Zu den Grundsätzen einer zivilisierten Rechtsordnung gehört, dass dem Willen eines Menschen auch dann bestmöglich entsprochen wird, wenn er selbst nicht (mehr) die Fähigkeit besitzt, seine Einwilligung zu Eingriffen in seine Rechtsgüter zu erteilen. Dahinter steht in erster Linie das Konzept der Privatautonomie als Ausfluss der in Art 2 I GG verankerten allgemeinen Handlungsfreiheit, die auch dann Beachtung finden soll, wenn sie nicht ausgeübt werden kann.
Man denke an die dringend notwendige Operation eines Bewusstlosen am Unfallort, ohne die dieser verstirbt oder bleibende gesundheitliche Schäden erleidet. In Fällen wie diesen liegt regelmäßig keine im Voraus erteilte rechtfertigende (oder tatbestandsausschließende) Einwilligung vor. Nichtsdestotrotz würde in der absoluten Mehrheit der Fälle das Unfallopfer der Behandlung zustimmen, wäre es dazu in der Lage. Dieses Szenario verdeutlicht, dass es einer Regelung zur Erreichung der höchstmöglichen Übereinstimmung des hypothetischen Willens des Nichteinwilligungsfähigen mit Eingriffen in seine Rechtsgüter bedarf. Aus diesem Grund entwickelte die Rechtsprechung das nun gewohnheitsrechtlich anerkannte Institut der mutmaßlichen Einwilligung, erstmals als solches benannt von Mezger.
Danach bleibt straflos, wer unter bestimmten Voraussetzungen in Übereinstimmung mit dem gemutmaßten Willen in ein Rechtsgut des Einwilligungsunfähigen eingreift. Einigkeit herrscht hier insbesondere darüber, dass der im Interesse des Betroffenen Handelnde auch dann straflos bleibt, wenn sich die von ihm korrekt angestellten Überlegungen zum mutmaßlichen Willen und der darauf bauende Rechtsgutseingriff im Nachhinein als nicht deckungsgleich mit dem tatsächlichen Willen des Betroffenen herausstellen. Der mutmaßliche Wille wird immer ex ante festgestellt. Das Verzichten auf eine rechtfertigend wirkende Genehmigung ähnlich § 184 BGB lässt sich damit begründen, dass es unbillig ist, jemandem der zum Wohl des Betroffenen handelt, das Risiko aufzuerlegen, aus einem unvorhersehbaren, in der Person des nicht Ansprechbaren liegenden Grund, strafrechtlich verfolgt zu werden. Gäbe es eine solche Regelung, würden regelmäßig sinnvolle (und erwünschte) Hilfeleistungen unterlassen aus der Sorge, zufällig nicht den Willen des Betroffenen zu treffen.
Inhaltsverzeichnis
- Die mutmaßliche Einwilligung im Gesundheitswesen
- Einleitung
- Die rechtliche Problematik
- Der Begriff der mutmaßlichen Einwilligung
- Rechtliche Grundlagen
- Die Abgrenzung zur Einwilligung
- Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung
- Der mutmaßliche Wille des Patienten
- Die Interessenabwägung
- Die Rolle des Arztes
- Die rechtliche Folgen der mutmaßlichen Einwilligung
- Die Beweislast
- Die Rechtsprechung
- Die mutmaßliche Einwilligung im Kontext der Patientenverfügung
- Zusammenfassung und Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der mutmaßlichen Einwilligung im Gesundheitswesen, einem komplexen Rechtsinstitut, das sowohl im Strafrecht als auch im Zivilrecht relevant ist. Im Fokus stehen die rechtlichen Grundlagen, Voraussetzungen und Folgen der mutmaßlichen Einwilligung. Dabei werden insbesondere die Abgrenzung zur Einwilligung, die Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Patienten und die Interessenabwägung zwischen den Rechten des Patienten und den Pflichten des Arztes behandelt.
- Rechtliche Grundlagen der mutmaßlichen Einwilligung
- Abgrenzung zur Einwilligung
- Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung
- Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Patienten
- Interessenabwägung zwischen Patientenrechten und ärztlichen Pflichten
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: In diesem Kapitel wird die Thematik der mutmaßlichen Einwilligung im Gesundheitswesen eingeführt und die Relevanz des Themas aufgezeigt.
- Die rechtliche Problematik: Hier werden die rechtlichen Herausforderungen im Zusammenhang mit der mutmaßlichen Einwilligung im Gesundheitswesen dargestellt.
- Der Begriff der mutmaßlichen Einwilligung: Dieses Kapitel definiert den Begriff der mutmaßlichen Einwilligung und grenzt ihn von anderen Rechtsinstituten ab.
- Rechtliche Grundlagen: In diesem Kapitel werden die relevanten Rechtsgrundlagen für die mutmaßliche Einwilligung im Gesundheitswesen dargelegt.
- Die Abgrenzung zur Einwilligung: Hier wird die Unterscheidung zwischen der mutmaßlichen Einwilligung und der tatsächlichen Einwilligung erläutert.
- Voraussetzungen der mutmaßlichen Einwilligung: In diesem Kapitel werden die Voraussetzungen für das Vorliegen einer mutmaßlichen Einwilligung erläutert.
- Der mutmaßliche Wille des Patienten: Hier wird die Frage behandelt, wie der mutmaßliche Wille des Patienten im Rahmen der mutmaßlichen Einwilligung ermittelt werden kann.
- Die Interessenabwägung: Dieses Kapitel befasst sich mit der Interessenabwägung zwischen den Rechten des Patienten und den Pflichten des Arztes im Kontext der mutmaßlichen Einwilligung.
- Die Rolle des Arztes: Hier wird die Rolle des Arztes im Zusammenhang mit der mutmaßlichen Einwilligung beleuchtet.
- Die rechtlichen Folgen der mutmaßlichen Einwilligung: Dieses Kapitel behandelt die rechtlichen Folgen, die sich aus einer mutmaßlichen Einwilligung ergeben.
- Die Beweislast: Hier wird die Frage nach der Beweislast im Zusammenhang mit der mutmaßlichen Einwilligung behandelt.
- Die Rechtsprechung: Dieses Kapitel analysiert relevante Rechtsprechung zur mutmaßlichen Einwilligung im Gesundheitswesen.
- Die mutmaßliche Einwilligung im Kontext der Patientenverfügung: Hier wird die mutmaßliche Einwilligung im Zusammenhang mit Patientenverfügungen erläutert.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den zentralen Begriffen und Themen der mutmaßlichen Einwilligung im Gesundheitswesen. Im Fokus stehen dabei die rechtlichen Grundlagen, die Abgrenzung zur Einwilligung, die Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Patienten und die Interessenabwägung zwischen den Rechten des Patienten und den Pflichten des Arztes. Die Arbeit behandelt darüber hinaus die Rolle des Arztes im Zusammenhang mit der mutmaßlichen Einwilligung und die rechtlichen Folgen, die sich aus einer mutmaßlichen Einwilligung ergeben.
- Quote paper
- Constantin Tiedge (Author), 2017, Die mutmaßliche Einwilligung im Gesundheitswesen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/430238