Die deutsche Wiedervereinigung war unbestritten eines der herausragenden politischen Ereignisse im 20. Jahrhundert. Sie beendete den Kalten Krieg und löste die Spaltung Europas auf. Der Einheitsprozess betraf aber nicht nur die beiden deutschen Staaten. Vor allem die alliierten Siegermächte des zweiten Weltkrieges waren beteiligt. Der diplomatische Weg zur Einheit war keine Schnellstraße, teils gegensätzliche Meinungen prallten aufeinander. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Rolle, die die Vereinigten Staaten in diesem Prozess spielten. Die USA hatten als westliche Schutzmacht immer eine besondere Stellung gegenüber der Bundesrepublik. Thema dieser Arbeit sind die amerikanisch-deutschen Beziehungen und die Politik seitens Washington. Deshalb wird auch der Zeitraum vor der Maueröffnung entscheidend im Blickfeld stehen, in dem möglicherweise entscheidende Weichenstellungen vorgenommen wurden. Die Verhandlungen Deutschlands mit der Sowjetunion, sowie der innerdeutsche Weg zur Einheit werden allerdings nur am Rande dargestellt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die USA und die „Deutsche Frage“ bis 1989
2.1 Der Weg zur deutschen Teilung
2.2 Die Gründung der Bundesrepublik und die Etablierung im Westen
2.3 Das amerikanisch-deutsche Verhältnis bis 1989
2.4 Die Beziehungen zur DDR
2.5 Der Begriff Wiedervereinigung und die „Deutsche Frage“
3. Die Neuorientierung der amerikanischen Deutschlandpolitik
3.1 Wer hat das Sagen?
3.2 „Partners in leadership“ – Die USA und die BRD entdecken sich neu
3.3 Der Umbruch in Osteuropa und die Reaktion der USA
4. Die Wiedervereinigung wird zum Thema
4.1 Wer gab den Anstoß?
4.2 Der Außenseiter: Vernon Walters
4.2 Die Beurteilung der DDR
5. Der Mauerfall und die Folgen
5.1 Kohls „Zehn-Punkte-Plan“ und die internationalen Reaktionen
5.2 Die „Four Principles“: Die USA formulieren ihre Interessen
5.3 Das Treffen von Malta und der NATO-Gipfel in Brüssel
5.4 Die DDR steht vor dem Kollaps und die Einheit vor der Tür?
5.5 Die Haltung Frankreichs und Großbritanniens zur Wiedervereinigung
6. Die Entstehung der Zwei-plus-Vier-Formel
6.1 Wer darf mitmachen?
6.2 „Zwei-plus-Vier“ oder „Vier-plus-Zwei“?
6.3 Der „Schlüssel“ zur Einheit
7. Der diplomatische Weg zur Wiedervereinigung
7.1 Die USA ergreifen die Initiative in der Grenzfrage
7.2 Moskau schaltet auf stur – der Westen zeigt Einigkeit
7.3 Der „Neun-Punkte-Plan“ und der Gipfel von Washington
7.4 Der NATO-Gipfel in London
7.5 Der „Kaukasus-Mythos“: Die Einheit wird vollzogen
8. Die USA als „Geburtshelfer“ der Deutschen Einheit
8.1 Der persönliche Faktor
8.2 Die öffentliche Meinung in den USA
8.3 Gewinner und Verlierer
9. Zusammenfassung
10. Literatur
Erklärung
Ich versichere hiermit, dass ich diese Arbeit selbstständig angefertigt und keine anderen als die angebenden Hilfsmittel benutzt habe. Alle Stellen, die dem Wortlaut oder dem Sinn nach anderen Werken entnommen sind, habe ich in jedem einzelnen Fall unter genauer Angabe der Quelle deutlich als Entlehnung kenntlich gemacht.
Dinslaken, den 12. Januar 2005
1. Einleitung
Die deutsche Wiedervereinigung war unbestritten eines der herausragenden politischen Ereignisse im 20. Jahrhundert. Sie beendete den Kalten Krieg und löste die Spaltung Europas auf. Der Einheitsprozess betraf aber nicht nur die beiden deutschen Staaten. Vor allem die alliierten Siegermächte des zweiten Weltkrieges waren beteiligt. Der diplomatische Weg zur Einheit war keine Schnellstraße, teils gegensätzliche Meinungen prallten aufeinander. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Rolle, die die Vereinigten Staaten in diesem Prozess spielten. Die USA hatten als westliche Schutzmacht immer eine besondere Stellung gegenüber der Bundesrepublik. Thema dieser Arbeit sind die amerikanisch-deutschen Beziehungen und die Politik seitens Washington. Deshalb wird auch der Zeitraum vor der Maueröffnung entscheidend im Blickfeld stehen, in dem möglicherweise entscheidende Weichenstellungen vorgenommen wurden. Die Verhandlungen Deutschlands mit der Sowjetunion, sowie der innerdeutsche Weg zur Einheit werden allerdings nur am Rande dargestellt.
Aufbau und Fragestellung
Wann kann der Zeitpunkt festgemacht werden, an dem die USA sich für eine Unterstützung des Einigungsprozesses entschlossen? Wer gab den Anstoß innerhalb der US-Administration? Und zum Abschluss: Wie ist die Rolle der USA für die Wiedervereinigung zu bewerten? Waren sie treibende Kraft, oder nur Mitläufer in einem Prozess? Diese Fragen gilt es zu klären.
Zu Beginn wird behandelt, welchen Stellenwert die „Deutsche Frage“ in der Politik Washingtons bis zum Ende der Reagan-Ära einnahm. Dies scheint insofern wichtig, da die Außenpolitik der USA stets nach gewissen Leitlinien ablief. Die USA spielten in der Wiedervereinigung eine Rolle, trugen aber auch eine Schuld an der Teilung Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg. Gab es Anzeichen, die vielleicht schon vor 1989 die Möglichkeit einer deutschen Einigung in Betracht zogen? Auch die (Nicht-)Beziehungen zur DDR, die letztendlich zu einer völlig falschen Beurteilung der Situation in Ostdeutschland führten, werden dargestellt. Unter George Bush erfolgte – angesichts der Reformbewegungen in Osteuropa – im Weißen Haus eine Umorientierung in der Europapolitik, die auch die „Deutsche Frage“ mit einbezog.
Anschließend soll geklärt werden, wer in der US-Administration wann den Anstoß gab, die Wiedervereinigung als realistisches Ziel in die Politik einzubauen. Dabei wird auch ein Einblick in die außenpolitischen Schaltzentralen gegeben, die nicht immer an einem Strang zogen. In diesem Zusammenhang wird auch der damalige US-Botschafter in Bonn, Vernon Walters, vorgestellt. Etwas überspitzt hier als „Außenseiter“ tituliert, sprach er sich schon frühzeitig für eine nahende deutsche Einheit aus, worüber er in seinen Memoiren ausführlich berichtet.
Das Ereignis, dass heute in der Öffentlichkeit als maßgeblicher Startpunkt für die deutsche Einheit gesehen wird, ist Thema des nächsten Kapitels. Im Zuge der Maueröffnung und Helmut Kohls „Zehn-Punkte-Plan“ sah sich die US-Führung gedrängt, ihre Einschätzung über einen möglichen Weg zur Einheit in eine politische Aussage zu verpacken. Die „Four Principles“ waren Leitlinien, an die sich Washington im Großen und Ganzen bis zum erfolgreichen Abschluss des politischen Prozesses hielt. Deutschland war endgültig in den Mittelpunkt des Weltinteresses gerückt, was auch das öffentliche Interesse in den traditionell außenpolitisch eher weniger interessierten USA und das Medienecho beweisen. In den Verhandlungen vor allem mit der Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich, musste die US-Administration ihre Linie verteidigen. Der endgültige diplomatische Weg zur Einheit durch die Zwei-plus-Vier-Formel führte über zahlreiche Konferenzen, Gespräche und Verhandlungen. Wann war der Durchbruch erreicht, und wer war für ihn verantwortlich?
Zum Abschluss geht es um die Klärung der Ausgangsfragen: Wie ist die Rolle der USA zu bewerten? War die Einigung ein amerikanischer Erfolg? Wer darf den Ruhm ernten?
