Der aus bürgerlichem Geschlecht in Bern stammende Dominikanermönch Ulrich Boner verfasste um 1350 die wohl erste geschlossene Fabelsammlung deutscher Sprache. Neben einigen weiteren Zusatzquellen griff er vor allem auf die Äsopica des Avian und des Anonymus Neveleti zurück, bedeutende Fabelsammlungen des Mittelalters, und übersetzte diese vom Lateinischen ins Deutsche. Die 100 Reimpaarfabeln werden dabei von einem Prolog und Epilog umrahmt, was Hinweis gibt auf die literarische und rethorische Bildung, der Boner als Mönch sicher zuteilwurde.
Die Fabeln sind innerhalb der Sammlung thematisch geordnet, die Sammlung trägt den Titel ihrer programmatischen Eingangsfabel: Der Edelstein. Gewidmet ist die Sammlung Johann von Ringgenberg, ein Freiherr aus dem Berner Land, der auch selbst als Spruchdichter tätig war. Im Prolog, einem Gebet, erfolgen die Selbstnennung des Verfassers, die Widmung, sowie die Titelgebung des Werkes. Zugleich macht Boner hier auch seine Intention deutlich, Beispiele aus dem Reich der Tiere geben zu wollen, um daraus praktische Lehren für das Leben der Menschen abzuleiten. Mit dem Titel leitet er über zur ersten Fabel, die veranschaulicht, wie man seine beispielhaften Erzählungen verstehen soll. Auch der Inhalt der nächsten beiden Fabeln kann mit Bezug auf das allgemeine Verstehen der bîschaften gelesen werden. Und auch die Setzung der letzten Fabel der Sammlung gehört zu „der Komposition programmatischer Eckstücke“, die die Rahmung der Sammlung ausmacht. Jede Fabel trägt zwei Überschriften: Die erste nennt direkt Inhalt und auftretende Figuren. Die zweite nennt das Thema der Fabel auf einer schon abstrahierten Ebene, also in welche Richtung die Auslegung der Fabel moralisch gehen wird. Innerhalb der Sammlung werden die Fabeln nach Themenkomplexen zu Gruppen zusammengeschlossen, was sich teilweise an den Überschriften schon ablesen lässt. In dieser neuen, eigenen Komposition schon bekannter Fabeln liegt der literarische Verdienst Boners.
Für die Epimythien der einzelnen Fabeln orientierte Boner sich formal am Reimpaarbîspel, dem Darstellungstyp in dem die ersten ins deutsche übertragene Fabeln auftauchten. Sprachlich bietet das Werk einige mundartliche Färbungen und Dialekteigenheiten aus dem Berner Land.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Ulrich Boner und die Fabelsammlung Der Edelstein
- 2. Fabel XLII: Von einer anbeize und einem Haustüffel. Von erbeit und von müezekeit.
- 2.1 Inhalt und Verbreitung
- 2.2 Analyse
- 2.2.1 Promythion
- 2.2.2 Erzählteil
- 2.2.3 Epimythion
- 3. Die Fabel im antiken Quellentext des Avian
- 3.1 Avians Fabulae Aesopicae
- 3.2 Die Fabel Die Ameise und die Grille
- 3.2.1 Promythion
- 3.2.2 Erzählteil
- 3.3 Vergleich von Avian zu Ulrich Boner
- 4. Die Fabel in der Version des Karlsruher Fabelcorpus
- 4.1 Der Karlsruher Codex 401
- 4.2 Die Fabel Von dem grillen vnd der emeyß/Von dem gryllen vnd von der ameißen
- 4.2.1 Erzählteil
- 4.2.2 Auslegungsteil
- 4.3 Vergleich zu Ulrich Boner
- 5. Zusammenfassung und Schlussbetrachtung: Die Bewertung von Arbeit im Mittelalter
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Fabel XLII aus Ulrich Boners „Edelstein“, „Von einer anbeize und einem Haustüffel. Von erbeit und von müezekeit“, vergleichend mit antiken und mittelalterlichen Versionen derselben Fabel. Die Zielsetzung besteht darin, Boners Bearbeitung im Kontext der Fabeltradition zu analysieren und die Bedeutung der Thematik „Arbeit und Müßiggang“ im Mittelalter zu beleuchten.
- Analyse von Ulrich Boners Version der Ameisen- und Heuschreckenfabel.
- Vergleich mit antiken Quellen, insbesondere Avian.
- Untersuchung der Verbreitung der Fabel im Mittelalter.
- Interpretation der moralischen Botschaft der Fabel.
- Einordnung der Fabel in den Kontext der mittelalterlichen Arbeitsauffassung.
Zusammenfassung der Kapitel
1. Ulrich Boner und die Fabelsammlung Der Edelstein: Dieses Kapitel stellt den Autor Ulrich Boner und seine Fabelsammlung „Der Edelstein“ vor. Es beschreibt Boners Leben, seine Quellen (vor allem Avian und Anonymus Neveleti) und die Struktur seiner Sammlung von 100 Reimpaarfabeln, die thematisch geordnet sind und einen Prolog und Epilog enthalten. Boners Intention, moralische Lehren aus tierischen Beispielen abzuleiten, wird hervorgehoben, ebenso wie die programmatische Bedeutung des Titels „Der Edelstein“ und die besondere Komposition der Sammlung, die Boners literarischen Verdienst unterstreicht. Die sprachlichen Besonderheiten des Werkes, seine Verbreitung und seine Rezeption im Laufe der Geschichte werden ebenfalls behandelt.
