Das Ziel dieser Bachelorarbeit ist es, zu untersuchen, wie der Bildungsbereich Religion und Ethik in evangelischen Kindertageseinrichtungen geprägt ist, wie sich dies in der Praxis auswirkt und welche Anforderungen an Fortbildungen daraus resultieren. Adressaten sind pädagogische Fachkräfte in Kitas, hier sind auch Leitungen besonders zu nennen, da sie dafür Sorge tragen müssen, dass der Bildungsbereich Religion und Ethik umfassend abgedeckt wird. Durch die Auswertung von Literatur wurde herausgearbeitet, wie dies kindorientiert gelingen kann. Darauf aufbauend wurde eine eigene Fortbildung konzipiert, die sich an die Fachkräfte in evangelischen Einrichtungen richtet.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Kindheit heute
1.1. Kindheit nach Hurrelmann
1.2. Aspekte der Kinderforschung
1.3. Familiensituation
1.4. Institutionalisierte Kindheit
1.5. Von Meinungsfreiheit, Partizipation und Pluralität geprägte Kindheit
1.6. Schnelllebige und digitalisierte Kindheit
1.7. Kinder in einer Integrationsgesellschaft
2. Entwicklungspsychologie
2.1. Piagets Stufen der kognitiven Entwicklung
2.1.1. Sensomotorische Stufe
2.1.2. Präoperationale Stufe
2.2. Das Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung nach Erikson
2.2.1. Ur-Vertrauen gegen Ur-Misstrauen
2.2.2. Autonomie gegen Scham und Zweifel
2.2.3. Initiative gegen Schuldgefühl
2.3. Ein Blick in die Hirnforschung
3. Bildungsgrundsätze in Kindertagesbetreuung in Nordrhein-Westfalen
3.1. Entwicklung der Bildungsbereiche
3.2. Bildungsbereich Religion und Ethik
3.2.1. Exkurs: Religiöse Bildung in Kitas in Berlin
3.2.2. Unterschiede von Religionsbegriffen
3.2.3. Pädagogische Relevanz
4. Der Auftrag evangelischer Kindertageseinrichtungen
4.1. Werte und Normen
4.2. Resilienz
5. Konzepte / Ansätze
5.1. Integrierte Religionspädagogik
5.2. Katechetischer Ansatz
5.3. Kindertheologie
5.3.1. Methoden der Kindertheologie
5.4. Geschichten erzählen
6. Konsequenzen für die Praxis in evangelischen Kitas
7. Fortbildung für Erzieher_innen
7.1. Kirchenrechtliche Regelungen innerhalb der evangelischen Kirche im Rheinland
8. Konzept einer Fortbildung
8.1. Ausschreibung
8.2. Basisteil
8.2.1. Auseinandersetzung mit der eigenen Identität
8.2.2. Ziele: Was ist für mich wichtig, was möchte ich weitergeben?
8.2.3. Vorgaben des Trägers
8.3. Theoretischer Teil
8.4. Praktischer Teil für Fachkräfte
8.4.1. Mein persönliches Erfahrungstagebuch
8.5. Biblischer Teil
8.5.1. Arche Noah
8.5.2. Urgeschichte, Jesus und die Kinder
8.5.3. Mose
8.5.4. David gegen Goliat
8.5.5. Jona
8.5.6. Psalm 23
8.5.7. Jesus und der Sturm
8.5.8. Das verlorene Schaf
8.5.9. Der Vater und die beiden Söhne
8.6. Praktische Elemente für Kinder
8.6.1. Rahmen der Angebote / Rituale
8.6.2. Eingangsworte
8.6.3. Segen
8.7. Ziele: Was ist für mich wichtig, was möchte ich weitergeben? (Wiederholung)
8.8. Literaturtisch
Fazit: Dimensionen der Gemeindepädagogik
Anhang
„Christus, da er Menschen ziehen wollte, musste er Mensch werden. Sollen wir Kinder ziehen, so müssen wir auch Kinder mit ihnen werden.“[1]
(Martin Luther)
Abstract
Das Ziel dieser Bachelorarbeit ist es, zu untersuchen, wie der Bildungsbereich Religion und Ethik in evangelischen Kindertageseinrichtungen geprägt ist, wie sich dies in der Praxis auswirkt und welche Anforderungen an Fortbildungen daraus resultieren.
Adressaten sind pädagogische Fachkräfte in Kitas, hier sind auch Leitungen besonders zu nennen, da sie dafür Sorge tragen müssen, dass der Bildungsbereich Religion und Ethik umfassend abgedeckt wird.
Durch die Auswertung von Literatur wurde herausgearbeitet, wie dies kindorientiert gelingen kann. Darauf aufbauend wurde eine eigene Fortbildung konzipiert, die sich an die Fachkräfte in evangelischen Einrichtungen richtet.
Einleitung
„Die Kindertageseinrichtung (Kita) ist als Teil der Gemeinde zu sehen.“ Dem würde wahrscheinlich erst einmal niemand widersprechen. Viele Einrichtungen sind in der Trägerschaft von Gemeinden oder Diakonischen Wohlfahrtsverbänden. Doch wie sieht es in der Praxis aus? Wie kann man den Fragen der Kinder nach Gott, Glauben oder Religion gerecht werden? Wie sieht eine kindgerechte Umsetzung aus und was brauchen Mitarbeitende um diesem Anspruch gerecht zu werden? Mit diesen Fragen möchte ich mich in dieser Bachelorarbeit beschäftigen. Auch wenn der Bildungsbereich Religion und Ethik umfasst, werde ich den Schwerpunkt auf den Bereich Religion legen.
Weil die Kita zur Gemeinde gehört, hat auch die Gemeindepädagogik hier ihren Platz. Mit meiner Berufserfahrung als Erzieherin habe ich mit dem Studiengang Gemeindepädagogik meinen Horizont erweitert und möchte nun überlegen, wie dies Anwendung in der Kita finden kann.
Für die Fragestellung ist die Arbeit mit Kindern im Alter von 1-6 Jahren von Relevanz.