Literatur- und Quellenlage
Zur Thematik der deutschen Widervereinigung sind in den Jahren nach 1990 zahlreiche Titel erschienen. Für die vorliegende Arbeit wurden vor allem Werke deutscher und amerikanischer Autoren einbezogen. Ein glücklicher Umstand für die Forschung ist sicher, dass mittlerweile der Großteil der damals in Schlüsselpositionen agierenden Politiker seine Erinnerungen zu Papier gebracht hat – oder hat bringen lassen. Hierbei seien besonders die Memoiren der Außenminister Baker und Genscher, sowie von Michail Gorbatschow zu nennen. Lediglich die Erinnerungen George Bushs und Helmut Kohls liegen bislang noch nicht vor. Der deutsche Kanzler äußerte sich aber in Gesprächen mit zwei deutschen Journalisten ausführlich zur Wiedervereinigung, die bereits in schriftlicher Form veröffentlicht wurden. Horst Teltschik, damals als außenpolitischer Berater Kohls und Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt in vorderster Linie dabei, veröffentlichte bereits 1991 seine Erinnerungen in Tagebuchform. Anhand der Memoirenliteratur lässt sich ein interessanter Blick auf die damaligen Situationen werfen, da sie natürlich eine sehr persönliche Beschreibung gibt. Kritisch zu hinterfragen bleibt aber, ob nicht im Nachhinein Ereignisse geschönt wurden, insbesondere wenn es um die Haltung zur Deutschen Frage geht. Jahre später lässt sich leicht behaupten, man habe schon frühzeitig hinter der Idee der Wiedervereinigung gestanden und diese auch immer verteidigt.
Als ein Standardwerk im Einigungsprozess gilt mittlerweile die Arbeit von Philip Zelikow und Condoleezza Rice. Die beiden Diplomaten waren damals hautnah dabei und geben einen „Insiderbericht“, vor allem was die amerikanische Politik und Haltung der USA betrifft. Beide zitieren teilweise Akten und Protokolle, die sonst nicht zugänglich sind. Auch Alexander von Plato betreibt in seinem Buch eine reiche Quellenarbeit und wertet insbesondere sowjetische Akten, die bis in die letzten Jahre noch der Geheimhaltung unterlagen, aus. Als wichtige Quelle im Internet ist die private Seite www.2plus4.de zu nennen. Hier bietet sich ein reicher Fundus von Akteneinträgen, Gesprächsprotokollen und insbesondere Abdrucken von Artikel der damaligen Tagespresse, vor allem amerikanischer Zeitungen.
2. Die USA und die „Deutsche Frage“ bis 1989
2.1 Der Weg zur deutschen Teilung
Schon während des Krieges, als sich auf alliierter Seite eine militärische Niederlage Deutschlands abzeichnete, hatten die USA mögliche Vorgaben aufgestellt, wie eine Politik im besiegten Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg betrieben werden könne. Die fünf „D“ – also Demilitarisierung, Denazifizierung, Demokratisierung, Dezentralisierung und Dekartellisierung Deutschlands – standen als oberste Prämisse vorne an. Doch schnell zeigte sich der Gegensatz zwischen amerikanischen und sowjetischen Interessen: „Deutschland wurde zum Testfall für die spätere globale Zusammenarbeit[1]“ der beiden Großmächte.
Allerdings bestanden nicht nur zwischen Washington und Moskau unterschiedliche Haltungen, wie mit dem ehemaligen Hauptkriegsgegner verfahren werden sollte. Auch innerhalb der amerikanischen Politik traten unterschiedliche Richtungen auf. Fest stand lediglich, dass der Unruheherd Deutschland, der nach Auffassung der USA zwei Weltkriege auf dem Gewissen hatte, ausgeschaltet werden musste – dahingehend bestand auch ein Konsens mit der Sowjetunion. Der US-Finanzminister Henry Morgenthau vertrat am konsequentesten diese Linie. Sein nach ihm benannter Plan zur Neuordnung Deutschlands sah eine Zerstückelung und Umwandlung des Landes in einen Agrarstaat vor.
Dieses Ziel stieß aber auch innerhalb der amerikanischen Führung auf Gegenwehr und der Morgenthau-Plan wurde schnell ad acta gelegt. Das Außenministerium etwa kritisierte, dass dadurch die Fehler der Versailler Friedenskonferenz wiederholt und Deutschland erneut in die Außenseiterolle gedrängt werden würde. Auch das Kriegsministerium lehnte den Plan aus rein pragmatischen Gründen ab. Das amerikanische Militär hätte für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung in Deutschland sorgen müssen. Die Strategen sahen sich allerdings vor einer fast unlösbaren Aufgabe, denn der Morgenthau-Plan hätte Deutschland in ein Armenhaus verwandelt. Zudem vertrat das State Department die Auffassung, dass das deutsche Wirtschaftspotenzial wichtig für den Wiederaufbau Europas sei. Ein Deutschland nach Morgenthaus Vorgaben wäre in dieser Hinsicht kaum hilfreich gewesen.[2]
Mit der Kapitulation vom 8. Mai 1945 und der Aufteilung Deutschlands in verschiedene Besatzungszonen hatte das Deutsche Reich als solches endgültig aufgehört zu existieren.. Die vier fast hermetisch abgeschlossenen Zonen beutelten nicht nur Washington finanziell. Die USA hatten das Ausmaß der wirtschaftlichen Zerstörung Deutschlands und die Kriegschäden einfach unterschätzt. Auch die Annahme, nach Beendigung des Krieges würden sich die vier Alliierten schnell auf eine Lösung zur Wiederherstellung Deutschland einigen können, hatte sich als Trugschluss erwiesen. Die wirtschaftliche Neuordnung wurde zum Hauptdiskussionspunkt, in dem aber schnell die gegensätzlichen Meinungen der USA und der Sowjetunion deutlich wurden.[3]
Der US-Militärgouverneur General McNarney erklärte am 20. Juli 1946 vor dem Alliierten Kontrollrat, keine Zone sei in der Lage, sich selbst zu erhalten. Die USA strebten zumindest eine wirtschaftliche Einheit des besetzten Landes an, was die Sowjetunion und zunächst auch Frankreich aber strikt ablehnten. Doch Washington handelte. Angesichts der wirtschaftlichen Probleme innerhalb ihrer Besatzungszone forcierten die Vereinigten Staaten ihre Zusammenarbeit mit Großbritannien. Die Idee der Bizone, also einer Vereinigung der beiden Besatzungszonen, wurde aufgegriffen. Wie McNarney im Juli 1946 versicherte, beabsichtigten die Vereinigten Staaten durch diesen Vorschlag nicht, Deutschland zu teilen. Ziel war es, in der Bizone bis 1949 eine wirtschaftliche Selbstständigkeit zu erreichen. Am 1. Januar 1947 trat die Bizone offiziell in Kraft.[4]
Wie ist dieser Schritt im Nachhinein zu bewerten? War er vielleicht doch schon der erste Schritt in Richtung zweier deutscher Staaten? Fest steht, dass die Einrichtung der Bizone sicher nicht förderlich für das immer schlechter werdende Verhältnis zwischen den USA und der Sowjetunion war. Zwar blieben politische Bereiche zunächst von der Regelung ausgenommen, im wirtschaftlichen Sektor nahm die Entwicklung aber einen gegensätzlichen Kurs gegenüber der Sowjetunion. Während diese versuchte, in der Sowjetischen Besatzungszone durch Verstaatlichungen der Betriebe und Bodenreformen einen eigenen Weg einzuschlagen, setzte in der Bizone die Entwicklung zu einer freien Marktwirtschaft ein. Von einer politischen Spaltung wollten die USA aber zu keinem Zeitpunkt reden. McNarneys Nachfolger, General Clay verfolgte noch 1947 zumindest den Gedanken einer einvernehmlichen Deutschlandregelung zusammen mit der UdSSR.[5]
Ein Ziel, dass spätestens nach der gescheiterten Außenministerkonferenz in Moskau im Frühjahr 1947 aber nicht mehr zu realisieren war. Der Gegensatz zwischen Sowjetunion und USA war offenkundig geworden. Der Einfluss, den Moskau auf die osteuropäischen Staaten nahm, stand strikt gegen die Interessen der USA und der westlichen Alliierten. In Polen, Rumänien und Bulgarien waren kommunistische Regime installiert worden. Schon 1946 hatte Winston Churchill vom Eisernen Vorhang gesprochen, Ost und West befanden sich – kaum dass der zweite Weltkrieg beendet war – auf dem Weg in den „Kalten Krieg“. In Washington mehrten sich die Stimmen, die vom Konzept einer Kooperation mit der Sowjetunion abwichen und stattdessen das Konzept der Eindämmung sowjetischer Interessen formulierten. Die „Containment-Politik“ war geboren.[6]
