Die Schrift „Das Unbehagen in der Kultur“, die 1930 von Freud verfasst wurde, stellt eine der einflussreichsten kulturtheoretischen Abhandlungen des frühen 20. Jahrhunderts dar. In dieser Schrift stellt Freud die zunächst ungeheuerlich anmutende These auf, dass die Kultur für den Menschen eine Quelle des Leidens ist, die ihn neurotisch werden lässt, "weil er das Maß an Versagung nicht ertragen kann, das ihm die Gesellschaft im Dienste ihrer kulturellen Ideale auferlegt." (Freud, 1997)
Nicht nur für die weniger versierten Leser, als auch jene, die sich seine Anhänger nennen und nannten, brachte laut Theodor Reik die Veröffentlichung dieses Werkes zumindest Verlegenheit mit sich. Nicht nur entfernte sich Freud von der Neurosenlehre, sondern steckte ein deutlich größeres, unübersichtlicheres und schwer zu durchdringendes Forschungsfeld ab, er legt auch eine – im Vergleich zu seinen früheren Schriften – größere Subjektivität an den Tag und lässt seine Einstellung in Bezug auf die großen Umwälzungen dieser Zeit erahnen.
Wie also ist Freuds Versuch der Betrachtung der abendländischen Kultur mit seiner Psychoanalyse in Einklang zu bringen? Nach Freuds Ansicht ist das Problem der Kultur unwiderruflich und von Anfang an mit dem Thema und der Aufgabenstellung seiner Psychoanalyse, dem hysterischen Unglück, verbunden. Freud arbeitet also den Kultur-Konflikt heraus, der auf dem Leidzusammenhang zwischen subjektiven Bedürfnissen und Wünschen, sowie den herrschenden kollektiven Normen und Geboten fußt.
Es scheint so, als ob diese Schrift Freuds doch in erstaunlicher Weise die logische Konsequenz vorangegangener Arbeiten ist. Schließlich wird der Patient in der Analyse nie isoliert gesehen. Der Psychoanalytiker wird erkennen, dass das durch die offene Assoziation gewonnene Wissen stets einen Leidzusammenhang darstellt, der auf dem Konflikt zwischen Bedürfnissen und Wünschen des Subjekts, sowie Geboten, Normen und Verboten des Kollektivs basiert. Die soziokulturelle Dimension ist der Psychoanalyse damit praktisch inhärent und so verwundert es, dass dieses Werk wegen seines subjektiven Zugangs und der Beschäftigung mit der abendländischen Kultur unter Freudianern eine weniger geachtete Stellung besitzt, obwohl es uns doch verrät, was der eigentliche Gegenstand der Psychoanalyse ist: die kulturelle Lebenspraxis.
Die Schrift „Das Unbehagen in der Kultur“, die 1930 von Freud verfasst wurde, stellt eine der einflussreichsten kulturtheoretischen Abhandlungen des frühen 20. Jahrhunderts dar. In dieser Schrift stellt Freud die zunächst ungeheuerlich anmutende These auf, dass die Kultur für den Menschen eine Quelle des Leidens ist, die ihn neurotisch werden lässt, „[…) weil er das Maß an Versagung nicht ertragen kann, das ihm die Gesellschaft im Dienste ihrer kulturellen Ideale auferlegt.“ (Freud, 1997, S.53) Nicht nur für die weniger versierten Leser, als auch jene, die sich seine Anhänger nennen und nannten, brachte laut Theodor Reik die Veröffentlichung dieses Werkes zumindest Verlegenheit mit sich. Nicht nur entfernte sich Freud von der Neurosenlehre, sondern steckte ein deutlich größeres, unübersichtlicheres und schwer zu durchdringendes Forschungsfeld ab, er legt auch eine – im Vergleich zu seinen früheren Schriften – größere Subjektivität an den Tag und lässt seine Einstellung in Bezug auf die großen Umwälzungen dieser Zeit erahnen. (vgl. Freud, 1997, S.17) Wie also ist Freuds Versuch der Betrachtung der abendländischen Kultur mit seiner Psychoanalyse in Einklang zu bringen? Nach Freuds Ansicht ist das Problem der Kultur unwiderruflich und von Anfang an mit dem Thema und der Aufgabenstellung seiner Psychoanalyse, dem hysterischen Unglück, verbunden. Freud arbeitet also den Kultur-Konflikt heraus, der