zur Bewältigung von Stressoren einen Beitrag leisten könnten. Zu nennen seien hier: Optimismus, Sozialschichtzugehörigkeit, Selbstwertgefühl, kulturelle Stabilität, Selbstwirksamkeit (Schwarzer 1996, 155 u. 172f.), Erholungskompetenz (Allmer 1998, 281) und viele weitere.[3]
2.4 Präventionskonzepte
„Prävention bezeichnet alle Interventionshandlungen, die sich auf Risikogruppen mit klar erwartbaren, erkennbaren oder bereits im Ansatz eingetretenen Anzeichen von Störungen und Krankheiten richten.“ (Hurrelmann & Laaser 2003, 395)
Die Prävention bezieht sich nach dieser Definition auf spezifische Zielgruppen, welche bereits pathogenetische Risikofaktoren aufweisen, und geht daher auf das Risiko-Faktoren-Modell zurück. Sie richtet sich nicht an alle Menschen, sondern an bestimmte Risikogruppen. Die Prävention ist auf die Vorbeugung möglicher Beeinträchtigungen ausgerichtet. Sie leitet die Einteilung in eine primäre, sekundäre und tertiäre Prävention ab (vgl. ebd., 395 u. 397).
Die primäre Prävention setzt gezielt bei Risikogruppen ein. Die Interventionen der primären Prävention richten sich auf die Vorbeugung und Früherkennung von krankheitsfördernden Faktoren, wie beispielsweise der erhöhte Blutdruck.
Die sekundäre Prävention setzt im Krankheitsfrühstadium ein. Die Interventionen richten sich auf die Krankheitserkennung und die Beeinflussung der Krankheitsauslöser.
Die tertiäre Prävention setzt nach akuter Krankheitsbehandlung ein. Der Begriff Rehabilitation wird synonym gebraucht. Die kompensatorischen Maßnahmen sollen den bestehenden Krankheitsverlauf beeinflussen.
(vgl. Waller 2002, 179; Hurrelmann & Laaser 2003, 397f.; Joch & Ückert 1999, 14).
Laaser & Hurrelmann (2003, 397f.) erweitern dieses Modell um die primordiale Prävention, welche der primären Prävention vorausgeht. Die primordiale Prävention entspricht nach diesen Verfassern der Gesundheitsförderung. Hurrelmann & und Laaser (vgl. 2003, 395ff.) erklären, dass die Gesundheitsförderung die Prävention einschließt. Diese Prävention setzt im Gesundheitszustand ein und ist auf die Beeinflussung von Verhältnissen und Lebensweisen ausgerichtet. „Dabei sind sowohl medizinische als auch hygienische, psychische, psychiatrische, kulturelle, soziale, ökonomische und ökologische Ansätze angesprochen.“ (Hurrelmann & Laaser 2003, 395). Die Interventionen beziehen sich nicht nur auf Risikogruppen, sondern auf die Gesamtbevölkerung.
Zusammen mit Laaser und Hurrelmann (2003, 397) wird die Auffassung vertreten, dass die Prävention nicht erst bei der Erkennung von Risikofaktoren einsetzen darf, sondern besonders frühzeitig im Sinne der primordialen Prävention beginnen muss. Becker (1997, 519) spricht sich für die Integration der Prävention in die Gesundheitsförderung mit der Begründung aus, dass sowohl bei der Prävention als auch bei der Gesundheitsförderung die gleichen Methoden angewendet werden.
3 Das Metabolische Syndrom
Eine anerkannte und einheitliche Definition des Metabolischen Syndroms ist bis heute in der medizinischen Literatur nicht zu finden und spiegelt die fortwährende Diskussion um dieses Syndrom wider. Folgende Definitionen geben einen ersten Überblick über das Krankheitsbild.
„Unter dem Begriff ‛Metabolisches Syndrom’ wird ein Cluster von Stoffwechselstörungen und assoziierten klinischen Erscheinungen verstanden, dessen Bestandteile zum Teil oder gemeinsam bei einem Patienten auftreten können und die als Risikofaktoren für die Entwicklung der Arteriosklerose etabliert sind.“ (Steinmetz 1999, 154)
In einer weiteren Definition gilt das Metabolische Syndrom als „Symptomenkomplex aus androider Fettsucht, gestörtem Kohlenhydratstoffwechsel (Insulinresistenz, path. oraler Glucose-Toleranztest od. Diabetes mellitus), Hypertriglyceridämie u. art. Hypertonie; [...]“ (Pschyrembel 1998, 1538).