Die neue Leitlinie rückte US-Präsident Truman im März 1947 auch in die Öffentlichkeit. Angesichts der Unterstützung kommunistischer Verbände im griechischen Bürgerkrieg durch Moskau formulierte die „Truman-Doktrin“, das vordringlichste Ziel der USA sei es, die Grundlagen für ein Leben frei von Zwang zu schaffen und freien Völkern gegen Bewegungen zu helfen, die ihnen ein totalitäres Regime aufzwingen wollen. Ein Anliegen, dass die USA im Krieg gegen Nazi-Deutschland vertraten – nun war es allerdings auf die Sowjetunion gemünzt.[7] „Diese Rede [war] eine klassische Vorwegnahme der Kalte-Kriegs-Ideologie, indem sie die Welt in zwei Lager einteilte ...[8]“, schreibt dazu Christoph Kleßmann. Dass Truman seine Erklärung zeitgleich zur Außenministerkonferenz in Moskau gab, unterstreicht den Konfrontationskurs, auf dem sich die USA und die UdSSR mittlerweile bewegten. Die Truman-Doktrin verurteilte die Konferenz schon von vorneherein praktisch zum Scheitern. Die Sowjetunion, vertreten durch Molotow, bestand auf einer Auflösung der Bizone. Eine Forderung, der die USA auf keinen Fall nachgeben wollten. Auch in der strittigen Frage der Reparationszahlungen konnte keine Einigung erzielt werden.[9]
Für die Forschung ist mit dem Scheitern der Außenministerkonferenz der Zeitpunkt erreicht, der die Wende in der amerikanischen Deutschlandpolitik nach dem Ende des zweiten Weltkriegs bedeutet. An eine gesamtdeutsche Lösung unter Mitarbeit der vier Alliierten war nicht mehr zu denken. Die Anti-Hitler-Koalition war endgültig zerbrochen. Die Containment-Politik ließ keinen Platz mehr für eine Vereinigung der Besatzungszonen. Bezeichnend ist, dass George F. Kennan, der die theoretischen Grundlagen der Containment-Politik entwarf, schon kurz vor Kriegsende prophezeite, die USA sollten Ost- und Südosteuropa abschreiben und die Teilung Deutschlands als Tatsache akzeptieren.[10]
Als erste Maßnahme der neuen Richtung in der Deutschlandpolitik kann der Marshall-Plan gesehen werden. Am 5. Juni 1947 umriss US-Außenminister George C. Marshall sein Programm zur amerikanischen Hilfeleistung („European Recovery Program“) für die europäischen Länder. Auf den ersten Blick schien der wirtschaftliche Aufbau im Mittelpunkt zu stehen. Nicht nur Deutschland wurde einbezogen, sondern möglichst ganz Europa – inklusive Großbritannien und Frankreich. Auch die Beteiligung Polens, der CSR und sogar der UdSSR war angedacht.[11] Hatte die Truman-Doktrin nach ihrer Veröffentlichung in der Moskauer Parteipresse kaum für Aufsehen gesorgt, war das Echo auf den Marshall-Plan dagegen äußerst negativ. Marshall hatte als Vorbedingung für amerikanische Hilfeleistung ein gemeinsames Programm der europäischen Staaten gefordert und damit eine koordinierte Planung über die Verwendung der Kredite gemeint. An diesem Punkt nahm die Sowjetführung Anstoß und sah darin nur ein „Manöver zur Versklavung Europas[12]“. Die UdSSR lehnte eine Beteiligung ab, auf massivem sowjetischen Druck verzichteten auch Polen und die CSR auf eine Teilnahme an weiteren Konferenzen. Die SED versuchte gar, Erinnerungen an die Zeit nach dem ersten Weltkrieg und die daraus folgenden Wirtschaftskrisen wach zu rütteln: „Das deutsche Volk hat schon einmal die bittersten Erfahrungen mit der amerikanischen Anleihepolitik gemacht. [...] Diese Anleihepolitik endete in Krise, Faschismus und Krieg. Die Auswirkungen der neuen amerikanischen Anleihepolitik werden noch ebenso verhängnisvoll, wenn nicht schlimmer sein.[13]“
Die Chance, dass sich das verkrustete Verhältnis zwischen Sowjetunion und USA noch einmal lösen würde, sank gen Null. Wobei die Frage ist, ob Washington dies nicht mittlerweile in Kauf nahm, um seine Ziele zu erreichen. Dem wirtschaftlichen Aufbauplan nach Marshall lag auch eine antikommunistische Motivation zu Grunde. Durch die Beseitigung von Elend und Hunger in der Bevölkerung war die Gefahr, dass sich ein Nährboden für extremistische Bewegungen – damit waren auch „rechte“ Strömungen gemeint – bilden würde, geringer geworden. Zudem zogen die USA die Bevölkerung auf ihre Seite. Die Hilfe durch die „Rosinenbomber“ während der Berliner Blockade 1948, als die Sowjetunion Berlin abriegelte, dürfte sich tief in das Bewusstein der Menschen eingeprägt haben.[14]
Der Marshall-Plan war für die Zeitgenossen ein wirtschaftlicher Aufbauplan; heute wird in der Forschung aber eher sein politischer Antrieb diskutiert. Während Großbritannien ohnehin schon ähnlich gelagerte Interessen besaß, konnten die USA über die finanzielle Unterstützung Druck auch auf Frankreich ausüben. Ein Grundsatz für den angestrebten wirtschaftlichen Wiederaufstieg – nunmehr nur noch der westlichen Besatzungszonen – war die Währungsreform, die am 20. Juni in Kraft gesetzt wurde.[15] Der politische Ausbau der BiZone, die schon wesentliche Merkmale der späteren Bundesrepublik besaß, wurde forciert. Die USA steuerten auf die Bildung eines westdeutschen Staates hin. Kurz vor der Währungsreform hatte sich die Sowjetunion bereits aus der Berliner Kommandantur verabschiedet. Die Viermächte-Verwaltung Deutschlands hatte somit auch formell ihr Ende gefunden. General Clay schrieb dazu in seinen Erinnerungen: „Als wir an jenem Tag den Konferenzsaal verließen, wussten wir, dass die Viermächte-Regierung zusammengebrochen war, und dass die Spaltung Deutschlands nun Wirklichkeit geworden war.[16]“
Die Frage, die diskutiert werden muss, ist: Hätte die deutsche Teilung verhindert werden können? Die Bundesrepublik und damit die Teilung war ein „Kind des Kalten Krieges“[17]. Die „Schuld“ wird in der Forschung bei beiden Hauptkontrahenten, also den USA als wichtigstem westlichen Alliierten und der Sowjetunion gesehen. Direkt nach Kriegsende einten beide Mächte noch gleiche Ziele. Die Gefahr eines „neuen“ Deutschen Reiches sollte gebannt werden, die Entnazifizierung voran getrieben werden. Dabei versuchten die USA, zunächst den Partner im Osten nicht vor den Kopf zu stoßen, um zumindest das sekundäre Ziel einer möglichen Vereinigung aller vier Zonen nicht aus den Augen zu verlieren.[18] Über eine politische Neuordnung machten sich die Alliierten zunächst aber kaum Gedanken. Im Gegenteil, wie Condoleezza Rice und Philip Zelikow betonen: „Die Frage nach der politischen Zukunft Deutschlands auf den nächsten Tag zu verschieben, blieb auch in den folgenden Jahren die übliche Praxis.[19]“ Dass Washington und Moskau auf Konfrontationskurs gingen, ließ sich angesichts der ideologischen Unterschiede in dieser Hinsicht kaum vermeiden. „Deutschland war nicht die Ursache des Kalten Krieges“[20], aber sozusagen das Testgelände zwischen den Blöcken. Gab es bis 1947 zumindest noch Annäherungsversuche, schufen Truman-Doktrin und Marshall-Plan unüberwindbare Gräben zwischen den Systemen. Ab diesem Zeitpunkt ist endgültig von der Entwicklung zweier Staaten aus den vier Besatzungszonen zu sprechen. Die deutsche Teilung war zwar nie ein Ziel amerikanischer Politik, wurde aber hingenommen.[21]
Für die USA stand die Integration Deutschlands in die europäische Staatenwelt immer mit im Vordergrund. Ein Ziel, dass sich nicht mit der UdSSR erreichen ließ, sondern höchstens im Gegensatz zu ihr.[22] Denn wie Krieger anführt, war die alte sowjetische Außenpolitik nie für eine Politik der friedlichen Koexistenz bereit: „Seit Lenin galten Zugeständnisse an kapitalistische Mächte als verwerfliche Zeichen der Schwäche.[23]“ Die in diesem Kapitel aufgezeigten Entwicklungen machen deutlich, dass der Grund für die Teilung Deutschlands im Gegensatz zwischen USA und UdSSR zu suchen ist – und alle Schritte, die auf eine spätere Wiedervereinigung hinarbeiten sollten, ausschließlich über diese beiden Mächte laufen konnten.
