Frauen waschen die Wäsche, putzen, kochen und kümmern sich um den Haushalt. Männer gehen arbeiten und bringen das Geld nach Hause. Gehören diese Rollenbilder wirklich der Vergangenheit an? Oder ist die Frau von heute noch immer zwischen Stereotypen und Rollenbildern gefangen?
Nicole Jacob zeigt, wie sich die Frauenrolle in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt hat. Wir leben heute in einer individualisierten Gesellschaft, die auch auf das Frauenbild erhebliche Auswirkungen hat.
Welche Lebensentwürfe stehen Frauen inzwischen offen? Mit welchen Konflikten müssen sie sich auseinandersetzen? Jacob untersucht dazu die Bereiche Bildung, Erwerbsarbeit und Hausarbeit. So klärt sie die Frage, ob die Frau heute tatsächlich eine neue Rolle einnimmt oder ob sie sich nicht doch nur an der Oberfläche verändert hat.
Aus dem Inhalt:
- Gender;
- Frauenbild;
- Rollenbilder;
- Stereotypen;
- Gesellschaft
Inhaltsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Rolle und Geschlecht
2.1 Die soziale Rolle
2.2 Geschlecht
3 Erwerbsarbeit und Hausarbeit
3.1 Erwerbsarbeit
3.2 Hausarbeit
4 Frauen der Vergangenheit
4.1 Bildungsmöglichkeiten der Frau
4.2 Erwerbsarbeit der Frau
4.3 Rollenbild und Rollenerwartungen der Frau 1950/60
4.4 Die Frau und die Familie
4.5 Zwischenfazit
5 Individualisierung
5.1 Die Individualisierungsthese von Ulrich Beck
5.2 Frauenforschung
5.3 Die individualisierte Frau - Chancen und Risiken
5.4 Zwischenfazit
6 Frauen der Gegenwart
6.1 Zahlen und Fakten
6.2 Was Frauen wollen
6.3 Zwischenfazit
7 Fazit
Literaturverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Strukturwandel 1950-2016
Tabelle 2: Erwerbsquoten der Frauen von 1882-1939
Tabelle 3: Bildungsabschlüsse von Frauen und Männern nach Alter
Tabelle 4: Frauen und Männern in abhängigen Erwerbstätigkeiten von 1985 – 2016 in Teil- und Vollzeiterwerb
Tabelle 5: Frauen und Männer in verschiedenen Branchen 2016 in Teil- und Vollzeiterwerbs
Tabelle 6: Mittlere Brutto-Stundenverdienste in den zehn häufigsten Männerberufe 2014
Tabelle 7: Mittlere Brutto-Stundenverdienste in den zehn häufigsten Frauenberufe 2014
Tabelle 8: Durchschnittlicher Zeitaufwand pro Tag für Hausarbeit von Frauen und Männern in Deutschland 2012/2013
1 Einleitung
„Das bisschen Haushalt… sagt mein Mann“ (Songtexte o.J.) singt Johanna von Koczian 1977 ironischer Weise und zeigt die damalige Aufgabenaufteilung zwischen Frauen und Männern auf. Die Frau ist für das Wäschewaschen, Putzen, Kochen und alle weiteren anfallenden Arbeiten im Haushalt verantwortlich und darf sich darüber nicht beklagen. Der Mann geht seiner Erwerbstätigkeit nach und die Frau „ruht sich zu Hause aus“ (ebd.).
Das Thema Hausarbeit gestaltet sich in meinem Freundeskreis als brisantes Thema in Paarbeziehungen, in denen beide voll erwerbstätig sind. Dabei beklagen sich die Frauen über die mangelnde Unterstützung der Männer bei Arbeiten im Haushalt und der Kinderbetreuung. Auch in der Presse wird das Thema „Arbeitsteilung: Hausarbeit bleibt Frauensache“ (Zeit-online 2014) diskutiert.
Meine Großeltern hingegen berichten von einer damaligen strengen Arbeitsteilung, wie auch Koczian besingt, in der sich die Frau um Haushalt und Kindererziehung kümmert und der Mann arbeiten geht und die Familie finanziell versorgt.
Diesen Unterschied in der Erwerbs- und Hausarbeit von Frauen damals und heute finde ich sehr interessant. Daher werde ich dies aus der gesellschaftlichen Perspektive rekonstruieren. Aus aktuellem Anlass dieser Thematik für die Frau heute, beschäftige ich mich in der vorliegenden Bachelorarbeit mit dem Wandel der Frauenrolle durch Erwerbsarbeit in der individualisierten Gesellschaft. Dabei untersuche ich theoretisch folgende Leitfrage: Weshalb und inwieweit verändert sich die Frauenrolle durch Erwerbsarbeit in der Zeitspanne um 1950 bis in die Gegenwart? Die Leitfrage impliziert, dass es einen Wandel gegeben hat. Meine These ist, dass sich die Rolle der Frau in Bezug auf die Erwerbsarbeit gewandelt hat, die innerfamiliäre Arbeitsteilung in Paarbeziehungen hingegen gleichgeblieben ist.
Um die Leitfrage zu beantworten, beschäftige ich mich im zweiten Kapitel meiner Arbeit mit der Begriffserklärung der sozialen Rolle und den Geschlechtern. Diese stellt die Basis für die darauffolgenden Überlegungen. Ziel ist es verständlich zu machen, wie soziale Rollen zum Beispiel die der Hausfrau und Mutter entstehen und diese geschlechtsspezifisch in der Gesellschaft Bestand haben oder verändert werden können.
Im dritten Kapitel wird Arbeit als „Erwerbsarbeit und Hausarbeit“ beleuchtet. Da der Arbeitsbegriff nicht einheitlich definiert ist, wird der Begriff kursorisch von der Antike bis 1950 nachgezeichnet. In dieser Zeitspanne wandelt sich der Arbeitsbegriff, wie auch die Bedeutung von Arbeit für die Menschen. Innerhalb der Erwerbsarbeit gibt es nach 1950 eine signifikante Verschiebung vom primären zum tertiären Sektor, was gerade für die Frauen in Bezug auf Erwerbsarbeit wichtig ist. Dem schließt sich die Erklärung von verschiedenen Erwerbsformen nach 1945 an. Der letzte Punkt dieses Kapitels setzt sich mit dem Thema Hausarbeit auseinander und beantwortet die Fragen nach der Entstehung dieser innerfamiliären Tätigkeit. Zudem wird das Anforderungsspektrum an Hausfrauen bis hin zu deren psychosozialen Situation beschrieben.