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, ist es zunächst vonnöten, die Kindheit heute zu betrachten und die Entwicklungspsychologie zu beleuchten. Danach werde ich die Bildungsgrundsätze in Nordrhein-Westfalen vorstellen, dabei besonders den Bildungsbereich Religion und Ethik. Dadurch gelange ich zu dem Auftrag der evangelischen Kindertageseinrichtungen, in diesem Punkt wird betrachtet welcher Auftrag herausgefiltert werden kann und welche Schwerpunkte die Evangelische Kirche von Deutschland (EKD) dazu legt.
Danach werde ich die integrierte Religionspädagogik beschreiben, den katechetischen Ansatz vorstellen und einen Blick in die Kindertheologie wagen. Anschließend werde ich die Konsequenzen für die pädagogische Arbeit darlegen und ein eigenes Konzept für eine Fortbildung für Erzieher_innen vorstellen. Zum Abschluss werde ich die Dimensionen für die Gemeindepäda-gogik reflektieren.
1. Kindheit heute
Das Bild vom Kind hat sich im Laufe der Menschheit erst langsam entwickelt. Wurden Kinder früher noch als kleine Erwachsene gesehen, hat sich dies zum Wohle des Kindes verändert, bzw. hat sich der Begriff „Kind“ und „Kindheit“ erst entwickelt. Erst am Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Schulpflicht eingeführt, weil man erkannt hatte, dass es für alle Kinder wichtig ist, einen Zugang zur Bildung zu haben, und dass es einer Entwicklung bzw. Ausbildung bedarf, um am Arbeitsleben teilhaben zu können. In dieser Arbeit liegt der Schwerpunkt auf dem Verständnis von Kindheit heute, dieses für das Thema der Arbeit von großer Bedeutung ist.
1.1. Kindheit nach Hurrelmann
Kindheit setzt sich nach Hurrelmann aus zwei Phasen zusammen: „Frühe Kindheit (0-5 Jahre) und Späte Kindheit (6-11 Jahre).“[2]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Danach folgt das Jugendalter. Die Kinder, mit denen wir es in Kindertages-einrichtungen zu tun haben, befinden sich nach diesem Modell in der ersten Phase der Kindheit, bzw. am Beginn der späten Kindheit. In der Regel werden Kinder mit sechs Jahren eingeschult. Die Einschulung wird nach diesem Modell als ein Lebensereignis angesehen, das neue Entwicklungsaufgaben mit sich bringt. Kinder in der Kita, meist im letzten Jahr vor der Einschulung, nähern sich diesen Aufgaben an.
1.2. Aspekte der Kinderforschung
Die Kinderforschung hat einige Aspekte herausgearbeitet, die den Begriff „Kind“, und was Kindheit ausmacht, beschreiben. Der Begriff Kind setzt voraus, dass sich diese Zeitspanne von der des Erwachsenen abhebt. Die Phasen der Kindheit wurden bereits im ersten Punkt erläutert. Mit der Forschung wird, das Bild vom Kind neu beschrieben. War es früher das an der Norm des Erwachsenen gemessene Kinderbild, wird dies heute durch den Begriff des eigenständigen, handelnden Kindes ersetzt. Kinder werden als kompetent betrachtet, so kompetent, dass sie selbst als Akteure ihrer eigenen Entwicklung zählen. Kinder sind denkende Wesen, sie können z.B. analoge Schlüsse ziehen.[3] Diese Aspekte sind wichtig, wenn Religionspädagogik in der Kita Kind-orientiert gestaltet werden soll.
1.3. Familiensituation
„Wie aktuelle Studien, etwa die erste World Vision-Kinderstudie von 2007, zeigen, wachsen in Deutschland heute etwa 75% der Kinder in einer klassischen Kernfamilie mit verheirateten Eltern, die auch ihr leiblichen Mütter und Väter sind, mit und ohne Geschwisterkinder auf. Die übrigen Kinder leben nur mit einem Elternteil zusammen (etwa 20% aller Familien), und schon 5% mit wachsender Tendenz leben mit Eltern, die in einer nicht ehelichen Gemeinschaft verbunden sind, oder sie leben in Stieffamilien.“[4]
In der westlichen Gesellschaft herrscht das Modell der Kernfamilie noch vor, verliert allerdings an Bedeutung. Das ist unter anderem bedingt durch Kinderlosigkeit, gewollt oder ungewollt, den Anstieg der Zahl der alleinerziehenden Eltern, bundesweit wachsen 20 % aller Kinder unter 18 Jahren mit nur einem Elternteil auf, und neue Familiengründungen nach der Scheidung, also »Stiefelternfamilien«, das sind heute etwas 15 % der Familien.[5]
Die allgemeine Struktur der Familie hat sich auch insoweit verändert, dass es selbstverständlicher ist, dass beide Elternteile berufstätig sind. Dabei geht es nicht alleine darum Geld für die Familie zu verdienen, sondern auch den eigenen Lebensbereich sinnvoll und mit wichtigen Aufgaben zu füllen, für die Rente vorzusorgen und auch zu bedenken, wie im Fall des Verlustes des Partners, z.B. durch Trennung oder Tod, der Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit sicher zu stellen ist.[6]
Die World Vision-Kinderstudie betrachtet insbesondere die berufliche Situation der Eltern:
„Bei 35 % der Kinder arbeitet ein Elternteil Vollzeit und der andere in Teilzeit, oder aber es sind beide teilzeiterwerbstätig. Rückläufig ist demgegenüber mit aktuell 32 % die „klassische“ Einverdiener-Familie. Beide Elternteile in Vollzeit trifft bei 13 % der Kinder zu, alleinerziehend und dabei in Vollzeit oder Teilzeit erwerbstätig auf 12 %, arbeitslos auf 4 % der Familien der befragten Kinder und Sonstiges, wie zum Beispiel im Studium, in Ausbildung oder aber Hausfrau oder Hausmann ohne Erwerbsbeteiligung in der Familie, auf nach wie vor 4 %.“[7]
Daraus resultiert ein hoher Bedarf an Kinderbetreuung in Tageseinrichtungen.
1.4. Institutionalisierte Kindheit
Kinder werden heute nicht selten ab dem ersten Lebensjahr in Kindertages-einrichtungen betreut. Laut Kinderförderungsgesetz (KiföG) gilt der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr seit dem 1. August 2013.