2.2 Die Gründung der Bundesrepublik und die Etablierung im Westen
Wie im vorangegangenen Abschnitt erwähnt, legte sich die USA mit dem Ausbau der Bizone auf die Bildung eines westdeutschen Staates fest. Nur mussten dazu auch politische Strukturen geschaffen werden. Bislang beschränkten sich alle Maßnahmen doch in erster Linie auf den wirtschaftlichen Sektor – zumindest sollten sie nach Außen hin den Anschein wahren. Allerdings ist die Gründung des Bizonen-Wirtschaftsrats am 29. Mai 1947 ein deutlicher Schritt in Richtung einer politischen Neuordnung seitens der USA. Diese Art Quasi-Parlament führte zu einer Politisierung der eigentlich wirtschaftlichen Organisation und trug stark zentralistische Züge. Die deutschen Länderregierungschefs sahen darin eine Bedrohung ihrer föderalistischen Interessen, ihre Reaktion mündete aber in einer Schlappe. Die auf Initiative des bayerischen Ministerpräsidenten Ehard zusammengerufene Ministerpräsidentenkonferenz in München – „das innerdeutsche Pendant zur Moskauer Außenministerkonferenz[24]“ – scheiterte kläglich. Die zumindest noch in einigen deutschen Kreisen vorhandene Idee einer „deutschen Einheit“ kam auf Druck Frankreichs gar nicht erst auf die Tagesordnung, die Vertreter der sowjetischen Zone reisten bereits vor der Eröffnung wieder ab. Die innerdeutsche Spaltung zeigte sich jetzt deutlich.[25]
Die USA und die westlichen Alliierten übernahmen im Februar 1948 endgültig das Ruder in der Verhandlung über die politische Entwicklung Westdeutschlands. Auf der Sechs-Mächte-Konferenz in London – neben den USA, Frankreich und Großbritannien waren auch die Benelux-Staaten geladen – wurde als Ergebnis die Empfehlung einer Regierungsbildung für die Westzonen gegeben. Die „Frankfurter Dokumente“, die in leicht abgewandelter Form der Empfehlungen am 1. Juli 1948 den deutschen Ministerpräsidenten übergeben wurden, legitimierten die Entstehung des Grundgesetzes und später der Bundesrepublik. Dieser Einigung waren strittige Diskussionen zwischen den drei alliierten Militärgouverneuren vorausgegangen. Die USA kamen vor allem den Wünschen Frankreichs zum Beispiel in der Saar-Problematik entgegen, um ihrerseits das Prinzip eines jetzt föderalistischen Systems in Deutschlands durchzusetzen, während Frankreich lieber einen losen Staatenbund gesehen hätte. Die Reaktion der UdSSR bestand in der Ablehnung eines westdeutschen Staates, die sie durch die Berliner Blockade zu untermauern versuchte. Diese erreichte aber eher das Gegenteil, so versuchten die westlichen Alliierten und die deutschen Ministerpräsidenten zügiger eine Einigung zu erzielen.[26]
Lediglich George F. Kennan, damals Direktor des politischen Planungsstabes im US-Außenministerium, ließ sich beeinflussen. Unter dem Eindruck der Blockade plädierte ausgerechnet der ehemalige Verfechter für die Teilung des deutschen Gebietes und Theoretiker der Containment-Politik für ein vereintes Deutschland ohne alliierte – damit meinte er auch die sowjetische – Militärpräsenz. Dadurch wäre nach seiner Ansicht die Gefahr abgewendet, die sowjetische Truppen an der deutsch-deutschen Grenze ausmachen würden. Kennans „Plan A“ stand konträr zur amerikanischen Politik, die 1948 eigentlich auf einen westdeutschen Staat unter Einbeziehung der westlichen Alliierten baute. Trotzdem sorgte er für Diskussionen, insbesondere als Marshall im Januar 1949 von Dean Acheson als Außenminister abgelöst wurde. Über mögliche Erfolgsaussichten zu spekulieren, verbietet sich an dieser Stelle, zumal der Plan, als Einzelheiten an die Presse durchsickerten und der Widerstand Großbritanniens und Frankreichs wuchs, dann doch zu den Akten gelegt wurde. Militärgouverneur Clay stand zudem der Idee von Anfang an ablehnend gegenüber.[27]
Clay sah die Zukunft in einem rein westdeutschen Staat unter dem Statut der Westmächte. Allerdings wollte er den Deutschen, darin stimmte er auch mit der amerikanischen Regierung überein, damit nicht der Eindruck eines Siegerdiktats erweckt werden würde, möglichst wenige Bedingungen zum Aufbau eines eigenen Staates stellen. So erkannten die USA unter anderem den Wunsch eines föderalistischen Staatswesens, den die süddeutschen Länder vorantrieben, an. Dies geschah alles unter der Prämisse, dass die deutschen Ministerpräsidenten einen Staat nur im Verbund mit dem Westen bilden würden. Auf die Situation im Land selbst konnten die westlichen Alliierten immer Einfluss nehmen, wenn es darauf ankommen sollte. Das Besatzungsstatut, das kurz vor Inkrafttreten des Grundgesetzes verkündet wurde, sagte eindeutig aus, dass die Alliierten sich das Recht vorbehalten, „auf Weisung ihrer Regierungen die Ausübung der vollen Gewalt ganz oder teilweise wieder zu übernehmen, wenn sie dies als wesentlich erachten für ihre Sicherheit oder zur Aufrechterhaltung der demokratischen Regierungsform in Deutschland oder in Verfolgung der internationalen Verpflichtungen ihrer Regierungen.[28]“
Das Grundgesetz wurde am 23. Mai 1949 verabschiedet, die Bundesrepublik Deutschland damit geschaffen. Als souveräner Staat war das Gebilde aber nicht zu bezeichnen. Die USA läuteten nun eine neue Phase ihrer Deutschland-Politik ein, die die außenpolitische Verselbstständigung, Rehabilitierung und Reintegration Deutschlands in die westliche Staatenwelt vorsah. Vor diesem Hintergrund ist die Unterstützung zu sehen, die die USA eigentlich allen Initiativen gaben, die eine Europäische Einigung voranzutreiben versuchten. Allein wirtschaftliche Bündnisse reichten nach Ansicht des Außenministeriums dabei aber nicht aus, supranationale Strukturen sollten helfen. Sogar der Gedanke einer Wiederbewaffnung wurde von den USA aufgenommen. Die deutsche Regierung unter Adenauer kam Washington entgegen, indem sie stets die Westintegration Deutschlands als oberstes Ziel propagierte. 1954 wurden die Pariser Verträge verabschiedet, die den Beitritt der BRD zur Westeuropäischen Union und zur Nato als Inhalt hatten.
2.3 Das amerikanisch-deutsche Verhältnis bis 1989
Schon kurz nach der Gründung der BRD wurden die Fundamente für eine stabile Partnerschaft zwischen den USA und der sich entwickelnden Bundesrepublik geschaffen: Das Grundgesetz kam wie erwähnt unter maßgeblicher Beteiligung der Vereinigten Staaten zustande, dazu prägten sich der Marshall-Plan und die Berliner Luftbrücke während der sowjetischen Blockade fest in den Köpfen der westdeutschen Bürger ein. Angestrebt wurde die Integration eines friedlichen Deutschlands in die westliche Welt. Die USA sahen in der BRD eine wichtige westeuropäische Bastion vor allem gegen die UdSSR. Die sowjetische Einflussnahme sollte zurückgedrängt werden. Auch im ökonomischen Bereich wurde Westdeutschland immer unterstützt.[29]
Konrad Adenauer, erster Bundeskanzler und Außenminister der BRD, schloss sich dieser Richtung durch eine die Westintegration vorantreibende Politik an. Mit seiner Haltung machte er sich unentbehrlich für die amerikanische Europapolitik. Deutschland wurde ein unersetzlicher Bündnispartner der USA und für die BRD lagen die Vorteile durch die enge Anlehnung an die Vereinigten Staaten auf der Hand. Die Vereinigten Staaten stellten die Schutzmacht gegenüber der UdSSR dar, zudem schien nur mit Hilfe der USA ein politischer und auch wirtschaftlicher Wiederaufstieg möglich.[30]
Die deutsche Teilung war ein Produkt des Kalten Krieges und wurde von den USA bis dato akzeptiert, auch wenn diese mit dem amerikanischen Prinzip der Selbstbestimmung der freien Völker nicht konform ging. Von einer Zustimmung seitens der Vereinigten Staaten kann so keine Rede sein. 1952 gehörten die USA zu den Unterzeichnern des „Deutschland-Vertrages“, in dem als gemeinsames Ziel „ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung ähnlich wie die Bundesrepublik besitzt und das in die europäische Gemeinschaft integriert ist“[31], festgelegt wurde (Artikel 7, Absatz 2).
