Deutsch wird in vielen Ländern als Fremdsprache gelehrt, vor allem jedoch in den Nachbarländern. Eines davon ist Frankreich. In meiner Bachelorarbeit verglich ich (als Studentin der Fächer Deutsch und Französisch) den dortigen Fremdsprachenunterricht mit dem meines Heimatlands. Schwerpunkte waren Methoden, Sozialformen und Medien, die bei der Vermittlung der deutschen Sprache in Frankreich und im Französischunterricht in Deutschland eingesetzt werden.
Auch meine Masterarbeit hat zum Ziel, einen fächerübergreifenden Beitrag zur Fremdsprachendidaktik zu leisten. Im Fokus steht der Fremdsprachenunterricht in Frankreich und die dortige Vermittlung der deutschen Schriftsprache.
Während meines neunmonatigen Auslandsaufenthalts in Lorient hatte ich die Gelegenheit, ein Deutschtutorium für die Germanistikstudenten an der Université de Bretagne-Sud zu leiten. In dieser Zeit habe ich mitbekommen, dass den meisten Lernern der Umgang mit der deutschen Schriftsprache sehr schwer fällt, auch wenn sie sich sogar dazu entschieden haben, das Fach Deutsch zu studieren. Besonders das Verfassen längerer Texte war für viele Studenten eine unüberwindbare Hürde, da sie sich mit zu vielen Faktoren konfrontiert sahen, auf die sie achten mussten (Grammatik, Rechtschreibung, Satzkonstruktionen, Stilistik…). Dies ergab eine Umfrage, die im Rahmen meiner Bachelorarbeit in dem Deutschkurs durchgeführt wurde.
Bereits damals stellte sich mir die Frage, wie man den französischen Lernern den Umgang mit der Schriftsprache, das Erlernen ihrer Prinzipien und die Anwendung der orthographischen Regeln erleichtern kann. Ein Jahr später besuchte ich ein Seminar zum Schriftspracherwerb und die Fragestellung trat erneut in den Vordergrund. Die vorliegende Masterarbeit schien mir eine geeignete Gelegenheit, sie aufzuarbeiten, das Problem zu reflektieren und Lösungsansätze zu finden.
Inhaltsverzeichnis
0 EINLEITUNG
1. TEIL A: HISTORISCHE GRUNDLAGEN
1.1 Französisch – Die Entwicklung einer romanischen Sprache
1.1.1 Die Romanisierung Galliens
1.1.2 Der sprachliche Einfluss auf das Vulgärlatein und die Herausbildung des Französischen
1.1.3 Die Verschriftlichung des Französischen
1.1.4 Das Altfranzösisch
1.1.5 Das Mittelfranzösisch
1.1.6 Das Neufranzösisch
1.2 Deutsch – Die Entwicklung einer germanischen Sprache
1.2.1 Vom Indogermanischen zur germanischen Sprache
1.2.2 Die Entstehung des Deutschen
1.2.3 Althochdeutsch
1.2.4 Mittelhochdeutsch
1.2.5 Neuhochdeutsch
1.2.6 Das heutige Standarddeutsch
2. TEIL B: LINGUISTISCHE GRUNDLAGEN
2.1 Definitionen
2.1.1 Phonem, Phon und Allophon
2.1.2 Graphem, Graph und Allograph
2.1.3 Phonologie, Graphematik und Orthographie
2.2 Die verschiedenen Schriftsysteme
2.2.1 Die lateinische Alphabetschrift
2.2.2 Das französische Schriftsystem
2.2.3 Das deutsche Schriftsystem
2.3 Die deutsche Orthographie
2.3.1 Die Prinzipien der deutschen Rechtschreibung
2.3.2 Die Ebene der Rechtschreibregeln
2.4 Die deutsche Grammatik
3. TEIL C: DIDKATISCHE ÜBERLEGUNGEN
3.1 Definitionen Erstsprache, Zweitsprache, Fremdsprache
3.2 Das Erlernen der deutschen Schrift
3.2.1 Deutsch als Fremdsprache im französischen Lehrplan
3.2.2 Die Lernvoraussetzungen
3.2.3 Das Lernen der neuen Schrift
3.3 Mögliche Schwierigkeiten beim Schrifterwerb des Deutschen
3.3.1 Die deutsche Silbe
3.3.2 Die Auslautverhärtung
3.3.3 Die Nominalisierung
3.3.4 Komposition von Substantiven
3.4 Fehleranalyse – Deutsche Texte von französischen Lernern
3.4.1 Aufgabenauswahl, Vorgehensweise und Ziele der Untersuchung
3.4.2 Textanalyse und Fehlerinterpretation
3.4.3 Zusammenfassung der Ergebnisse
3.5 Fremdsprachendidaktische Überlegungen
3.5.1 Die deutsche Silbe – Umgang mit Schwierigkeiten
3.5.2 Die Auslautverhärtung – Umgang mit Schwierigkeiten
3.5.3 Die Nominalisierung – Umgang mit Schwierigkeiten
3.5.4 Komposition von Substantiven – Umgang mit Schwierigkeiten
3.5.5 Der freie Text – Anwendung des erworbenen Wissens
4. SCHLUSS
5. LITERATURVERZEICHNIS
Onlinequellen
Bildquellen
6. ANHANG
6.1 Schreibaufgaben
6.2 Texte
6.3 Übungen
6.3.1 Laufdiktat zum Thema Dehnungs-h
6.3.2 Übungen zur Nominalisierung
6.3.3 Diktat zur Nominalisierung
6.3.4 Spiel zur Bildung von Komposita
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Zweite Etappe der Romanisierung.
Abbildung 2: Die Entwicklung des Lateinischen.
Abbildung 3: Spracheinflüsse.
Abbildung 4: Le serment en langue romane.
Abbildung 5: Statuts et règlements de l'Académie française.
Abbildung 6: Sprachenstammbaum.
Abbildung 7: Germanenstämme und ihre Verbreitung.
Abbildung 8: Die germanischen Sprachen.
Abbildung 9: Notationen in der Sprachwissenschaft.
Abbildung 10: Manios-Spange.
Abbildung 11: Orthographische Prinzipien und Regelbereiche.
Abbildung 12: Das deutsche Grapheminventar.
Abbildung 13: Kompetenzen im Bereich Fremdsprachen.
Abbildung 14: Prozessorientiertes Schreiben in der Zweit- und Fremdsprache.
Abbildung 15: Auslautverhärtung - Deutlich sprechen reicht nicht.
Abbildung 16: Konsonantenverdopplung Arbeitsblatt.
Abbildung 17: Das Dehnuns-h.
Abbildung 18: Pluralbildung – Auszug.
Abbildung 19: Auslautverhärtung - Auszug einer Übung.
Abbildung 20: Nominalisierung – Regeln.
Abbildung 21: Groß- und Kleinschreibung.
Abbildung 22: Komposita im Deutschen.
Abbildung 23: Komposita bilden.
Abbildung 24: Schreibmodell nach Hayes/ Flower.
Abbildung 25: 3 Säulen Modell.
Abbildung 26: Schreibanlässe.
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Die erste Lautverschiebung (Jacob 2003-2006:o.S.)
Tabelle 2: Die zweite Lautverschiebung (Jacob 2003-2006:o.S.)
Tabelle 3: Veränderungen der deutschen (Schrift-)Sprache (Jacob 2003-2006:o.S.).
Tabelle 4: Veränderungen vom Mittel- zum Neuhochdeutschen (Jacob 2003-2006:o.S.).
Tabelle 5: Fehleranalyse „informeller Kontext“
Tabelle 6: Fehleranalyse „formeller Kontext“
Tabelle 7: Fehlerkategorisierung „informeller Kontext“
Tabelle 8: Fehlerkategorisierung „formeller Kontext“
Anmerkung : Werden Personenbezeichnungen aus Gründen der besseren Lesbarkeit lediglich in der männlichen oder weiblichen Form verwendet, so schließt dies das jeweils andere Geschlecht mit ein.
0 EINLEITUNG
„Ich brauchte das Schreiben als Ventil, als Unterhaltung, als Befreiung. Als Sicherheit. Ich brauchte sogar die verdammte Arbeit, die es mir machte.“
(Charles Bukowski)[1]
Sicher trifft nicht auf jeden Menschen zu, was Charles Bukowski über das Schreiben sagt. Für manche Kinder, Jugendliche und auch für Erwachsene kann Schreiben lästig sein und wird wenn möglich vermieden. Eine Schülerin sagte einmal: „Wenn’s nicht sein muss, schreib’ ich noch nicht mal ‘ne Postkarte!“ (Balle/ Damm 2008: o.S.). Für andere Menschen wiederum ist das Schreiben eine Freizeitbeschäftigung, eine Form, sich seine Gedanken bewusst zu machen oder (wie Bukowski sagt) ein Ventil und eine Befreiung. Unbestritten ist jedoch die Tatsache, dass das Schreiben ein wichtiges Mittel zur Kommunikation und zur gesellschaftlichen Teilhabe ist. Sei es beispielsweise, um eine Bewerbung zu verfassen, um einen Handyvertrag zu kündigen, um eine Versicherung abzuschließen, um eine Geburtstagseinladung zu schreiben, um die Danksagung nach der Hochzeit zu formulieren oder um eine To Do-Liste aufzustellen. Zu lernen, wie man richtig schreibt, muss also Bestandteil jedes Deutschunterrichts sein. So schreibt es der Lehrplan in den deutschen Bundesländern vor – aber auch der europäische Referenzrahmen für Sprachen, der für den Fremdsprachenunterricht Deutsch von Bedeutung ist.
