Depression in der Jugendphase

Eine multiperspektivische Betrachtungsweise sowie Handlungsansätze in der sozialpädagogischen Fallarbeit


Hausarbeit, 2016

37 Seiten, Note: 1,5

Lisa Straub (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverz eichnis

1. Einleitung

2. Depressive Störung im Jugendalter
2.1 Klassifikation
2.2 Symptomatik
2.3 Psychosoziale Belastungen.
2.4 Komorbidität

3 Risikofaktoren und ein Ansatz zur Entstehung der Depression.
3.1 Zusammenhang zwischen der Jugendphase und Depression.
3.2 Risikofaktoren für ein erhöhtes Depressionsrisiko im Jugendalter...
3.3 Die psychische Struktur von Depressiven.
3.4 Beziehungsmuster von Depressiven..

4 Soziale Arbeit und psychische Erkrankungen
4.1 Arbeitsbereiche der sozialen Arbeit mit psychisch kranken Jugendlichen...
4.2 Handlungsansätze für den Arbeit mit depressiven Jugendlichen.
4.2.1 Elternarbeit
4.3 Anforderungen an Pädagogen bei der Arbeit mit depressiven Jugendlichen.

5 Fazit

6.. Literaturverzeichnis

Anhang.

1. Einleitung

Betrübt sein, sich niedergeschlagen oder traurig fühlen - diese Gefühle, welche im all gemeinen Sprachgebrauch als ״depressiv“ bezeichnet werden, haben wir wahrscheinlich alle schon einmal empfunden. Sie dauern einige Augenblicke, Stunden oder auch Tage an. Besonders im Jugendalter kann das Befinden von außerordentlicher Freude, bis hin zum vorübergehenden Stimmungstief sehr stark schwanken. Jugendliche sprechen bei letzterer häufig von ihrer ״Depri-Phase“, in der sie sich gereizt und unausgeglichen zei gen, schlechte Laune haben und kein Interesse für Aktivitäten und Unternehmungen aufbringen können (vgl. Nevermann und Reicher 2001, s. 11). Die eben beschriebene Charakteristik stellt zum Glück nur ein vorübergehendes Phänomen dar. Jedoch entwi- ekelt sich bei bis zu 20% aller Jugendlichen noch vor Vollendung des 18. Lebensjahres eine depressive Störung (vgl. Seemann 2004, s. 1). Trotz der sehr emstzunehmenden Erkrankung nimmt nur ein sehr geringer Teil der depressiven Jugendlichen professionel le Hilfe in Anspruch. ״Der weitaus größere Teil bewegt sich hilflos durch den Alltag, welcher von Selbstwertkrisen, Hoffnungslosigkeit und einer starken Suizidgefährdung bestimmt wird(vgl. Nevermann und Reicher 2001, s. 9). Vor diesem Hintergrund sind die Hilfen der Jugendämter, Schulen sowie Kinder- und Jugendpsychiatrien zunehmend notwendig. Die Sozialen Fachkräfte sind als einzige Berufsgruppe in all diesen Hilfesys temen vertreten, da psychisch erkrankte Kinder immer den Anspruch auf sozialpädago gische Begleitung, Beratung und Unterstützung haben (vgl. Denner 2008, s. 19). Die Aktualität und Bedeutsamkeit der Thematik spricht für eine intensive Auseinanderset zung, insbesondere unter pädagogischen Gesichtspunkten: Woran ist eine Depression bei Jugendlichen zu erkennen? Welche Herausforderungen entstehen dadurch bei der Ar beit? Was erleichtert die Zusammenarbeit? Worauf ist bei der Arbeit mit den Betroffe nen zu achten?

In dieser Hausarbeit wird die Problematik des depressiven Verhaltens und Erlebens Ju gendlicher dargestellt und die Risikofaktoren für das Entstehen der Depression unter sucht. Ziel der Ausarbeitung ist es, aus diesen Erkenntnissen Handlungsansätze für die Arbeit von Sozialpädagogen mit depressiven Jugendlichen abzuleiten. Dabei kommt die Frage auf, welche im Folgenden untersucht werden soll: Führt ein verstärktes Wissen der Pädagogen über die Depression im Jugendalter zu einem schnelleren Erkennen so wie zu einer effektiveren Hilfe in der Sozialen Arbeit[0]

Wichtig ist dabei stets den multiperspektivischen Blick zu behalten, um die Komplexität der Thematik darzulegen. Des Weiteren werden sich die Ausführungen auf die Depreş- sivität in der Jugendphase beschränken, da Jugendliche unter anderem die Hauptklientel der Sozialen Arbeit darstellen.