Zur Umsetzung dieses Gesetzes wurden viele neue Institutionen errichtet und neue Plätze in vorhandenen Kitas geschaffen. Zugleich ist die Anzahl der Kinder in den Kitas, die über Mittag in den Einrichtungen bleiben, wesentlich höher. Die Arbeitssituation der Eltern hat sich verändert und so auch der Betreuungsbedarf für ihre Kinder. Selbst wenn ein Elternteil nur Teilzeit arbeitet, geschieht dies häufig nicht zu den „klassischen“ Arbeitszeiten von 8-12 Uhr. Auch die Wege zur Arbeit sind länger geworden. Somit ist auch bei Teilzeitarbeit häufig eine Betreuungszeit von 45 Stunden in der Woche notwendig.
„Eine Folge des Ausbaus dieser Institutionen besteht darin, dass sich die Zeit, die Kinder außerhalb der Familie in Einrichtungen […] verbringen, enorm ausgedehnt hat. Deshalb wird das Kinderleben zu Recht als eine institutionalisierte Kindheit charakterisiert.“[8]
Das hat Auswirkungen auf die Freizeitgestaltung der Familien. Wo früher Kinderturnen oder Musikschule am frühen Nachmittag besucht werden konnte, finden heute viele dieser Angebote in Familienzentren statt.
Hugoth zeigt auf,„dass neben der Familie die Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungseinrichtungen zu bedeutsamen Sozialisationsinstanzen geworden sind, die zeitweise stärkeren Einfluss auf die Entwicklung der kindlichen Persönlichkeiten haben als die Eltern.“[9]
Trotz dieser Erkenntnisse ist nicht zu vergessen, dass die Kita immer familienergänzend arbeitet. Auch wenn Kinder viel Zeit in einer Einrichtung verbringen, kann sie die Familie nicht ersetzten. Nach Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes sind die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Dem entsprechend heißt es in § 2 KiBiz:
„Jedes Kind hat einen Anspruch auf Bildung und auf Förderung seiner Persönlichkeit. Seine Erziehung liegt in der vorrangigen Verantwortung seiner Eltern. Die Familie ist der erste und bleibt ein wichtiger Lern- und Bildungsort des Kindes. Die Bildungs- und Erziehungsarbeit in den Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege ergänzt die Förderung des Kindes in der Familie und steht damit in der Kontinuität des kindlichen Bildungsprozesses. Sie orientiert sich am Wohl des Kindes. Ziel ist es, jedes Kind individuell zu fördern”[10]
Dies gilt auch dann, wenn das Kind viel Zeit in einer Einrichtung verbringt.
„Familien sind für Kinder der zentrale Ort des Aufwachsens. Hier machen sie in der Regel ihre ersten elementaren Erfahrungen mit anderen Menschen.“[11]
Die Personensorge der Eltern umfasst auch die religiöse Erziehung, die Entscheidung über die religiöse Zugehörigkeit und Bildung. Dadurch, dass die Kinder mehr Zeit in der Einrichtung verbringen, wächst die Bedeutung der Kita als Ort der religiösen Sozialisierung.
1.5. Von Meinungsfreiheit, Partizipation und Pluralität geprägte Kindheit
Kinder wachsen in einem Umfeld auf, indem sie früh erfahren, dass nicht alle Menschen immer der gleichen Meinung sind. In Deutschland herrscht Meinungsfreiheit und das bedeutet, dass jeder seine Position, auch öffentlich, beziehen kann. Die Menschen in ihrer Umgebung gehören unterschiedlichen Religionen an oder haben keine religiöse Zugehörigkeit. Zugleich kommen Kinder mit verschiedenen Lebensentwürfen in Kontakt. Hugoth bezeichnet das so:
„Die Kinder wachsen hierzulande in einer Welt auf, die durch eine Pluralität von Einstellungen und Werthaltungen, von Lebensformen, sozialen Beziehungen, religiösen Überzeugungen und Praktiken bestimmt ist.“[12]
Kinder erfahren zum einen die Unterschiedlichkeit von Menschen, zum anderen, dass sie sich auch selbst eine Meinung oder religiöse Überzeugung bilden dürfen und dass diese auch respektiert wird. Sie werden früh nach ihrer Meinung gefragt und ihre Bedürfnisse werden einbezogen, in der Familie wie auch in der Kita. Partizipation ist in der Kita ein Aspekt, der in den letzten Jahren immer wichtiger geworden ist. Das ist nur möglich, wenn die Kinder in der Lage sind, sich eine Meinung zu bilden und auch die Konsequenzen dieser zu erkennen. Es gibt vielfältige Bereiche, die dazu einladen, dass Kinder mitbestimmen können. Die Spielauswahl, Sitzordnung bei den Mahlzeiten, Essensauswahl unter Berücksichtigung einer gesunden Ernährung, eine Auswahl von bekannten Liedern, welches Gebet vor dem Essen gesprochen wird, sind nur einige Beispiele dafür, welche unterschiedlichen Möglichkeiten es gibt, den Alltag in der Kita gemeinsam zu gestalten.
In der Religionspädagogik ist zu beachten, dass keine Homogenität herrscht und sich daraus für die Kinder Fragen in Abgrenzung der verschiedenen Überzeugungen ergeben.
1.6. Schnelllebige und digitalisierte Kindheit
Ein weiterer Aspekt ist, dass unsere Kinder heute in einer Gesellschaft leben, die schnelllebig ist und in der Informationen immer und überall abrufbar sind. Der Alltag wird immer mehr digital. Spiele auf dem Tablet oder Smartphone sind für die Kinder selbstverständlich geworden. Dies entwickelte sich in kurzer Zeit. Erst in den 1990er Jahren ist das Internet in die normalen Haushalte eingezogen. Es ist wichtig den Kindern einen guten Umgang mit Medien zu vermitteln. Handy, Computer etc. sind nicht mehr aus dem Leben der Kinder wegzudenken. Diese Medien zu verteufeln oder nicht in die Bildungsarbeit einzubeziehen wäre nicht mehr zeitgemäß. Ein positiver Umgang bringt viele Vorteile und Lernchancen mit sich.
„Chancen und Risiken gehen hierbei Hand in Hand und erfordern medienkompetente Eltern, Fach- und Lehrkräfte als Unterstützung und Vorbilder im Umgang mit Medien.“[13]
Dies ist auch für die Religionspädagogik zu bedenken.