Deutsch wird in vielen Ländern als Fremdsprache gelehrt, vor allem jedoch in den Nachbarländern. Eines davon ist Frankreich. In meiner Bachelorarbeit verglich ich (als Studentin der Fächer Deutsch und Französisch) den dortigen Fremdsprachenunterricht mit dem meines Heimatlands. Schwerpunkte waren Methoden, Sozialformen und Medien, die bei der Vermittlung der deutschen Sprache in Frankreich und im Französischunterricht in Deutschland eingesetzt werden. Auch meine Masterarbeit hat zum Ziel, einen fächerübergreifenden Beitrag zur Fremdsprachendidaktik zu leisten. Im Fokus steht der Fremdsprachenunterricht in Frankreich und die dortige Vermittlung der deutschen Schriftsprache. Während meines neunmonatigen Auslandsaufenthalts in Lorient hatte ich die Gelegenheit, ein Deutschtutorium für die Germanistikstudenten an der Université de Bretagne-Sud zu leiten. In dieser Zeit habe ich mitbekommen, dass den meisten Lernern der Umgang mit der deutschen Schriftsprache sehr schwer fällt, auch wenn sie sich sogar dazu entschieden haben, das Fach Deutsch zu studieren. Besonders das Verfassen längerer Texte war für viele Studenten eine unüberwindbare Hürde, da sie sich mit zu vielen Faktoren konfrontiert sahen, auf die sie achten mussten (Grammatik, Rechtschreibung, Satzkonstruktionen, Stilistik…). Dies ergab eine Umfrage, die im Rahmen meiner Bachelorarbeit in dem Deutschkurs durchgeführt wurde[2]. Bereits damals stellte sich mir die Frage, wie man den französischen Lernern den Umgang mit der Schriftsprache, das Erlernen ihrer Prinzipien und die Anwendung der orthographischen Regeln erleichtern kann. Ein Jahr später besuchte ich ein Seminar zum Schriftspracherwerb und die Fragestellung trat erneut in den Vordergrund. Die vorliegende Masterarbeit schien mir eine geeignete Gelegenheit, sie aufzuarbeiten, das Problem zu reflektieren und Lösungsansätze zu finden.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass das Erlernen der deutschen Schriftsprache, wie es im Titel dieser Arbeit lautet, im eigentlichen Sinne meint, die deutsche Schrift lesen und schreiben zu können. Lesen- und Schreibenlernen wird allgemein als ein integrativer Prozess angesehen, wobei sich Lesen und Schreiben gegenseitig bedingen und beeinflussen (vgl. Dürscheid 2012: 240). Dennoch wird im europäischen Referenzrahmen klar unterschieden zwischen dem Bereich der Lesekompetenz und dem Bereich der Schreibkompetenz, da es sich um zwei unterschiedliche Aktivitäten handelt. Dabei erfordert das Schreiben eine höhere kognitive Leistung, da neben der Verwendung des richtigen Wortschatzes und der Grammatik beispielsweise auch die Orthographie und der Stil eine Rolle spielen (vgl. Nieweler 2013: 123). Aus diesem Grund liegt der Fokus dieser Arbeit ausschließlich auf der Schulung der Schreibkompetenz und der Vermittlung der deutschen Orthographie.
Vorgehensweise
Die Arbeit ist in drei große aufeinander aufbauende Teile gegliedert.
Im ersten Teil geht es darum, die Geschichte der französischen und die der deutschen Sprache darzustellen. Dadurch ist es dem Leser einerseits möglich zu verstehen, weshalb die beiden Sprachen so verschieden sind und andererseits, auf welchen historischen Begebenheiten die heutigen Sprachsysteme basieren. Durch dieses Hintergrundwissen kann der Leser im weiteren Verlauf nachvollziehen, wie die Orthographie sich entwickelt (hat) und weshalb das Erlernen der deutschen Schriftsprache nicht völlig unkompliziert ist, wenn das Schriftsystem der Erstsprache (welches in der Regel für den Lerner die Sprache ist, auf die er ständig zurück greift und zu transferieren versucht) das Französische ist.
Der zweite Teil bietet einen Einblick in die französische und die deutsche Orthographie, wobei das Deutsche an dieser Stelle ausführlicher behandelt wird. Grund hierfür ist, dass der Fokus dieser Arbeit auf dem Schrifterwerb des Deutschen liegt und somit das Französische lediglich als Ausgangsbasis betrachtet werden muss. Es geht in diesem Teil darum, dem Leser zu zeigen, auf welchen Regeln die deutsche Schriftsprache aufgebaut ist, welche Prinzipien das Schreiben bestimmen und nicht zuletzt, bereits mögliche Schwierigkeiten im Erlernen dieser Schriftsprache aufzuzeigen. Dabei wird immer exemplarisch davon ausgegangen, dass die Ausgangssprache des Lerners das Französische ist. Die Grammatik der deutschen Sprache wird ebenfalls kurz beleuchtet, wobei diese sehr viel allgemeiner und knapper gehalten wird.
Anschließend folgt ein dritter Teil, in dem die Fremdsprachendidaktik eine Rolle spielt und der dementsprechend den Kern der Arbeit darstellt. Nach verschiedenen Definitionen zum Spracherwerb, bei dem die Voraussetzungen eines Fremdsprachenlerners hervorgehoben werden, wird ein Blick auf den französischen Lehrplan geworfen, um aufzuzeigen, welche Bereiche der deutschen Schriftsprache im Unterricht wichtig sind. Davon ausgehend wird der Erwerb einer neuen Schrift näher beleuchtet, wobei vor allem auf die Rolle des Fehlers eingegangen wird. Auf Grundlage der ersten beiden Teile dieser Arbeit werden dann vier Fehlerbereiche ausgewählt, anhand deren exemplarisch die Schwierigkeiten der deutschen Schriftsprache, die sich französischen Lernern oft bereiten, erklärt werden. Sie werden nach diesem Schritt in Texten von französischen Probanden in verschiedenen Kontexten aufgezeigt und analysiert. Daraufhin werden konkrete Überlegungen angestellt, wie man den Problemen begegnen und den Franzosen geeignete Hilfestellungen anbieten kann. Am Ende der Arbeit werden die Ergebnisse kurz zusammengefasst.
1. TEIL A: HISTORISCHE GRUNDLAGEN
1.1 Französisch – Die Entwicklung einer romanischen Sprache
Die französische Sprache als solche und ebenso die Bezeichnung Französisch ist vergleichsweise nicht sehr alt. Einer groben Datierung dient die Glaubensherrschaft der Kapetinger 987-1328, während der sich das Französische als Landessprache etablierte (vgl. Joly o.J: o.S.). Wie es dazu kam und wie sich im Zuge der Romanisierung und der Entwicklung des heutigen Französisch das jeweilige Schriftsystem herausgebildet hat, wird im Folgenden näher beleuchtet.
1.1.1 Die Romanisierung Galliens
Die Romanisierung des heutigen Frankreichs begann 154 v.Chr., als die Römer zur Verteidigung der Gallier vor den Ligurern nach Marseille kamen. 122 v.Chr. gründeten sie die heutige Region Aix-en-Provence und nahmen 118 v.Chr. Narbonne und die Provence ein. Die Römer traten in dieser Zeit in Kontakt mit den Einheimischen, welche größtenteils Kelten, Iberer und Griechen waren. Besonders die Griechen prägten die Kultur des Landes durch ihre Schrift, die Münzprägung, den Weinbau und den Anbau von Ölbäumen. In der Zeit des Gallischen Krieges fand die zweite Etappe der Romanisierung statt. Von 58-51 v.Chr. nahmen die Römer Gallien bis zur Rheingrenze ein (vgl. Geckeler/Dietrich 2007: 150f).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Zweite Etappe der Romanisierung.
Die Römer verfolgten „eine geschickte Politik der Assimilierung“ (Geckeler/Dietrich 2007: 151). Sie bildeten junge Männer der gallischen Oberschicht in ihren Schulen aus und bezogen die Väter in die Provinzialverwaltung ein. In diesem Zuge wurde ihre Sprache bereitwillig angenommen und zum Prestige in Südfrankreich. Diese Assimilierungspolitik wurde auch noch einige Jahre nach Christi Geburt aufrecht erhalten, beispielsweise durch die Aufnahme von Einheimischen in das römische Heer, durch Bürgerrechte und römische Schulen, die von den Galliern besucht wurden. 27-22 v.Chr. wurden die gallischen Provinzen unter Augustus neu geordnet. Die Romanisierung zog sich in dieser Zeit weiter nach Norden. Die Latinität, die sich im Bereich des Saônetals, östlich der Rhône bis zur Westschweiz ausbreitete, bildete die Grundlage des Frankoprovenzalischen und somit des Französischen. Erst Ende des 2. und Anfang des 3. Jahrhunderts n.Chr. vollzog sich die Romanisierung auch in der Gegend der Seine, Marne und Aisne. Damals setzte sich das Lateinische bereits in großen Teilen gegen das Gallische durch, wobei es auch im 4. Jahrhundert n.Chr. noch häufig als gesprochene Sprache bevorzugt wurde (vgl. Geckeler/Dietrich 2007: 152f).
Das Vulgärlatein
Das in der Zeit der Romanisierung gesprochene, umgangssprachliche Latein wird in vielen wissenschaftlichen Quellen als Vulgärlatein bezeichnet und stellt die Grundlage des heutigen Französisch dar. Es bedarf jedoch einer differenzierteren Anschauung dieses Begriffs, um deutlich zu machen, worum es sich bei der lateinischen Ausgangssprache, auf der das Französische basiert, handelt.
Bereits im 4. Jahrhundert n.Chr. wurde zwischen latine und vulgo, das heißt zwischen dem literarischen und dem umgangssprachlichen Latein unterschieden. Nicht zuletzt im 19. Jahrhundert, bei der Erstellung des Stammbaums der Ursprachen (unter anderem durch Schleicher) wurde dieses Vulgärlatein als Ursprache der romanischen Sprachen behandelt. Dies basiert auf verschiedenen Annahmen:
1. Das Französische enthält Lexeme, die zwar lateinisch sind, jedoch im literarischen Latein nicht vorkommen.
2. Lateinische Autoren stellen dem literarischen Latein verschiedene Varietäten gegenüber, unter anderem das sermo vulgaris – das volkstümliche Latein.
3. Es existieren verschiedene lateinische Ausdrücke und Formen, die vor allem in Schriften volkstümlichen oder informellen Charakters zu finden sind.
