Wenn die Rede von verschiedenen Weltanschauungen ist, wird häufig der „Nationalismus“ semantisch vermengt mit anderen Begriffen, wie zum Beispiel dem „Faschismus“. Diese Arbeit setzt sich deshalb mit der Frage auseinander, inwieweit sich das analytische Konzept des „Nationalismus“ mit der Forschung vergleichen lässt, die sich mit dem Propagandabegriff der „Volksgemeinschaft“ im Nationalsozialismus befasst.
Um die These zu untermauern, dass beide Forschungskonzepte ähnliche Ansätze zeigen, wird eine historisch-semantische Perspektive eingenommen. Hierzu werden mögliche Ähnlichkeiten im Forschungsvokabular betrachtet, um dann anschließend die Vieldeutigkeit der Terminologien zum Anlass zu nehmen, diese auch vor dem Hintergrund des Aspekts ihrer inhaltlichen Unschärfe hin zu untersuchen. Nach der Analyse weiterer Gemeinsamkeiten und Unterschiede liegt besonderes Augenmerk auf der Ergründung und den Erklärungsversuchen der Wirkungsmacht beider Modelle.
Inhalt
1.Einleitung
2.Hauptteil
2.1. Ähnlichkeiten im Forschungsduktus
2.2. Gemeinsamkeit der inhaltlichen Unschärfe
2.3. Gleiche Prämisse: die Erklärung der Wirkungsmacht der Konzepte
3. Schlussbetrachtung
4. Literatur
1.Einleitung
Wenn die Rede von verschiedenen Weltanschauungen ist, wird häufig der „Nationalismus“ „semantisch vermengt“ mit anderen Begriffen, wie zum Beispiel dem „Faschismus“.[1] Diese Arbeit setzt sich deshalb mit der Frage auseinander, inwieweit sich das analytische Konzept des „Nationalismus“ mit der Forschung vergleichen lässt, die sich mit dem Propagandabegriff der „Volksgemeinschaft“ im Nationalsozialismus befasst. Um die These zu untermauern, dass beide Forschungskonzepte ähnliche Ansätze zeigen, werde ich im Folgenden eine historisch-semantische Perspektive auf diese einnehmen. Hierzu betrachte ich mögliche Ähnlichkeiten im Forschungsvokabular, um dann anschließend die Vieldeutigkeit der Terminologien zum Anlass zu nehmen diese auch vor dem Hintergrund des Aspekts ihrer inhaltlichen Unschärfe hin zu untersuchen. Nach der Analyse weiterer Gemeinsamkeiten und Unterschiede versuche ich besonderes Augenmerk auf die Ergründung und Erklärungsversuche der Wirkungsmacht beider Modelle zu legen.
2.Hauptteil
2.1. Ähnlichkeiten im Forschungsduktus
Die erste Gemeinsamkeit, die bei dem Vergleich der beiden Forschungskonzepte auffällt, ist eine ähnliche Semantik. „Vergemeinschaftung“ im Nationalsozialismus „basierte auf Gewaltpolitik, auf Exklusion und Exklusivität“, mitunter fußte sie „aber auch auf Integration, Inklusion und Homogenisierung.“[2] Michael Stolleis bezeichnet die „Volksgemeinschaft“ als „selbstreferenzielle Phrase“, da es sich dabei seiner Meinung nach vorwiegend um „Prozesse der Inklusion und Homogenisierung“[3] handele. Auch laut Dietmar Süß blieb die „Volksgemeinschaft“ immer wieder ein Orientierungspunkt für soziale Ordnungen im Alltag des Nationalsozialismus.[4] In den letzten Kriegsjahren, mit zunehmender Bombardierung der Städte, diagnostiziert er Praktiken der Inklusion und Exklusion unter den „Volksgenossen“, als es um die nicht ausreichenden Plätze in den Bunkern ging.[5]
Ähnliches Vokabular verwendet die Forschung zur Beschreibung des „Nationalismus“. Grundsätzlich sei dieser ambivalent, da seine integrierenden Elemente untrennbar mit destruktiven verbunden seien.[6] Als „spezifische Integrationsideologie“ sei der Nationalismus stets auf die Inklusion aller Nationsangehörigen ausgerichtet.[7] Auf keinen Fall handele es sich aber dabei um eine „natürliche und notwendige Form menschlicher Vergemeinschaftung.“[8] Vielmehr könne man angesichts der Binarität von Nationsangehörigen und Nichtangehörigen von einer „Xenophobie als nationale[m] Imperativ“ sprechen.[9]