Die Amerikaner gaben allerdings der Westintegration der BRD Vorrang vor dem Fernziel der Wiedervereinigung, deren Realisierung angesichts des sich immer stärker herausbildenden Gegensatzes zwischen Ost und West als unwahrscheinlich galt. Eine Vereinigung unter der Prämisse der deutschen Neutralität wurde strikt abgelehnt, weshalb die sogenannte „Stalin-Note“ von 1952, die eben dies vorsah, nicht angenommen wurde. Die Spaltung Deutschlands galt als stabilisierender Faktor in Europa. Kritik an der amerikanischen Deutschlandpolitik wurde deshalb laut, weil die Versicherungen Washingtons, zur deutschen Einheit zu stehen, nicht mehr als Lippenbekenntnisse wären.[32]
Die sich verändernde weltpolitische Lage schließlich drängte die „Deutsche Frage“ mehr und mehr in den Hintergrund. Die „Magnettheorie“, nach der der Westen eine große Anziehungskraft auf die Bürger im Osten ausüben würde und die auch in den USA vertreten wurde, brachte keinen Erfolg. Spätestens in der Kennedy-Ära wurden zwei deutsche Staaten als Status quo angesehen. „There are two German states which cannot be united under any conditions now conceivable”[33], schrieb Senator James V. Fulbright angesichts der Berlin-Krise 1961 in einem Memorandum an Präsident Kennedy. Auch in Deutschland selbst setzte sich diese Einschätzung langsam durch. Die „Hallstein-Doktrin“, seit den 50er Jahren wichtige Grundlage in der Außenpolitik, besagte, dass Deutschland Beziehungen zu Staaten, welche die DDR anerkennen, seinerseits abbricht. Diese Vorgabe wurde jedoch mehr und mehr als Hindernis angesehen. Mit der neuen Ostpolitik unter Brandt und Scheel wurde sie schließlich Stück für Stück außer Kraft gesetzt. Diese Politik stand in Einklang mit den amerikanischen sicherheitspolitischen Gegebenheiten, doch führten die deutschen „Alleingänge“ zu Skepsis beim Partner jenseits des Atlantiks. Besorgte Stimmen wurden laut, ob in Bonn nicht wieder eine „Rapallo-Mentalität“ die Oberhand gewinnen könnte. Vor allem die Politiker um Henry Kissinger befürchteten im Zuge der deutsch-sowjetischen Annäherung die Möglichkeit einer Lockerung der deutschen Beziehungen zum westlichen Bündnissystem für den Preis der Wiedervereinigung.[34]
Nach Abschluss der Ostverträge wurde allerdings klar, dass sich an der damaligen Lage nichts ändern würde. Mitte der 70er Jahre und insbesondere in den 80er Jahren taten sich einige Problemfelder, wie etwa die Diskussion um die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland, innerhalb der deutsch-amerikanischen Beziehungen auf, die aber allesamt wenig das deutsch-deutsche Verhältnis tangierten.
Erst unter Ronald Reagan, dem 1987 mit seinem Ausspruch vor dem Brandenburger Tor, „Mr. Gorbachev, tear down this wall“, ein medienwirksamer Höhepunkt gelang, wurden die USA wieder aktiver in ihrer Deutschlandpolitik. Allerdings spielte zu diesem Zeitpunkt auch die Anziehungskraft von Gorbatschows Reformen auf die Westdeutschen – in den Staaten abfällig als „Gorbimanie“ bezeichnet – eine Rolle. Die USA versuchten, wieder „Punkte“ zu sammeln.
2.4 Die Beziehungen zur DDR
Drei Schwerpunkte trieben Washington in ihrer Politik gegenüber dem zweiten deutschen Staat an, die den Aufbau tiefgreifender Beziehungen stets gehemmt und bis in die 70er Jahre unterbunden hatten:
1. Der Anspruch der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus auf Entschädigung, der durch die DDR abgelehnt wurde. Die Führung in Ostdeutschland berief sich auf einen universellen Anti-Faschismus. Dagegen wollten die USA die DDR nicht aus ihrer historischen Verantwortung lassen und forderten eine Summe von 100 Millionen US-Dollar als Entschädigung. Die DDR war aber neben Albanien das einzige Land Osteuropas, das Geldzahlungen stets verweigerte. Erst in den 80er Jahren wurde an die „Jewish Claims Conference“ der Betrag von einer Million US-Dollar überwiesen – diese Wiedergutmachung wurde aber als unzureichend zurückgewiesen.
2. Die Unterstützung marxistischer Befreiungsbewegungen vor allem in Afrika und Lateinamerika durch die DDR, was den USA ein Dorn im Auge war. Deshalb sah sich Washington auch nicht dazu bereit, dem sowjetischen Vasallen durch eine mögliche diplomatische Anerkennung einen Prestigegewinn zu verschaffen.
3. Die Nichtachtung der Menschenrechte durch die DDR, wofür die Berliner Mauer seit 1961 das Paradebeispiel war. Zudem protestierte Washington immer wieder gegen die Verletzung des Viermächte-Statuts, indem die DDR Flüchtlinge an den Sektorengrenzen verfolgen ließ.[35]
Zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den USA und der DDR kam es überhaupt erst ab 1974. Ein Jahr, nach dem beide deutsche Staaten Mitglied der UNO wurden, einigten sich Washington und Ost-Berlin über die Einrichtung von Botschaften in den beiden Hauptstädten. Wobei hier ein Sonderfall geschaffen wurde. Ähnlich wie die BRD auf eine „Botschaft“ in Ost-Berlin verzichtete und stattdessen eine „Ständige Vertretung“ schuf, wurde im State Department von einer Botschaft „bei“ und nicht „in“ der DDR gesprochen. Dadurch sollte der Eindruck vermieden werden, die USA würden Ost-Berlin als Hauptstadt der DDR anerkennen und damit den Viermächtestatus Berlins in Frage stellen.[36]
Wie schon erläutert, spielte die Bundesrepublik die wichtige Rolle in der amerikanischen Deutschlandpolitik. Für die USA erschien die DDR als treuester Verbündeter der Sowjetunion und Errichter der Berliner Mauer, später als Hemmschuh für Glasnost und Perestroika.[37] Für den „normalen“ US-Bürger sah die Sache ähnlich aus. Wie der amerikanische Deutschland-Kenner Robert Gerald Livingston im Magazin „Die Zeit“ schrieb, „stand die DDR völlig im Schatten der Bundesrepublik, die für die meisten Amerikaner gleichbedeutend mit Deutschland war.[38]“ Für Washington stand die DDR ebenfalls im Schatten, allerdings der Sowjetunion. Die Isolierung der DDR hatte zwar mit ihrer völkerrechtlichen Anerkennung formal ein Ende gefunden, doch von einer Normalisierung der Beziehungen konnte noch längst keine Rede sein. Bezeichnend für diese Situation ist, dass am 11. Juni 1990 erstmals mit Lothar de Maiziere ein Ministerpräsident der DDR zum Staatsbesuch in Washington weilte, als sich das Ende der Deutschen Demokratischen Republik schon deutlich abzeichnete.[39] Dabei hatte Erich Honecker in den 70er Jahren nie einen Hehl daraus gemacht, dass er gerne eine Einladung ins Weiße Haus bekommen würde. Die Beziehungen zwischen Washington und dem Honecker-Regime wiesen zwischenzeitlich zwar „Tauwetter-Phasen“ auf, doch kühlten sie dazwischen auch immer wieder ab – was vor allem an dem sich häufig ändernden Verhältnis zwischen den USA und der UdSSR lag. Nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan etwa froren die Beziehungen für einige Jahre praktisch ein.[40]
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass politische Beziehungen eigentlich nie eine Rolle spielten. Nach dem Austausch von Botschaftern beschränkte sich der Kontakt zwischen beiden Ländern trotzdem fast ausschließlich auf den kulturellen und wirtschaftlichen Sektor und auch hier blieben die Auswirkungen minimal. Obwohl gerade von DDR-Seite immer wieder Anstrengungen unternommen worden waren, diese Beziehungen weiter auszubauen. Fazit: „Zu keinem Zeitpunkt erreichten die Wirtschaftsbeziehungen eine Qualität, die sich für die Regierung in Ost-Berlin in politische Einflussmöglichkeiten hätte umsetzen lassen.[41]“ Die DDR besaß für die amerikanische Außenpolitik nie einen besonders großen Stellenwert. Durch die kritische Haltung Honeckers gegenüber der sowjetischen Reformpolitik katapultierte sich die DDR selbst ins Abseits.[42]
Interessant ist dabei auch das unterschiedliche Bild, dass die Bevölkerungen in den jeweiligen Ländern von einander hatten. Für den „einfachen“ US-Amerikaner trat die DDR praktisch kaum in Erscheinung, abgesehen vielleicht von Sportereignissen wie den Olympischen Spielen. Ansonsten wurde die Bundesrepublik wie bereits dargelegt mit Deutschland gleichgesetzt. Der DDR-Bevölkerung wurde von der Parteiführung dagegen ein eher negatives Bild der USA zu vermitteln versucht – „Amerika als Feindbild“[43]. Ein Verhältnis, dass der bekannte DDR-Dissident und Mitbegründer des neuen Forums, Jens Reich, bei einem Auftritt vor amerikanischem Publikum im Februar 1990 treffend beschrieb: „Ich grüße Sie, Bewohner eines fernen Sterns![44]“
Das hier gezeigte Verhältnis zwischen den USA und der DDR macht deutlich, dass sich der zweite deutsche Staat eigentlich nie als Verhandlungspartner Washingtons anbot oder als solcher angesehen wurde. Der Weg zur Deutschen Einheit würde seitens der USA nur über die Bundesrepublik führen – und eben der Sowjetunion als übermächtiger Schatten der DDR.