Dennoch sollte davon abgesehen werden, das Vulgärlatein dem literarischen Latein als eigenständige Sprache gegenüberzustellen, was lange Zeit die Regel in der linguistischen Forschung war. Verschiedene Studien trugen dazu bei, dass der Begriff Vulgärlatein eine gewisse Flexibilität erfuhr. Diese Flexibilität zeigt sich darin, dass das Latein einerseits als eine Sprache inklusive aller Varietäten verstanden kann, wenn man davon ausgeht, dass sie ein System mit „gewisse[n] Isoglossen mit maximaler Verbreitung“ (Coseriu 1954: 261) ist. Andererseits, unter Betrachtung weniger weitreichender Isoglossen, lässt sich das Lateinische in verschiedene Sprachen unterteilen (vgl. Coseriu 1954: 260f). Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass es sich (wie jede Sprache) weiterentwickelt hat und zu verschiedenen Zeitpunkten eine Vielfalt von Formen zuließ (vgl. Coseriu 1954: 267f). Auch das Vulgärlatein unterlag diesem Sprachwandel und den diastratischen und diaphasischen Unterschieden (vgl. Geckeler/Dietrich 2007: 158). Die Entwicklung des Lateinischen, in der das Vulgärlatein als Sammelbegriff für das gesprochene Latein einzuordnen ist, wird im folgenden Schaubild dargestellt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Die Entwicklung des Lateinischen.
In dieser Abbildung wird sichtbar, dass das Vulgärlatein die „Grundlage des Übergangs zu etwas Neuem, die lebendige Ausgangssprache für die romanischen Idiome“ (Geckeler/Dietrich 2007: 157) war.
1.1.2 Der sprachliche Einfluss auf das Vulgärlatein und die Herausbildung des Französischen
Das Vulgärlatein war in der Zeit der Romanisierung verschiedenen sprachlichen Einflüssen ausgesetzt, welche als Substrate verstanden werden. Als Substrat bezeichnet wird eine Sprache, die durch eine andere Sprache verdrängt worden ist, auf diese aber in lautlicher, grammatischer und lexikalischer Hinsicht Einfluss ausgeübt hat. Dem gegenüber steht der Begriff Superstrat, den Wartburg 1932 eingeführt hat. Die Superstratsprache steht im umgekehrten Verhältnis zur Substratsprache (vgl. Geckeler/Dietrich 2007: 170f). Der Einfluss der verschiedenen Sprachen aufeinander kann wie folgt visualisiert werden:Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Spracheinflüsse.
Die verschiedenen Substrateinflüsse hängen von der geographischen Lage ihrer Sprecher ab und sind somit nicht alle für das heutige Französisch entscheidend. Dieses entwickelte sich aus der langue d’oïl, die sich wiederum aus dem Vulgärlatein Nordgalliens herausbildete. Die Einflüsse des Ligurischen, des Iberischen und des Griechischen auf das Lateinische im Süden des Landes spielen somit keine entscheidende Rolle. Sie kommen lediglich als Substrate zweiten Grades in Frage. Die Substratsprache für das Französische kann demnach nur das Gallische, welches von den Kelten gesprochen wurde, sein. Die Herrschaft der Kelten endete mit der Eroberung des gallischen Gebiets durch die Römer in der zweiten Phase der Romanisierung. Sie passten sich der römischen Kultur an und lernten die neue Sprache, die sie jedoch mit dem Keltischen beeinflussten, wodurch sich das gesprochene Latein veränderte (vgl. Geckeler/Dietrich 2007: 173f).
Auch Superstrateinflüsse, das heißt Einflüsse von Sprachen, die durch Einwanderungen ins Land gebracht wurden, sich jedoch nicht durchsetzten, sind feststellbar. Die Alemannen, die um 275 n.Chr. in Gallien einfielen, spielten eine Rolle bei der Abspaltung des Rätoromanischen vom Galloromanischen (vgl. Geckeler/Dietrich 2007: 178), wobei letzteres die Sprache ist, auf der das Altfranzösische basiert (vgl. Lehmann o.J.b: o.S.). Der Spracheinfluss der Burgunder ist nicht unumstritten. Jedoch geht Wartburg davon aus, dass sie (nachdem sie nach der Zerstörung ihres Reiches 436 Burgund gründeten) zur Ausgliederung des Frankoprovenzalischen aus dem Dialektkomplex des Galloromanischen beitrugen. Der wichtigste germanische Einfluss kam von den Franken, die im 5. Jahrhundert nach Gallien kamen und ihr Reich unter Chlodwig kontinuierlich ausdehnten. Ihre Sprache übte großen Einfluss auf das nördliche Galloromanisch aus. Außerdem waren die Franken Namensgeber des Landes: Francia > (la) France, Frankreich (vgl. Geckeler/Dietrich 2007: 178f).
Nach und nach wurde das Vulgärlatein unter seinen zahlreichen Substraten zum gesprochenen Französisch der damaligen Zeit, wobei die Namensänderung als politischer Umbruch verstanden werden muss – der Sprachenwechsel selbst entsprach einem Wandel über mehrere Generationen (vgl. Geckeler/Dietrich 2007: 184).
1.1.3 Die Verschriftlichung des Französischen
Die lateinische Schrift war in der Zeit des 7. Jahrhunderts stark der gesprochenen Sprache angenähert, sowohl auf syntaktischer, als auch auf lexikalischer Ebene. Die Morphologie ist „unsicher und fehlerhaft geworden“ (Geckeler/Dietrich 2007: 184). Hinzu kam, dass das geschriebene Latein abhängig von der geographischen Lage der Sprecher verschieden und zum Teil romanisch ausgesprochen wurde. Die gesprochene Sprache musste bei der Verschriftlichung der lateinischen Morphologie angepasst werden. Dies führte dazu, dass das Erlernen der Schrift sehr anspruchsvoll war, da sie von der Sprechersprache abwich. Somit war die Aneignung der Schriftform nur wenigen gebildeten Menschen vorbehalten. An einer Reform der Verschriftlichung bestand zu diesem Zeitpunkt noch kein Interesse (vgl. Geckeler/Dietrich 2007: 185). Im darauffolgenden Jahrhundert, in dem eine „kulturelle Erneuerungsbewegung, die Karolingische […] Rennaissance“ (Berschin/ Felixberger/ Goebl 1978: 181) stattfand, bemühte sich Alkuin aus York um eine „Wiederherstellung klassischer lateinischer Sprachkenntnisse“ (Geckeler/Dietrich 2007: 186), was hauptsächlich die Oberschicht erreichte und somit eine große Diskrepanz zwischen der Volkssprache und der Sprache der Gelehrten und Kleriker verursachte. Dessen bewusst, fanden um 800 Bemühungen statt, die Volkssprache erstens neu zu verschriftlichen und zweitens den unteren Schichten die Predigten in der Kirche wieder verständlich zu machen, was zur Folge hatte, dass sie in der Umgangssprache des Volkes gehalten wurden. Es wurde durch das Konzil von Tours (813) umgesetzt. So entstanden die ersten französischen Texte (vgl. Geckeler/Dietrich 2007: 186).
Der älteste französische Text sind die Straßburger Eide (les Serments de Strasbourg) vom 14. Februar 842. Sie wurden zwischen Charles le Chauve und Ludwig dem Deutschen geleistet und sollten eine Unterstützung im Kampf gegen den Bruder Lothar darstellen. Der Text enthält zahlreiche formelhafte Latinismen, zeigt aber auch, dass die Verschriftlichung der französischen Lautung bereits bestimmten Prinzipien folgte. Beispielsweise wurde der Diphtong [ei] als <i> aufgeschrieben, womit <savir> als [savei] ausgesprochen wurde (vgl. Geckeler/Dietrich 2007: 188).
„Pro Deo amur et pro christian poblo et nostro commun salvament, dist di in avant, in quant Deus savir et podir me dunat, si salvarai eo cist meon fradre Karlo, et in aiudha et in cadhuna cosa, si cum om per dreit son fradra salvar dift, in o quid il mi altresi fazet ; et ab Ludher nul plaid nunquam prindrai, qui meon vol cist meon fradre Karle in damno sit.“
(Grassl 2012: o.S.)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Le serment en langue romane.
Als erster literarischer Text in französischer Sprache wird die Eulaliasequenz (la séquence de Sainte Eulalie), welche um das Jahr 880 entstand, verstanden. Dabei handelt es sich um ein religiöses Lied, das 1837 von Hoffmann von Fallersleben entdeckt wurde. Nur etwa 40 Jahre nach den Straßburger Eiden zeigt sich hier bereits eine Weiterentwicklung der Schriftsprache, ausgelöst durch die bereits erwähnte Reform der Karolinger (vgl. Geckeler/Dietrich 2007: 189).
1.1.4 Das Altfranzösisch
Das Altfranzösisch hat sich im Laufe des folgenden Jahrhunderts aus dem Sprachraum der langue d’oïl (welche neben der langue d’oc und dem Frankoprovenzalischen einen der drei großen romanischen Sprachräume im romanisierten Gallien darstellte) herausgebildet. Die Epoche[3] lässt sich vom 9. Jahrhundert bis ca. 1320/ 1350 datieren. Ausgangspunkt stellt für viele Linguisten das Konzil von Tours dar, seit welchem die gesprochene Sprache erstmals neben dem Lateinischen anerkannt wurde. Auch die Straßburger Eide und die Eulaliasequenz können als externes Kriterium des Epochenbeginns angesehen werden. Als interne Kriterien (innersprachliche Entwicklungen) gelten die sprachlichen Veränderungen im Bereich Phonetik, Grammatik und Lexik, durch die sich das Altfranzösische vom Lateinischen unterscheidet (vgl. Geckeler/Dietrich 2007: 193f). Das Altfranzösisch weist jedoch auch selbst geographische und zeitliche Varietäten auf und zeugt vom Kontinuum des Sprachwandels: „‘L’ancien franҫais’ est une étiquette qui coiffe en réalité plus d’un état de langue“ (Wagner 1974: 28). Die schriftlichen Variationen werden als verschiedene Scriptae verstanden, in denen bestimmte regionale und überregionale Dialekte vereint sind:
„Il s’agit, comme l’a prouvé l’étude des textes littéraires et des chartes, d’une langue écrite, que M. Louis Remacle a baptisée scripta, commune à tout le domaine d‘oïl, mais colorée, selon les régions, de traits dialectaux plus ou moins nombreux.“ (Delbouille 1962: 9f)
Von großer Bedeutung ist die franzische Scripta; die, der Île-de-France, die die Grundlage des Mittelfranzösischen bildete. Dies hat verschiedene Gründe: Zum einen die günstige, zentrale Lage von Paris vor allem in Wirtschaftsangelegenheiten sowie der Aufstieg von Paris als europäische Macht und das kulturelle Ansehen, zum anderen das sprachliche Prestige des Franzischen (vgl. Geckeler/Dietrich 2007: 196).