2.2. Gemeinsamkeit der inhaltlichen Unschärfe
Die Exklusion derer, die der jeweiligen Nation fremd sind, ist also ebenfalls Kernbestandteil nationalistischen Gedankengutes.[10] Eugen Lemberg definiert „Nationalismus“ als ein „System von Vorstellungen, Wertungen und Normen“, das eine „Großgruppe integriert und gegen ihre Umwelt abgrenzt“[11] Gleichzeitig erhebt der „Nationalismus“ einen Anspruch auf grundsätzliche Egalität.[12] Dieser Verheißungsmodus macht einen Großteil der Wirkungsmacht des „Nationalismus“ aus[13], er ist aber auch Kernthema des Forschungsfeldes der „Praxeologie der Volksgemeinschaft“ wie ich im Folgenden ausführen werde. Benedict Anderson, der die Nationsvorstellung einer „Imagined community“ vertritt, begründete diese Ansicht darin, dass „die Mitglieder selbst der kleinsten Nation die meisten anderen niemals kennen, ihnen begegnen, oder auch nur von ihnen hören werden, aber im Kopf eines jeden die Vorstellung ihrer Gemeinschaft existiert.“[14] Wenn also die Nationen aus dem Nationalismus heraus entstehen[15], so leuchtet auch dessen Einfügung in schon zuvor bestehende gemeineigene Bezugsrahmen ein. Bilder von der eigenen Nation als das „gelobte Land“ oder die Vorstellung von dem „auserwählte Volk“, das einen „privilegierten Status innerhalb der Völkergemeinschaft genießt und allen übrigen Nationen überlegen“[16] sei, speisen gleichermaßen die Weltanschauung des „Nationalismus“, wie das philosophische Motiv des Naturrechts, die „Idealisierung des Ursprünglichen, Natürlichen und Individuellen“.[17] Neben dem Einwirkung der Romantik auf den Nationalismus spielt auch ein Identitätsverlust oder Orientierungslosigkeit der Menschen als Resultat von Krisen in frühmodernen Gesellschaften eine Rolle. Eben diese sozioökonomische Umwälzungen, die mit dem ausgehenden Mittelalter einhergehen und zur Moderne überleiten, bilden das Fundament für die Entstehung des Nationalismus.[18] Dazu zählt das Verschwinden der ständischen Gesellschaftsordnung genauso wie das Aufkommen einer politischen Öffentlichkeit.[19] In der sogenannten „nationalen Sattelzeit“[20] im 18. Jahrhundert entstand dann der deutsche Nationalismus, bei dessen Etablierung auch Prozesse der Staatenbildung entscheidend waren.[21] Die Nation bot den Menschen das an, sie einzubinden, versprach ihnen einen Platz in einem neuartigen Netz, das über intrapersonale Beziehungen hinausreichte.[22] Dadurch konnte sie erst zur obersten „Rechtfertigungs-und Sinngebungsinstanz“ werden.[23]
Auch im Nationalsozialismus war der Bedarf an Sinngebungsressourcen groß. Neue soziale Beziehungen und Hierarchien mussten sich in bereits existierende regionale Strukturen und das Alltagsleben einfügen.[24] Michael Ruck bezeichnet vor dem Hintergrund des Konzepts der Regionalität im Nationalsozialismus das „Dritte Reich“ als ein „zerklüftetes Staatengefüge“, in dem sich „regionales Sonderbewusstsein“ vertieft habe.[25] Die regionale Unterschiedlichkeit in den Deutungen des „Volksgemeinschaftskonzepts“ war eine Chance für seine Anknüpfungsfähigkeit. Die Auslegungen konnten vom jeweiligen beruflichen Kontext abhängen, aber auch von gewissen regionalen Anforderungen.[26] Nicht selten knüpfte das Konzept der „Volksgemeinschaft“ an Traditionsmuster städtischer Repräsentationen oder an die alltäglichen Praktiken konfessioneller Milieus, aus denen sich wiederum unterschiedliche individuelle Handlungsoptionen ergaben.