Europa – Versuch einer Definition
Was ist eigentlich Europa? Diese Frage stellt sich zwangsläufig, wenn sich eine Arbeit mit der Einheit und den Plänen zur Einigung Europas beschäftigt. Etymologisch betrachtet, leitet sich das Wort „Europa“ vom assyrischen Wort „ereb“ ab, das recht allgemein „Dunkel“ oder „Abendland“ bedeutet und auf die Lage des bezeichneten Gebietes im Gegensatz zum Land des Sonnenaufgangs hinweist, das „acu“ genannt wurde und die Wurzel unseres Wortes „Asien“ darstellt.1 Doch Sprachgeschichte allein genügt nicht zur Klärung der Frage nach Europa.
Geografisch betrachtet bildet die mit diesem Namen bezeichnete Landmasse die vielgegliederte westliche Halbinsel Asiens. Die Griechen des 6. Jahrhunderts v. Chr. bereits bezeichneten die westlichen Küstengebiete der Ägäis und des Schwarzen Meeres als „Europe“, wobei diese Bedeutung sich in der weiteren Entwicklung auf die küstenferneren Hinterländer ausdehnte. Wo aber endet Europa? Weder ist es wie Australien völlig von Wasser umschlossen, noch existiert eine markante Landenge als deutlicher Grenzpunkt, wie sie Nord- von Südamerika bei Panama und Asien von Afrika bei Suez trennt. Während die Bestimmung der Süd-, West- und Nordgrenzen durch Meere erleichtert wird, ist die Frage, wo Europa im Osten endet, komplizierter.2 Seit dem 18. Jahrhundert gilt das Uralgebirge als Grenze gegenüber Asien, obwohl diese Setzung weder eine ethnische noch eine politische Grenze markiert.
Für politische Konzeptionen spielt die geografische Abgrenzung des Kontinents nur bedingt eine Rolle.
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1 Isensee, Josef: Europa – die politische Erfindung eines Erdteils. In: Kirchhof, Paul; Schäfer, Hermann; Tietmeyer, Hans (Hrsg.): Europa als politische Idee und als rechtliche Form (Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte 19). Berlin ²1994, S. 107.
2 Hiestand, Rudolf: „Europa“ im Mittelalter – vom geographischen Begriff zur politischen Idee. In: Hecker, Hans [u.a.] (Hg.): Europa – Begriff und Idee. Historische Streiflichter (Kultur und Erkenntnis 8). Bonn 1991, S. 35.
3 Lobkowicz, Nikolaus: Das geistige Vermächtnis Europas. In: Hecker, Hans; Spieler, Silke (Hg.): Die historische Einheit Europas. Ideen – Konzepte – Selbstverständnis. Bonn 1994, S. 1.
Inhaltsverzeichnis
1. Europa – Versuch einer Definition
2. Die Vsion europäischer Einheit
2.1. Die Tradition von Europaplänen in der Geschichte
2.2. Der große Plan (Sully)
2.3. L’Empire (Napoleon)
2.4. Pan-Europa (Coudenhove-Kalergi)
3. Ergebnis und Ausblick
4. Quellen und Literatur
1. Europa – Versuch einer Definition
Was ist eigentlich Europa? Diese Frage stellt sich zwangsläufig, wenn sich eine Arbeit mit der Einheit und den Plänen zur Einigung Europas beschäftigt. Etymologisch betrachtet, leitet sich das Wort „Europa“ vom assyrischen Wort „ereb“ ab, das recht allgemein „Dunkel“ oder „Abendland“ bedeutet und auf die Lage des bezeichneten Gebietes im Gegensatz zum Land des Sonnenaufgangs hinweist, das „acu“ genannt wurde und die Wurzel unseres Wortes „Asien“ darstellt.[1] Doch Sprachgeschichte allein genügt nicht zur Klärung der Frage nach Europa.