Die erste Definition weist auf eine Gruppe von Stoffwechselstörungen hin, die gemeinsam oder nur teilweise zusammen auftreten. Diese Definition konzentriert sich ferner auf die Position des Metabolischen Syndroms bei der Pathogenese der Atherosklerose. Nach Pott (2002, Vorwort) kann das Metabolische Syndrom in den Industriestaaten als die Hauptursache für die koronare Herzkrankheit bestimmt werden. Die zweite Definition beschreibt das Syndrom als ein Symptomenkomplex verschiedener zugehöriger Störungen und definiert nach klinischen Gesichtspunkten. Die mit dem Syndrom assoziierten Symptome werden bereits bestimmt, wobei die Diskussion um die gemeinsam vorkommenden Komponenten noch nicht abgeschlossen ist. Die erste, eher zurückhaltende Definition wird daher der Debatte um dieses Syndrom mehr gerecht.
Neben dem Begriff ‛Metabolisches Syndrom’ gibt es noch viele weitere Synonyme. So sind auch die Begriffe ‛Insulinresistenzsyndrom’, ‛Syndrom X’, ‛Wohlstandsyndrom’ und viele weitere bekannt. Die einzelnen Begriffe gehen auf verschiedene Urheber zurück, die ihre Bezeichnungen unter dem Einfluss der jeweiligen Fachrichtung geprägt haben (vgl. Hanefeld 1996, 15).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Synonyma des Metabolischen Syndroms (Hanefeld 1996, 15)
Die Tabelle 1 zeigt die Begriffsvielfalt des atherogenen Clusters, wobei sie nur einen kleinen Ausschnitt der synonymen Bezeichnungen darstellt. Mehnert (1997, 12) weist noch auf zwanzig weitere Namen hin. Es wird deutlich, dass ein einheitlicher ‛Urvater’ des Krankheitskomplexes nicht auszumachen ist. Die sinnverwandten Be-
griffe sind teilweise auch mit verschiedenen Vorstellungen über das Krankheitsbild verbunden. In der inneren Medizin hat sich die Bezeichnung Metabolisches Syndrom durchgesetzt, weil sie eine Verbindung zwischen den medizinischen Teilbereichen, wie beispielsweise Diabetologie, Kardiologie oder Lipidologie, schafft (vgl. ebd.). Nach Mehnert (ebd, 11) geht der Begriff ‛Metabolisches Syndrom’ auf eine Gruppe um Jahnke zurück, die diesen im Jahr 1967 geprägt hat.
„[...] This metabolic syndrome is characterized by: a) obesity, b) decreased glucose toleranse, c) elevated levels of free fatty acids and triglycerides in the blood, d) hyperinsulism and e) limited sensitivy of adipose tissue to strong lipolytic stimuli, [...] this syndrome probably represents a disorder genetic adaption, becoming manifest following unrestricted food intake and/or muscular inactivity.” (Daweke, Jahnke, Gries, Liebermeister, Preiss, Schilling & Thamer 1969, 538)
Hanefeld und Leonhardt übernahmen diesen Begriff erstmalig im Jahr 1981 ins Deutsche. „Wir glauben deshalb, dass für diese Gruppe von Krankheiten die Zusammenfassung als metabolisches Syndrom berechtigt ist. Wir verstehen darunter das gemeinsame Vorkommen von Fettsucht, Hyperlipoproteinämie, Diabetes, Gicht, Hypertonie, verbunden mit erhöhter Inzidenz von ischämischen Gefäßerkrankungen, Fettleber und Cholelithiasis.“ (Hanefeld & Leonhardt 1981, 545)
Inzwischen gilt das Syndrom in der Medizin als unumstritten. Bei über 90 Prozent der Typ-II-Diabetiker lassen sich zusätzlich eine oder mehrere zum Krankheitsbild zählende Störungen nachweisen (vgl. Hanefeld 1997, 43). Die Komponenten, die Hanefeld und Leonhardt im Jahr 1981 festgelegt haben, sind allerdings nur bedingt in dieser Kombination in der neueren Literatur wiederzufinden. Deshalb widme ich das nächste Kapitel der Bestimmung der einzelnen Störungen des MTS[4], auf die sich weitere Ausführungen dieser Hausarbeit beziehen werden.