Kinder heute haben nicht selten an jedem Tag etwas Anderes vor. Musik, Turnen, Schwimmen sind da nur wenige Beispiele. Auch ein Aspekt der Schnelllebigkeit. Der Autoverkehr ist mehr geworden, die Kinder werden häufig zur Schule und zu den Aktionen mit dem Auto gefahren. Zu Fuß gehen wenige. Das ist auch dadurch bedingt, dass oft beide Elternteile berufstätig sind. Oft sind die Kinder erst nach 16 Uhr für solche Angebote frei.
1.7. Kinder in einer Integrationsgesellschaft
Was zudem die Kindheit heute ausmacht, ist, dass sie mit vielen unterschiedlichen Kindern oder auch Erwachsenen in Berührung kommen. Jeder Mensch ist anders, er hat unterschiedliche Gaben und Fähigkeiten. Bei manchen Menschen liegt das Anderssein daran, dass sie aus einem anderen Land kommen oder eine Behinderung haben.
„Die Zahl der bis zum 31.12.2015 im Ausländerzentralregister (AZR) registrierten Ausländerinnen und Ausländer hat sich im Jahr 2015 von 8,15 auf 9,11 Millionen erhöht.“[14]
Dadurch, dass die Kinder gemeinsam in die Kitas gehen, bekommen alle einen Eindruck davon, dass es viele Unterschiede zwischen den Menschen gibt. Ihre Sprachen, ihr Aussehen, ihre Religiosität, evtl. ihre Essgewohnheiten und vieles mehr unterscheiden sie. Integration meint aber nicht nur die Menschen mit Migrationshintergrund, sondern auch Menschen, die durch Andersartigkeit am Rand der Gesellschaft stehen. Seit einigen Jahren ist die Inklusion ein großes Thema auch in Kitas. Anders sein heißt auch, vielleicht nicht laufen, sprechen oder so gut denken können wie andere. All diese Unterschiedlichkeiten lernen Kinder heute kennen. Das Ziel der Religions-pädagogik ist gegenseitigen Respekt und Annahme zu fördern.
2. Entwicklungspsychologie
Kinder kommen mit religiösen Fragen auf die Welt.
„Religiöses Lernen beginnt im Säuglingsalter, eigentlich schon vor der Geburt. Atmosphäre und Gefühle der ersten Lebensphase, die Säuglinge an ihren Bezugspersonen erleben, gestalten die spätere Glaubenshaltungen mit.“[15]
In diesem Kapitel soll beschrieben werden, in welchem Entwicklungsstadium sich die Kinder im Alter von 1-6 Jahren befinden und welche „Entwicklungs-aufgaben“ sie in dieser Zeit zu bewältigen haben.
„Kinder forschen von klein auf über das Warum, Wohin und Woher, wollen Zusammenhänge und Begründungen, Orientierung und Werte erkennen […]. Die Erfahrungen, die ein Kind im Heranwachsen macht, die Lernprozesse, die es durchläuft, bestimmen darüber, wie sich diese natürliche Haltung einer »Offenheit für Transzendenz« entwickelt.“[16]
Es ist wichtig, über fundamentale Kenntnisse der physiologischen Entwicklung des Kindes zu verfügen und die entwicklungspsychologischen Grund-daten zu kennen, um einzuordnen zu können, welche Bedeutung der religiösen Entwicklung zukommt.
Nachdem es im ersten Kapitel die »Kindheit heute« beschrieben worden ist, soll im Folgenden das Stufenmodell der kognitiven Entwicklung von Piaget und das Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung nach Erikson betrachtet und ein Blick in die Hirnforschung geworfen werden.
2.1. Piagets Stufen der kognitiven Entwicklung
Jean Piaget hat sich damit befasst, wie sich der Mensch seine kognitiven Fähigkeiten aneignet. Dabei hat er ein Stufenmodell herausgearbeitet, das vier Stufen beinhaltet:
1. Sensomotorisch (Geburt bis 18. Lebensmonat)
2. Präoperational (18. Lebensmonat bis 7. Lebensjahr)
3. Konkretoperational (7. bis 11. Lebensjahr)
4. Formaloperational (ab dem 12. Lebensjahr)
Nach seiner Theorie durchlaufen alle Kinder diese Phasen unabhängig von ihrer Umwelt. Die Altersangaben sind nur Richtwerte. Sie können in beide Richtungen abweichen, allerdings bleibt die Reihenfolge immer dieselbe, da die Stufen ineinander übergehen.[17] Da sich die Kinder in der Kita die ersten beiden Stufen befinden, sollen diese im Folgenden näher betrachtet werden.