Im Weiteren erfolgt ein Überblick zum inhaltlichen Aufbau meiner Ausarbeitung. Im Anschluss an die Einleitung setzt sich das zweite Hauptkapitel mit der depressiven Stö rung im Jugendalter auseinander. Nach einem kurzen Überblick zur Depression in der Jugendphase, folgt die Klassifikation der Erkrankung, wie die Darstellung der Sympto matik. Anschließend werden die psychosozialen Belastungen thematisiert, um die Star ken Auswirkungen einer depressiven Erkrankung deutlich zu machen. Das letzte Linter- kapitel befasst sich mit der Komorbidität bei der Depression im Jugendalter.

Das dritte Hauptkapitel behandelt die Risikofaktoren der Depression in der Jugendphase. Zunächst wird die Jugendphase selbst als Risikofaktor aufgezeigt, woraufhin weitere Ursachen und Risikofaktoren der Depression folgen. Im nächsten Unterkapitel wird die psychische Struktur von Menschen, die an einer Depression leiden untersucht und ab schließend die Beziehungsmuster von Depressiven dargelegt, die bedeutend für die Zu sammenarbeit von Pädagogen und den betroffenen Jugendlichen sind.

Das vierte Hauptkapitel dieser Ausarbeitung verbindet die bis dahin gewonnenen Er kenntnisse mit der sozialpädagogischen Fallarbeit mit depressiven Jugendlichen. Um zunächst einen Überblick über die Handlungsfelder der Pädagogen zu bekommen, wer den die Arbeitsbereiche der Sozialen Arbeit mit psychisch kranken Jugendlichen vorge stellt. Daraufhin werden Handlungsansätze für die Arbeit mit depressiven Jugendlichen sowie die Elternarbeit, als weiterer Aspekt der Arbeit ausführlich beleuchtet. Dabei soll geklärt werden, ob sich die Handlungsansätze aus den vorherigen Kapiteln ableiten las sen. Zuletzt folgt eine kurze Auseinandersetzung mit den Anforderungen an Pädagogen bei ihrer Arbeit mit depressiven Jugendlichen, um die Herausforderungen bei dieser zu verdeutlichen. Ein abschließendes Fazit unter Betrachtung meiner Fragestellung wird meine Ausführungen zusammenfassen.

Aufgrund des begrenzten Umfangs können im Rahmen dieser Arbeit nur ausgewählte Aspekte der Thematik dargestellt werden, die einen Überblick geben und zur weiteren Vertiefung anregen sollen. Anzumerken ist noch, dass aus Gründen der Vereinfachung ausschließlich die grammatikalisch männliche Form in meiner Ausarbeitung verwendet wird. Personen des weiblichen und männlichen Geschlechts, wie auch alle Geschlechtsi dentitäten jenseits des hegemonialen Systems der Zweigeschlechtlichkeit, sind darin gleichermaßen eingeschlossen.

2. Depressive Störung im Jugendalter

Erst in den späten 1970er und frühen 80er Jahren wurden erste systematische Studien über depressive Störungen bei Kindern und Jugendlichen durchgeführt (vgl. Essau 2002, s. 9). Davor galt die Depression bei Kindern und Jugendlichen als nicht existent. Es herrschte lange die Fehleinschätzung, dass Kinder aufgrund ihrer mangelnden kogniti ven Reife keine depressive Störung aufweisen könnten (vgl. Kaess und Resch 2014, s. 150). Heute gilt es als erwiesen, dass bereits bei Kindern im Alter von fünf bis sechs Jahren Depressionen entstehen können (vgl. Myschker 2005, s. 430). Auch wenn sich bereits bei Kindern im Vorschul- oder Grundschulalter depressive Symptome wahmeh- men lassen, sind diese eher selten in ein systematisches depressives Störungsbild einge bettet (vgl. Groen und Petermann 2002, s. 39). Denn Kinder gehen mit Konflikten viel mehr extemalisierend um. Das bedeutet, dass sie die Spannungen mit den jeweiligen Beziehungspersonen austragen und diese nicht mit ihrem Inneren selbst ausmachen (vgl. Heinemann und Hopf 2015, s. 149). Dagegen lässt sich mit zunehmendem Alter, beson ders ab der frühen bis mittleren Jugendzeit (12-15 Jahre), eine steigende Auftrittswahr scheinlichkeit depressiver Störungen verzeichnen (vgl. Groen und Petermann 2002, s. 39). Zu einem beliebigen Messzeitpunkt, so Baierl, sind zwischen 4% und 8% der Ju gendlichen als depressiv einzustufen. Bei einer Schulklasse würde dies einen Schüler pro Klasse ausmachen, der aktuell an einer depressiven Störung leidet (vgl. Baierl 2011, s. 187).

