Das Gedicht „An die Sonne“ von Ingeborg Bachmann wird in der Literatur häufig als Preislied bezeichnet. Andere Interpreten dagegen sehen in den Schlussversen von „An die Sonne“ eine einzige Klage über den Tod, der uns von der schönen Sonne trennt.
Bei genauerer Lektüre des Gedichts zeigt sich jedoch, dass in „An die Sonne“ Licht- und Schattenseiten eng verknüpft sind – ebenso wie in Bachmanns Werk allgemein. So durchzieht der Gegensatz Licht (Lob) – Dunkel (Klage) alle Gedichte des zweiten, 1956 erschienenen Lyrikbandes „Anrufung des Großen Bären“, welcher sich in vier Teile gliedert: Während im zweiten, aus dreizehn Gedichten zusammengesetzten Teil der Weg der „Landnahme“ vom „Nebelland“ des Nordens in den Süden führt, stellen die zwölf sogenannten Italiengedichte des dritten Teils eine Südwelt mit dem Schlussgedicht „An die Sonne“ vor. Doch der Süden ist im Werk Bachmanns nicht eindeutig positiv konnotiert wie beispielsweise das Gedicht „Das erstgeborene Land“ aus der Gedichtsammlung „Anrufung des Großen Bären“ zeigt: „In mein erstgeborenes Land, in den Süden / zog ich und fand, / nackt und verarmt / und bis zum Gürtel im Meer, / Stadt und Kastell.“ (Vers 1). In dem Gedicht „Herbstmanöver“ aus der „Gestundeten Zeit“ ist der Süden ebenso ambivalent wie die Schönheit klassischer Kunstwerke: „und manchmal / trifft mich ein Splitter traumsatten Marmors, / wo ich verwundbar bin, durch Schönheit, im Aug./“ (1, 6-8). Schönheit – auch die Schönheit der Sprache („traumsatter Marmor“) – wird hier zur Gefahr für den Dichter, sie blendet ihn.
In der folgenden Interpretation soll gezeigt werden, dass Ingeborg Bachmanns Gedicht „An die Sonne“ weder als ein reines Lob- noch als ein Klagelied zu sehen ist, sondern dass in das Bachmann-Gedicht – betrachtet man es auch im Kontext anderer Publikationen der Autorin – sehr viele ambivalente Aussagen enthält.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitende Bemerkungen
- II. Hauptteil
- II.1. Formale Aspekte des Gedichts „An die Sonne“
- II.2. Inhaltliche Analyse des Gedichts „An die Sonne“
- II.2.1. 1. Strophe: Das Paradigma der Anbetung der Sonne
- II.2.2. 2. Strophe: Die Ambivalenz des Sonnenkreislaufes
- II.2.3. 3. Strophe: Ohne die Sonne
- II.2.4. 4. Strophe: Infragestellung des Lobpreises
- II.2.5. 5. Strophe: Höhepunkt des Gedichtes
- II.2.6. Strophen 6 und 7: Der Blick vom Nahen zum Fernen
- II.2.7. Strophe 8: Blaue Poetik
- II.2.8. Strophe 9: Die unersättlichen Augen
- III. Abschließende Betrachtungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht Ingeborg Bachmanns Gedicht „An die Sonne“ und hinterfragt die gängige Interpretation als reines Lob- oder Klagelied. Die Analyse konzentriert sich auf die formalen und inhaltlichen Aspekte des Gedichts, um seine Ambivalenz aufzuzeigen und den komplexen Umgang Bachmanns mit den Themen Licht und Schatten zu beleuchten. Der Kontext des Gedichts innerhalb ihrer Gedichtsammlung „Anrufung des Großen Bären“ wird ebenfalls berücksichtigt.
- Ambivalenz von Lob und Klage in Bachmanns Lyrik
- Formale Gestaltung und ihre Bedeutung für die Interpretation
- Symbole und Metaphern in „An die Sonne“
- Der Gegensatz von Licht und Dunkel als zentrales Thema
- Kontextualisierung des Gedichts innerhalb des Gesamtwerks
Zusammenfassung der Kapitel
I. Einleitende Bemerkungen: Die Einleitung stellt die gegensätzlichen Interpretationen des Gedichts „An die Sonne“ von Ingeborg Bachmann vor: als Loblied oder Klagelied. Sie argumentiert, dass eine genauere Lektüre die enge Verknüpfung von Licht- und Schattenseiten offenbart, ein Charakteristikum, das auch Bachmanns gesamtes Werk durchzieht. Die Einbettung des Gedichts in den Kontext des Lyrikbandes „Anrufung des Großen Bären“ und die Ambivalenz des Südens in Bachmanns Werk werden kurz angeschnitten, um den Rahmen der folgenden Analyse zu setzen.