2.1.1. Sensomotorische Stufe
Die zahlreichen Entwicklungsschritte der ersten 18 Monate unterteilt Piaget in sechs Unterstufen. Nach der Geburt ist das Handeln hauptsächlich durch Reflexe bestimmt. Das Wort sensomotorisch beschreibt den Schwerpunkt dieser Lebensphase. Senso = sinnlich, die Sinne betreffend, und Motorik = Bewegung. Zunächst ist noch kein kognitives Handeln an sich zu beobachten.[18]
„Das Kind nimmt in diesem frühen Stadium nur sich selbst wahr. Zunehmend entwickeln sich jedoch Reaktionsmuster heraus, die auf den Handlungen des Kleinkindes basieren.“[19]
Langsam lernt das Kind, dass sein Handeln Einfluss auf die Umwelt hat. Handlungen, auf die seine Umwelt reagiert, wiederholt es, Handlungen, auf die keine Reaktion erfolgt, unterlässt der Säugling. Ein wichtiger Entwicklungsschritt in dieser Stufe ist die »Objektpermanenz«. Das bedeutet, dass ein Kind weiß, dass ein Objekt noch da ist, auch wenn es dieses nicht mehr sieht. Die Objektpermanenz ist eine Voraussetzung für symbolisches Denken und somit ein wichtiger Schritt in der kognitiven Entwicklung. Mehn hat diese Stufe so zusammengefast:[20]
„Zusammengefast kann man festhalten, dass in dieser ersten ego-zentrierten Lebensphase also der Erwerb von Gruppenstrukturen im Sinne des räumlichen Verschiebens von Gegenständen erfolgt, Größenkonstanten und damit der Erwerb von Konstanten überhaupt, der Erwerb von Identitäten im Sinne einer Wiedererkennung von Personen sowie der Erwerb von Objektpermanenz erfolgen.“[21]
2.1.2. Präoperationale Stufe
In dieser Phase kann ein Kind bereits etwas verstehen ohne dies motorisch durchzuführen. Es hat sich z.B. etwas gemerkt und muss es nicht erneut ausprobieren. Das Denken nimmt einen höheren Stellenwert ein, allerdings ist es noch voller Irrtümer.[22]
„Das Denken ist noch voll mit logischen Irrtümern, da das kindliche Denken mehr von der Wahrnehmung als von der Logik beherrscht wird. So glauben Kinder zu Beginn der präoperationalen Phase beispielsweise, dass aus einem Jungen ein Mädchen werden kann, wenn mit er Spielsachen von Mädchen (z.B. Puppen) spielt.“[23]
Ein wichtiger Aspekt, auch für die religionspädagogische Arbeit ist, dass das Kind sich in dieser Stufe noch nicht in einen anderen Menschen hineinversetzen kann. Es ist egozentriert, dies ist aber nicht mit Egoismus zu verwechseln. Beim Egozentrismus kann sich das Kind nicht vorstellen, dass es eine andere Ansicht als seine eigene gibt. Zudem kann es nur auf ein Merkmal achten, dem Kind fehlt der Gesamtüberblick, was Piaget als Zentrierung beschreibt.
Ein weiterer Aspekt ist das magische Denken. Z.B. denkt das Kind, die Sonne gehe unter, weil es schlafen muss.[24]
„Die präoperationale Stufe umfasst damit maßgeblich das symbolische Denken und das anschauliche Denken, […]. Außerdem wird der kindliche Egoismus der ersten Lebensphase überwunden.“[25]
2.2. Das Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung nach Erikson
Das Stufenmodell nach Erikson beinhaltet acht Entwicklungsphasen. Er erweiterte das Phasenmodell von Sigmund Freud um die psychosozialen Aspekte und die Entwicklungsphasen des Erwachsenenalters. Ähnlich wie Piaget geht Erikson davon aus, dass jeder Mensch unabhängig von seiner Umwelt alle diese Phasen in der vorgegebenen Reihenfolge durchlebt. In jeder Stufe gibt es eine Lebenskrise, die es zu bewältigen gilt. Wichtig ist, dass bei Erikson der Begriff Krise nicht negativ geprägt ist, denn die Krise soll zu einer Weiterentwicklung führen, indem Probleme konstruktiv gelöst werden.[26]
Die acht Stufen:
1. Ur-Vertrauen gegen Ur-Misstrauen (Säuglingsalter)
2. Autonomie gegen Scham und Zweifel (Kleinkindalter, ca. 2.-3. Lebensjahr)
3. Initiative gegen Schuldgefühl (Spielalter, ca. 4.-5. Lebensjahr)
4. Werksinn gegen Minderwertigkeitsgefühl (Schulalter, ca. 6.-12. Lebensjahr)
5. Identität vs. Identitätsdiffusion (Adoleszenz, ca. 11./12.- 15./16. Lebensjahr)
6. Intimität und Distanzierung gegen Selbstbezogenheit (frühes Erwachsenenalter)
7. Generativität vs. Stagnierung (Erwachsenenalter)
8. Integrität gegen Verzweiflung und Ekel (reifes Erwachsenenalter)[27]
An dieser Stelle werden die ersten drei Stufen beschrieben, welche in das Lebensalter der Kinder in Kitas fallen.
2.2.1. Ur-Vertrauen gegen Ur-Misstrauen
Wenn ein Baby auf die Welt kommt, erlebt es sich mit der Mutter noch als eins, als eine Symbiose. Dieser Zustand hebt sich erst mit der Zeit langsam auf. In dieser Phase baut das Kind, wenn seine Bedürfnisse nach Nähe, Geborgenheit, Nahrung etc. gestillt werden, ein Ur-Vertrauen auf. Der Säugling lernt, dass sich seine Umwelt um ihn kümmert und dass es ein Teil der Gesellschaft ist.[28]
Tschirch zieht daraus bereits Rückschlüsse auf das religiöse Erleben in dieser Entwicklungsphase:
„Eine erste, für die Ausformung des religiösen Erlebens eines Kindes wichtige Phase ist die der ursprünglichen Symbiose mit der Mutter […] Das Kleinkind kann sich nicht ohne die Mutter „denken“. Die Mutter ist seine ganze Welt.“[29]
Wenn man dies weit fasst, ist die Mutter für das Kind der »erste Gott«. Hat das Kind hier erste gute Erfahrungen gemacht, ist die Entwicklung eines Gottesbildes anders, als wenn diese Erfahrungen schwierig waren.