auf dem Leidzusammenhang zwischen subjektiven Bedürfnissen und Wünschen, sowie den herrschenden kollektiven Normen und Geboten fußt. (Lorenzer/Görlich in Freud, 1997, S.8) Es scheint so, als ob diese Schrift Freuds doch in erstaunlicher Weise die logische Konsequenz vorangegangener Arbeiten ist. Schließlich wird der Patient in der Analyse nie isoliert gesehen. Der Psychoanalytiker wird erkennen, dass das durch die offene Assoziation gewonnene Wissen stets einen Leidzusammenhang darstellt, der auf dem Konflikt zwischen Bedürfnissen und Wünschen des Subjekts, sowie Geboten, Normen und Verboten des Kollektivs basiert. Die soziokulturelle Dimension ist der Psychoanalyse damit praktisch inhärent (vgl. ebd. S.9) und so verwundert es, dass dieses Werk wegen seines subjektiven Zugangs und der Beschäftigung mit der abendländischen Kultur unter Freudianern eine weniger geachtete Stellung besitzt, obwohl es uns doch verrät, was der eigentliche Gegenstand der Psychoanalyse ist: die kulturelle Lebenspraxis. (vgl. ebd. S.27)
Zunächst setzt sich Freud in einer detailreichen Erörterung mit dem „ozeanischen Gefühl“ auseinander, welches sein Freund, der Dichter und Schriftsteller Romain Rolland, in einem Briefwechsel als „den eigentlichen Quell der Religiosität“ bezeichnet hat. (ebd. S.31) Nach einer längeren Passage, in dem er das „ozeanische Gefühl“ – das er selbst bei sich so nicht erkennen kann – als einen urzuständigen verbindenden Zustand zwischen Ich und Es ansieht (vgl. ebd. 31ff.), stelzfüßig und mit doch recht untauglich erscheinenden Analogien erörtert, kommt er erneut zu der in „Die Zukunft einer Illusion (1927)“ aufgestellten These: Das religiöse Bedürfnis speist sich aus dem Bedürfnis nach einem großartig, überhöhten Vater. (Freud,2005, S.40) Dieses verzweifelte „Hilfegesuch“, das der Mensch in sich trägt, zeigt auf, in was für einer Welt wir leben. Für uns Menschen ist sie geprägt von Schmerz, Enttäuschungen und Verdruss, weshalb es drei Möglichkeiten gibt, um dieser pessimistischen Analyse der Beschaffenheit unserer Welt entgegen zu wirken. Ein mögliches Linderungsmittel gegen das Leid kann eine mächtige Ablenkung sein, die „[…] unser Elend geringschätzen lässt.“ Eine solche Ablenkung finden jene, die die entsprechenden äußeren und inneren Bedingungen mit sich bringen, beispielsweise in der Wissenschaft. Die Kunst kann eine wirksame Ersatzbefriedigung darstellen, da sie Illusionen gegen die Realität bietet, die wegen der besonderen Rolle, die die Phantasie in unserem Seelenleben einnimmt, eine große Wirkmacht entfalten kann. Die Aufgabe des dritten möglichen Linderungsmittels, der Rauschmittel, versteht sich von selbst. Die Frage nach der Religion innerhalb dieser Möglichkeiten lasse sich erst nach weiteren Erörterungen festlegen. (vgl. Freud, 1997, S.41)
Freud selbst erkannte, dass die Tätigkeitsfelder Kunst und Wissenschaft nicht jedermann offenstehen. Sei es durch einen Mangel an den benötigten kognitiven Fähigkeiten oder schlichtweg wegen der Umweltbedingungen, dem Kampf ums Überleben, der solch tollkühnen Menschheitsbestrebungen keinen Platz einräumt. Doch ist an dieser Stelle zu fragen, für welches Linderungsmittel gegen das Leid die „Ersatzbefriedigung“, einen Ersatz darstellen soll. Die Religion kann nicht gemeint sein, da Freud diese innerhalb dieses Dreiklangs noch zuordnen will. Ist hier das religiöse Bedürfnis und Gefühl gemeint, welches Romain als „ozeanisches Gefühl“ beschreibt, Freud als die „innige Verbundenheit zwischen Ich und Umwelt“ interpretiert und letztlich in seiner These über das Bedürfnis eines jeden Menschenkindes nach einer überhöhen, großartigen Vaterfigur bereits in seine Psychoanalyse eingefügt hat? Freud bleibt uns an dieser Stelle eine Antwort schuldig.