3.1 Die mit dem Metabolischen Syndrom assoziierten Störungen
Seit Beginn der Diskussion um das MTS bis in die jüngste Zeit konnte bei der Einteilung der zugehörigen Komponenten kein gemeinsamer Konsens gefunden werden. Die Tabelle 2 zeigt einige exemplarisch herausgegriffene Einteilungen des Syndroms, um die mit der Literatur einhergehende ‛metabolische Konfusion’ zu verdeutlichen.
Einigkeit besteht darüber, dass die Hypertonie und Dyslipoproteinämie[5], insbesondere mit einer Spezialisierung auf die Very-Low-Density-Lipoproteine[6] und High-Density Lipoproteine[7], zentrale Faktoren des MTS sind. Einigkeit besteht auch darin, dass Übergewicht beziehungsweise Adipositas, speziell die androide[8] Fettverteilung, ein Bestandteil des Clusters darstellen. Die Tabelle 2 zeigt allerdings deutlich die kontroverse Auseinandersetzung um die Insulinresistenz[9], Hyperinsulinämie, gestörte Glucosetoleranz[10] und den Diabetes mellitus Typ II als angenommene Teilaspekte des MTS. Wird die Insulinresistenz als kausaler Auslöser des Syndroms angenommen (vgl. Standl 1997, 15), wird sie und auch die reaktive Hyperinsulinämie nicht in das Modell einbezogen. Ein anderer Grund für die Ausgrenzung der Insulinresistenz erfolgt, so Wirth (2004a, 200), aufgrund klinischer Aspekte. Eine direkte und einfache Messung der Insulinresistenz und auch der Hyperinsulinämie erfolgt erst über die Diagnose einer gestörten Glucosetoleranz und des Diabetes mellitus. Andere Autoren (vgl. Mehnert 1997, 9; Häring, Kellerer & Rett 1997, 25) beurteilen das MTS als prädiabetische Phase und beziehen daher die Folgekrankheit Diabetes mellitus nicht als integrativen Bestandteil in das Krankheitsmodell mit ein. Neben den gängigen Komponenten finden sich noch weitere Störungen wie beispielsweise die Fettleber, Mikroalbuminurie[11] oder Gerinnungsstörungen (s. Tab. 2). Hanefeld (1997, 44) führt in seinem Aufsatz neben diesen noch zehn weitere dem MTS zugeordnete Störungen auf, welche in der gängigen Literatur zu finden sind.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
[12]
Tabelle 2: Komponenten des Metabolischen Syndroms
So sollen im weiteren Verlauf folgende Komponenten näher betrachtet und in Anlehnung an Greten & Rinninger (2002, 611) als Bestandteile des MTS angenommen werden:
- Insulinresistenz → Hyperinsulinämie → Glucosetoleranzstörung → Diabetes mellitus Typ II (gestörter Kohlenhydratstoffwechsel)
- Adipositas mit androider Fettverteilung
- Arterielle Hypertonie
- Dyslipoproteinämie (VLDL-Partikel erhöht, HDL-Partikel erniedrigt).