Wenn allerdings die Grundbedürfnisse des Kindes nicht befriedigt werden und es lernt, dass sich seine Umwelt nicht um es kümmert, kann sich ein Ur-Misstrauen einstellen was sich ebenfalls auf die religiöse Haltung auswirkt.[30]
2.2.2. Autonomie gegen Scham und Zweifel
Im zweiten und dritten Lebensjahr wird das Kind immer autonomer. Aufbauend auf dem Grundvertrauen, welches das Kind in der letzten Phase aufgebaut hat, kann es schon viele Dinge alleine und auch die motorischen Fähigkeiten lassen es zu, dass das Kind selbständiger wird. Auch die Sauberkeitserziehung fällt in diesen Zeitraum, das Kleinkind kann festhalten und loslassen und damit seine Ausscheidungen selbst kontrollieren, was zunehmend Selbständigkeit bewirkt. Allerdings gelingt noch nicht alles alleine und so kommen auch Scham und Zweifel auf, wenn die angestrebten Aktionen nicht direkt erfolgreich sind. Wichtig ist, dass das Kind in dieser Phase unterstützt und nicht mit seinen Misserfolgen allein gelassen wird. Die Aussage: „Ich kann das schon“ fällt sehr häufig, und die Bezugspersonen müssen die Geduld aufbringen, das Kind auch alleine machen zu lassen.[31]
2.2.3. Initiative gegen Schuldgefühl
Die vorrangegangen bereits beschriebene Symbiose mit der Mutter löst sich in dieser Phase nun immer mehr auf. Das Kind gewinnt die Erkenntnis, dass es ein eigenständiges Individuum ist und findet heraus, welche Art von Person es werden könnte. Damit einhergehend erkennt es Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Menschen.[32]
„Zugleich, so Erikson, entwickelt sich in dieser Phase auch das Gewissen, welches er „Lenker der Initiative“ nennt. Schon während seines Tuns, weiß das Kind nun, ob es richtig oder falsch handelt und misst sich und die Eltern an ihrem Handeln. Das Kind beginnt nun, sich nicht nur für das, was es getan hat zu schämen, wenn es entdeckt wird, sondern, es beginnt die Entdeckung an sich zu fürchten und sich für bloße Gedanken und Taten schuldig zu fühlen. Erikson nennt dies den Grundstein für die Moralität im individuellen Sinne.“[33]
Wenn das Kind trotz dieser Probleme noch Initiative zeigt, gilt diese Krise als bewältigt.[34]
2.3. Ein Blick in die Hirnforschung
Prof. Dr. Hüther, ein Neurobiologe, hat in einem Vortrag deutlich gemacht, dass ein Blick in die Hirnforschung sinnvoll ist, wenn man über die kindliche Entwicklung nachdenken möchte und damit dann Rückschlüsse auf die Bildungsangebote ziehen will.
„Keine andere Spezies kommt mit einem derart offenen, lernfähigen und durch eigene Erfahrungen in seiner weiteren Entwicklung und strukturellen Ausreifung formbaren Gehirn zur Welt wie der Mensch.“[35]
Im Tierreich sind viele neugeborene wenige Stunden, Tage oder Wochen nach der Geburt selbständig, je nachdem, um welches Tier es sich handelt. Ein Fohlen bleibt beispielsweise ca. ein Jahr bei der Mutter, danach lebt es eigenständig, häufig in einer anderen Herde. Es macht häufig schon am Tag der Geburt seine ersten Schritte. Beim Menschen ist dies anders. Babys und Kinder sind lange Zeit auf Schutz, Fürsorge, Unterstützung und Lenkung der Eltern angewiesen.[36]
Relativ neue Erkenntnisse in der Forschung werfen einen anderen Blick auf die Entwicklungsneurobiologie und die Entwicklungspsychologie der Bin-dungs- und Säuglingsforschung:
„In den letzten zehn Jahren ist es den Hirnforschern vor allem mit Hilfe der sogenannten bildgebenden Verfahren gelungen nachzuweisen, welch nachhaltigen Einfluß frühe Erfahrungen darauf haben, welche Verschaltungen zwischen den Milliarden Nervenzellen besonders gut gebahnt und stabilisiert, und welche nur unzureichend entwickelt und ausgeformt werden.“[37]
Ging die Wissenschaft früher davon aus, dass der Prozess der strukturellen Ausreifung des menschlichen Gehirns gegen Ende des dritten Lebensjahres weitgehend abgeschlossen ist, ist die Forschung heute auf dem Stand, dass sich das Gehirn lebenslang weiterentwickelt. Der Begriff des »lebenslangen Lernens« tritt in den Vordergrund, denn durch die Erfahrungen, die ein Mensch macht, bilden sich neuronale Verbindungen, unabhängig vom Alter. Bei der Geburt ist das Gehirn vorbereitet, es wächst nicht mehr, allerdings werden die Nervenzellen nur durch Gebrauch aktiviert. Übertragen kann man davon sprechen, dass sie kleine Trampelpfade sind, die durch Benutzung zu Feldwegen, Straßen oder sogar Autobahnen werden. Es kommen allerdings keine neuen hinzu, sie werden nur weiterentwickelt oder sterben ab, wenn sie nicht benutzt werden.[38] Die Arbeit in der Kindertagesstätte ist von besonderer Bedeutung, wenn man betrachtet, was Hüther beschreibt:
„Nie wieder im späteren Leben ist ein Mensch so offen für neue Erfahrungen, so neugierig, so begeisterungsfähig und so lerneifrig und kreativ wie während der Phase der frühen Kindheit. Aber dieser Schatz verkümmert allzu leicht und allzu vielen Kindern geht ihr Entdeckergeist und ihre Lernfreude bereits verloren, bevor sie in die Schule kommen.“[39]
Dies wird im nächsten Kapitel, in dem die Bildungsgrundsätze in Kindertagesbetreuung und Schulen im Primarbereich in Nordrhein-Westfalen beschrieben werden, noch eine Rolle spielen.
Weiter erwähnt er:
„Jedes Kind ist einzigartig und verfügt über einzigartige Potenziale zur Ausbildung eines komplexen, vielfach vernetzten und zeitlebens lernfähigen Gehirns. Ob und wie es ihm gelingt, diese Anlagen zu entfalten, hängt ganz wesentlich von den Entwicklungsbedingungen ab, die es vorfindet, und von den Erfahrungen, die es während der Phase seiner Hirnreifung machen kann. Jedes Kind braucht ein möglichst breites Spektrum unterschiedlichster Herausforderungen, um die in seinem Gehirn angelegten Verschaltungen auszubauen, weiterzuentwickeln und zu festigen.“[40]
Diese Erfahrungen müssen den Kindern ermöglicht werden, damit sie sich gut entwickeln können. Doch gilt zu beachten, dass Kindern das nötige Vertrauen vermittelt werden muss, damit sie mutig genug sind ihre Potenziale zu entwickeln. Nur wer sich sicher fühlt, wird neue Schritte gehen, die Kinder, die unsicher sind, werden ihre Möglichkeiten nicht ausschöpfen können, weil ihnen die Sicherheit für Neues fehlt und sie lieber bei dem bleiben, was sie schon können. Hierbei besteht ein Zusammenhang mit der Bindungsforschung. Eine sichere Bindung ist zusammenfassend gegeben, wenn Kinder mit den ersten Bezugspersonen, also meist den Eltern, gute Erfahrungen machen, sie umsorgt werden, ihr Hunger gestillt, dem Bedürfnis nach Nähe nachgekommen wird und eine gute Körperhygiene geachtet wird. Damit stellt sich ein Ur-Vertrauen ein, welches schon im vorrangegangen Teil beschrieben wurde. Ist dies nicht gegeben, können sich sogar Fähigkeiten, die schon erlernt waren, wieder zurückbilden. Dabei besteht die Gefahr, dass das Kind in Verhaltensmuster zurückfällt, die es früher gelernt hat, z.B. Schreien oder Schlagen.