Nach den theoretischen Überlegungen widmet sich das vierte Kapitel den Frauen der Vergangenheit. Um die damalige Lage der Frauen in den 1950er Jahren zu verdeutlichen, ist es wichtig, die Bereiche Bildung und Erwerbsarbeit im Vorfeld zu beleuchten. Hier werden geschichtliche Veränderungen von der Zeit um 1890 bis circa 1950 dargestellt. Somit wird der Wandel der individualisierten Gesellschaft wie im darauffolgenden Kapitel beschrieben, deutlich. Anschließend folgt die Betrachtung der Frauenrolle um 1950, welche unter Zuhilfenahme der damaligen Werbung und gesetzliche Normen belegt wird. Dieses Kapitel spannte den Bogen über die gesellschaftlichen Veränderungen hin zur Frau der Gegenwart.
Die Veränderungen der gesellschaftlichen soziokulturellen Struktur der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit von 1950 bis in die Gegenwart werden im fünften Kapitel „Die individualisierte Gesellschaft“ erörtert. Die Beantwortung der Leitfrage basiert dabei auf den theoretischen Erkenntnissen der Soziologie. In diesem Zusammenhang wird auf die Individualisierungsthese von Ulrich Beck zurückgegriffen. Beck beschreibt den Wandel zur Moderne als einen „Prozess der Freisetzung des Menschen aus ständischen Bindungen und als Zunahme des Entscheidungsspielraums“ (Peuckert 2012, S.311). In diesem Wandlungsprozess wird ein Individualisierungsschub beschrieben, von dem vor allem die Frauen betroffen sind (vgl. Beck 2016 S. 208f.) Dazu werden konkrete gesellschaftliche Veränderungen für Frauen bezüglich ihrer Lebensgestaltung aufgezeigt und anhand von frauenspezifischen Aspekten unterlegt. Dazu gehören die Bildungsexpansion, die „Neue Frauenbewegung“ sowie signifikante Gesetzesreformationen für Frauen, die Frauenforschung und die dazugehörigen Forschungen zur sozialen Ungleichheit und Gender. Daraus resultiert ein Bild der individualisierten Frau auf der Grundlage der Individualisierungsthese nach Beck, welches mit Chancen und Risiken verbunden ist.
Das sechste Kapitel zeigt die Situation von Frauen der Gegenwart, die in der individualisierten Gesellschaft leben. Um die Fragestellung nach dem Wandel der Frauenrolle durch Erwerbsarbeit beantworten zu können, werden Zahlen und Fakten aus den Bereichen Bildung, Erwerbs- und Hausarbeit dargelegt. Ein weiterer signifikanter Aspekt dieses Kapitels sind repräsentative Studien über Lebensentwürfe der Frauen der Gegenwart.
Im Fazit wird, ausgehend von Ulrich Becks` Individualisierungsthese, der Wandel der Frauenrolle anhand des zeitlichen Verlaufes der Individualisierung zusammengefasst und die Frage beantwortet, weshalb sich die Frauenrolle geändert hat. Dem schließt sich die Beantwortung des zweiten Teils der Leitfrage an und zeigt inwieweit Veränderungen stattgefunden haben.
Im Rahmen meiner Arbeit beziehe ich mich auf Frauen in Westdeutschland vor und nach der Wiedervereinigung der Bundesrepublik Deutschland.
Für die Bearbeitung wird auf Fachliteratur zurückgegriffen. Einige Schriften, sowie Klassiker, sind aus den Jahren 1970/80, welche die damalige Situation wiederspiegeln, die es zu untersuchen gilt. Zudem werden Statistiken, zitierfähige Internetquellen, aktuelle Literatur sowie Fachzeitschriften benutzt.
2 Rolle und Geschlecht
Bei der Betrachtung des Wandels der Frauenrolle ist es im Vorfeld wichtig, die Bedeutung des Rollenbegriffs zu klären. Da sich dieser auf die Frau fokussiert, schließt sich die Beleuchtung des Geschlechtes an und wird durch Konzepte zu Geschlechterstereotypen ergänzt.
2.1 Die soziale Rolle
Dahrendorf formuliert die wohl bekannteste Schrift zur Rollentheorie in seinem Konzept des „Homo sociologicus“ von 1958. „Homo sociologicus“ ist die Schnittstelle zwischen dem Individuum und der Gesellschaft und beschreibt den Menschen als Träger sozialer vorgeformter Rollen (vgl. Dahrendorf 2006 S. 24).
Sozialen Rollen liegen soziale Positionen zu Grunde, die jeden Ort in einem Feld sozialer Beziehungen beschreiben (vgl. Dahrendorf 2006 S. 34). Diese Position innerhalb der Gesellschaft ist auf das Geschlecht, den Beruf, das Alter, die Familie, die Nationalzugehörigkeit oder eine Klassenposition bezogen (vgl. ebd. S. 31), wie zum Beispiel die Position des Schulleiters, der Fußballspielerin, der Mutter, des Franzosen und so weiter. Die Positionen, die ein Mensch einnimmt sagen also aus, in welchen sozialen Bezugsfeldern das Individuum steht, ohne die Art der Beziehung zu definieren (vgl. ebd. S. 36). Dazu gehören gewisse Verhaltensweisen, die von den Positionsträgern erwartet werden, die sogenannte soziale Rolle. „Soziale Rollen sind Bündel von Erwartungen, die sich in einer gegebenen Gesellschaft an das Verhalten der Träger von Positionen knüpfen“ (Dahrendorf 2006 S. 37). Diese Ansprüche werden in Rollenverhalten und Rollenattribute unterschieden. Ersteres beschreibt das Verhalten, zweiteres das Ansehen und den Charakter (vgl. Dahrendorf 2006 S. 37).