Es wäre sinnvoll gewesen, eine Definition auszuwählen, welche bei den einzelnen Untersuchungen zum MTS genutzt wurde. Leider basieren auch einzelne Studien auf unterschiedlichen Definitionen und die WHO-Klassifikation konnte sich nicht durchsetzen (vgl. Bouchard, Katzmaryk, Leon, Rao, Rankinen, Skinner & Wilmore 2003, 1703ff.; Laaksonen, Lakka, Lakka, Niskanen, Rauramaa & Salonen 2002, 1613). Die Adipositas mit androider Fettverteilung, Hypertonie und Dyslipoproteinämie zeigen sich in der Literatur immer wieder als Bestandteile des MTS und werden daher ausgewählt. Bei 50-80 Prozent der Typ-II-Diabetiker sind Adipositas, Hypertonie und Dyslipoproteinämie nachweisbar und diese Komponenten nehmen daher eine herausragende Stellung ein (vgl. Hanefeld 1997, 43). Die Insulinresistenz soll zum MTS gezählt werden, weil sich eine Nichteinbeziehung einerseits auf die These stützt, dass die Insulinresistenz der kausale Faktor für die Entstehung der weiteren Erkrankungen ist und somit als Ursache des Syndroms angesehen werden kann. In der Literatur finden sich allerdings auch andere durchaus einsichtige Begründungen dafür, dass beispielsweise die Adipositas (vgl. Berg, Halle & Keul 2000, 125; Wirth 2004a, 200) die primäre Störung sein könnte. Somit scheint diese Argumentation auf keiner grundlegenden Basis zu stehen. Andererseits wird die Insulinresistenz als nicht dem MTS zugehörig gewählt, weil sie nur unter Aufwand messbar ist. Für die Praxis ist daher die Klassifikation ohne Einbeziehung der Insulinresistenz durchaus relevant, für diese Hausarbeit allerdings nicht. Die Insulinresistenz wird daher in das Konzept des MTS in Anlehnung an Greten und Rinninger (2002, 611) integriert. Die reaktive Hyperinsulinämie wird somit auch in das Konzept einbezogen. Nach Wirth (2004a, 201) steht sie zudem als eigenständiger koronarer Risikofaktor fest. Auch der Diabetes mellitus Typ II wird als Teil des MTS behandelt, weil neben dieser Erkrankung auch weiterhin die anderen Störungen bestehen bleiben. Das MTS soll also als ein Cluster von atherogenen Krankheiten aufgefasst werden, welches die verschiedenen Stadien des gestörten Kohlenhydratstoffwechsels in sich vereint. Wie viele Komponenten müssen nun aber bestehen, damit von einem MTS gesprochen werden kann? Ein MTS zeichnet sich nach der WHO durch eine Gruppe von mindestens drei Störungen aus, von denen eine den gestörten Kohlenhydratstoffwechsel betreffen muss (vgl. 1998, in Wirth 2004a, 200).
Epidemiologie
Das MTS hat in den Industriegesellschaften eine Prävalenz[13] von 20 Prozent. Die
Diagnose wird allerdings nur vereinzelt gestellt, weil das Syndrom nicht im ICD 10 aufgeführt ist und es aus vielen Einzelkomponenten besteht, die nicht immer gemeinsam gemessen werden (vgl. Wirth 2004a, 200). Es kann also davon ausgegangen werden, dass es weitaus häufiger vorkommt. Aufschlussreichere Erkenntnisse über die Häufigkeit des Vorkommens werden demnach aus den epidemiologischen Daten der einzelnen Erkrankungen des MTS gezogen, die mitunter im nächsten Abschnitt aufgezeigt werden. Es sollen nun diese einzelnen Komponenten näher erklärt und die dem MTS zugrunde liegenden Ursachen betrachtet werden. Dieser Abschnitt wird sich nicht nur mit den primären Ursachen beschäftigen, sondern auch Wechselwirkungen der einzelnen Komponenten untereinander aufzeigen. Es sei bereits erwähnt, dass die Diskussion um die interaktiven Beziehungen in der Literatur kontrovers geführt wird. Hanefeld (1997, 23) weist daraufhin, dass erst über weitere Forschungsarbeiten aus verschiedenen Fachdisziplinen Antworten auf noch offene Fragen der Ätiopathogenese gefunden werden können.