„Das Gehirn, so lautet die vielleicht wichtigste Erkenntnis der Hirn-forscher, lernt immer, und es lernt das am besten, was einem Heranwachsenden hilft, sich in der Welt, in die er hineinwächst, zurechtzufinden und die Probleme zu lösen, die sich dort und dabei ergeben. Das Gehirn ist also nicht zum Auswendiglernen von Sachverhalten, sondern zum Lösen von Problemen optimiert.“[41]
Auch die Erkenntnisse der Hirnforschung belegen, dass es notwendig ist, den Kindern eine Umgebung zu bieten, in der sie lernen können. Dies passiert im Umgang mit anderen Menschen und im Leben im Alltag.
3. Bildungsgrundsätze in Kindertagesbetreuung in Nordrhein-Westfalen
3.1. Entwicklung der Bildungsbereiche
Zu Beginn stellt sich die Frage, warum es notwendig geworden ist, Bildungspläne für Kinder zu erstellen. Die ursprünglichen Überlegungen hierzu stammen aus den 2000er Jahren. Zu dieser Zeit wurde die PISA Studie das erste Mal durchgeführt. Deutschland hat dabei in vielen Bereichen nicht besonders gut abgeschnitten. Somit kam die Frage auf, welche Gründe dies haben kann. Ein Ergebnis dieser Überlegungen war, die Kindergärten müssten mehr als Bildungseinrichtungen zu sehen sein.
„Erkenntnisse aus der Hirnforschung weisen darauf hin, dass es für den Erwerb verschiedenster lautsprachlicher und grob- und feinmotorischer Fähigkeiten sogenannte »Zeitfenster« gibt, die vielfach in der bisherigen Kindergartenpädagogik ungenutzt bleiben. Schulpsychologische Untersuchungen haben ergeben, dass die Voraussetzungen für das Lesenlernen lange vor der Schule geprägt und vor allem durch das Niveau der Verbo-Senso-Motorik und der phonologischen Bewusstheit bestimmt werden. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Ausprägungsgrad dieser »Vorläuferfähigkeiten« und dem Schulerfolg in der ersten Klasse.“[42]
Seitdem gab es stetig Bewegung im Bereich der frühkindlichen Bildung. Die größte Veränderung hat das Kinderbildungsgesetz mit sich gebracht.
„Das Gesetz zur frühen Bildung und Förderung von Kindern (Kinderbildungsgesetz – KiBiz) bildet seit dem 1. August 2008 die Grundlage der rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für die frühkindliche Bildung in Nordrhein-Westfalen.
Das KiBiz löste das Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder (GTK) des Landes ab und setzte die Vorgaben des Bundes um, die mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz und dem Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz in das Achte Buch Sozialgesetz-buch - SGB VIII aufgenommen wurden.“[43]
In der Präambel der Bildungsvereinbarung des Landes NRW heißt es:
„Das stufenweise überarbeitete Kinderbildungsgesetz (KiBiz) formuliert und konkretisiert neben Erziehung und Betreuung die frühkindliche Bildung als eine weitere zentrale Aufgabe der Tageseinrichtungen für Kinder und der Kindertagespflege. Den ganzheitlichen Zusammenhang dieser drei Aufgabenfelder in den Blick nehmend, verständigen sich die kommunalen Spitzenverbände, die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege, die Kirchen, die beiden Landes-jugendämter und die oberste Landesjugendbehörde auf der Grundlage von § 26 Abs. 3 KiBiz und in bewährter Tradition der 2003 geschlossene Bildungsvereinbarung auf eine neue Bildungsvereinbarung.“[44]
„Um die Bildungsprozesse in ihren thematischen, inhaltlichen Schwerpunkten und Ausprägungen darzustellen, wurden sie in 10 Bildungsbereiche gegliedert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese sich lediglich gedanklich voneinander abgrenzen lassen, sich in der Praxis aber notwendigerweise vielfach überschneiden: Kinder suchen sich Bildungsgegenstände nicht entlang eines Kategorien-systems aus, sondern interessengeleitet und individuell entlang der Erfahrungsmöglichkeiten, die sich ihnen in ihrer Alltäglichen Lebens- und Erfahrungswelt bieten. Die inhaltliche Abgrenzung der Bildungs-bereiche folgt insofern eher der gedanklichen Logik der Erwachsenen als der Art und Weise, wie ein Kind tatsächlich lernt. Diese Darstellung dient dazu, die Vielfalt der Erfahrungsmöglichkeiten gedanklich zu strukturieren.“[45]
Schon im Jahr 2004 wurde in der Jugendministerkonferenz und in der Kultusministerkonferenz der Beschluss für einen gemeinsamen Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen gefasst. Darin wuden sechs Bildungsbereiche formuliert:
1. Sprache, Schrift, Kommunikation
2. Personale und soziale Entwicklung, Werteerziehung/religiöse Bildung
3. Mathematik, Naturwissenschaft, (Informations-) Technik
4. Musische Bildung/Umgang mit Medien
5. Körper, Bewegung, Gesundheit
6. Natur und kulturelle Umwelten[46]
Da Bildung eine Länderaufgabe ist, hat jedes Bundesland in Deutschland die Aufgabe Bildungsgrundsätze zu vereinbaren. Die Ausgestaltung muss sich an den gemeinsamen Rahmen anpassen, aber es gibt Möglichkeiten eigene Schwerpunkte zu setzten. Aus diesem Grund sind die Bildungsgrundsätze in den Bundesländern sehr verschieden.