Soziale Rollen sind an drei Merkmalen auszumachen. Sie sind quasiobjektive Verhaltensvorschriften, die vom Einzelnen unabhängig sind. Der besondere Inhalt der Rolle wird von der Gesellschaft bestimmt und auch verändert und die gebündelten Verhaltensvorschriften stellen an den Rollenträger eine gewisse Verbindlichkeit, so dass er sich diesen nicht ohne Schaden zu nehmen entziehen kann (vgl. Dahrendorf S. 39). Die Übernahme von sozialen Rollen kann zum einen als Zwang erlebt werden, denn es drohen bei Verstoß gesellschaftliche Sanktionen. Zum andern kann es Halt und Sicherhalt in der gesellschaftlichen Interaktion geben (vgl. Dahrendorf 2006 S. 40). Die soziologische Verwendung des Begriffes Sanktionen geht über die Bedeutung von Strafe hinaus und fügt positive Sanktionen hinzu. Dies wird anhand der Soll-, Muss- und Kann-Erwartungen deutlich. Die Muss-Erwartungen gehen einher mit negativen Sanktionen. So ist es zum Beispiel einem Erzieher nicht erlaubt seine Schutzbefohlenen mit dem Rohrstock zu erziehen. Verletzt er diese Erwartung, die ausdrücklich formuliert ist und deren Verbindlichkeit nahezu absolut ist, drohen ihm gerichtliche Maßnahmen (vgl. Dahrendorf 2006 S. 42). Abgesehen von den Muss-Erwartungen der sozialen Rollen gibt es die Soll-Erwartungen, deren erzwingbare Verbindlichkeit nicht deutlich geringer ist als bei den Muss-Erwartungen. Die negativen Sanktionen überwiegen bei den Soll-Erwartungen, aber bei Einhaltung und Erfüllung derer hat der Rollenträger auch mit positiven Sanktionen, wie Sympathie zu rechnen, da er sich zum Beispiel positiv verhält, wenn er als Vereinsmitglied pünktlich und regelmäßig zu den Vereinstreffen erscheint. Wenn ein Rollenträger, wie im vorausgegangenen Beispiel das Vereinsmitglied, freiwillig Spenden sammelt und somit eine Kann-Erwartung bedient, kann dies mit positiven Sanktionen belohnt werden; er wird dafür von den anderen Mitgliedern geschätzt (vgl. Dahrendorf 2006 S. 43f.).
Da ein Individuum mehrere Rollen einnehmen kann, deren unterschiedliche Rollenerwartungen sich wiedersprechen, kann ein Rollenkonflikt entstehen. Schimak unterscheidet dabei zwei Konfliktarten.
Bei dem Intrarollenkonflikt widersprechen sich die Erwartungen an eine bestimmte Rolle, wie zum Beispiel die Mutterrolle (vgl. Schimak 2007 S. 57f). Zum einen wird gesellschaftlich erwartet, dass eine Mutter in den ersten Lebensjahren ihres Kindes zu Hause bleibt, sich um ihr Kind kümmert und nicht arbeiten geht. Eine weitere große Gruppe der Gesellschaft erachtet es durchaus als positiv, wenn eine Mutter nach der Geburt arbeitet, was auch von der Mutter selbst vertreten werden kann.
Der Interrollenkonflikt beschreibt den Konflikt einer Person zwischen einzelnen Rollen. Zum Beispiel wird von der Mutter als Arbeitnehmerin verlangt Überstunden für den Betrieb zu bringen. Zudem fordern die Kinder mehr Zeit mit ihrer Mutter ein (vgl. Schimak 2007 S. 58).
2.2 Geschlecht
Der Begriff Geschlecht kennzeichnet die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau. Im 18. Jahrhundert werden innerhalb des medizinischen Fortschritts und den anthropologischen Wissenschaften die Unterschiede zwischen den Geschlechtern biologisch begründet und die sogenannten „wesensmäßigen“ und „naturbestimmten“ Eigenschaften von Frauen und Männern vorangetrieben. In dieser Zeit verfestigt sich die Vorstellung darüber, dass Frauen aufgrund ihrer biologischen Gebärfähigkeit, von Natur aus der Mutterschaft, Aufzucht und Erziehung von Kindern verpflichtet sind. Dies konstituiert die gesellschaftlich getrennte und hierarchisch angeordnete Position von Frauen und Männern. Dieser Unterschied, der als Geschlechterdualismus bezeichnet wird, geht mit der sozialen Ungleichheit von Frauen und Männern einher, welche im Punkt 5.1.3 erläutert wird (vgl. Tegeler 2003 S. 24f).
Geschlechterstereotype und Geschlechterrollen
Die biologische Unterscheidung zwischen Frau und Mann begünstigt die Entstehung von Geschlechterstereotype. Darunter werden kognitive Strukturen verstanden, die gesellschaftlich geteiltes Wissen über charakteristische Merkmale von Frauen und Männern enthalten. Sie machen den Kern eines übereinstimmenden kulturellen geteilten Verständnisses über typische Merkmale von Frauen und Männern aus und bilden die Basis für die Dualität der Geschlechter. Kennzeichnend für Geschlechterstereotype ist zum einen, dass sie präskriptive Anteile haben. Diese vorbeschreibenden Anteile sind traditionelle Annahmen darüber, wie Frauen und Männer sein sollen oder sich verhalten sollen. Beispielsweise sollen Frauen einfühlsam sein, Männer sollen dominant sein. Zum anderen sind deskriptive Anteile charakteristisch. Diese umfassen Annahmen darüber, wie Frauen und Männer sind und beschreiben traditionell gewachsene Tatsachen. Zum Beispiel gelten Männer als zielstrebig und Frauen als verständnisvoll. Signifikant ist dabei die Tatsache, dass Geschlechterstereotype nahezu resistent gegenüber Änderungen sind, da die Gesellschaft mit Ablehnung oder Sanktion bei präskriptiven oder bei deskriptiven Annahmen mit Überraschung reagiert (vgl. Eckes 2008 S. 178).