1.1.5 Das Mittelfranzösisch
Im Zuge des Dynastiewechsels im französischen Königtum von den Kapetingern zu den Valois (1328) und des Beginns des Hundertjährigen Krieges (1339) ergaben sich verschiedene Kriterien, die eine neue Epoche der sprachlichen Entwicklung einleiteten. Sprachlich-literarisch zählen hierzu der Rückgang literarischer Veröffentlichungen in Folge des demografischen Wandels nach dem Krieg, die Pflege der französischen Prosa anstelle von regionalen Scriptae und der zunehmende Gebrauch der „Vulgärsprache“ (des franҫais commun) anstelle des Lateins in öffentlichen Einrichtungen. Gleichzeitig wurden über die Gelehrten und die Dynastie ab dem 14. Jahrhundert Kontakte nach Italien geknüpft, dessen Renaissance auch in Frankreich ein Interesse für die Antike weckte, was dazu führte, dass zahlreiche klassische Texte zum Verständnis für breite Bevölkerungsschichten ins Französische übersetzt wurden. Durch diese Übersetzungen nahmen jedoch auch die Latinismen und die Relatinisierung zu (vgl. Geckeler/ Dietrich 2007: 206). Der Grund lag darin, dass es für einige Fachtermini keine französische Entsprechung gab, weshalb die Wörter übernommen und dem Französischen angepasst wurden. Hierzu zählen hauptsächlich die noch heute erhaltenen Wörter mit den Endungen -ence, -eur, -ité, -ment. Auch zuvor verschwundene Buchstaben wurden ebenso wie eine Kennzeichnung der Nasale eingeführt, Konsonanten verdoppelt und das im Altfranzösischen verschwundene <h> in vielen Wörtern wieder eingefügt – nicht aber gesprochen. Hier zeigt sich, dass besonders die Relatinisierung im 14. Jahrhundert einer der Gründe dafür ist, dass Lautung und Schreibung im Französischen (zum Teil stark) voneinander abweichen. Die Orthographie in dieser Zeit wurde nicht durch Regeln, sondern durch das „persönliche ästhetische Empfinden der Schreiber“ (Weber o.J.: 23) bestimmt (vgl. Weber o.J.: 23).
1.1.6 Das Neufranzösisch
Das 16. Jahrhundert gilt als Beginn der Neuzeit und auch in Frankreich machen sich die Entdeckung der neuen Welt, der Humanismus, die Renaissance und die Reformation bemerkbar. Die hochentwickelte italienische Kultur, insbesondere der Humanismus beeinflusste einerseits Frankreich selbst durch die Italienfeldzüge, andererseits die französische Sprache indem die Lexik durch Latinismen und Gräzismen, welche eine Folge des Humanismus waren, erweitert wurde. Auch die italienische Sprache selbst hat wie heute das Englische die französische Sprache erheblich beeinflusst (vgl. Geckeler/ Dietrich 2007: 211-214). Aus der Sprachpolitik, deren Ziel es war, das Französische als alleinige offizielle Sprache im Königreich durchzusetzen, resultierte die Ordonnance des Villers-Cotterêts, die das Latein auch in Rechts- und Verwaltungskontexten durch das Französische ersetzte. Außerdem forderte sie die Ablösung der Regionalsprachen. Unterstützt wurde dies auch von literarischer Seite. Die Deffence et illustration de la langue franҫoyse von Joachim du Bellay beispielsweise plädierte für den Gebrauch des Französischen auch in Dichtung und Wissenschaft. Um dies durchsetzen zu können, war jedoch nach du Bellay eine Bereicherung der Sprache notwendig, die daraufhin zwar folgte, jedoch im 17. Jahrhundert von den puristischen Sprachmeistern wieder beseitigt wurde. Während des 16. Jahrhunderts emanzipierte sich das Französische gegenüber dem Lateinischen in Literatur und Wissenschaft immer mehr. Gleichzeitig wurde der Ruf nach einer Grammatik des Neufranzösischen laut. Die Probleme der Phonem-Graphem-Korrespondenz beschäftigten zahlreiche Grammatiker. Trotz Forderungen nach einer Angleichung der Graphie an die Phonie setzte sich die traditionelle, etymologisierende Graphie durch, wurde jedoch ergänzt, beispielsweise durch „die Cédille, den accent aigu, den Apostroph, das Trema und die Differenzierung zwischen u/v und i/j“ (Geckeler/Dietrich 2007: 219). Das erste einsprachige Wörterbuch erschien Ende des 17. Jahrhunderts (vgl. Geckeler/Dietrich 2007: 216-219). In jenem Jahrhundert entwickelte sich eine hochsprachliche Ausdrucksform, die Basis der klassischen Literatur war und im 18. Jahrhundert zur „beherrschenden Kultursprache Europas“ (Geckeler/Dietrich 2007: 220) wurde. Die sogenannte bon usage ist bis heute die hochsprachliche Rede- und Schreibweise. In dieser Zeit verschob sich der Fokus von lautlichen und syntaktischen Veränderungen hin zur Sprachverwendung. Die Leitlinien der gepflegten Konversation waren clarté und pureté, welche dem Ideal der honnêteté und der bienséance entsprachen. Dies hatte bezogen auf den sprachlichen Wandel zur Folge, dass lateinische und griechische Ausdrücke vermieden wurden, dass sich die Frauen, denen die höhere Bildung in der Regel fehlte, in den Salons augenscheinlich kompetent miteinander unterhalten konnten. Die Sprache wurde eindeutig und klar, was auch zu Umschreibungen früherer Werke führte. Besonders die Poetik wurde mit Regeln besetzt, die sich später auf den allgemeinen Sprachgebrauch auswirkten. Hierzu gehörten beispielsweise die Pflicht, einen Artikel vor Substantive zu setzen, das Verbot der dichterischen Freiheit, die Ablehnung von Diminutiven und das Eliminieren von Wörtern, die dem Verständnis im Wege stehen und von Neologismen, die nicht der Leitlinie der clarté entsprachen (vgl. Geckeler/Dietrich 2007: 222f). In der Revolutionszeit zeigte sich jedoch die Utopie der sprachlichen Einheit: In vielen Provinzen wurde das gehobene Französisch nicht beherrscht und Regionalsprachen waren weit verbreitet. Mit Einführung der Schulpflicht und der Wehrpflicht wurden Einheimische aus verschiedenen Regionen dazu gezwungen, Französisch zu sprechen (wobei Letzteres in dieser Mission am effektivsten war). Die sprachliche Einheit in Frankreich spielte von da ab eine sehr große Rolle, wobei auch diese bis heute eine natürliche Heterogenität aufweist. Diese zeigt sich in den Varietäten des Diasystems, das sich in Diatopik, Diastratik und Diaphasik unterteilt (vgl. Geckeler/Dietrich 2007: 228-231).
Die Académie franҫaise
Im Sinne der Zentralgewalt Frankreichs machte Richelieu die Sprache zu einer staatlichen Angelegenheit und veranlasste die Institutionalisierung Sprachenpflege – So wurde 1635 die Académie franҫaise gegründet (vgl. Institut de France o.J: o.S.), die noch heute existiert und für die französische Sprache eine große Rolle spielt. Die grundlegenden Aufgaben nach ihrer Gründung waren die Herausgabe eines Wörterbuchs, einer Grammatik, einer Rhetorik und einer Poetik. Ersteres erschien jedoch erst 1694 (vgl. Geckeler/Dietrich 2007: 224f). Die damals unterzeichneten vier Texte zu den Gesetzen und Aufgaben der Akademie, welche unter anderem die Verteidigung der französischen Sprache beinhalten, sind bis heute gültig.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Statuts et règlements de l'Académie française.
Seit der ersten Ausgabe des französischen Wörterbuchs hat sich die Sprache weiter gewandelt, was natürlichen Prozessen, wie beispielsweise der Vereinfachung der gesprochenen Sprache, unterliegt. Die Académie franҫaise versucht in diesem Wandel durch Neuauflagen von Wörterbüchern das Gleichgewicht zwischen der sprachlichen Tradition und der Entwicklung des Französischen zu schaffen (vgl. Académie franҫaise o.J.: o.S.). Die neuste Reform der Rechtschreibung ist datiert auf 1990. Sie beinhaltete beispielsweise die Etablierung neuer Wörter, die Möglichkeit des Weglassens des accent circonflexe in bestimmten Wörtern oder die Modifikation der Pluralbildung bei Komposita (vgl. Druon 1990: 10-18).
1.2 Deutsch – Die Entwicklung einer germanischen Sprache
Die deutsche Sprache gehört zur indoeuropäischen Sprachfamilie und zum Stamm der germanischen Sprachen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: Sprachenstammbaum.
1.2.1 Vom Indogermanischen zur germanischen Sprache
Die Indogermanen waren eine Sprachgemeinschaft, deren Existenz sich Wissenschaftler durch verschiedene Methoden, wie beispielsweise der der Glottochronologie, bei der von einem Grundwortschatz ausgegangen wird, der sich nur geringfügig in den Einzelsprachen verändert (vgl. Academic 2012: o.S.), erschlossen haben. Sie kamen vor ca. 6000-8000 Jahren nach Europa[4] (vgl. Wunderlich 2004: 1). Ihre Verbreitung ist im Folgenden dargestellt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7: Germanenstämme und ihre Verbreitung.