3.1.1 Adiopsitas als Aspekt des Metabolischen Syndroms
„Adipositas ist eine über das normale Maß hinausgehende Vermehrung des Körperfetts. Die Einteilung erfolgt nach dem Körpermassenindex: BMI = Body Mass Index = Gewicht [kg] / Körpergröße [m²].“ (Hamann 2002, 662)
Die Einteilung des Schweregrades der Adipositas erfolgt, wie in der Definition beschrieben, nach dem berechneten BMI. Diese Einteilung ist international festgelegt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 3: Bewertung des Body Mass Index (Pudel 2003, 4)
Je höher der BMI, desto höher ist auch das kardiovaskuläre Risiko (vgl. Hamann 2002, 662). Als besonders risikoreich gilt die androide oder auch bauchbetonte Adipositas. Sie ist häufiger mit den anderen, bereits genannten metabolischen Störungen verbunden und weist ein höheres kardiovaskuläres Risiko auf. Das Gegenteil zum androiden ‛Apfeltypen’ stellt der gynoide ‛Birnentyp’ dar, welcher genetisch bedingt eher an den Oberschenkeln Fett ansetzt. Die gynoide Form ist mit einem niedrigem kardiovaskulären Risiko behaftet (vgl. Müller 1996, 293). Die stammbetonte, androide ist gegenüber der gynoiden Form durch eine höhere Lipolyse und damit durch eine höhere Konzentration von freien Fettsäuren charakterisiert, welche zur Leber und Peripherie gelangen. Es wird angenommen, dass die stammbetonten Adipozyten somit auch Auslöser von Störungen im Lipidstoffwechsel sind (vgl. Hauner 1997, 34; Wirth 2003, 22).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1:
Schema der geschlechtstypischen Fettverteilung:
Apfelförmige Verteilung beim androiden Typ,
birnenförmige Verteilung beim gynoiden Typ.
(Müller 1996, 294)
Die Bestimmung des Fettverteilungstypen erfolgt über das Verhältnis zwischen dem Taillen- und Hüftumfang, auch waist/hip-ratio[14] genannt. Liegt der Quotient aus Taillen-/Hüftumfang bei Männern über 0,9 und bei Frauen über 0,85, besteht nach der WHO-Einteilung aus dem Jahr 1998 ein androider Fettverteilungstyp (vgl. in Wirth 2004a, 200).
3.1.1.1 Ätiopathogenese und Epidemiologie der Adipositas
Als wichtigste Ursachen für die Entstehung der Adipositas werden ein Missverhältnis zwischen Energieaufnahme und Energieverbrauch, also Fehlernährung, und ein damit gekoppelter Bewegungsmangel angegeben (vgl. Hamann 2002, 662; Müller 1996, 294). Außerdem wird als weiterer Einflussfaktor Stress genannt (vgl. Pudel & Westenhöfer 1998, 138). Neben diesen Umweltfaktoren werden auch hier genetische Einflüsse angenommen, die eine Manifestation der Erkrankung begünstigen (vgl. Hamann 2002, 662; Müller 1996, 294).
Epidemiologie
„In Deutschland haben ca. 50% der erwachsenen Bevölkerung einen BMI = > 25, ca. 16% einen BMI = > 30 und ca. 1% einen BMI = > 40.“ (Hamann 2002, 662)
Diese Daten stimmen mit anderen gefundenen epidemiologischen Werten ungefähr überein (vgl. Steinmetz 1999, 155; Müller 1996, 294).
3.1.2 Gestörter Kohlenhydratstoffwechsel als Aspekt des Metabolischen Syndroms
Zunächst erkläre ich als weitere Grundlage die Stellung des Insulins im Stoffwechsel, um im Anschluss auf den gestörten Kohlenhydratstoffwechsel als Teil des MTS einzugehen.
3.1.2.1 Die Bedeutung des Insulins im Stoffwechsel
Das Insulin, ein Hormon, wird in den ß-Zellen der Langerhanschen Inseln des Pankreas[15] gebildet und bei einem im Blut gemessenen Glukoseanstieg sezerniert. Das Insulin wird auch bei einem Anstieg der Eiweiß- oder Fettkonzentration abgegeben. Dieses Hormon wirkt einerseits blutzuckersenkend, indem es den Eintritt der Glukose in die Leber- und Muskelzellen, aber auch in die Fettzellen beschleunigt. Außerdem wirkt es stimulierend auf die Glykolyse[16]. Zur Senkung des Blutzuckerspiegels fördert das Insulin in der Leber, in den Muskeln und in dem Fettgewebe die Speicherung von Glucose als Glykogen und hemmt die Glykogenolyse[17] in der Leber. Im Weiteren wirkt Insulin auch hemmend auf die Synthese von Glukose aus Aminosäuren, Glycerin und Laktat in der Leber. Im Bereich des Fettstoffwechsels fördert Insulin die Lipogenese[18] und hemmt die Lipolyse[19], damit diese Fettspeicher jederzeit mobilisiert und zur Energiegewinnung genutzt werden können. Zum Aufbau der Fettspeicher werden Fettsäuren der VLDL sowie aus Glucose synthetisierte Fettsäuren genutzt. Außerdem senkt es den Aminosäurespiegel im Blut (vgl. Bartels & Bartels 1995, 315ff.; Behrmann & Weineck 2001, 29ff.).