Geografisch betrachtet bildet die mit diesem Namen bezeichnete Landmasse die vielgegliederte westliche Halbinsel Asiens. Die Griechen des 6. Jahrhunderts v. Chr. bereits bezeichneten die westlichen Küstengebiete der Ägäis und des Schwarzen Meeres als „Europe“, wobei diese Bedeutung sich in der weiteren Entwicklung auf die küstenferneren Hinterländer ausdehnte. Wo aber endet Europa? Weder ist es wie Australien völlig von Wasser umschlossen, noch existiert eine markante Landenge als deutlicher Grenzpunkt, wie sie Nord- von Südamerika bei Panama und Asien von Afrika bei Suez trennt. Während die Bestimmung der Süd-, West- und Nordgrenzen durch Meere erleichtert wird, ist die Frage, wo Europa im Osten endet, komplizierter.[2] Seit dem 18. Jahrhundert gilt das Uralgebirge als Grenze gegenüber Asien, obwohl diese Setzung weder eine ethnische noch eine politische Grenze markiert.
Für politische Konzeptionen spielt die geografische Abgrenzung des Kontinents nur bedingt eine Rolle. Sowohl in den Vorstellungen Sullys als auch in denen Coudenhove-Kalergis beispielsweise wurde Russland, das fast die Hälfte des geografischen Raumes einnimmt, als zu fremdartig in Religion oder Sitten eingestuft, um zu Europa gezählt zu werden.
Auch heute ist die Frage nach den Grenzen Europas oft strittig, so dass häufig die gemeinsame christlich-abendländische Kultur zur Identitätsbestimmung herangezogen wird.[3] In diesem Zusammenhang ist die Rolle der Türkei besonders strittig. Gehört die Türkei, mit ihrer seit 80 Jahren vorangetriebenen Westorientierung zu Europa oder bleibt sie, da islamisch geprägt, außerhalb der Gemeinschaft der europäischen Staaten?[4]
Die vorliegende Arbeit will einen Einblick in die verschiedenen Bestrebungen geben, die unternommen wurden, um in Europa einen beständigen Frieden zu ermöglichen. Zunächst soll ein Überblick über die verschiedenen Konzepte gegeben werden, die die Durchsetzung dieses Zieles verfolgten. Anschließend werden drei sehr unterschiedliche Entwürfe genauer beleuchtet. Neben den rein theoretischen Europaplänen Sullys und Coudenhove-Kalergis, Europa durch Verhandlungen und die Einsicht der Staatsoberhäupter zu einen, steht die durch militärische Siege für einige Jahre realisierte Hegemonialordnung Napoleons.
Die dabei zugrundeliegenden Fragen sind folgende: Welche Anlässe gab es, die bestehenden politischen Zustände ändern zu wollen, welche Ziele wurden damit verfolgt, welche Mittel sollten zur Durchsetzung dienen und welche Auswirkungen hatten die Überlegungen auf die reale Politik?
2. Die Vision europäischer Einheit
2.1. Die Tradition von Europaplänen in der Geschichte
Die Vielzahl der in der Literatur aufgeführten Europaplänen zeigt deutlich, dass der Traum eines einigen und friedlichen Europa die Menschen, besonders die Europäer selbst, zu verschiedenen Zeiten beschäftigte.[5] Dabei sind auch so bekannte Namen wie Dante Alighieri und Victor Hugo unter denen zu finden, die nach einer Lösung suchten, die europäische Zerstrittenheit zu beseitigen. In vielen Fällen waren es Philosophen und Schriftsteller, die sich des Problems annahmen und nicht die führenden Staatsmänner, die sowohl einen besseren Einblick als auch über mehr politisches Gewicht verfügt hätten, um die Durchsetzung des Einigungsgedankens zu fördern.