2. Fabel XLII: Von einer anbeize und einem Haustüffel. Von erbeit und von müezekeit.: Dieses Kapitel konzentriert sich auf die Fabel XLII, die die Geschichte der fleißigen Ameise und der sorglosen Heuschrecke erzählt. Der Inhalt und die weite Verbreitung dieser Fabel in verschiedenen antiken und mittelalterlichen Sammlungen werden detailliert beschrieben. Es wird die symbolische Bedeutung der Ameise als fleißiges und weises Tier und der Heuschrecke als sorgloses und mitunter leicht verächtliches Wesen erläutert und ihre literarische Verwendung in anderen Texten und Kulturen beleuchtet. Die verschiedenen Versionen der Fabel werden im Kontext ihrer jeweiligen Zeit und Kultur betrachtet, wodurch die Entwicklung des Themas Arbeit und Müßiggang im Laufe der Geschichte verdeutlicht wird.
3. Die Fabel im antiken Quellentext des Avian: Dieses Kapitel vergleicht Boners Version der Fabel mit der entsprechenden Fabel bei Avian, einem wichtigen antiken Fabeldichter. Der Fokus liegt auf den Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der Erzählung, der Moral und der sprachlichen Gestaltung. Die Analyse beleuchtet, wie Boner Avians Vorlage adaptiert und für sein eigenes Publikum umgestaltet hat. Der Vergleich dient dazu, Boners Beitrag zur Fabeltradition zu erhellen und die Entwicklung der Fabel im Laufe der Zeit nachzuvollziehen.
4. Die Fabel in der Version des Karlsruher Fabelcorpus: Dieses Kapitel untersucht eine weitere Version der Ameisen- und Heuschreckenfabel, diesmal aus dem Karlsruher Fabelcorpus. Ähnlich wie im vorherigen Kapitel werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Boners Version analysiert. Der Vergleich soll die Variationen der Fabel und deren Bedeutung im Kontext des mittelalterlichen Fabeldiskurses herausarbeiten. Ein besonderer Fokus liegt auf der Auslegung und der Interpretation der Moral der Fabel innerhalb dieses spezifischen Kontextes.
Schlüsselwörter
Ulrich Boner, Der Edelstein, Fabel, Ameise, Heuschrecke, Arbeit, Müßiggang, Mittelalter, Avian, Karlsruher Fabelcorpus, Vergleichende Analyse, Moral, Literaturgeschichte.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu "Ulrich Boner und die Fabelsammlung Der Edelstein"
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert vergleichend Ulrich Boners Fabel XLII ("Von einer anbeize und einem Haustüffel. Von erbeit und von müezekeit") aus seiner Sammlung "Der Edelstein" mit antiken und mittelalterlichen Versionen derselben Fabel (Ameise und Heuschrecke). Der Fokus liegt auf der Bedeutung der Thematik "Arbeit und Müßiggang" im Mittelalter.
Welche Quellen werden untersucht?
Die Arbeit untersucht neben Boners Version der Fabel auch die entsprechenden Fassungen bei Avian (antiker Fabeldichter) und im Karlsruher Fabelcorpus. Vergleiche zwischen diesen Versionen sollen die Entwicklung und Variationen der Fabel im Laufe der Zeit aufzeigen.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in fünf Kapitel: Kapitel 1 stellt Ulrich Boner und "Der Edelstein" vor. Kapitel 2 analysiert Boners Fabel XLII. Kapitel 3 vergleicht Boners Version mit der Avians. Kapitel 4 vergleicht sie mit der Version im Karlsruher Fabelcorpus. Kapitel 5 bietet eine Zusammenfassung und Schlussbetrachtung zur mittelalterlichen Arbeitsauffassung.
Was sind die zentralen Forschungsfragen?
Zentrale Fragen sind: Wie behandelt Boner das Thema Arbeit und Müßiggang in seiner Fabel? Wie unterscheidet sich seine Version von antiken und mittelalterlichen Vorlagen? Welche moralische Botschaft vermittelt die Fabel im Kontext des Mittelalters? Wie lässt sich die Fabel in die mittelalterliche Arbeitsauffassung einordnen?
Welche Methoden werden angewendet?
Die Arbeit verwendet eine vergleichende Analyse der verschiedenen Fabelversionen. Dabei werden Inhalt, Erzählstruktur, Moral und sprachliche Gestaltung untersucht. Die Interpretation der Fabel erfolgt im Kontext der mittelalterlichen Literatur und Kultur.
Welche Schlüsselbegriffe sind relevant?
Wichtige Schlüsselbegriffe sind: Ulrich Boner, Der Edelstein, Fabel, Ameise, Heuschrecke, Arbeit, Müßiggang, Mittelalter, Avian, Karlsruher Fabelcorpus, Vergleichende Analyse, Moral, Literaturgeschichte.
Welche Ergebnisse werden erwartet?
Die Arbeit erwartet ein tieferes Verständnis von Boners Beitrag zur Fabeltradition und der Bedeutung des Themas Arbeit und Müßiggang im Mittelalter. Die vergleichende Analyse soll die Entwicklung und Variationen der Fabel aufzeigen und deren moralische Botschaft im jeweiligen Kontext interpretieren.
- Quote paper
- Sofie Neu (Author), 2015, Eine vergleichende Analyse der XLII. Fabel in Ulrich Boners Edelstein, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/428834