2.5 Der Begriff Wiedervereinigung und die „Deutsche Frage“
Die Einstellung im State Department zur „Deutschen Frage“ hatte sich im Laufe der Jahre gewandelt. Nach Rice und Zelikow bestand die Frage für die USA in den Nachkriegs- und Gründerjahren der BRD eigentlich aus drei Vertrauensfragen: „1. Trauen wir den Deutschen genug, um ihnen die Wiedervereinigung zu gestatten? 2. Trauen wir den Deutschen genug, um ihnen die freie Entscheidung über ihre politisch-militärische Orientierung zu gestatten? 3. Trauen wir ihnen genug, um sicher zu sein, dass ihre nationalen Bestrebungen den europäischen Frieden nicht gefährden werden?[45] Ein klares „Ja“ zu allen drei Punkten konnte es damals, kurz nach Beendigung des zweiten Weltkriegs, aus Sicht der USA nicht geben.
Später wurde der Wiedervereinigungsaspekt abgelöst. Der Kalte Krieg hatte diesem Gedanken sämtliche Erfolgsaussichten geraubt. In der amerikanischen Politik umfasste die „Deutsche Frage“ nunmehr die Beziehungen zu beiden deutschen Staaten, die Berlin-Problematik sowie die innerdeutschen Beziehungen.[46] Im Nachhinein wurde zwar immer wieder betont, dass die USA zu jeder Zeit zum Prinzip der Wiedervereinigung standen[47], angesichts der weltpolitischen Veränderungen musste dieser Punkt aber in den Hintergrund rücken. „Im Ergebnis“, so der Politikwissenschaftler Wolfgang-Uwe Friedrich zur Entwicklung nach dem Abschluss der Ostverträge, „schien die Deutsche Frage von der Agenda der Weltpolitik endgültig verschwunden.“[48] „Zum Element politischer Rhetorik verkümmert“, sieht sie Christoph Kleßmann.[49] Die deutsche Entspannungspolitik hatte in den USA für Diskussionsstoff gesorgt, denn es trat die einzige Befürchtung zu Tage, die die USA im Hinblick auf eine mögliche Wiedervereinigung sahen: Würde sich die BRD die Einheit unter dem Mantel der von der Sowjetunion angebotenen Neutralität erkaufen? Doch die Kritik an den Ostverträgen verhallte relativ schnell. Washington sah in ihnen auch einen Beitrag zur amerikanisch-sowjetischen Annäherung. Die Regierung Nixon sah sich durch die Politik der BRD sogar in einer vorteilhaften Lage gegenüber Moskau und verknüpfte die Ostverträge erfolgreich mit der Forderung an die Sowjetunion, im Vietnamkrieg Zurückhaltung zu üben. Die BRD hatte sich in dieser Phase endgültig zu einem festen Bündnispartner entwickelt – was die USA immer angestrebt hatte. Dass sich die Deutsche Frage damit zunächst nicht mehr für Washington stellte, musste aus deutscher Sicht hingenommen werden.[50] Zumal Kissinger zu dem Ergebnis kam, dass auch innerhalb Deutschlands die Deutsche Frage mit dem Ziel der Wiedervereinigung kein Thema mehr war: „Die Bundesrepublik hatte ihren Rubikon überschritten; sie hatte die Teilung Deutschlands anerkannt und den Status quo in Mitteleuropa besiegelt.[51]“
Interessant zu beobachten ist in diesem Zusammenhang auch, inwieweit der Begriff Wiedervereinigung überhaupt in die amerikanische Deutschland-Politik einfloss. Wie erwähnt waren die USA Unterzeichner des „Deutschland-Vertrages“ und an dessen Formulierung orientierte sich in der Folgezeit auch die Verwendung des Begriffes Wiedervereinigung. Meist waren es gemeinsame Stellungnahmen, die diesen Terminus beinhalteten. Eisenhower und Adenauer etwa erklärten 1957: „Germany must be reunited on a free and democratic basis by peaceful means.“ Kennedy und Adenauer benannten 1961 als „ultimate goal“ ihrer Politik „the reunification of Germany on the basis of self-determination.[52]“ Die Formulierungen der US-Politiker schlossen sich in dieser Hinsicht meist dem Sprachgebrauch ihrer deutschen Kollegen an. Willy Brandt und sein Nachfolger Helmut Schmidt unterließen die Verwendung des Begriffes, so blieb er auch in gemeinsamen Erklärungen mit der USA außen vor. Erst Helmut Kohl griff ihn in den 80er Jahren wieder auf. Friedrich weist aber darauf hin, dass die Formulierungen von amerikanischer Seite offenkundig auf deutsche Wünsche eingingen und daher fast ausschließlich auf gemeinsame Stellungnahmen begrenzt waren. In Reden amerikanischer Präsidenten tauchte der Begriff eher selten auf. Ausnahmen waren in dieser Hinsicht nur Kennedy und Reagan. Bei beiden fanden die Reden allerdings in Deutschland statt. Sowohl Kennedy als auch Reagan hatten dabei sicher ein positives Medienecho und das Wohlwollen der deutschen Regierung im Blick. Denn worauf Friedrich hinweist, sah auch Reagan 1987 keine große Chance, dass Gorbatschow seiner Aufforderung, die Mauer niederzureißen, in nächster Zeit nachkommen würde.[53] Kleinfeld verglich Besuche der amerikanischen Präsidenten in Deutschland mit einem immer wiederkehrenden Ritual, dass letztendlich keine Auswirkungen auf die „Deutsche Frage“ hatte.[54]
Im Ergebnis ist festzuhalten: Der Stellenwert der „Deutschen Frage“ innerhalb der amerikanisch-deutschen Beziehungen schrumpfte bis 1989 auf ein geringes Maß. Der Aspekt der Wiedervereinigung spielte praktisch gar keine Rolle mehr. Für die USA standen die weiterführende Etablierung der BRD im westlichen Staatenverbund und die Politik gegenüber der Sowjetunion im Vordergrund. Bekenntnisse zur Wiedervereinigung gab es wenn überhaupt in medienwirksamen Reden und Stellungnahmen beider Seiten, ein vereintes Deutschland war für die USA kein Thema. Diesen Eindruck verstärkten Stimmen bundesdeutscher Politiker, die selbst 1988 nicht an eine Realisierung glaubten. Stuttgarts Bürgermeister Manfred Rommel erklärte gegenüber Journalisten, dass „die Idee der Wiedervereinigung [...] völlig aussichtslos sei. Alt-Kanzler Helmut Schmidt sah darin eine Aufgabe für das nächste Jahrhundert, und der damals amtierende Kanzler Helmut Kohl gab zu, dass er die Wiedervereinigung wahrscheinlich nicht mehr erleben werde.[55] Die weltpolitische Situation schien trotz des Reformwillens Gorbatschows in der UdSSR festgefahren.
Trotz des nicht öffentlichen Eintretens für die Wiedervereinigung seitens der USA sieht die Forschung aber in ihrer Politik durchaus eine größere Bedeutung auch für die Entwicklungen ab 1989. Washington zeigte zwar in den 70er und 80er Jahren ein, wie Hacke es nennt, „low profile“ in der Deutschen Frage, setzte diese aber, als es darauf ankam, wieder schnell auf die Tagesordnung.[56] Inwieweit sich die Politik nach dem Amtsantritt Bushs 1989 in einer Phase der Neuorientierung befand und welche Ereignisse diese vorantrieben, soll im nächsten Kapitel dargelegt werden.
3. Die Neuorientierung der amerikanischen Deutschlandpolitik
Das Jahr 1989 bedeutete in vielerlei Hinsicht einen Umbruch. Die Ereignisse in Osteuropa und der DDR sind dabei ebenso zu nennen, wie die neue Richtung in der amerikanischen Ost- und Deutschlandpolitik. Mit George Bush trat ein Präsident ins Amt, unter dessen Führung die Außenpolitik und insbesondere die Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland auf neue Grundlagen gestellt wurden. Soweit die USA aber vielleicht auch vordachten, mit den Entwicklungen, die im Laufe des Jahres 1989 voranschritten, und vor allem deren Tempo hatte auch das amerikanische Außenministerium nicht gerechnet.