Ihre indogermanische Sprache entwickelte sich in der Zeit ihrer Ausbreitung stetig weiter. Als Übergang vom Indogermanischen zur germanischen Sprache wird die sogenannte erste Lautverschiebung angesehen. Dies war eine lautliche Veränderung um etwa 1500-200 v.Chr., bei der die Verschlusslaute (die explosiven Konsonanten) sich veränderten (vgl. Jacob 2003-2006: o.S.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Die erste Lautverschiebung (Jacob 2003-2006:o.S.)[5]
Die Germanen verbreiteten sich vor allem in Norddeutschland, wo sie auf die dort einheimischen Streitaxtleute trafen, deren Sprache ein Substrat des Germanischen wurde. Zu den Einflüssen gehören beispielsweise die Stammsilbenbetonung und die Wortschatzerweiterung durch das lexikalische Feld der Seefahrt. Von der Zeit jenes Urgermanischen, welche bis etwa 200 v.Chr. datiert wird, existieren keine schriftlichen Belege. Circa 400 Jahre später begannen Völkerwanderungen, die Germanen verbreiteten sich in Richtung Süden und spalteten sich voneinander ab. Im Zuge dieser Abspaltung, durch Kontakt mit weiteren Substraten und den natürlichen Sprachwandel, entstanden verschiedene germanische Einzelsprachen (vgl. Jacob 2003-2006: o.S.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 8: Die germanischen Sprachen.
1.2.2 Die Entstehung des Deutschen
Wie der Abbildung 9 zu entnehmen ist, entstand das heutige Deutsch aus der westgermanischen Sprache. Diese wurde in der Regel in allen Regionen Südgermaniens gesprochen. Durch die zweite Lautverschiebung spaltete sich das Elbgermanische, auf das das heutige Deutsch zurück geht, vom Nordseegermanisch und dem Weser-Rhein-Germanisch ab (vgl. Jacob 2003-2006: o.S.). Diese zweite Lautverschiebung (auch hochdeutsche Lautverschiebung) fand etwa im 6. Jahrhundert statt. Während dieser Phase wurden stimmlose Okklusive zu Affrikanten (z.B. p à pf / t à ts / k à x) und stimmhafte Okklusive wurden in bestimmten Kontext (in der Regel nicht im Anlaut) stimmlos. Zentrum dieser Lautverschiebung war das Alemannische; das Niederdeutsche führte die Lautverschiebung nicht, das Mitteldeutsche nur teilweise durch (vgl. Lehmann o.J.c: o.S.). Einigung über die geographische Lage der verschiedenen Lautverschiebungen herrscht in der Literatur jedoch nicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2: Die zweite Lautverschiebung (Jacob 2003-2006:o.S.)[6]
Auch in der nachfolgenden Zeit haben sich die unterschiedlichen germanischen Sprachen weiter beeinflusst; aus diesem Grund sind vor allem schriftliche Dokumente aus anderen germanischen Sprachen für Deutschsprachige nicht völlig unverständlich (vgl. Jacob 2003-2006: o.S.).
1.2.3 Althochdeutsch
Die ersten schriftlichen Belege der deutschen Sprache entstanden um die Lautverschiebung im 8. Jahrhundert. Sie liegen in der karolingischen Reform[7] begründet. Karl der Große hatte die Idee eines imperium christianum, welches eine Kulturpolitik erforderte, in der die lateinisch-christlichen und germanischen Traditionen sich vereinen sollten. In dieser Reform wurde die Volkssprache gegenüber dem Lateinischen aufgewertet. Gefordert wurden germanische Literatursammlungen, die Einführung fränkischer Namen für Winde und Monate und die Erstellung einer Grammatik. Durch Letztere sollte es ermöglicht werden, liturgische Texte zu übersetzen, um sie dem Volk verständlich zu machen (vgl. Bär 1999: 4774). Das erste deutsche (genauer: althochdeutsche[8] ) Buch ist der Abrogans, ein deutsch-lateinischer Glossar. Durch ihn sollte die lateinische Sprache für den wissenschaftlichen Nutzen lernbar gemacht werden (vgl. DWB 2015: o.S.). Das Werk enthält außerdem eine erste Fassung des heutigen Vater Unsers (vgl. Wiegrefe 2007: o.S.).
Die ersten Zeilen lauten wie folgt:
„Fater unseer thu pist in himile uuihi namun dinan. qhueme rihhi din uuerde uuillo diin so in himile sosa in erdu.“ (Wiegrefe 2007: o.S.).
Dass es darin vorkommt, erklärt sich unter anderem dadurch, dass die Schreibstätten des Althochdeutschen in der Regel Klöster waren; die Schreiber dementsprechend Mönche und geistliche Gelehrte (vgl. Jacob 2003-2006: o.S.). Nach der Zeit der Kapetinger veranlassten die sächsischen Monarchen, dass die alleinige Sprache wieder das Latein war und die Verschriftlichung der deutschen Sprache pausierte. Dies verhinderte, dass eine überregionale Volkssprache ausgebildet werden konnte (vgl. Bär 1999: 4774). Aus dem 10. Jahrhundert existieren in Folge dessen kaum deutschen Texte (vgl. Jacob 2003-2006: o.S.).
1.2.4 Mittelhochdeutsch
Der Zeitraum des Mittelhochdeutschen wird von verschiedenen Linguisten unterschiedlich datiert. Einigkeit herrscht darin, dass der Beginn in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, (genauer: Um 1150) anzusiedeln ist. Das Ende ist von den einen auf etwa 1350, von anderen Wissenschaftlern um das Jahr 1450 datiert (vgl. Jacob 2003-2006: o.S; vgl. Bär 1999: 4775). Nach dem literarischen Stillstand um das 10. Jahrhundert fanden sich im 11. Jahrhundert wieder Textstücke, die in der deutschen Sprache verfasst waren. Das westgermanisch-deutsche Sprachgebiet breitete sich in dieser Zeit erheblich aus und kam in Kontakt mit späteren Substraten (vgl. Jacob 2003-2006: o.S). 1060[9] entstand in Bamberg das Ezzolied, welches von einer lautlichen Veränderung im Vergleich zu den althochdeutschen Schriftstücken zeugt. Es beinhaltet den exemplarischen Lebenslauf Jesu Christi (vgl. Lutz 2008: 19). Diese lautliche Veränderung zeigte sich durch die Vokale. Unbetonte Nebensilben im Althochdeutschen besaßen meist Vokale wie a, i und o, welche im Mittelhochdeutschen zu einem e abgeschwächt wurden. Des Weiteren vereinheitlichten und vereinfachten sich Konjugation und Deklination (vgl. Jacob 2003-2006: o.S).
Die folgende Tabelle demonstriert dies:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 3: Veränderungen der deutschen (Schrift-)Sprache (Jacob 2003-2006:o.S.).
Das Mittelhochdeutsche kann weiter differenziert werden[10]:
1. 1050-1170: Frühmittelhochdeutsch
2. 1220-1300/1350: Klassisches Mittelhochdeutsch
3. 1300/1350-1450: Spätmittelhochdeutsch (Vorgänger des Neuhochdeutschen)
(Vgl. Jacob 2003-2006: o.S).
Dieser Ausdifferenzierung liegen die Veränderung des Schriftbildes und die Annäherung der Dialekte zugrunde. Das Klassische Mittelhochdeutsch zeigte eine starke Tendenz zur Normierung der Sprache. Es verbreitete sich rasch und diente der Verständigung untereinander, wenn verschiedene Dialekte aufeinander trafen. Diese Tendenz war jedoch zeitlich begrenzt und verlor sich während des Zeitalters des Spätmittelhochdeutschen wieder. Dieser Einschnitt zeigte sich auch inhaltlich: Während im 12. Jahrhundert in der Regel geistliche Themen vorherrschten (nicht zuletzt, da Mönche und geistliche Gelehrte das Dichtertum anführten), wurden im 13. Jahrhundert weltlichere Themen bevorzugt (vgl. Jacob 2003-2006: o.S). Die Heldenepik lebte auf und das Nibelungenlied und der Artusroman entstanden (vgl. Schlosser 2006: 55).
1.2.5 Neuhochdeutsch
Das Frühneuhochdeutsche distanziert sich im lautlichen Bereich vom Mittelhochdeutschen. Es war die Phase des Übergangs, welche sehr lange dauerte und sich von etwa 1450 bis 1650 ausdehnte. Autoren tendierten in dieser Zeit dazu, die Dialekte mehr und mehr einander anzunähern und eine idealisierte Schriftsprache zu erschaffen – Der Begriff Hochdeutsch änderte in dieser Zeit seine Bedeutung von der geographischen Einordnung zur Standardsprache. Die lautliche Veränderung betraf wieder das Vokalsystem. Im Alt- und Mittelhochdeutschen wurden Vokale meist kurz ausgesprochen und wurden im Neuhochdeutschen gedehnt, sodass beispielsweise aus [lɛbən] mit kurzem e das Wort [lebən] mit gedehntem e in der ersten Silbe wurde. Die Dehnungszeichen –h und –e wurden eingeführt. An anderen Stellen wurden Langvokale gekürzt. Ein weiteres Phänomen war die Monophtongierung (Bsp. uo/üe à ü) und Diphtongierung (Bsp. i à ei). Auch im Bereich der Konsonanten erfuhr die schriftliche (jedoch hauptsächlich die mündliche) Sprache Veränderungen. Die Anlaute sm-, sw-, sn-, sl- wurden zu schm-, schw-, schn-, schl-; zunächst im Mündlichen und in der Phase des Neuhochdeutschen auch im Schriftlichen. Grammatikalisch wurden nur kleine Wechsel vorgenommen, wie beispielsweise die Eliminierung der Endung –t in der 3. Person Plural (Bsp. sie schlafent à sie schlafen) oder die des –e in der Dativdeklination (Bsp. dem Manne à dem Mann). Des Weiteren setzte sich die Interpunktion durch und man entschloss sich dazu, Substantive, aufgrund des Bewusstseins für richtiges Schreiben, einheitlich groß zu schreiben. Lexikalisch gab es in den Jahrhunderten des Neuhochdeutschen beträchtliche Erweiterungen, außerdem veränderte sich die Semantik vieler Wörter (vgl. Jacob 2003-2006: o.S). Jacob veranschaulicht in seiner Tabelle die Veränderungen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 4: Veränderungen vom Mittel- zum Neuhochdeutschen (Jacob 2003-2006:o.S.).