Freud führt aus, dass zwar die Frage nach dem Sinn des Lebens nicht zu beantworten sei, man aber durch die Empirie erkennen kann, was die „[…] Menschen selbst durch ihr Verhalten als Zweck und Absicht ihres Lebens erkennen lassen […]“: Das Streben nach Glück. Diese menschliche Lebensabsicht lässt sich weitergehend in ein positives und ein negatives Ziel klassifizieren. Das Erleben starker Lustgefühle und die Abwesenheit von Schmerz. Der Lebenszweck des Menschen wird also durch das „Lustprinzip ersetzt. (ebd. S. 42)
„Dieses Prinzip beherrscht die Leistung des seelischen Apparates vom Anfang an; an seiner Zweckdienlichkeit kann kein Zweifel sein, und doch ist sein Programm im Hader mit der ganzen Welt, mit dem Makrokosmos ebenso wie mit dem Mikrokosmos. Es ist überhaupt nicht durchführbar, alle Einrichtungen des Alls widerstreben ihm; man möchte sagen, dass die Absicht, dass der Mensch „glücklich“ sei, ist im Plan der „Schöpfung“ nicht enthalten.“ (Freud, 1997, S.54)
Doch bevor wir uns weiter mit dem, in diesem Zitat zu Tage tretenden, episch anmutenden Widerstreit über die Unerfüllbarkeit des Lustprinzips beschäftigen, ist es vorher unabdinglich wesentliche Begriffe zu klären. So ist für Freud im Sinne seiner Denkweise der Triebregungen Glück im strengsten Sinne nicht mehr, als die plötzliche Befriedigung von hoch aufgestauten Bedürfnissen. Die Erfüllung von Triebregungen, die dem Lustprinzip entsprechen, ist nur dann erfüllend, wenn die Bedürfnisse vorher „aufgestaut“ worden sind. Damit ist das menschliche Glücksempfinden laut Freud bereits in seiner Konstitution sehr beschränkt und episodischer Natur. (vgl. ebd. S. 43) Weniger anspruchsvoll ist das menschliche Empfinden von Unglück oder Leiden. Freud führt drei potentielle Quellen des Leidens an: Die Hinfälligkeit unseres eigenen Körpers, die sich durch psychische Schmerzen, wie auch negative Empfindungen äußert. Die Übermacht der Natur, in deren unmittelbaren Wirkungskreislauf wir als Menschen stehen und menschliche Beziehungen bzw. die Unzulänglichkeit der Einrichtungen, die die Beziehung der Menschen zueinander in Familie, Staat und Gesellschaft regeln. (vgl. ebd. S.52) Der dritten dieser drei Leiden, den menschlichen Beziehungen, schreibt Freud ein besonderes Leidpotential zu, auch wenn Menschen neigen, „[…] es als eine gewissermaßen überflüssige Zutat anzusehen, obwohl es nicht weniger schicksalsmäßig unabwendbar sein dürfte, als die Leiden anderer Herkunft.“ (ebd. S.43) Ausgehend von diesen Erkenntnissen erscheint es nur logisch, dass der Mensch seinen Glücksanspruch mäßigt, so wird schließlich auch das Lustprinzip unter Einfluss der Außenwelt zum Realitätsprinzip umgewandelt und der Vermeidung von Leid wird in der Realität ein größerer Wert zugemessen, als die reine Lustgewinnung. Im Folgenden führt Freud mehrere unterschiedliche Strategien auf, die sich der Leidvermeidung als dem Quell menschlicher Beziehungen verschrieben haben. Diese reichen von der naheliegenden Eremitage, über Intoxikation hin zu einer Möglichkeit, die Freud als „[…] einen anderen und besseren Weg bezeichnet.“: Der Sublimierung von Trieben. Indem bestimmte Triebziele so verlegt werden, dass sie von den „Angriffen“ der Außenwelt nicht mehr gefährdet sind. Dies kann geschehen, indem man den Lustgewinn aus Quellen psychischer und intellektueller Arbeit erhöht. Der Künstler und der Wissenschaftler sind hier die naheliegendsten Beispiele, die trotz ihrer besonderen Begabung gegen die Leidquelle des eigenen Körpers machtlos sind. (vgl. ebd. S.46) Diese „mächtige Ablenkung“ entspricht einer Strategie der Leidvermeidung, der Freud – wohl nicht zuletzt aus der Bestätigung seines eigenen Schaffens – eine besondere Stellung, innerhalb der Vielzahl an möglichen Strategien zuschreibt. „[…] indem man als ein Mitglied der menschlichen Gemeinschaft mit Hilfe der von der Wissenschaft geleiteten Technik zum Angriff auf die Natur übergeht und sie menschlichem Willen unterwirft. Man arbeitet dann mit allem am Glück aller.“ (ebd. S. 44)
Eben diese wissenschaftliche Mission zur Unterwerfung der Natur, die Freud hier noch in hehren Worten als Glücksgewinn für sich und das Individuum preist, relativiert er in einer pessimistischen Konzeption des Fortschritts, indem er feststellt, dass viele Erleichterungen des Alltags, wie beispielsweise die Möglichkeit die Stimme des weit entfernten Kindes in der Heimat zu hören, von vornhinein auch durch den technischen Fortschritt erst verursacht worden ist. (ebd. S. 54) Um in Anlehnung an Karl Krauss, einem scharfen, reaktionären Kritiker der Psychoanalyse, zu sprechen: „Der technische Fortschritt ist jene Krankheit, für deren Therapie sie sich hält.“
Doch selbst wenn man nicht zu jenen gehört, denen das Schicksal mit dem Geschenk einer besonderen Veranlagung gebieterisch die Richtung vorschreibt, kann laut Freud die jedermann zugängliche Arbeit an diese Stelle rücken, die den einzelnen fest in die Realität und die menschliche Gemeinschaft einfügt und deren Wert für die Libido-Ökonomie nicht genug betont werden kann. Er bedauert weitergehend, dass „Arbeit als Weg zum Glück“ von den Menschen nicht geschätzt werde und sich aus dieser natürlichen Arbeitsscheu die schwerwiegendsten sozialen Probleme ableiten würden. (vgl. ebd. S.46f)
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- Christopher Rerrer (Author), 2018, Über das Unbehagen in der Kultur. Eine punktuelle Kritik und Ergänzung der Freud'schen Kulturtheorie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/428926
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