3.1 Wer hat das Sagen?
Wenn von der amerikanischen Politik im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung die Rede ist, fallen viele Namen. Die Politik beschränkte sich nicht allein auf Präsident Bush oder Außenminister Baker. Eine Reihe von Personen spielten eine teils maßgebliche Rolle, auch wenn sie öffentlich eher selten auftraten, dafür aber hinter den Kulissen arbeiteten. Eine kurze Aufstellung der Hauptakteure, dort allerdings nicht nur auf die USA begrenzt, findet sich bei Zelikow und Rice.[57] Ein Blick darauf führt zu der Frage. Wer betrieb überhaupt die Außenpolitik der USA? Oder anders ausgedrückt: Wer hatte das Sagen? Für Bush, Anfang 1989 erst frisch in sein Amt gewählt, existierte nicht nur Europa als Aufgabenfeld. Schließlich galt es für ihn, sich erst einmal um eine innenpolitische Stärkung seiner Position zu bemühen. Im Folgenden sollen die Hauptpersonen auf amerikanischer Seite vorgestellt und aufgezeichnet werden, wie die Kompetenzen in der US-Administration bezüglich der Außenpolitik verteilt waren und auch heute noch sind.
Als Erstes ist festzuhalten, dass eine exakte Kompetenzfestlegung zwischen den US-Verfassungsorganen in außenpolitischen Fragen nicht existiert. In der amerikanischen Verfassung fehlen Formulierungen, die eine Eingrenzung ermöglichen. Stattdessen beruft man sich auf das amerikanische Grundprinzip der „Checks and Balances“. In der Verfassung heißt es nur, Präsident und Kongress sind für die Außenpolitik zuständig – ohne die Rollen exakt zu definieren. Dadurch besteht die Gefahr, dass Konflikte zwischen den Organen geschürt werden und Entscheidungen in der Sackgasse landen können. Nach Meinung von Außenpolitik- und Verfassungsrechtsexperten galt dies aber nur in der Theorie. Anthony Lake bescheinigte der amerikanischen Außenpolitik bis Mitte der 80er Jahre ein hohes Maß an Geschlossenheit. Einen radikalen Kurswechsel innerhalb der Politik erschwerte das in den USA herrschende System zwar deutlich, aber auch darin erkannte Lake keinen Nachteil: „Serious nations do not redefine their national interests every few years [...] Foreign policy accomplishments generally come about because a nation has been able to sustain a course of action over a long period of time.[58]“
Präsident, State Department und NSC
Wie sieht die Rollenverteilung innerhalb der Außenpolitik denn nun aus? Den Part der Exekutive erfüllt der Präsident. Er schließt unter Zustimmung des Senats Verträge mit anderen Staaten ab und führt außerdem den Oberbefehl über die Streitkräfte aus.[59] Mit George Bush, unter Reagan Vizepräsident, kam ein Mann an die Macht, der über reichlich diplomatische Erfahrung verfügte. Während des Wahlkampfes 1988 hatte Bush offengelassen, in welche Richtung seine Politik zielen würde, lediglich die Begriffe „Frieden“ und „Stärke“ wurden immer wieder hervorgehoben. Eine Betonung auf eine bestimmte Deutschlandpolitik gab es bis Anfang 1989 nicht. Es wurde allgemein angenommen, dass er die Linie seines Vorgängers Reagan weiter verfolgen würde.[60] Bushs Deutschlandbild war durchaus positiv und wie Knappe beschreibt „frei von historischen Ressentiments“, was nicht für alle US-Regierungen der Vergangenheit galt.[61]
Ihm zur Seite standen in allen außenpolitischen Angelegenheiten das Außenministerium (Department of State) mit Außenminister Baker an der Spitze und der Nationale Sicherheitsrat (National Security Council, NSC), dessen Führung Brent Scowcroft innehatte. Beide Gremien standen in einem schwierigen Verhältnis zueinander, das Elizabeth Pond als „combination of rivalry and cooperation[62]“ charakterisiert. In der Bush-Ära allerdings überwog die Kooperation zwischen beiden Gremien, was auch Robert Blackwill später ausdrücklich hervorhob. Denn der damalige Sonderbeauftragte des Präsidenten wies darauf hin, dass bis dato „lähmende bürokratische Streitigkeiten an den Ufern des Potomac eine langwierige und traurige Tradition[63]“ hatten. Problemfelder ergaben sich durch die unterschiedliche Einschätzung der Reformbemühungen Gorbatschows. Gerade beim NSC, das die Interessen der Konservativen und des Militärs vertrat, überwog die Skepsis gegenüber der Sowjetunion. „Gorbatschows Charmeoffensiven[64]“ lösten im NSC die Befürchtung aus, der starke Mann im Kreml rüttele an der Bündnistreue der Westeuropäer. Die Sowjetunion wurde noch immer als Bedrohung gesehen.
Auf der anderen Seite stand das State Department, das sich unter Baker eher einem kooperativen Element in der Politik gegenüber der Sowjetunion verschrieben hatte. Zum engen Beraterstab, dem „Policy Planning Staff“, zählten Bakers Chefberater Robert Zoellick und der Direktor des Planungsstabes Dennis Ross. Nach dem Fall der Mauer wurden außerdem Raymond Seitz und James Dobbins vom Bureau for European and Canadian Affairs in die Diskussionen mit einbezogen. Baker ging mit Bush konform in der Hinsicht, dass auch er seinen Beraterstab möglichst klein hielt.[65] Dem State Department untergeordnet waren die beiden Botschafter Vernon Walters (Bonn), von dem später noch die Rede sein wird, und Richard C. Barkley (Ost-Berlin). Beide hatten aber nur unzureichende Kompetenzen und wurden in die Verhandlungen und Entscheidungsfragen nur selten einbezogen, was insbesondere Walters später anprangerte. Das State Department betrieb seiner Meinung nach „Geheimnistuerei“ und schloss ihn als „wichtiges Bindeglied in den deutsch-amerikanischen Beziehungen“ aus.[66] Dazu ist aber anzumerken, dass Walters im Juni 1989 überhaupt erst als Botschafter eingesetzt wurde. Außerdem geriet der damals 73-Jährige oftmals in die Kritik Bakers, als er ohne Abstimmung mit dem State Department immer wieder zum, so Baker, höchst sensiblen Thema der Wiedervereinigung öffentlich Stellung bezog.[67]
Der Kongress
Präsident, State Department und NSC stehen in ihrer Entscheidungsfindung im außenpolitischen Prozess theoretisch unter der Kontrolle des Kongresses, der die Position der Legislative erfüllt. Allerdings sind die Möglichkeiten des Kongresses begrenzt. Er kann zwar Entscheidungen blockieren, aber nur in Ausnahme selbstständige Außenpolitik gegenüber der Exekutive betreiben. Im Entscheidungsprozess versuchen sich die beiden Häuser des Kongresses durch die Bildung von Ausschüssen einzubringen. Im Vereinigungsprozess geschah dies im Repräsentantenhaus mit dem „Subcommitee on Economic Stability“, dem „Small Business Commitee“ und dem „Foreign Affairs Commitee“. Der Senat beteiligte sich mit dem „Budget Commitee“, dem „Armed Services Commitee“ und dem „Foreign Relations Commitee“.
Der Präsident benötigt für außenpolitische Verträge eine Zwei Drittel-Mehrheit im Senat. Der Einfluss des Repräsentantenhauses auf die Außenpolitik ist durch die Bereitstellung von finanziellen Mittel gegeben. Der Kongress an sich kann den Handlungsspielraum des Präsidenten höchstens eingrenzen. Seine Mitglieder dürfen dabei aber nie ihre innenpolitische Verantwortung gegenüber den Wählern außer acht lassen.[68]
Politische Interessengruppen
Eine dritte Gruppe, die außenpolitisch aber eine eher schwache Rolle spielt, sind die organisierten Interessengruppen („pressure-groups“). Ihr Antrieb ist es, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, um so Druck zu erzeugen. Ihr Hauptaugenmerk liegt normalerweise im innenpolitischen Bereich. Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung nahmen zu der Thematik aber auch Interessengruppen Stellung. Jüdische Verbände meldeten sich ebenso zu Wort, wie auch Amerikaner polnischer Abstammung, die sich zur Frage der Oder-Neiße-Grenze äußerten.[69] Jüdische Gruppen hatten, wie in Kapitel 2.3 erwähnt, schon im Zuge der amerikanischen Politik gegenüber der DDR versucht, Einfluss zu nehmen.