1.2.6 Das heutige Standarddeutsch
Die Verbreitung einer einheitlichen Schriftnorm, die sich spätestens in kleineren Literaturkreisen in der Epoche des Neuhochdeutschen entwickelt hatte, wurde durch ein essenzielles Ereignis in der deutschen Geschichte begünstigt: Die Erfindung des Buchdrucks von Johannes Gutenberg 1450. Da durch den Druck Texte in ein und derselben Form der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnten, wurden die Menschen an einheitliche Schreibweisen gewöhnt. Dadurch etablierte sich die ideale Standardsprache vollständig. Auch ein entscheidendes Ereignis in dieser Zeit war die Übersetzung der Bibel durch Martin Luther. Zahlreiche Exemplare waren nun auf deutscher Sprache in Umlauf. Sie halfen unter anderem bei der Verdrängung des Norddeutschen mit. Martin Luther gilt aufgrund seiner Stilistik seither als „Vater der deutschen Sprache“ (Jacob 2003-2006: o.S). Er schrieb außerdem eine Vielzahl an Kirchenlieder als Konsequenz darauf, dass auch die protestantische Messe von dieser Zeit an auf Deutsch und nicht mehr auf Lateinisch gehalten wurde. Die Katholiken zogen in den kommenden Jahren nach. Seit dem 17. Jahrhundert hat sich der lautliche Bereich der Sprache kaum mehr verändert. Einzig die Lexik hat eine enorme Bereicherung erfahren. Allerdings wurden Fremdwörter im Sinne der Sprachenpflege, die sich die Fruchtbringende Gesellschaft zur Aufgabe gemacht hat, in großen Teilen wieder aus dem Deutschen entfernt. Im Zuge des 30jährigen Krieges änderte sich der Wortschatz jedoch wieder und vor allem französische Ausdrücke fanden Einzug in den deutschen Sprachgebrauch. Des Weiteren waren die Franzosen Vorbild bezüglich ihrer einheitlichen, verteidigten und gepflegten Sprache, was dazu führte, dass auch im Deutschen die Schrift über das Gesprochene gestellt wurde. Die Aufforderung Sprich, wie du schreibst! setzte sich im 18. Jahrhundert durch (vgl. Jacob 2003-2006: o.S).
Jedoch bemerkte Konrad Duden im 19. Jahrhundert, dass eine einheitliche Schreibweise nicht gelehrt wurde und es zwischen verschiedenen Verlagen immer wieder Abweichungen gab. Um diese Situation zu verbessern, entschloss er sich zu einem „Vollständigen Orthographischen Wörterbuch der deutschen Sprache“, das 1880 vom Leipziger Verlag Bibliographisches Institut veröffentlicht wurde. Grundlage war die preußische und bayrische Schulrechtschreibung. Der Beginn der einheitlichen Orthographie lässt sich auf 1901 datieren – das Jahr, in dem die zweite Orthographische Konferenz tagte, welche die sechste Auflage des Wörterbuchs von Duden hierfür als Grundlage nahm. 1911 wurde (nach dem Tod Konrad Dudens) die Dudenredaktion gegründet, die bis heute für die Weiterentwicklung des Wörterbuchs zuständig ist (vgl. Bibliographisches Institut GmbH 2013a: o.S.).
„Heute ist der Duden das Gebrauchswörterbuch schlechthin. Aus der orthografischen Wörterliste von 1880 wurde ein Nachschlagewerk, das alle sprachlichen Fragen schnell und kompetent beantwortet. Die 25. Auflage des Rechtschreibklassikers verzeichnet 135 000 Stichwörter mit über 500 000 Beispielen, Bedeutungserklärungen und Angaben zu Worttrennung, Aussprache, Grammatik, Stilebenen und Etymologie.“
(Bibliographisches Institut GmbH 2013b: o.S.)
2. TEIL B: LINGUISTISCHE GRUNDLAGEN
2.1 Definitionen
2.1.1 Phonem, Phon und Allophon
Auf lautlicher Ebene, welche einerseits für die Sprachentwicklung, andererseits auch für die Orthographie eine Rolle spielt, ist zu unterscheiden zwischen Phonem, Phon und Allophon.
Das Phon (von griech. phōnḗ = Laut, Ton, Stimme (Bibliographisches Institut GmbH 2015a: o.S.)) ist hierbei der konkrete, einzelne Laut (vgl. Sokol 2007: 87). Phone, die in ihrer jeweiligen Sprache bedeutungsunterscheidend sind, werden zu einem „übergeordneten Einzellaut“ (Sokol 2007: 87) klassifiziert (beispielsweise nach stimmhaft und stimmlos) und somit als Phonem bezeichnet. Dieses ist somit die „kleinste unterscheidbare Lauteinheit einer gesprochenen Sprache“ (Stangl 2012: o.S.). Die Phoneme sind für das Grundverständnis der Sprache entscheidend. Stangl erklärt dies folgendermaßen:
„Für das Sprachverständnis werden Frequenzen identifiziert und an höhere kortikale Areale im Gehirn weitergeleitet, wo aus dem Zusammenklang und der Abfolge der Frequenzen Phoneme synthetisiert werden. Schließlich werden aus den Lauten Wörter gebildet und gedeutet. Durch diese parallel laufenden Analyse- und Syntheseprozesse resultiert schlussendlich das Verstehen der Sprache.“ (Stangl 2012: o.S.)
Die Phoneme, also die abstrakten Lautbilder, können in verschiedener Weise realisiert werden. So kann das Phonem /r/ beispielsweise vibrierend oder nicht vibrierend ausgesprochen werden, es kann in der Kehle oder am Zahndamm gerollt werden (vgl. Sokol 2007: 88). Diese Realisierungseinheiten nennt man Allophone. Sie sind in vielen Fällen regional geprägt. Die lautlichen Kontraste, die die Allophone repräsentieren, werden graphematisch nicht gekennzeichnet (vgl. Dürscheid 2012: 132). Aus diesem Grund spielen sie für die vorliegende Arbeit keine Rolle – ihre Definition an dieser Stelle soll lediglich der Vollständigkeit der phonologischen Einheiten dienen.
2.1.2 Graphem, Graph und Allograph
Analog zu den phonologischen Einheiten gibt es auch im Schriftlichen verschiedene Segmente. Hier ist zunächst der Terminus Graph wichtig. Bei diesem handelt es sich allgemein um die schriftliche Realisierung eines Phonems. Ist die dargestellte Einheit bedeutungsunterscheidend, spricht man von einem sogenannten Graphem (vgl. Dürscheid 2012: 130). Der Duden definiert das Graphem wie folgt: Ein Graphem ist die „kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit in einem Schriftsystem, die ein Phonem bzw. eine Phonemfolge repräsentiert“ (Bibliographisches Institut GmbH 2015c: o.S.). Die Repräsentation eines Phonems ist der nicht zu vernachlässigende Unterschied zwischen einem Graphem und einem Buchstaben. So besteht beispielswiese das Wort Schule aus sechs Buchstaben, jedoch nur aus vier Graphemen, da die Buchstabenkette /sch/ als Realisierung eines einzigen Lauts als nur ein Graphem gewertet wird. Diese Unterscheidung wird nicht von allen Linguisten vorgenommen (vgl. Dürscheid 2012: 131). Sie erscheint jedoch vor allem im Hinblick auf die Unterstützung des Schrifterwerbs sinnvoll, da es für den französischen Lerner wichtig zu wissen ist, dass sich einzelne Grapheme auch aus mehreren Buchstaben zusammen setzen können, die aufgeschrieben werden müssen. Auch auf der schriftlichen Ebene unterscheidet man vom Graph und vom Graphem (analog zu den Allophonen) die sogenannten Allographe. Unter einem Allograph versteht man die unterschiedlichen „schreibtechnischen Varianten eines Graphems (zum Beispiel Druckbuchstaben versus Schreibschrift)“ (Dürscheid 2012: 132). Auch Groß- und Kleinschreibung oder orthographische Varianten zählen hierzu.
Verschriftlichung der phonologischen und graphematischen Einheiten
Bezüglich der Kennzeichnung von Graphemen, Morphemen, Phonemen oder Phonen wird dem Beispiel von Bruns (2007: 33) gefolgt. Dieser schlägt folgende Verschriftlichung (basierend auf wissenschaftlichen Textkorpora) vor:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 9: Notationen in der Sprachwissenschaft.[11]
2.1.3 Phonologie, Graphematik und Orthographie
Die bisherige Arbeit konnte zeigen, dass sich das Französische und das Deutsche aus der indogermanischen Sprache in einem langen Prozess zu zwei eigenständigen Sprachen herausgebildet haben, welche beide international von großer Bedeutung sind. So ist das Deutsche beispielsweise Amtssprache in sieben mitteleuropäischen Staaten, wird weltweit als Fremdsprache gelernt und in 117 Staaten (Stand: 2010) studiert (vgl. Ammon 2010: o.S.). Das Französische erhielt spätestens durch die Institution der Francophonie internationale Bedeutung. Nicht zuletzt durch die Kolonialgeschichte Frankreichs wird französisch heute von insgesamt circa 274 Millionen Menschen auf allen Kontinenten gesprochen (vgl. OIF 2013a: o.S.) und in zahlreichen Ländern dieser Welt als Erstsprache erworben oder als Fremdsprache gelernt (vgl. OIF 2013b: o.S.).
Vorrausetzung für die Verbreitung und das Lehren einer Schriftsprache sind jedoch unter anderem eine allgemein gültige Grammatik und Schreibregeln, auf denen das System Schrift basiert und lehrbar gemacht wird. Um diese Schreibregeln (die Orthographie) näher zu beleuchten, ist es wichtig, einige Begriffe zu klären.