Die depressive Störung gehört zu den häufigsten Erkrankungen weltweit und stellt sogar die häufigste psychiatrische Erkrankung im Jugendalter dar (vgl. Kaess und Resch 2014, s. 150). Diverse Studien weisen daraufhin, dass die Depression, besonders bei Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat (vgl. Groen und Peter mann 2002, s. 40). In Erklärungsansätzen für diese Zunahme werden verschiedene Gründe in Betracht gezogen. Unter anderem werden soziale und gesellschaftliche Grün de diskutiert, worunter veränderte Familienstrukturen oder allgemein höhere Stressbelas tungen von Jugendlichen verstanden werden (vgl. ebd.).

Symptomatisch zeigt die depressive Störung im Jugendalter, im Vergleich zum Erwach senenalter, ein äußerst heterogenes Bild auf, das die Komplexität der Erkrankung ver deutlicht. Zudem unterliegen die Jugendlichen einem hohen Risiko der Chronifizierung der Symptomatik und weisen ein hohes Suizidrisiko auf. Diese weitreichenden Auswir kungen der depressiven Erkrankung geben den dringenden Anlass, sich im Folgenden näher mit den theoretischen und medizinischen Grundlagen der Depression im Jugendal- ter auseinanderzusetzen. Anzumerken ist noch, dass im Weiteren die Begriffe ״depressi- ve Störung“ und ״depressive Erkrankung“ synonym verwendet werden.

2.1 Klassifikation

Allgemein lassen sich zwei verschiedene Klassifikationsansätze unterscheiden: der kate goriale und der dimensionale Klassifikationsansatz. ״Bei kategorialen Klassifikationsan Sätzen geht es darum, ein bestimmtes Muster an Symptomen nach definierten Kriterien bestimmten Störungskategorien zuzuordnen“ (Heinrichs und Lohaus 2011, s. 36). Dabei werden psychische Störungen als klar voneinander und von der Normalität abgrenzbare Störungen beschrieben. Entweder ist jemand gesund oder die Krankheit ״XY“ liegt vor. Diese ״Dichotomisierung“[1] ist bei den meisten psychischen Erkrankungen jedoch nicht angemessen. Krankheitsmerkmale sind in der Regel vielmehr dimensional verteilt, wo bei es einen Übergang von gesund zu krank gibt (vgl. Berking und Rief 2012, s. 12). Dies wird im dimensionalen Klassifikationsansatz berücksichtigt. ״Bei einem dimensio nalen Klassifikationsansatz wird von einem Störungskontinuum ausgegangen, das von dem Nicht-Vorliegen einer Störung bis zu einer starken Störungsausprägung reichen kann.“ (Heinrichs und Lohaus 2011, s. 42). Eine Klassifikation kann sich hierbei nur dann ergeben, wenn Kriterien definiert werden, ab welchem Ausprägungsgrad von einer Störung zu sprechen ist. Da der kategoriale Klassifikationsansatz in der Medizin An Wendung für die Bestimmung körperlicher und psychischer Erkrankungen findet, werde ich mich auf diesen beschränken. Jedoch ist kritisch zu bemerken, dass trotz der klaren Einteilung der Depression nach diesem Klassifikationsansatz die Depression im Kindes- und Jugendalter ein sehr heterogenes Störungsbild aufweist. Es treten verschiedene Stö rungskombinationen auf, die sich hinsichtlich der Dauer und des Schweregrads unter scheiden können. Diese Tatsache erschwert es häufig, eine verlässliche und valide Diag nose der Depression im Kindes- und Jugendalter zu stellen (vgl. Abel und Hautzinger 2013, s. 4).