Der Lernprozess von geschlechtsstereotypem Wissen beginnt bereits in der Kindheit und setzt sich im Erwachsenenalter fort. Die Stereotypisierung, also die die Anwendung von stereotypgestützten Wissen, erfolgt im ersten Moment bei der Begegnung mit einem Menschen ohne bewusste Kontrolle. Die willentliche Beeinflussung dieses unbewussten Prozesses ist möglich, bedarf aber zum Beispiel einer hohen Motivation des Bewusstseins, dass das stereotype Wissen auch widersprüchlich sein kann (vgl. ebd.).
Geschlechterstereotypen entstehen durch die Geschlechterdifferenzierung, die auch als Geschlechtertypisierung bezeichnet wird. Diese klare Unterscheidung der Kategorie Geschlecht unterliegt über das gesamte Leben hinweg den Entwicklungsprozessen eines Menschen und soziale Einflüssen. Bereits Kleinkinder im Alter bis zu sechs Monaten nehmen geschlechtstypische Merkmale wahr und können so zum Beispiel weibliche und männliche Stimmen unterscheiden. Kinder mit bis zu neun Monaten können Gesichter geschlechtsspezifisch einordnen. Da die Kategorien männlich und weiblich präsent und die Zuordnungen notwendig sind, ist die Basis für Stereotypisierung gelegt. So lernen Kinder zwischen den Geschlechtern zu differenzieren und charakteristische Merkmale zuzuschreiben (vgl. Eckes 2008 S. 180f.).
Innerhalb der Forschung zu den Inhalten von Geschlechterstereotypen kristallisieren sich Merkmale heraus, die entweder Frauen oder Männern zuzuordnen sind. Die daraus entstanden Konzepte von Wärme und Expressivität, meint Femininität und Gemeinschaftsorientierung und welche sich weitestgehend auf Frauen beziehen. Hingegen bündeln sich überwiegend männliche Merkmale in den Konzepten der aufgabenbezogenen Kompetenz oder Instrumentalität, was gleichbedeutend mit Maskulinität und Selbstbehauptung ist (vgl. Eckes 2008 S. 179). Diese Bündel von Merkmalen sind in hohem Maße kulturell unveränderlich und zeitlich sehr stabil. Eckes bezieht sich auf Twenge 1997, der seit circa 25 Jahren einen kontinuierlichen Anstieg einer über sich selbst berichtenden Instrumentalität von Frauen konstatiert. Hingegen ist die selbstberichtende Expressivität von Männern unverändert (vgl. Twenge 1997 zit. n. Eckes 2008 S. 179).
Eckes bietet, als Erklärung auf die Frage nach den Zuschreibungen von Merkmalen auf Frauen und Männern, zwei theoretische Positionen an, die in ihrer Gesamtheit erlauben, eine allgemeine, integrative Theorie zur Erklärung der Inhalte der Geschlechterstereotypen zu lassen (vgl. Eckes 2008 S. 180).
Alice Eaglys fixiert 1987 in „Die Theorie der sozialen Rolle“, die Neigung von Menschen anzunehmen, dass Frauen und Männer diejenigen Merkmale aufweisen, die für ihre soziale Rolle in Familie und Beruf typisch sind. Der Kerninhalt des Konzeptes zu Wärme und Expressivität entsteht durch die überwiegend von Frauen belegte Rolle der Hausfrau oder Berufsrollen mit eher niedrigem Status, wie zum Beispiel Krankenschwester oder Erzieherin. Die Rollenübernahme des Ernährers von Seiten der Männer, wie auch die Ausübung von Berufsrollen mit eher hohem Status, wie Rechtsanwalt oder Manger, entspricht dem Konzept der Kompetenz und Instrumentalität (vgl. Eckes 2008 S. 179 f.). Daraus ergibt sich, dass Menschen dazu neigen durch beobachtetes Rollenverhalten auf Eigenschaften der Rolleninhaber zu schließen und dabei den Einfluss in der jeweiligen Situation verhaltenswirksamer Rollenanforderungen zu vernachlässigen (vgl. Eckes 2008 S. 180).
Das „Stereotypenmodell“ von Susan Fiskis 1998 fixiert die Annahme, dass die Inhalte von Stereotypen zum einen nach dem relativen Status der Gruppe (hoch/ tief) bestimmt werden und zum anderen von der Art der Interdependenz, also der wechselnden Abhängigkeit von Wirkungen zwischen den Gruppen (kooperativ/ kompetitiv). Dabei sind unter kooperativen Interdependenz die Handlungsergebnisse von beiden Gruppen zu verstehen, die positiv untereinander korrelieren. Im Ergebnis bedeutet das, dass beide Gruppen bei der Interaktion gewinnen. Kompetitive Interpendenz meint die negative Korrelation beider Gruppen, in der eine Gruppe die Interaktion gewinnt, die andere verliert. Daraus folgert Fiskis die soziostrukturelle Hypothese ihres Modells, in welcher der relative Status die Einordnung einer Gruppe auf der Kompetenzdimension bestimmt. Dies bewirkt, dass Gruppen mit hohem Status als kompetent und Gruppen mit niedrigen Staus als inkompetent angesehen werden. Dagegen bestimmt die Art der Interdependenz die Einordnung in eine Gruppe auf der Wärmedimension. So werden kooperative Gruppen als warm und nicht bedrohlich in Bezug auf die Gruppenziele eingestuft, kompetitive Gruppen hingegen als kalt und bedrohlich eingeschätzt (vgl. Eckes 2008 S. 180). Dieses Stereotypeninhaltsmodell zeigt, wie es zu traditionellen Stereotypen kommt. Das Frauenstereotyp entsteht aus einem relativen sozialen Status der Frau in der Gesellschaft, welcher mit einer kooperativen Interdependenz mit Männern im häuslichen und familiären Kontext kombiniert ist. Bei dem traditionellen Männerstereotyp verhält es sich konträr. Männer weisen eines hohen gesellschaftlichen Staus auf, der mit einer kompetitiven Orientierung gegenüber Frauen im beruflichen Kontext einhergeht. Fiskis betont, dass diese Verhaltensvorschriften der Aufrechterhaltung und der Stabilisierung der gesellschaftlichen Geschlechterhierarchie dienen (vgl. Eckes 2008 S. 180).