II. Hauptteil: Dieser Abschnitt gliedert sich in eine formale und inhaltliche Analyse von „An die Sonne“. Die formale Analyse untersucht die symmetrische Struktur des Gedichts, die Spiegelung der Strophen um eine zentrale Achse und den Zusammenhang zwischen der Anzahl der Verse und der Silbenzahl. Sie deutet diese formalen Aspekte als Spiegelung der ambivalenten Grundaussage. Die inhaltliche Analyse untersucht die einzelnen Strophen, beleuchtet die Metaphorik und die Entwicklung der Thematik vom Lobpreis der Sonne hin zu einer komplexeren, ambivalenteren Betrachtungsweise.
Schlüsselwörter
Ingeborg Bachmann, An die Sonne, Loblied, Klagelied, Ambivalenz, Licht und Schatten, formale Analyse, inhaltliche Analyse, „Anrufung des Großen Bären“, Symbole, Metaphern, Poetologie.
Häufig gestellte Fragen zu Ingeborg Bachmanns "An die Sonne"
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert Ingeborg Bachmanns Gedicht "An die Sonne" und hinterfragt gängige Interpretationen als reines Lob- oder Klagelied. Sie untersucht die formalen und inhaltlichen Aspekte, um die Ambivalenz des Gedichts und Bachmanns Umgang mit Licht und Schatten aufzuzeigen. Der Kontext innerhalb der Gedichtsammlung "Anrufung des Großen Bären" wird ebenfalls berücksichtigt.
Welche Themen werden im Gedicht behandelt?
Zentrale Themen sind die Ambivalenz von Lob und Klage, die formale Gestaltung des Gedichts und deren Bedeutung für die Interpretation, Symbole und Metaphern, der Gegensatz von Licht und Dunkel, und die Einbettung des Gedichts in Bachmanns Gesamtwerk.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in Einleitung, Hauptteil und Schlussbetrachtung. Der Hauptteil umfasst eine formale und inhaltliche Analyse des Gedichts. Die formale Analyse konzentriert sich auf die Struktur, Symmetrie und den Zusammenhang zwischen Versen und Silbenzahl. Die inhaltliche Analyse untersucht die einzelnen Strophen und deren Bedeutung im Gesamtkontext.
Welche Aspekte werden in der formalen Analyse untersucht?
Die formale Analyse betrachtet die symmetrische Struktur des Gedichts, die Spiegelung der Strophen und den Zusammenhang zwischen Versanzahl und Silbenzahl. Diese formalen Aspekte werden als Spiegelung der ambivalenten Grundaussage interpretiert.
Wie wird die inhaltliche Analyse des Gedichts durchgeführt?
Die inhaltliche Analyse untersucht die einzelnen Strophen des Gedichts, beleuchtet die Metaphorik und die Entwicklung der Thematik vom anfänglichen Lobpreis der Sonne hin zu einer komplexeren, ambivalenten Betrachtungsweise. Die Analyse betrachtet die einzelnen Strophen detailliert (z.B. "Das Paradigma der Anbetung der Sonne", "Die Ambivalenz des Sonnenkreislaufes", etc.).
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit am besten?
Ingeborg Bachmann, An die Sonne, Loblied, Klagelied, Ambivalenz, Licht und Schatten, formale Analyse, inhaltliche Analyse, „Anrufung des Großen Bären“, Symbole, Metaphern, Poetologie.
Was ist das Fazit der Einleitung?
Die Einleitung stellt die gegensätzlichen Interpretationen des Gedichts vor (Loblied vs. Klagelied) und argumentiert für eine genauere Lektüre, die die Verknüpfung von Licht- und Schattenseiten offenbart – ein Charakteristikum, das auch Bachmanns Gesamtwerk durchzieht. Der Kontext des Gedichts innerhalb "Anrufung des Großen Bären" und die Ambivalenz des Südens in Bachmanns Werk werden kurz angeschnitten.
Was ist der Inhalt des Hauptteils?
Der Hauptteil beinhaltet eine formale und inhaltliche Analyse von "An die Sonne". Die formale Analyse untersucht die Struktur des Gedichts, während die inhaltliche Analyse die einzelnen Strophen detailliert untersucht und die Metaphorik und die Entwicklung der Thematik beleuchtet.
- Quote paper
- Daniela Becker (Author), 2004, Ingeborg Bachmanns 'An die Sonne': Lob- oder Klagelied?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43078