„Bildungspläne können als Empfehlungen eingeführt werden oder sie konkretisieren verbindlich vorgeschriebene Bildungsziele. Bei der Wahrung, Kontrolle und Steuerung von Akzeptanz und Qualität haben die Länder eine besondere Verantwortung.“[47]
Das KiBiz als Gesetz gibt den Rahmen vor, hier ist alles zu finden, was die Kindertageseinrichtung auf jeden Fall umsetzen muss. Es ist aber allgemein verfasst, so dass die Träger der Einrichtungen viel Spielraum bei der Umsetzung haben. Das ist auch so gewollt.
„Das in § 13 KiBiz (Frühkindliche Bildung) beschriebene Bildungs-verständnis und Bild vom Kind ist die Grundlage für die pädagogische Arbeit im Elementarbereich. Die hieran orientierten und in Übereinstimmung zwischen den Vereinbarungspartnern erarbeiteten Bildungsgrundsätze dienen den Tageseinrichtungen und der Kinder-tagespflege zur Orientierung bei der Konzeptionsentwicklung sowie der praktischen Arbeit“[48]
In Ausführung der Vereinbarungen der Kultusministerkonferenz von 2004 wurden in Nordrhein-Westfalen 10 Bildungsbereiche definiert:
1. Bewegung
2. Körper
3. Gesundheit und Ernährung
4. Sprache und Kommunikation
5. Soziale und (inter-) kulturelle Bildung
6. Musisch-ästhetische Bildung
7. Religion und Ethik
8. Mathematische Bildung
9. Naturwissenschaftlich-technische Bildung
10. Ökologische Bildung und Medien.[49]
Damit soll erreicht werden, dass das Kind ganzheitlich in allen Bereichen der Bildung gefördert wird. Wenn es den Anspruch gibt, dass die Kindertages-einrichtung eine Bildungseinrichtung ist, ist dies unabdingbar. In der Schule gibt es Pläne, die nach Fächern aufgeteilt sind. Dies ist im Elementarbereich nicht gewollt, doch sollen die Bildungsbereiche eine Orientierung geben und Inhalte festlegen, in welchen Bereichen auch ein Kind in der Vorschulerziehung gefördert werden soll.
3.2. Bildungsbereich Religion und Ethik
Zu untersuchen gilt, warum es einen eigenen Bildungsbereich „Religion und Ethik“ gibt und wie dies begründet werden kann. Dazu werden im Folgenden die rechtlichen Grundlagen für religiöse Bildung betrachtet. Ein Recht von Kindern auf Religion findet man nicht ausdrücklich. Allerdings enthalten einige Rechtsnormen Aussagen über religiöse Bildung.
In Artikel 14 der UN-Kinderrechtskonvention steht:
„Artikel 14: (1) Die Vertragsstaaten achten das Recht des Kindes auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. […] (3) Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, darf nur den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit oder Sittlichkeit oder der Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich sind.“[50]
Auch in der deutschen Fassung von Artikel 27 ist ein Recht auf religiöse Bildung nicht zu finden, allerdings ist interessant zu betrachten, was Friedrich Schweitzer schreibt:
„Am weitesten geht Artikel 27 mit der Anerkennung des Rechtes »jedes Kindes auf einen seiner körperlichen, geistigen, seelischen, sittlichen und sozialen Entwicklung angemessenen Lebensstandard«, wobei das englische und französische Original hier auch von »spiritueller« Entwicklung spricht, was die deutsche Fassung verdunkelt.“[51]
Die Regelungen für den Religionsunterricht sehen so aus:
[...]
[1] Beste 1845, S. 96.
[2] Abb. 1: Hurrelmann / Bründel 20032, S.73.
[3] Vgl. Zimmermann 2010, S. 79-80.
[4] Andresen / Hurrelmann 2010, S. 81.
[5] Vgl. Hurrelmann / Bründel 20032, S. 96-97.
[6] Hurrelmann / Bründel 20032, S. 98-100.
[7] World Vision 2013.
[8] Hugoth 2012, S. 27.
[9] Hugoth 2012, S. 29.
[10] Kibiz §2.
[11] Andresen / Hurrelmann 2010, S. 79.
[12] Hugoth 2012, S. 22.
[13] Mfkjks 2016, S. 128.
[14] Statistisches Bundesamt https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2016/03/PD16_105_12421.html.
[15] Lauther-Pohl 2016, S. 24.
[16] Lauther-Pohl 2016, S. 18-19.
[17] Vgl. Mehn 2009, S. 6.
[18] Vgl. Mehn 2009, S. 7.
[19] Mehn 2009, S. 7.
[20] Vgl. Mehn 2009, S. 7.
[21] Mehn 2009, S. 8.
[22] Vgl. Mehn, S.8.
[23] Plaßmann/Schmitt 2007, Schreibfehler berichtigt.
[24] Vgl. Mehn, S.8-9.
[25] Mehn, S. 9.
[26] Vgl. Scheck 2015, Einleitung.
[27] Vgl. Scheck, Inhaltsverzeichnis.
[28] Vgl. Tschirch 20144, S.65.
[29] Tschirch 20144, S. 65.
[30] Vgl. Tschirch 20144, S. 66.
[31] Scheck 2015, Autonomie gegen Scham und Zweifel.
[32] Vgl. Scheck 2015, Initiative gegen Schuldgefühl.
[33] Scheck 2015, Initiative gegen Schuldgefühl.
[34] Vgl. Scheck 2015, Initiative gegen Schuldgefühl.
[35] Hüther 2004.
[36] Vgl. Hüther 2004.
[37] Hüther 2004.
[38] Gerald Hüther hat ein ähnliches Bild in einem Vortrag, den ich im Jahre 2006 gehört habe, verwendet.
[39] Hüther 2004.
[40] Hüther 2004.
[41] Hüther2004.
[42] Andresen / Hurrelmann 2010, S. 102.
[43] Mfkjks 2017.
[44] Mfkjks 2015.
[45] Mfkjks 2016, S. 74.
[46] Vgl. KMK 2004.
[47] KMK2004.
[48] Mfkjks 2015.
[49] Vgl. Mfkjks 2016 .
[50] Kinderrechtskonvention 2014.
[51] Schweitzer 2011, S. 43.
- Arbeit zitieren
- Sabrina Konhäuser (Autor:in), 2017, Die kindorientierte Gestaltung des Bildungsbereichs "Religion und Ethik" in Kindertageseinrichtungen in NRW, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/433163
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.