2.1.3.1 Phonologie und Graphematik
Angelehnt an Christa Dürscheids Schriftlinguistik (2012) ist an dieser Stelle eine kurze Erklärung zweier wichtiger Teildisziplinen der Linguistik -der Phonologie und Graphematik - angebracht. Dürscheid bringt folgende Definition an:
„Gegenstand der Phonologie sind die Grundeinheiten des Lautsystems und die Regeln zu ihrer Verknüpfung, Gegenstand der Graphematik sind die Grundeinheiten des Schriftsystems und die Regeln zu ihrer Verknüpfung.“ (Dürscheid 2012: 125)
Jedes Schriftsystem, das heißt sowohl das französische, als auch das deutsche, beinhaltet also eine Phonem- und eine Graphemebene, welche sich gegenseitig beeinflussen. Die Graphematik ist dabei die „linguistische Disziplin, die sich auf die segmentalen und die suprasegmentalen Einheiten des Schriftsystems bezieht“[12] (Dürscheid 2012: 126). Sie befasst sich mit der für diese Arbeit entscheidenden Formseite der geschriebenen Sprache (mit der medialen Schriftlichkeit[13] ). Diese ist jedoch auch Gegenstand der Orthographie, weshalb beide Begriffe im Folgenden kurz voneinander getrennt werden müssen.
2.1.3.2 Graphematik und Orthographie
Wie bereits erwähnt, beschäftigen sich sowohl die Graphematik, als auch die Orthographie mit der äußeren Form der verschriftlichen Sprache. Der Unterschied besteht darin, dass die Graphematik das Schriftsystem auf segmentaler und suprasegmentaler Ebene beschreibt, während die Orthographie es normiert. Als Beispiel bringt Dürscheid das Wort <Wal> an. Theoretische Überlegungen hinsichtlich der Phonologie und der Graphematik ergeben, dass es für [wal] verschieden mögliche Schreibungen geben könnte: Beispielsweise <Val> oder auch <Vahl>. Die orthographisch richtige Schreibung im Deutschen ist jedoch <Wal> (vgl. Dürscheid 2012: 127). Infolge dessen lassen sich Graphematik und Orthographie so voneinander abgrenzen:
„Die Graphematik definiert […] einen Lösungsraum möglicher Schreibungen für Lautungen, die als Wort fungieren. Dieser Lösungsraum kann möglicherweise genau ein Element umfassen, zweifelsohne aber auch eine größere Menge von Schreibungen“ (Neef 2005: 11f).
Gibt es für ein Wort verschiedene gültige Schreibweisen, sind diese im Duden beispielsweise so angegeben:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Vgl. Bibliographisches Institut 2015d: o.S.).
2.2 Die verschiedenen Schriftsysteme
Den Begriff Schriftsystem zu definieren, ist nicht völlig unproblematisch. Verschiedene Kontexte erlauben flexible Beschreibungen. Allgemein ist ein Schriftsystem zu verstehen als „système de représentation des productions de la langue parlée [ou] transcription de la chaîne parlée“ (Haas/ Lorrot et all. 1990: o.S.). Die Schrift als Transkription der gesprochenen Sprache zu verstehen wird jedoch spätestens dann problematisch, wenn man die gesprochene Sprache als Varietät des Standards oder in verschiedener Hinsicht als eigenständiges System anerkennt. Besonders im Französischen entscheidet nicht nur die gesprochene Redekette, sondern auch der Kontext darüber, wie etwas geschrieben wird. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass das Phonem [ã] in der Schriftsprache sowohl als /en/, als auch als /an/ realisiert werden kann. Diese Problematik wird auch in linguistischen Auseinandersetzungen thematisiert. In folgender Definition wird versucht, sie zu lösen: Die Schrift ist ein linguistisches System, dessen Beziehung zum System der gesprochenen Sprache essenziel, aber nicht mechanisch ist.[14] Dies bedeutet, dass die Schrift durch die gesprochene Sprache zwar in vielen Fällen hergeleitet werden kann, die Systeme aber nicht eins zu eins übertragbar sind (vgl. CIIP 2003: 2), was die Schriftsysteme charakterisiert, die phonographischer Natur sind. Hierzu zählt das Deutsche ebenso wie das Französische. Die Schrift ist ontogenetisch sekundär (vgl. Coulmas 1981: 109) und ihr System als kulturelles Phänomen ist in einem langen Entwicklungsprozess entstanden (vgl. Dürscheid 2012: 36).
Das französische und das deutsche Schriftsystem basieren beide auf der lateinischen Alphabetschrift, die im Folgenden kurz dargestellt wird.
2.2.1 Die lateinische Alphabetschrift
Die lateinische Alphabetschrift liegt Schriftsystemen auf der ganzen Welt zugrunde und wird in über 60 Ländern der Erde verwendet. In verschiedenen Sprachen wird das Alphabet durch Sonderzeichen und Diakritika erweitert. Dies trifft auch im Deutschen und im Französischen zu (vgl. Dürscheid 2012: 120). Grund hierfür ist, dass das lateinische Schriftsystem „für Sprachen verwendet [wird], deren Phonembestand über den derjenigen Sprache[n], für die [es] ursprünglich geschaffen wurde[n], hinausgeht“ (Ternes 1979: 139).
Das lateinische Alphabet entstand durch eine Adaption des etruskischen Alphabets durch die Römer. Bereits für das 8. Jahrhundert v. Chr. konnten Schriftstücke in Italien nachgewiesen werden. Ergänzt haben die Römer das etruskische Alphabet durch griechische Buchstaben. Die älteste lateinische Inschrift wurde auf der sogenannten Manios-Spange Anfang des 6. Jahrhunderts v. Chr. entdeckt (vgl. Dürscheid 2012: 120).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 10: Manios-Spange.
Bei der Manios-Spange handelt es sich um die sogenannte Fibula von Praeneste, die seit 1887 bekannt ist. Ihre Inschrift lautet: Manios med vhevhaked Numasioi (dt.: Manius macht mich dem Numerius (vgl. Maas 1992: 25)). Verschiedene Analysen ergaben, dass es sich zweifelsfrei um die reine lateinische Sprache, nicht um einen Dialekt handelt (vgl. Schmid 1994: 110-117). Die Spange zeigt eine linksläufige Schrift, die Rechtsläufigkeit entwickelte sich erst im 3. Jahrhundert n. Chr. (vgl. Steiner-Welz 2006: 11).
Ursprünglich bestand das Alphabet aus 21 Buchstaben und drei griechischen Zahlzeichen. Um 300 n. Chr. stand es in seiner Grundform fest und erfuhr lediglich technische Veränderungen in den darauffolgenden Jahrhunderten. Diese bestanden beispielsweise aus der Entwicklung der Kapitalkursive, der Schreibung in Großbuchstaben, den Minuselkursiven und den Kleinbuchstaben (vgl. Dürscheid 2012: 121). Letzteres lässt sich durch den Prozess der Vereinfachung und durch die Geschwindigkeit des Schreibens erklären (vgl. Földes-Papp 1987: 183).
Das lateinische Alphabet ist als eine idealisierte Form der phonographischen Darstellung zu bezeichnen, es stellt jedoch nicht den Endpunkt einer Entwicklung dar (vgl. Dürscheid 2012: 123). Auf dem phonographischen Prinzip basierend meint, dass die Silben- und Konsonantenschrift, um die es sich handelt, vom Lautlichen ausgehen und erst an zweiter Stelle inhaltliche Zusammenhänge vermitteln. Die Buchstaben entsprechen somit graphischen Zeichen, die aus vergleichbaren Lauten abstrahiert wurden. Das Graphem <a> dient hier als anschauliches Beispiel: Es repräsentiert den maximal geöffneten, runden Mund. Dies gilt jedoch nicht mehr für jedes graphische Zeichen beziehungsweise jeden Buchstaben. Durch Entlehnungen aus anderen Sprachen und Alphabeten, durch Veränderungen der Aussprache oder das Entstehen zusätzlicher Grapheme, für die kein bestimmter Laut steht sowie die Umsetzung von Lauten, denen kein eigener Buchstabe zugrunde liegt, ist eine Eins zu Eins Übertragung nicht (mehr) möglich (vgl. Sokol 2007: 83). Die verschiedenen Einzelsprachen in Europa basieren in der Regel auf dem lateinischen Alphabet, variieren jedoch beispielsweise in ihrer Buchstabenanzahl, der Anzahl und Art der Sonderzeichen und den orthographischen Regeln. Aus diesem Grund unterscheiden sich auch das deutsche und das französische Schriftsystem.
Beide Sprachen gehören der indoeuropäischen Sprachfamilie an, wobei das Deutsche zu den germanischen und das Französische zu den romanischen Sprachen zählen (vgl. Oomen-Welke 2008: 35). Bereits hier lassen sich Unterschiede in den Schriftsystemen begründen – verschiedene Laute, Ausdrücke, Sonoritäten und Vorstellungen erfordern verschiedene Realisierungen, das heißt eine Entwicklung und Veränderung des lateinischen Alphabets und der Schreibregeln. Die Übersetzung der jeweiligen gesprochenen Sprachen in eine Schriftsprache wird außerdem von verschiedenen Orthographieregeln bestimmt. Die Orthographie wird deshalb im folgenden Verlauf Gegenstand dieser Arbeit.
2.2.2 Das französische Schriftsystem
Wie bereits in Kapitel 1.1.6 ausführlich beschrieben, sorgen die Sprachgeschichte, welche auf der Entwicklung des Lateinischen basiert, und die Sprachenpflege der Académie franҫaise dafür, dass sich Graphie und Phonetik im Französischen zum Teil weit voneinander entfernt haben. Dennoch ist die Sprache phonographischer Natur, was bedeutet, dass die einzelnen Grapheme bestimmte Phoneme repräsentieren. Diese Phonem-Graphem-Korrespondenz ist jedoch äußerst komplex und bedarf einer näheren Anschauung. Aufgrund der Komplexität bezeichnet man das französische Schriftsystem als sogenanntes tiefes Schriftsystem, was bedeutet, dass nicht nur die phonologische, sondern auch die morphologische Ebene eine große Rolle spielt. Auf morphologischer Ebene basierend heißt, die Schreibung ist stark etymologisch. Außerdem wurde das lateinische Alphabet für die französische Sprache im Bereich der Vokale erweitert. Dies alles begründet die hohe Komplexität des französischen Schriftsystems (vgl. Müller-Lancé 2007: 4). Innerhalb des Systems unterscheidet man drei verschiedene Ebenen:
1. Die flache Ebene der Phonogramme, das heißt die Grapheme, die für ein Phonem stehen (zum Beispiel /a/ für [a] in papa; /i/ für [i] in pipi).