Ähnlich wie bei den Geschlechterstereotypen, werden unter dem Begriff der Geschlechterrollen sozial geteilte Verhaltenserwartungen definiert, die sich auf das sozial zugeschriebene Geschlecht beziehen. In der Literatur zeigt sich der Begriffsgebrauch uneinheitlich. Einerseits wird unter Geschlechterrollen die bloße Unterscheidung zwischen deskriptiven und präskriptiven Annahmen verstanden. Andererseits werden Geschlechterrollen auf die deskriptiven und präskriptiven Funktionen im Rahmen der Analyse von Familien-, Berufs,- und Führungsrollen diskutiert (vgl. Eckes 2008 S. 178.).
Mit der Betrachtung beider Punkte werden Stereotypen über die Rolle der Frau deutlich.
Zum einen werden Frauen aufgrund ihres biologischen Geschlechts Eigenschaften zugeschrieben. Daraus resultieren gesellschaftliche Annahmen, wie Frauen sind und auch sein sollen. Frauen werden Wärme und Expressivität zugesprochen. Eaglys nimmt die Position ein, dass diese Zuschreibung auf die typischen Rollen der Frau zurückgeht. Fiskis hingegen gibt an, dass sich der Inhalt der Geschlechterstereotype auf den sozialen Status beziehen.
Wichtig dabei ist, dass geschlechtsstereotypes Wissen bereits in der Kindheit erlernt wird und die zugeschrieben Merkmale zeitlich stabil sowie kulturell unveränderlich sind. Trotz dieser Beständigkeit haben sich die Zuschreibungen bei den Frauen seit Mitte der 1970er verändert, die männlichen hingegen sind konstant geblieben.
3 Erwerbsarbeit und Hausarbeit
3.1 Erwerbsarbeit
Thurich definiert Erwerbsarbeit als die Form der Arbeit, die durch Geld entlohnt wird. Er grenzt die Erwerbsarbeit gegen weitere Formen der Arbeit, wie der Hausarbeit, Familienarbeit oder ehrenamtliche Arbeit, ab (vgl. Thurich 2011).
Daraus leitet sich ab, dass Erwerbsarbeit und Hausarbeit zu unterscheidende Formen von Arbeit sind, da Erwerbsarbeit entlohnt wird, Hausarbeit hingegen nicht. An dieser Stelle stellt sich die Frage, was unter dem Begriff Arbeit zu verstehen ist, der beiden Formen zu Grunde liegt.
In der Literatur ist keine einheitliche Definition des Begriffs Arbeit zu finden. Allgemein ist unter Arbeit der „bewusste und zweckgerichtete Einsatz der körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte des Menschen zur Befriedigung seiner materiellen und ideellen Bedürfnisse“ zu verstehen (Brockhaus 2016). Ähnlich definieren Daheim und Schönbauer 1993 Arbeit als die "Auseinandersetzung des Menschen mit seiner natürlichen und sozialen Umgebung zur Sicherung des Lebensunterhaltes" (Daheim/Schönbauer 1993, S. 9). Günther Voß beschreibt in seinem Beitrag „Was ist Arbeit? Zum Problem eines allgemeinen Arbeitsbegriffs“ 2010 die Schwierigkeit, den Begriff als solches zu fassen. Aufschlussreich gestalten sich die etymologischen Befunde, die das deutsche Wort Arbeit, mit indogermanischer Wurzel, als „schwere körperliche Anstrengung, Mühsal und Plage“ beschreiben (Voß 2010 S. 25). Zudem verweist er auf die Nähe zum slavischen Wort „Robot“, welches für Knecht oder Sklave steht, wie auch zum lateinischen Begriff „laborare“, für mühsames arbeiten und plagen (vgl. Voß 2010 S. 25). Arlt und Zech fügen hinzu, dass der Begriff Arbeit in vielen Sprachen etymologisch gleichbedeutend mit Mühsal und Plage ist, im Französischen mit Folter (vgl. Arlt/Zech 2015 S. 1). Jochum verweist auf ein ambivalentes Verständnis von menschlicher Arbeit und greift dazu ebenfalls auf die Etymologie zurück. Der negativen Konnotation setzt er den griechischen Begriff „ergon“ und das lateinische Wort „opus“ entgegen, die mit dem Begriff „Werk“ gleichzusetzen sind und die schöpferische Dimension von Arbeit aufzeigen (vgl. Jochum 2008 S. 81). Dem schließt sich die Bedeutung von Arbeit der gegenwärtigen Gesellschaft an, in der alles sinnhafte Tun des Menschen in Verbindung mit Arbeit steht. Menschen leisten Beziehungsarbeit, Erziehungsarbeit, Trauerarbeit, Gruppenarbeit, ehrenamtliche Arbeit, Körperarbeit etc. Diese Aufzählungen können weitreichend ausgedehnt werden (vgl. Kadler-Neuhausen 2012 S. 7). Ein weiterer Indikator für eine Veränderung in der Bedeutung des Wortes Arbeit zeigt der Inhalt des Artikel 23, Abs. 1 der Menschenrechte, der das Recht auf Arbeit definiert: „Jeder hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit“ (Menschenrechtserklärung o.J.). Ebenso hält das deutsche Grundgesetz in Artikel 12 fest, dass alle Deutschen das Recht haben, ihren Beruf, den Arbeitsplatz und die Ausbildungsstätte frei zu wählen (vgl. Stascheit 2015 S. 18).
Daraus ergibt sich, dass Arbeit einem Wandel unterliegt. Dieser vollzieht sich in der Definition, wie auch in der Bedeutung. An dieser Stelle ist es notwendig, den Begriff kursorisch in der Historie nachzuzeichnen.