Das Zusammenspiel
Katherine Pruitt vergleicht die Entscheidungsfindung des amerikanischen Präsidenten in der Außenpolitik mit einem Kreismodell[70]: Der Präsident im Kreiszentrum wird beeinflusst durch seinen direkten Beraterstab (erster Kreis), die Ministerien (zweiter Kreis), den Kongress, die öffentliche Meinung und Interessenverbänden (dritter Kreis), sowie dem internationalen Recht, internationalen gouvernementalen Organisationen und internationalen nicht-gouvernementalen Organisationen (äußerer Kreis).
[...]
[1] Cornelia B. Rieß / Heinrich Bortfeldt: Die deutsch-amerikanischen Beziehungen der Nachkriegszeit
(1945 – 1993), Melle 1994, S. 11.
[2] Vgl. ebd.; auch Klaus Schwabe: Deutschlandpolitik als Integrationspolitik: Die USA und die Deutsche Frage,
in: Wolfgang-Uwe Friedrich (Hg.): Die USA und die Deutsche Frage 1945 – 1990, Frankfurt 1991, S. 107f.
[3] Vgl. Katherine Lisa Pruitt: Die amerikanische Deutschlandpolitik in der Bush-Ära: Wandel einer historischen
Partnerschaft, München 1995, S. 53.
[4] Vgl. Siegrid Westphal / Joachim Arenth: Uncle Sam und die Deutschen. 50 Jahre deutsch-amerikanische
Partnerschaft in Politik, Wirtschaft und Alltagsleben, Bonn 1995, S. 55.
[5] Vgl. Schwabe, S. 111.
[6] Rieß / Bortfeldt: Die deutsch-amerikanischen Beziehungen der Nachkriegszeit, S. 13
[7] Ebd., S. 14.
[8] Christoph Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945 – 1955, Bonn 1991, S. 180.
[9] Vgl. Westphal / Arenth, S. 56.
[10] Wolfgang Krieger: Die Deutschlandpolitik der amerikanischen Besatzungsmacht 1943 – 1949,
in: Wolfgang-Uwe Friedrich(Hg.): Die USA und die Deutsche Frage 1945 – 1990, Frankfurt 1991, S. 95.
[11] Vgl. Schwabe, S. 111.
[12] Kleßmann, S. 180.
[13] Stellungnahme des Zentralsekretariats der SED zum Marshallplan vom 23. Juli 1947,
zitiert nach: Kleßmann, S. 452.
[14] Vgl. Schwabe, S. 113f, auch Westphal / Arenth, S. 59f.
[15] Vgl. Rieß / Bortfeldt: Die deutsch-amerikanischen Beziehungen der Nachkriegszeit, S. 15; auch Kleßmann,
S. 185f.
[16] Lucius D. Clay: Entscheidung in Deutschland, Frankfurt 1950, S. 396.
[17] Schwabe, S. 105.
[18] Vgl. Krieger, S. 100.
[19] Philip Zelikow / Condoleezza Rice: Sternstunde der Diplomatie. Die deutsche Einheit und das Ende der
Spaltung Europas, Berlin 1999, S. 78.
[20] Kleßmann, S. 178.
[21] Vgl. Stephen F. Szabo: The diplomacy of German unification, New York 1992, S. 3.
[22] Vgl. Schwabe, S. 124.
[23] Krieger, S. 101.
[24] Kleßmann, S. 187.
[25] Vgl. Henry Ashby Turner Jr.: Germany from Partition to Reunification, New York 1992.
[26] Vgl. Kleßmann, S. 193f; auch Schwabe, S. 115.
[27] Vgl. Zelikow / Rice, S. 84f.
[28] Besatzungsstatut zwischen der zukünftigen deutschen Regierung und der Alliierten Kontrollbehörde vom
10. April 1949, Abschnitt 3, zitiert nach: Kleßmann, S. 460.
[29] Vgl. Heinrich Bortfeldt: Washington – Bonn – Berlin. Die USA und die deutsche Einheit, Bonn 1993, S. 13f;
auch Schwabe, S. 105.
[30] Vgl. Schröder, Hans-Jürgen: USA und westdeutscher Wiederaufstieg (1945 – 1952), in: Larres, Klaus /
Oppelland, Torsten (Hg.): Deutschland und die USA im 20. Jahrhundert. Geschichte der politische
Beziehungen, Darmstadt 1997, S. 103 – 105.
[31] Zitiert nach Karl Kaiser: Deutschlands Vereinigung, Bergisch-Gladbach 1991, S. 136.
[32] Vgl. Jens Knappe: Die USA und die deutsche Einheit, München 1996, S. 30f.
[33] Zitiert nach Wolfgang-Uwe Friedrich: Demokratische Realpolitik: Die Deutsche Frage als Problem der
deutsch-amerikanischen Beziehungen 1949 – 1990, in: Ders. (Hg.): Die USA und die Deutsche Frage, S. 32.
[34] Vgl. Bortfeldt, Washington – Bonn – Berlin, S. 16.
[35] Vgl. Frank Ettrich: Feindbild Amerika in der DDR. Alltagskultur versus Ideologie, in: Die Politische
Meinung, Heft 405, August 2003, S. 45.
[36] Vgl. Rieß / Bortfeldt: Die deutsch-amerikanischen Beziehungen der Nachkriegszeit, S. 40; auch Christian
Ostermann: In Bonns Schatten: Die Beziehungen zwischen Washington und Ost-Berlin, in: Detlef
Junker (Hg.): Die USA und Deutschland im Zeitalter des Kalten Krieges 1968 – 1990, Band 2: 1968 – 1990,
Stuttgart/München 2001, S. 153.
[37] Vgl. Daniel Hamilton: Ferne Sterne: Die Beziehungen der USA zur DR 1974 – 1990, in: Wolfgang-Uwe
Friedrich (Hg.): Die USA und die Deutsche Frage 1945 – 1990, Frankfurt 1991, S. 259.
[38] Robert Gerald Livingston: Ganz im Schatten der Bundesrepublik. Das Verhältnis zwischen Ost-Berlin und
Washington, in Die Zeit, 23. September 1988, zitiert nach: Hamilton, Ferne Sterne, S. 259.
[39] Vgl. Rieß / Bortfeldt: Die deutsch-amerikanischen Beziehungen der Nachkriegszeit, S. 39.
[40] Vgl. Hamilton, S. 265f.
[41] Rieß / Bortfeldt: Die deutsch-amerikanischen Beziehungen der Nachkriegszeit, S. 44.
[42] Vgl. Ostermann, S. 157.
[43] Vgl. Ettrich, S. 42f.
[44] Zitiert nach Hamilton, S. 276.
[45] Zelikow / Rice, S. 83.
[46] Vgl. Bortfeldt, Washington – Bonn – Berlin, S. 9.
[47] Vgl. Walters, Vernon: Der amerikanische Standpunkt zur europäischen Sicherheit und zur deutschen Frage.
Vortragsreihe „Die deutsche Frage aus internationaler Sicht“, Bonn 1990, S. 9.
[48] Friedrich, Demokratische Realpolitik, S. 33.
[49] Kleßmann, S. 299.
[50] Vgl. Christian Ha>
[51] Zitiert nach Friedrich, Demokratische Realpolitik, S. 33.
[52] Ebd., S. 5.
[53] Ebd., S. 6f.
[54] Vgl. Gerard Kleinfeld: Die Verwirklichung des Unwahrscheinlichen: Amerikanische Außenpolitik und
deutsche Wiedervereinigung, in: Wolfgang-Uwe Friedrich (Hg.): Die USA und die Deutsche Frage
1945 – 1990, Frankfurt 1991, S. 369.
[55] Zitiert nach Zelikow / Rice, S. 101.
[56] Hacke, S. 45.
[57] Zelikow / Rice, S. 23f.
[58] Zitiert nach Pruitt, S. 42.
[59] Vgl. ebd.; auch Knappe, S. 37.
[60] Vgl. Kleinfeld, S. 370.
[61] Vgl. Knappe, S. 38.
[62] Elizabeth Pond: Beyond the wall. Germany´s Road to Unification, New York 1993, S. 164.
[63] Robert D. Blackwill: Deutsche Vereinigung und amerikanische Diplomatie, in: Außenpolitik,
Heft 3, 1994, S. 212 – 225.
[64] James A. Baker: Drei Jahre, die die Welt veränderten. Erinnerungen, Berlin 1996, S. 93.
[65] Vgl. Knappe, S. 41.
[66] Vernon Walters: Die Vereinigung war voraussehbar. Hinter den Kulissen eines entscheidenden Jahres,
Berlin 1994, S. 49.
[67] Vgl. Baker, S. 157.
[68] Vgl. Knappe, S. 43f.
[69] Ebd., S. 45f.
[70] Pruitt, S. 40.
- Arbeit zitieren
- Manuel Praest (Autor:in), 2005, Rolle und Haltung der USA im deutschen Einigungsprozess, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42560
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