[27] Im Begriff „Volksgemeinschaft“ laufen unterschiedliche Fäden der NS-Ideologie zusammen. „Je nach Interesse oder Situation ließ sich der Begriff nationalistisch, antisemitisch oder militaristisch auslegen. Er entsprach Blut-und Boden-oder Gleichheitsvorstellungen ebenso wie dem Leistungsgedanken, er stand für Kameradschaft und Gemeinschaft“.[28] In seiner „gewollten Diffusität“[29] bedurfte die Terminologie permanenter Konkretion. Die „Volksgemeinschaft“ wurde somit zu einem „Suggestionskörper“[30], der individuelle Umsetzung und Aneignung ermöglichte. Hinter den propagierten Bildern einer kollektiven Eintracht existierten weiterhin verschiedene Einstellungen zu diversen Aspekten der nationalsozialistischen Herrschaft und genau darin vermutet die Forschung einen Beitrag zur Wirkungsmacht der „Volksgemeinschaft“.[31] Je mehr sie sich in unterschiedlichen Kontexten als kompatibel erwies, desto mehr entfaltete sie ihre Integrationskraft.[32] Die Unschärfe der Begrifflichkeit eröffnete also vor allem lokalen Regionalgewalten ein „semantisches Feld“[33] und begünstigte die soziale Wirksamkeit der Utopie der „Volksgemeinschaft“.[34] Die Vagheit der Bedeutung des Propagandawortes „Volksgemeinschaft“ bildet also die Basis für seinen Verheißungscharakter. Es bedurfte keiner Notwendigkeit den Begriff mit einem spezifischen Inhalt zu füllen.[35]
[...]
[1] Lenhard-Schramm, Konstrukteure der Nation, S. 19.
[2] Von Reeken / Thiessen, „Volksgemeinschaft“ als soziale Praxis?, S. 26.
[3] Stolleis, Gemeinschaft und Volksgemeinschaft, S. 38.
[4] Vgl. Süß, Der Kampf um die „Moral“ im Bunker, S. 13.
[5] Vgl. Ebenda.
[6] Lenhard-Schramm, Konstrukteure der Nation, S. 23.
[7] Lenhard-Schramm, Konstrukteure der Nation, S. 19.
[8] Ebenda.
[9] Langewiesche, Nationalismus im 19. Und 20. Jahrhundert, S. 13.
[10] Vgl. Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik, S. 20.
[11] Lemberg, Nationalismus, Bd. 2, S. 52.
[12] Lenhard-Schramm, Konstrukteure der Nation, S. 24.
[13] Weisbrod, Die Politik der Repräsentation, S. 31.
[14] Anderson, Die Erfindung der Nation, S. 15.
[15] Vgl. Gellner, Nationalismus, S. 87.
[16] Lenhard-Schramm, Konstrukteure der Nation, S. 23.
[17] Lenhard-Schramm, Konstrukteure der Nation, S. 24.
[18] Vgl. Lenhard-Schramm, Konstrukteure der Nation, S. 21.
[19] Vgl. Lenhard-Schramm, Konstrukteure der Nation, S. 22.
[20] Planert, Wann beginnt der „moderne“ deutsche Nationalismus?, S. 51.
[21] Vgl. Lenhard-Schramm, Konstrukteure der Nation, S. 22.
[22] Vgl. Ebenda.
[23] Wehler, Nationalismus, S. 32.
[24] Von Reeken / Thiessen, „ Volksgemeinschaft“ als soziale Praxis?, S. 24.
[25] Ruck, Partikularismus und Mobilisierung, S. 77.
[26] Vgl. Von Reeken / Thiessen, „Volksgemeinschaft“ als soziale Praxis?, S. 22.
[27] Vgl. Gailus/ Nolzen, Viele konkurierende Gläubigkeiten – aber eine „Volksgemeinschaft“, S. 20.
[28] Von Reeken / Thiessen, „ Volksgemeinschaft“ als soziale Praxis, S. 21.
[29] Ebenda.
[30] Mergel, Führer, Volksgemeinschaft und Maschine, S. 127.
[31] Von Reeken / Thiessen, „Volksgemeinschaft“ als soziale Praxis ?, S. 21.
[32] Ebenda.
[33] Von Reeken / Thiessen, „Volksgemeinschaft“ als soziale Praxis?, S. 24.
[34] Von Reeken / Thiessen, „Volksgemeinschaft“ als soziale Praxis ?, S. 21.
[35] Vgl. Ebenda.
- Quote paper
- Anonymous,, 2016, Gemeinsamkeiten des "Nationalismus"-Forschungsvokabulars mit dem der "NS-Volksgemeinschaft", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/430032
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