2. Die Ebene der Morphogramme ist die Ebene, auf der Schriftzeichen komplette Morpheme wiedergeben, die keine Lautwerte besitzen. Dabei handelt es sich oft um grammatische Morphogramme, wie beispielsweise die Pluralendung –s, oder die Flexionsendung –ent in der dritten Person Plural. Den Charakter eines Morphogramms haben auch die Präfixe a-, welche aus dem lateinischen ab oder ad hervorgegangen sind.
3. Die Ebene der Logogramme, das bedeutet Schriftzeichenkombinationen, die für ein ganzes Wort stehen und in der Regel etymologisch begründet sind. Sie erfüllen meist den Zweck der Differenzierung von Homonymen, zum Beispiel: [tă] für temps (von lat . tempus), tant (von lat. tantum) und tend (von lat. tendit) (vgl. Müller-Lancé 2007: 1).
(Vgl. Catach 1996: 1445ff).
Wie es zu einem solch komplexen Schriftsystem kommt, wurde bereits angesprochen: Die Entwicklung der französischen Sprache (basierend auf dem Lateinischen) und die sehr späte Verschriftlichung, welche vor allem auf etymologischen Prinzipien beruht, führte zu einer großen Diskrepanz zwischen Graphie und Phonie. Einzelne Stationen dieser Entwicklung sollen an dieser Stelle noch einmal kurz vor Augen geführt werden: Bereits im Altfranzösischen existieren (bedingt durch Substrate und die natürliche Sprachentwicklung) zahlreiche Laute, die sich durch das lateinische Alphabet nicht darstellen ließen. Infolge dessen erweiterte man das Alphabet um Nasale und Akzente, die vorher nicht explizit markiert waren. Im 12. und 13. Jahrhundert wird nicht zuletzt aufgrund der Zentralgewalt und des literarischen Aufstrebens von Frankreich ein einheitliches Schriftsystem bevorzugt, welches besonders von der Orthographieforschung im Norden geprägt war. Hierzu zählte das Verschwinden von verstummten Lauten in der Verschriftlichung (zum Beispiel: eriter statt neufranzösisch hériter (von lat . hereditare)) ebenso wie der Verzicht auf Homonymiedifferenzierung (zum Beispiel die Schreibung /mes/ für neufranzösisch mais, mes, mets …) (vgl. Müller-Lancé 2007: 10f). In dieser Zeit bestand eine starke Tendenz zur phonographischen Schreibung, auch wenn die Morphosemantik bereits eine Rolle spielte (vgl. Müller-Lancé 2007: 12).
Im Mittelfranzösischen setzt sich durch den „starken fränkischen Druckakzent“ (Müller-Lancé 2007: 12) eine Verkürzung von Wörtern durch. Gleichzeitig waren Phänomene wie Monophtongierung, Phonologisierung der Nasale und Palatalisierung zu beobachten. Jedoch wurde die traditionelle lateinische Schreibweise bestmöglich aufrechterhalten, was dazu führte, dass viele Schriftzeichen vorkamen und heute noch vorkommen, die nicht durch einen Laut zum Ausdruck kommen. Sie dienen jedoch der Homonymiedifferenzierung und zeugen von der Etymologie der Wörter – nicht zuletzt dadurch, dass Konsonanten wieder eingeführt wurden, die zwar verstummt sind, aber die Nähe zum lateinischen Ursprung wieder herstellten (Beispiel: altfrz. cors wurde zu mittelfrz. corps aufgrund des lateinischen Ursprungs corpus). Ebenfalls in diesen Zeitraum einzuordnen ist die Entwicklung der morphologischen Ebene des Schriftsystems: Durch den Wegfall von Phonemen sind viele grammatische Morpheme und somit beispielsweise Personalmarkierungen nur noch durch die Schrift repräsentiert (vgl. Müller-Lancé 2007: 13). Somit ist der Übergang vom Altfranzösischen zum Mittelfranzösischen gleichzeitig der Übergang vom flachen zum tiefen Schriftsystem, welches sich als leserfreundlich herausgestellt hatte (vgl. Meisenburg 1996: 95) und spätestens durch den Buchdruck im 16. Jahrhundert endgültig verbreitet und vereinheitlicht wurde. Während dieser Vereinheitlichung wurden erstmals Leseregeln aufgestellt, das heißt, die Lautung sollte von der Schreibung klarer hervorgehen. Dies führte dazu, dass das Graphemsystem weiter ausdifferenziert wurde und nun beispielsweise klar zwischen i/j und u/v differenziert wurde. Des Weiteren wurden Apostrophe und diakritische Zeichen hinzugefügt. Die Schreibung selbst veränderte sich noch einmal zugunsten der Wortherkunftsmarkierung. Doppelkonsonanten entstanden beispielsweise, wenn diese auch im Lateinischen vorhanden waren (zum Beispiel littéraire von lat. litterarius). Die 1635 gegründete Académie franҫaise [15] verfolgte ebenfalls das Ziel, diese traditionelle Schreibung beizubehalten und sorgte für eine verbindliche Orthographie (vgl. Müller-Lancé 2007: 14f).
Heute erlebt die französische Schriftsprache im informellen Kontext eine Tendenz zur phonographischen Schreibung, zum Beispiel: „alor les chocolatier, on s fait quand une ptite soire? On pourrait c kale une date, jreviendrai voir mes breton préfèr“[16]. Radikale Rechtschreibreformen konnten sich jedoch bisher nicht durchsetzen. Lediglich kleinere Anpassungen wie mehrere zugelassene Schreibweisen bei strittigen Wörtern oder die Reduzierung des accent circonflexe auf Wörter, in denen er eine bedeutungsunterscheidend Funktion hat, wurden 1990 von der Académie franҫaise zugelassen[17] - nicht jedoch ohne dass sich Kritiker zu Wort meldeten. Auch in Zukunft ist die Wahrscheinlichkeit, aus der etymologischen Schreibung eine mehr und mehr phonographische Schreibung zu machen, eher klein. Eine Evaluation von 1991 zeigte außerdem, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung gegen eine solche Reform ist und diese eher als „Entstellung der französischen Sprache“ (Strobel-Köhl 1994: 182) auffassen würde (vgl. Müller-Lancé 2007: 18f).
[...]
[1] Zitat online zur Verfügung gestellt von Wolking (2015: o.S.).
[2] Vgl. Zoermer 2014: Anhang.
[3] Die Problematik des Epochenbegriffs darf an dieser Stelle nicht unterschlagen werden. Er hat sich als „europäisches Phänomen“ (Kremer 2005: 2) etabliert, setzt aber laut verschiedenen Definitionen klare Grenzen voraus (vgl. Bibliographisches Institut 2015b:o.S.), die es weder in der Literaturgeschichte, wo der Begriff besonders kritisiert wird, noch bei einem Kontinuum wie der Sprach- und Schriftentwicklung geben kann. Dennoch bieten diese Einteilungen eine Orientierung (vgl. Wiecher 2010: 50), weshalb der Epochenbegriff auch in dieser Arbeit unter Vorbehalt verwendet wird.
[4] Verschiedene Quellen und wissenschaftliche Forschungsergebnisse sind sich im Hinblick auf diese Zahl uneinig; der dargestellte Zeitraum wird aber für wahrscheinlich gehalten.
[5] Die Tabelle wurde auf die ersten beiden Zeilen gekürzt, welche die Veränderung der Konsonanten verdeutlichen.
[6] Die Tabelle wurde auf die ersten beiden Zeilen gekürzt, welche die Veränderung der Konsonanten verdeutlichen.
[7] Vgl. Kapitel 1.1.3, S. 8.
[8] Das Morphem hoch im Wort Alt hoch deutsch ist hier nicht gleichzusetzen mit unserem heutigen Hoch deutsch als Standarddeutsch. Es ist geographisch als Oberdeutsch, das heißt, als das Deutsch der höhergelegenen südlichen Regionen, zu verstehen (vgl. Jacob 2003-3006:o.S.).
[9] Auch hier finden sich in verschiedenen Abfassungen zur deutschen Sprachgeschichte unterschiedliche Jahresangaben, wie beispielsweise 1063.
[10] Wie bereits erwähnt, weichen die Daten in verschiedenen wissenschaftlichen Abhandlungen voneinander ab. Dementsprechend muss an dieser Stelle zur Kenntnis genommen werden, dass diese Einteilung sich ausschließlich auf die Datierung 1050-1450 beziehen kann und andere Quellen hiermit nicht immer übereinstimmen. Da sehr viele jedoch mit diesen Daten konform gehen, wurden sie in dieser Arbeit verwendet.
[11] Anzumerken ist an dieser Stelle, dass Bruns nicht zwischen Graphem und Buchstabe unterscheidet. Wie bereits in Kapitel 2.1.2 bemerkt, wird diese Unterscheidung hier jedoch vorgenommen. Die Notation ist jedoch dieselbe. Die Tabelle ist auf die für diese Arbeit relevante Zeichen reduziert worden.
[12] Dürscheids Argumentation, in Anlehnung an Eisenberg (1989: 59), welche sich gegen die Auffassung wendet, dass die Graphematik das Gegenstück zur segmentalen Phonologie sei, ist ausführlich nachzulesen in ihrem Werk Schriftlinguistik (2012: 125f). Da sie einleuchtend erscheint, wird sich in dieser Arbeit ihrem Standpunkt angeschlossen.
[13] Zur Unterscheidung von gesprochener und geschriebener Sprache sowie Medialität und Konzeption, siehe Koch/Oesterreicher (2011: 3).
[14] Frei übersetzt nach CIIP 2003: 2.
[15] Vgl. Kapitel, 1.1.6, S. 12f.
[16] Quelle: Persönliche Nachrichten im Internetchat.
[17] Vgl. Kapitel, 1.1.6, S. 12f.
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- Anika Zoermer (Author), 2016, Das Erlernen der deutschen Schriftsprache am Beispiel französischer Lerner, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/425597
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