3.1.2.2 Klassifikation des Diabetes mellitus
„Diabetes mellitus ist ein Sammelbegriff für eine ätiologisch heterogene Gruppe von Krankheiten des Kohlenhydratstoffwechsels, deren gemeinsames Charakteristikum der chronisch erhöhte Blutzucker (Hyperglykämie) ist.“ (Greten & Rinninger 2002, 604)
Diese Definition weist bereits auf verschiedene Formen des Diabetes mellitus hin, die auf verschiedene Ursachen zurückzuführen sind. Nach den Richtlinien der WHO und American Diabetes Association (vgl. in Greten & Rinninger 2002, 604) werden vier Formen des Diabetes mellitus unterschieden:
- Typ-1-Diabetes mellitus
Die Ursache ist eine Autoimmunerkrankung mit Zerstörung der insulinproduzierenden ß-Zellen der Bauchspeicheldrüse mit einhergehendem absolutem Insulinmangel. Der Typ-1-Diabetes ist insulinpflichtig.
- Typ-2-Diabetes mellitus
Er entsteht aufgrund einer Insulinresistenz oder einer Störung der Insulinsekretion der ß-Zellen. Dieser Typ wird auch gern als ‛Altersdiabetes’ bezeichnet, weil er in der Regel erst im Erwachsenenalter auftritt. Der Typ-2-Diabetes mellitus ist zunächst noch nicht insulinpflichtig.
- Gestationsdiabetes
Eine erstmalig in der Schwangerschaft auftretende Störung des Glucosestoffwechsels, die mit der Geburt des Kindes meist zunächst beendet ist.
- Andere Formen des Diabetes mellitus
Diese Formen können aufgrund von Medikamenten, hormonellen Störungen, genetischen Defekten, Infektionen oder Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse auftreten.
Die mit dem MTS assoziierte Erkrankung ist der Diabetes mellitus Typ 2, der nicht nur bei älteren, sondern auch häufig bei übergewichtigen Personen auftritt (vgl. Greten & Rinninger 2002, 607).
[...]
[1] Die einheitliche Schreibung des Begriffs wurde in der medizinischen Literatur noch nicht festgelegt. In dieser Hausarbeit wird das Metabolische Syndrom groß geschrieben.
[2] Atherosklerose = krankhafte Veränderung der Arterien
[3] Ressourcen, welche im Zusammenhang mit sportlicher Aktivität näher betrachtet werden, werden an gegebener Stelle näher erläutert.
[4] Mit MTS wird in Anlehnung an Wirth (2003, 22ff.) im weiteren Verlauf der Hausarbeit das Metabolische Syndrom bezeichnet.
[5] Fettstoffwechselstörung
[6] VLDL; Protein, das mit Lipipen verbunden ist und den Transport dieser gewährleistet
[7] HDL; ebenfalls ein Lipidtransporter
[8] bauchbetonte Fettverteilung; Andere Synonyme: stammbetont oder abdominell
[9] Eine gestörte Wirkung des Insulins am Insulinrezeptor.
[10] Eine Vorstufe des Diabetes mellitus
[11] Ausscheidung von Albumin (Protein) im Urin
[12] medikamentöse Behandlung der Hypertonie
[13] Anzahl der Erkrankungsfälle einer bestimmten Krankheit.
[14] WHR
[15] Bauchspeicheldrüse
[16] Abbau von Glucose zu Pyruvat
[17] Abbau von Glykogen (Speicherform der Glukose) zu Glukose
[18] Aufbau von Fettdepots
[19] Abbau der Fettspeicher
- Arbeit zitieren
- Claudia Reichstein (Autor:in), 2004, Sport als Mittel der Prävention und Therapie beim Metabolischen Syndrom, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43440
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