3.1.1 Kursorische Darstellung von der Antike bis 1950
Im Gegensatz zu der aktuellen Epoche, spielte der Arbeitsbegriff in der Antike eine untergeordnete Rolle. Arbeit stand für den Adel im Zusammenhang mit der Führung des Hausstandes und der Landwirtschaft. Für schwere und körperliche Arbeit waren die Sklaven zuständig. Eine weitere Form von Arbeit war die Erwerbsarbeit, welche im griechischen und lateinischen mit dem Begriff der „Nicht-Muße“ (Äßländer 2005, S. 6) belegt wurde. Die Nicht-Muße meinte die Zeit, in der sich der Mensch nicht seinen individuellen Tugenden hingeben konnte. Geschäftstätigkeit wurde nachgegangen, um den Lebensunterhalt zu sichern, der die Muße ermöglichte. Körperliche Betätigung, abgesehen von der Landwirtschaft, galt als unwürdige Tätigkeit für einen freien Mann, denn man ging davon aus, dass Arbeit den Charakter verdirbt (vgl. Äßländer 2005 S. 7). Ein erster Wandel der antiken Vorstellung von Arbeit erfolgte im Mittelalter. Aufgrund der mittelalterlichen Verknüpfung mit der jüdischen und christlichen Tradition, verstand man unter Arbeit die Strafe Gottes für den Sündenfall des Menschen im Paradies. Theoretisch waren alle Menschen davon betroffen, jedoch in der mittelalterlichen Ständegesellschaft nicht gleich verteilt. Dennoch ebnete diese neue Perspektive den ersten Schritt zur Endstigmatisierung von Arbeit. Eine wachsende Bedeutung der Kaufleute und Handwerker brachte die kommerzielle Revolution mit sich, in der sich die Vorstellung eines gerechten Preises und Lohnes entwickelte (vgl. Äßländer 2005 S. 12). Ein weiterer Wandel zur bürgerlichen Erwerbsgesellschaft vollzog sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts und begründete sich im Verfall der feudalen Ordnung. Die Adelsgesellschaft war durch ihre Tradition und Herkunft bestimmt. Hiervon grenzte sich die bürgerliche Gesellschaft ab, da diese über keine vergleichbaren Geburtsrechte und Privilegien verfügten. Beruflicher Erfolg eröffnete neue gesellschaftliche Chancen und beschrieb ein neues Schichtmerkmal einer neuen Gesellschaftsordnung. Dadurch entwickelte sich eine organisierte Lebensführung, die sich nach einer bestimmten Arbeitsmoral richtete und auf wirtschaftlichen Prinzipien und einer ökonomischen Rationalität beruhte. Diese Faktoren unterstützten die Bürger bei der Umsetzung eines individuellen Lebensentwurfs in der Neuzeit (vgl. Äßländer 2005 S. 19). Die bürgerliche Gesellschaft sah in der Arbeit die Möglichkeit, legitimes Eigentum zu erwerben und Reichtum anzuhäufen. Der Mensch wurde in dieser Zeit zum „animal laborans“ (Äßländer 2005 S. 20), wobei unter „laborans“ nicht mehr abmühen sondern aneignen verstanden wurde. Die aufgeklärte Welt des 18. Jahrhunderts sah Arbeit nicht mehr als Instrument zur Bekämpfung von Armut und des Müßiggangs an, sondern die ökonomische Kraft, die Reichtum und Glück herbeiführte. Das Gegenteil von Arbeit war somit nicht mehr die Armut, sondern die Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit stand als Äquivalent für die Verwehrung des Menschen, sich als ganzheitlich zu betrachten und am Gemeindewohl mitzuwirken (vgl. Äßländer 2005 S. 21). Arbeit wurde in der bürgerlichen Gesellschaft immer mehr zur Tugend, in der die Vernunft in den Dienst der Berufsarbeit gestellt wurde. Produktionsmethoden wurden verbessert und Maschinen wurden erfunden. Technische Errungenschaften und naturwissenschaftliche Erkenntnisse nahmen zu. Dieser „bürgerliche Pragmatismus“ (vgl. ebd.) kam auch in der Bildung zum Tragen. Zum Beispiel wurde das Ausbildungswesen reformiert und die Zulassungsbedingungen zu staatlichen Positionen wurden verschärft. Dadurch wurde Bildung zum Statussymbol.
Die bürgerliche Gesellschaft definierte sich durch Sekundärtugenden, die dem Gelderwerb zuträglich erschienen. Sparsamkeit, Ordnungssinn, Fleiß, Strebsamkeit und Mäßigung galten als Ausweis eines ehrbaren Mannes. Angeschaffter Luxus des Bürgers stand als ökonomischer Wert da, im Vergleich mit dem Adel, der bei Gemälden den ästhetischen Wert sah. Arbeit war die Pflicht des Bürgers. Im Zuge dieser neuen Einstellung zu Arbeit entstanden Arbeitshäuser, um Arme zu arbeitenden Mitgliedern der Gesellschaft umzuerziehen, denn Armut galt als Zeichen mangelnden Arbeitswillens und ein Verbrechen an der Gesellschaft. Rousseau formulierte „Ob reich oder arm, stark oder schwach- jeder müßig gehende Bürger ist ein Betrüger“ (Rousseau 1998 S. 411 zit. n. Äßländer 2005 S. 22).
Dieses Zitat zeigt den massiven Unterschied zwischen Antike und Gegenwart in Bezug auf die Bedeutung von Arbeit.
3.1.2 Bedeutung von Erwerbsarbeit für den Menschen
Wie zuvor dargestellt wurde, ist Erwerbsarbeit die Form von Arbeit, die durch Geld entlohnt wird. Die Entlohnung ist abhängig von der Position der Beschäftigten auf dem Arbeitsmarkt, die durch schulische Bildung, Ausbildung, Berufserfahrung und die Branche bestimmt wird.
Die meisten Menschen sind abhängige Beschäftigte auf dem Arbeitsmarkt und sind abhängig von der Entlohnung (vgl. Ludwig-Mayerhofer 2012). Diese finanziellen Mittel gewährleisten die Sicherung der eigenen Existenz und geben den Arbeitsnehmern die Möglichkeit bei Arbeitslosigkeit, bei Krankheit und im Alter ausreichende Ansprüche auf Leistungen der sozialen Sicherungssysteme zu haben (vgl. Klenner/Lillemeier 2015 S. 1).
Doch neben der finanziellen Entlohnung reicht die Bedeutung von Erwerbstätigkeit weiter.
