„Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst.“ (Ernst Bloch)
Der Andere war uns –philosophiegeschichtlich besehen – lange kein Problem. In der Antike fand sich der Mensch in einem geordneten Kosmos immer schon vergemeinschaftet vor. Das Sein wurde vom Kosmos her gedacht, unter dessen Dach sich alle Menschen zunächst als "Wir" und erst dann als "Ich" fanden. Der Mensch war in der Antike zwar sozialethisch, nicht jedoch sozialontologisch problematisch. Auch wenn das Christentum den Kosmos als Schöpfer in seiner Anschauung durch den personalen transzendenten Dritten, d.i. Gott, ersetzt, bleibt der Andere den Menschen vertraut. Schließlich sind alle Menschen Mitgeschöpfe in Gottes Schöpfung und somit eo ipso in ihrem Verhältnis zur Welt und den Anderen unerschüttert.
Auch der strenge Rationalismus Descartes’ mit seinem Cogito kann das „Problem des Anderen“ nicht in vollem Umfang lösen. Die Stützen seines Denkens verschärfen es vielmehr. Denn durch Descartes Trennung des Seins in zwei heterogene Wirklichkeitsbereiche, der „res extensa“ und „res cogitans“, kam nicht nur die Frage auf, wie die Verknüpfung beider heterogenen Wirklichkeitsbereiche –also der Bezug des Menschen zu den Dingen- möglich sei. Vielmehr war mit dieser cartesianischen Unterscheidung auch schon eine Spaltung innerhalb des Subjektes vorweggenommen. Eben weil der Mensch zugleich fühlend, wahrnehmend, handelnd, also seelisch und gefühlt, wahrgenomme ist. Hegel hat diese Ambiguität des Subjekts explizit thematisiert: „Das Selbstbewusstsein ist an und für-sich, indem und dadurch, dass es für ein anderes (Selbstbewusstsein) an und für sich ist; d.h. es ist nur als ein Anerkanntes“.
Die Aussage Hegels könnte man als den Beginn intersubjektivistischen Denkens bezeichnen, denn es ist eben dieses Paradox innerhalb des Subjektes, das zugleich für-sich und an-sich ist, das maßgeblich dafür ist, dass uns der Andere sozio-ontologisch zum Problem und dadurch zugleich zu einem der Hauptthemen der Philosophie des 20. Jahrhunderts wird.
Dabei ist die Grundfrage jeder Intersubjektivitätstheorie im Grunde ethisch bestimmt. Es geht darum, den Solipsismus zu überwinden, jene Theorie, die das ganze Sein mit dem eigenen Bewusstsein gleichsetzt und damit neben diesem kein anderes zulässt. Denn nur, wenn man zu erklären in der Lage ist, wie andere Bewusstseine uns erscheinen können, entgeht man dieser Theorie, und ermöglicht erst eine anschließende Ethik.
Inhaltsverzeichnis
- I) Einleitung
- II) Jean Paul Sartres und Merleau-Pontys Begegnungen mit dem Anderen
- 1. Jean Paul Sartres phänomenologische Psychologie mit ontologischer Absicht
- a) Einleitung- die Abgrenzung gegenüber Husserl und Heidegger
- b) Die Binnenstruktur des Subjekts / Für-sich, An-sich An-und-für-sich
- c) Der ontologische Nachweis der Existenz Anderer
- d) Der Blick des Anderen
- e) Der Konflikt zweier Zentren
- f) Die Dreierbeziehung
- 2. Die Neudefinition des Leibbegriffes bei Merleau-Ponty als Wendepunkt
- a) Einleitung
- b) Philosophieren aus dem Leib heraus
- c) Die verschiedenen Arten des Leibes, Leib zu sein
- d) Der phänomenale Leib
- 3. Maurice Merleau-Pontys Phänomenologie der Praxis
- a) Überleitung
- b) Die Ambiguität der Zeit als Schlüssel
- c) Das Problem der Möglichkeit des Anderen
- d) Das Zur-Welt-Sein des Leibes als dritte Seinsart
- e) Wahrnehmungsleib und Wahrnehmungsbewusstsein
- f) Die zentrale Rolle der Kommunikation
- g) Einsamkeit und Kommunikation-zwei Seiten desselben Phänomens
- h) Ich habe soziale Atmosphäre wie den Todesgeschmack
- Die Differenzen beider Philosophen
- Versuch einer Integration beider Intersubjektivitätstheorien
- Schlusswort
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit untersucht die Frage, inwieweit die Philosophien der Intersubjektivitätstheorien von Jean Paul Sartre und Maurice Merleau-Ponty miteinander integrierbar sind. Sie analysiert die Ansätze beider Denker und befasst sich mit der Frage, wie sie die Wahrnehmung des Anderen und die Beziehung zwischen Subjekt und Welt verstehen.
- Phänomenologie und Ontologie in der Intersubjektivitätstheorie
- Die Rolle des Leibes in der Wahrnehmung und Interaktion
- Die Bedeutung des Blicks des Anderen für die Konstitution des Selbst
- Die Frage nach der Möglichkeit der Kommunikation und des Mit-Seins
- Die Bedeutung von Zeit und Erfahrung für die Intersubjektivität
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einleitung, die den historischen Kontext der Problematik der Trennung von Seele und Leib beleuchtet. Anschließend werden die Ansätze von Jean Paul Sartre und Maurice Merleau-Ponty in zwei separaten Kapiteln dargestellt. Das Kapitel zu Sartre fokussiert auf seine phänomenologische Psychologie und seine Analyse der Binnenstruktur des Subjekts. Es behandelt die Frage, wie Sartre die Existenz des Anderen ontologisch nachweist und die Rolle des Blicks des Anderen für die Selbstkonstitution des Subjekts analysiert. Das Kapitel zu Merleau-Ponty befasst sich mit seiner Neudefinition des Leibbegriffes und der Phänomenologie der Praxis. Hier wird untersucht, wie Merleau-Ponty das Leib-Sein als Grundlage für die Wahrnehmung und Interaktion versteht und wie er die Bedeutung der Zeit und des Mit-Seins für die Intersubjektivität betont. Die Arbeit schließt mit einer Analyse der Differenzen zwischen den beiden Theorien und einem Versuch, sie unter bestimmten Voraussetzungen miteinander zu integrieren.
Schlüsselwörter
Intersubjektivität, Phänomenologie, Ontologie, Jean Paul Sartre, Maurice Merleau-Ponty, Leib, Wahrnehmung, Anderer, Blick, Kommunikation, Mit-Sein, Zeit, Erfahrung, Selbstkonstitution.
- Quote paper
- Soeren Neuperti (Author), 2002, Die Intersubjektivitätstheorien von Jean Paul Sartre und Maurice Merleau-Ponty und ihre gegenseitige Integration, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/4296