Eine frühe Ausnahme bildet der Entwurf des Hussitenkönigs Georg von Podiebrad von 1462/64. Er sah die Schaffung eines europäischen Bundes zur Abwehr der Türken vor. Dieser Bund sollte auf nationalstaatlicher Grundlage organisiert sein (Europa = verbündete Länder), womit er sich deutlich von den mittelalterlichen Konzeptionen abwand, in denen eine Universalmonarchie (Europa = ein Land) angestrebt wurde.[6]
Als eine Art Neuzusammenstellung älterer Gedanken zur Friedensordnung sind die Schriften des Abbé de St. Pierre zu werten, die 1713 erschienen.[7] In ihnen beschreibt der Abbé eine „Union européenne“, die auf der Grundlage der damaligen Grenzen ein Bündnis der europäischen Staaten werden sollte. Dabei ist erkennbar, dass es dem Abbé bei seinen Konzeptionen um die Sicherung der französischen Vorherrschaft in Europa ging, die nach dem Tod Ludwigs XIV. ins Wanken geraten war. Die direkte Wirkung dieser Gedanken war bescheiden. Wenn der Abbé auch mit führenden Staatsmännern seiner Zeit, so mit Friedrich II. von Preußen, korrespondierte, so gelang es ihm doch nicht, nachhaltige Erfolge bei der Verwirklichung der angestrebten Union zu erzielen. Auch wurden seine Schriften lediglich „viel zitiert und wenig gelesen.“[8] Eine Ausnahme bildet Jean-Jacques Rousseau, der sich auf Betreiben einer gemeinsamen Freundin der Abhandlung annahm, sie auszugsweise veröffentlichte und ihr eigene Überlegungen hinzufügte. Die spätere Rezeption des Abbé de St. Pierre bezieht sich zumeist auf die Arbeit Rousseaus, dem es gelang, einen breiten Leserkreis zu gewinnen. Als Kernpunkte sowohl des Originals als auch der rousseauschen Bearbeitung lassen sich die Errichtung eines Gesandtenkongresses feststellen, der die entscheidende Instanz in Streitfragen werden sollte, die Schaffung eines Gerichtshofes und die Unauflöslichkeit des Bundes, der somit den Frieden ewig garantieren sollte.[9]
[...]
[1] Isensee, Josef: Europa – die politische Erfindung eines Erdteils. In: Kirchhof, Paul; Schäfer, Hermann; Tietmeyer, Hans (Hrsg.): Europa als politische Idee und als rechtliche Form (Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte 19). Berlin ²1994, S. 107.
[2] Hiestand, Rudolf: „Europa“ im Mittelalter – vom geographischen Begriff zur politischen Idee. In: Hecker, Hans [u.a.] (Hg.): Europa – Begriff und Idee. Historische Streiflichter (Kultur und Erkenntnis 8). Bonn 1991, S. 35.
[3] Lobkowicz, Nikolaus: Das geistige Vermächtnis Europas. In: Hecker, Hans; Spieler, Silke (Hg.): Die historische Einheit Europas. Ideen – Konzepte – Selbstverständnis. Bonn 1994, S. 1.
[4] Hierzu: Seeler, Hans-Joachim: Die Europäische Einigung und das Gleichgewicht der Mächte. Der historische Weg der Europäischen Staaten zur Einheit. (Schriftenreihe des EUROPA-KOLLEGS HAMBURG zur Integrationsforschung 2). Baden-Baden 1992, besonders 236f.
[5] Gruner, Wolf D.; Woyke, Wichard: Europa-Lexikon. München 2004, S. 11-47. Gruner zählt mehr als 20 Pläne auf, die die Einigung Europas zum Ziel hatten.
[6] Gruner; Woyke 2004, S. 17.
[7] Raumer, Kurt von: Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance. Freiburg, München 1953, S. 130.
[8] Raumer 1953, S. 132.
[9] Raumer 1953, S. 134.
- Arbeit zitieren
- M.A. Carl Christian Wahrmann (Autor:in), 2005, Europavorstellungen bis zum 2. Weltkrieg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42530
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