Ludwig-Mayerhofer beschreibt in seinem Beitrag „Bedeutung der Erwerbstätigkeit“ von 2012, welche Bedeutung Menschen aus ihrer Arbeit ziehen können. Diese reichen von der Möglichkeit, eine mehr oder minder interessante oder auch sinnhafte Arbeit zu verrichten, über die zeitliche Strukturierung des Tages und die Erweiterung der Bandbreite von sozialen Beziehungen, die über die Familie und Nachbarschaft hinausgehen. Weiterhin verweist er auf die Arbeitsteilung innerhalb der Erwerbsarbeit hin, die den Arbeitnehmer an kollektiven Zielen teilhaben lässt. In einem letzten Punkt zieht der Mensch aus der regelmäßigen Betätigung durch Erwerbsarbeit persönliche Identität und vermittelt einen sozialen Status (vgl. Ludwig-Mayerhofer 2012). Am Rande wird vermerkt, dass sich Ludwig-Mayerhofer mit seiner Bedeutung auf die latenten fünf Funktionen von Erwerbsarbeit aus der Jahoda-Studie[1] zur Arbeitslosigkeit bezieht (vgl. Kronauer/Vogel/Gerlach 1993 S. 24). Kronauer et al. gehen noch einen Schritt weiter und sehen in der Erwerbstätigkeit eine vergesellschaftende Kraft, die eine wichtige Dimension im Leben einnimmt: „Erwerbstätigkeit trägt wesentlich dazu bei, die Menschen objektiv und subjektiv, direkt wie indirekt in die Gesellschaft einzubinden“ (Kronauer/Vogel/Gerlach 1993 S. 23)
In der Summe betrachtet, ziehen Menschen neben der finanziellen Entlohnung positives für ihr Leben aus der Erwerbstätigkeit. An dieser Stelle sei vermerkt, dass das Fehlen von Erwerbstätigkeit, also Arbeitslosigkeit, negative Folgen für den gesundheitlichen Zustand eines Menschen nach sich ziehen kann.
Mit dem Titel „Arbeitslosigkeit macht krank“ überschreiben 1998 Berliner Ärzte und die Initiative Gesundheit Berlin e.V. einen Appell. Zudem verweisen qualitative und quantitative Studien auf signifikante Korrelationen von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Beschäftigung und gesundheitlichen Einschränkungen (vgl. Hollederer 2002 S. 411). Hollederer führt an, dass z. B. in der Haushaltsbefragung „Mikrozensus“ im Jahr 1999 in der Altersgruppe der 40 bis 65-Jährigen 8,4 Prozent der Erwerbstätigen krank oder unfallverletzt waren. In der Gruppe der Erwerbslosen waren es 14,3 Prozent, 16, 6 Prozent bei den Nichterwerbspersonen (vgl. Hollederer 2002 S. 413).
3.1.3 Strukturelle Veränderung der Erwerbsarbeit
Moderne Gesellschaften lassen sich als Arbeitsgesellschaften bezeichnen, die ebenfalls einem Wandel unterliegen. Seit den 1950er Jahren bis in die Gegenwart lässt sich ein ökonomischer und ein daraus resultierender gesellschaftlicher Strukturwandel aufzeigen. Die Ökonomen Fischer und Clark unterscheiden folgende Produktionssektoren.
Der Primäre, auch Agrar-Sektor umfasst die Land- und Forstwirtschaft, die Fischerei, Bergbau, sowie die Energie- und Wasserversorgung. Der sekundäre Sektor steht als Bezeichnung für das verarbeitende Gewerbe, die Industrie und das Handwerk. Charakteristisch für diesen Sektor ist die Weiterverarbeitung von Gütern aus dem Primären Sektor. Der Tertiäre Sektor, der auch als Dienstleitungssektor bezeichnet wird, umfasst die Bereiche Handel, Verwaltung, freie Berufe und die Dienstleistungen (Kadler-Neuhausen 2012 S. 17).
Die Arbeitsgesellschaft entwickelt sich seit 1950 von einer Agrar- zur Industriegesellschaft und weiter zur Dienstleistungsgesellschaft, wie die nachfolgende Tabelle zeigt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Strukturwandel 1950-2016
(vgl. Statistisches Bundesamt 2017, von Verfasserin stark vereinfacht in eigener Darstellung)[2]
Aus der Tabelle geht hervor, wie die Arbeit im Primären Sektor seit 1950 bis 2016 rapide zurückgeht. Hingegen entstehen innerhalb des Dienstleistungssektors seit den 1950er Jahren mehr als doppelt so viele Arbeitsplätze.
3.1.4 Erwerbsformen in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945
Nach dem zweiten Weltkrieg prägte das Wirtschaftswunder Deutschland. In einer kurzen Zeitspanne gelang es in Westdeutschland die Arbeitslosigkeit stark zu senken und Vollbeschäftigung zu erreichen. Ein kontinuierliches Wachstum und der Ausbau der Wohlfahrtstaatlichkeit wirkten sich positiv auf die Beschäftigten aus. Zum einen wurde eine starke Einkommenssteigerung erreicht, was eine steigende Wachstumsrate erzeugte, dies steigerte wiederum den Arbeitskräftebedarf. Die Firmen zahlten zu dieser Zeit hohe Löhne und garantierten Arbeitsplatzsicherheit, um die Arbeitnehmer an sich zu binden. Zum anderen erzielten die Gewerkschaften soziale Verbesserungen für die Arbeitnehmer, wie zum Beispiel reduzierte Regelarbeitszeiten, erweiterte Urlaubsansprüche, Kündigungsschutz etc. Diese Zeit prägte das Verständnis von Normalarbeitsverhältnissen (vgl. Oschmiansky/Kühl/Obermeier 2014). Darunter wurde ein unbefristetes Vollarbeitszeitverhältnis verstanden, welches komplett in die sozialen Sicherungssysteme integriert war und eine Identität von Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis aufwies, sowie die Gebundenheit des Arbeitsnehmers an die Weisungen des Arbeitgebers vorgab (vgl. Keller/Henneberger o.J.)
Dieses Normalarbeitsverhältnis beschreibt, laut Oschmiansky, Kühl und Obermeier, nie eine empirische Realität für alle Beschäftigungsgruppen, sondern orientiert sich am Ideal des männlichen Ernährer Models, wodurch sich traditionelle Geschlechterbeziehungen festigen. Frauen profitieren in der Zeit des Aufschwungs nicht von den sozialen Verbesserungen. Neben den Normalarbeitsverhältnissen gibt es weitere Formen von Arbeit. 1970 lässt die Wachstumsdynamik nach, die Arbeitslosenzahlen steigen und der Ausbau der Sozialversicherungen stieg bei sinkenden Einnahmen an. Das geschaffene Netz an Regulierungen der 1960er Jahre in Bezug auf die männliche Erwerbsbevölkerung erweist sich als schwierige Hürde bei den veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (vgl. Oschmiansky/Kühl/Obermeier 2014).
Seit den 1980er Jahren, der Zeit der sogenannten Deregulierung, wird in Deutschland der Wandel der Erwerbsformen verstärkt sichtbar. Die Deregulierung führt zur Reduktion der sozialen Sicherungsleistungen mit dem Ziel der Erhöhung der externen Flexibilität alternativer Erwerbsformen. Es werden vermehrt atypische Beschäftigungsformen geschaffen, die nachfolgend kurz vorgestellt werden (vgl. Oschmiansky/Kühl/Obermeier 2014).
Teilzeitbeschäftigte arbeiten weniger als 35 Stunden in der Woche. Somit stellt Teilzeitbeschäftigung mit mehr als einem Viertel aller abhängigen Beschäftigungsverhältnisse, die am meisten verbreitete atypische Form der Arbeit dar. Keller und Henneberger erklären den Anstieg einhergehend mit der zunehmenden Erwerbstätigkeit von Frauen, die unzureichenden Betreuungseinrichtungen für Kinder und die Expansion des Dienstleistungssektors. In Deutschland arbeiten mehr als 80% Frauen in dieser Beschäftigungsform, daher wird dies als die „Feminisierung des Arbeitsmarktes“ bezeichnet (vgl. Keller/Henneberger o.J.)
Das zweithäufigste Beschäftigungsverhältnis ist die geringfügige Beschäftigung die mit Mini-Job bezeichnet wird. Das Einkommen beläuft sich auf maximal 450 Euro monatlich und die Arbeitszeit ist rechtlich nicht eingegrenzt, wird aber durch den geltenden Mindestlohn festgesetzt. Die sogenannten Midi-Jobs sind im Rahmen der Hartz-Gesetze entstanden und umfassen ein Einkommen zwischen 450,01 und 850 Euro. Nach einer deutlichen Expansion machen sie circa vier Prozent der abhängig Beschäftigten aus. Drei Prozent der Gesamtbeschäftigung ist die Leiharbeit. Leiharbeit steht im Dreiecksverhältnis zwischen Verleihunternehmen, Entleihunternehmen und dem Arbeitnehmer. Wie die Midi-Jobs hat Leiharbeit durch die Hartz-Gesetze hohe Zuwachsraten verzeichnet. Diese Beschäftigungsform unterliegt stark konjunkturellen Schwankungen.
Eine weitere Beschäftigungsform ist der befristete Arbeitsvertrag. Dieser endet zu einem festgelegten Zeitpunkt, welcher von den üblichen Kündigungsregeln unberührt bleibt. Vor allem mit jüngeren Arbeitnehmern werden zunächst befristete Arbeitsverträge abgeschlossen (vgl. Keller/Henneberger o.J).
3.2 Hausarbeit
In einem ersten Schritt wird der Begriff Hausarbeit definiert und die spezifischen Tätigkeiten aufgezeigt. Um strukturelle Stimmigkeit zu erlangen, wird wie bei der Erwerbsarbeit die Hausarbeit im historischen Kontext betrachtet und deren Entstehung aufgezeigt. Dem schließen sich die Anforderungen an Hausfrauen an und die damit verbundenen psychosoziale Belastungen. Abschließend wird diskutiert, ob Hausarbeit als unbezahlte Arbeit unter den Arbeitsbegriff subsummiert werden kann.
3.2.1 Definition von Hausarbeit
Unter Hausarbeit wird die Einheit von materieller und psychischer Versorgungsleistungen innerhalb des familiären Kontextes verstanden. Ersteres meint die Hausarbeit im engeren Sinne. Sie beinhaltet Tätigkeiten vom Einkaufen und Kochen über das Bügeln bis hin zum Putzen. Die psychische Komponente der Hausarbeit kann auch als Beziehungsarbeit verstanden werden und umfasst Tätigkeiten wie die Kindererziehung, das Schaffen einer positiven Atmosphäre zu Hause und den Aufbau und die Pflege familiärer Beziehungen (vgl. Ochel 1992 S. 172).
Innerhalb der Frauenbewegung der 1970er Jahre, welche in Punkt 5.1.2 ausführlich beschrieben wird, wird Hausarbeit definiert als die Tätigkeiten, die das weibliche Geschlecht, insbesondere die Ehefrau und Mutter für die Familie zu verrichten hat. Hausarbeit wird im Gegensatz zur Erwerbsarbeit als solche nicht bezahlt, sondern bringt die Frau in ein Abhängigkeitsverhältnis vom Mann, da sie durch sein Erwerbseinkommen Kost und Logis erhält. Der materiellen und psychischen Versorgung wird die sexuelle Arbeitskraft hinzugefügt (Bührmann et al. 2014 S. 34).
[...]
[1] Synonym zur Marienthalstudie von Marie Jahoda 1933. Die darin fünf latenten psychosozialen Funktionen von Erwerbsarbeit sind die Zeitstruktur, die Teilhabe an kollektiven Unternehmungen, Identität und Sozialstaus und ein über die Familie hinausgehendes soziales Netzwerk (vgl. Rogge 2018 S. 55).
[2] Anmerkung: Deutschland, bis 1990 früheres Bundesgebiet. 1950 bis 1959 ohne Berlin und Saarland (vgl. Statistisches Bundesamt 2017)
- Arbeit zitieren
- Nicole Jacob (Autor:in), 2018, Frauen zwischen Hausarbeit und Berufsleben. Wie hat sich die Rolle der Frau in Zeiten der Individualisierung verändert?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/424845
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