In Deutschland stellt die ״Internationale Klassifikation von Krankheiten“ oder ״Interna- tional Classification of Diseases“ (ICD) der Weltgesundheitsorganisation das System zur Einteilung körperlicher und psychischer Erkrankungen dar (vgl. Denner 2008, s. 17). Das Klassifikationssystem ist mittlerweile in der zehnten Version erschienen, woraus sich die Bezeichnung ICD-10 ergibt. Psychische Erkrankungen sind in diesem Katalog in Kapitel F wiederzufinden (vgl. Baierl 2011, s. 25). Die Klassifikation der psychischen

Störungen erfolgt hierbei auf der Grundlage der Symptome des Betroffenen, welche nach den Kriterien der Häufigkeit, Dauer und Intensität bewertet werden (vgl. Denner 2008, s. 17).

Die Depression gehört zu den affektiven Störungen, worunter man Störungen der Stirn- mungslage versteht (Stemmer-Lück 2009, s. 104). Sie wird im Kapitel F30 - F39 des ICD-10 aufgeführt und lässt sich in verschiedene Formen einteilen (Nevermann und Reicher 2001, s. 52). Im Weiteren werden die Verbreitesten Formen der Störung aufge zeigt, um einen Eindruck zur Vielfältigkeit der Ausprägungen zu geben. Im Anhang fin det sich hierzu eine Tabelle, welche die Einteilung der depressiven Störung nach ICD- 10[2] gesammelt aufzeigt.

Zu den affektiven Störungen zählt unter anderem die depressive Episode, die in leicht, mittel und schwer unterteilt wird. Für die Diagnose der depressiven Episode sind fol gende drei Hauptsymptome kennzeichnend: Die depressive Stimmung liegt in einem ungewöhnlichen Ausmaß für den Betroffenen vor. Interessen- oder Freudeverlust von Aktivitäten, die normalerweise als angenehm erlebt wurden, sowie Antriebsminderung oder gesteigerte Ermüdbarkeit liegen vor (vgl. Baierl 2011, s. 26; vgl. Abel und Hautzinger 2013, s. 5). Für die leichte depressive Episode müssen mindestens zwei, für die schwere Episode alle drei dieser Kriterien erfüllt sein sowie mindestens 2 Kriterien der mittelgradigen und schweren Depression (vgl. Abel und Hautzinger 2013, s. 5). Weiterhin wird im ICD-10 die rezidivierende depressive Episode[3] aufgeführt, die leicht, mittel oder schwergradig auftreten kann. Darüber hinaus gehören die anhaltenden affek tiven Störungen, die Zyklothymie[4] und Dysthymia zu den affektiven Störungen. Bei der dysthymen Störung liegt eine chronische, aber leichtere Form der depressiven Störung vor. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass eine chronisch-depressive Verstimmung an über der Hälfte der Tage über zwei Jahre hinweg zu beobachten ist (vgl. Essau 2002, s. 22).

Die schwerste Form der Depression ist die Major (vollständig ausgeprägte) Depression, bei der eine oder mehrere depressive Episoden auftreten können. Bei der Episode der Major Depression muss über mindestens zwei Wochen lang eines der beiden folgenden

Kemsymptome vorliegen: eine depressive Verstimmung oder ein deutlich vermindertes Interesse oder Freude an fast allen Aktivitäten. Darüber hinaus müssen mindestens vier weitere Symptome der folgenden Aufzählung vorliegen: deutlicher Gewichtsverlust oder Gewichtszunahme, beziehungsweise verminderter oder gesteigerter Appetit, Schlaflo sigkeit oder vermehrter Schlaf, psychosomatische Unruhe und Verlangsamung, Műdig- keit oder Energieverlust, Gefühle von Wertlosigkeit oder unangemessene Schuldgefühle, Verminderte Denk- und Konzentrationsfähigkeit oder verringerte Entscheidungsfähig keit und zuletzt wiederkehrende Gedanken an den Tod, wiederholte Suizidvorstellungen oder tatsächliche Suizidversuche (vgl. Essau 2002, s. 20). Die Major Depression tritt entweder als Einzelepisode oder rezidivierend auf. Abhängig von der Anzahl der Symp tome, deren Intensität und dem Grad der Beeinträchtigung, können die Episoden der Major Depression in leicht, mittel oder schwer klassifiziert werden (vgl. Essau 2002, s. 20).

Insgesamt verlaufen 75% der Depressionen rezidivierend. Das bedeutet, sie treten nach symptomfreien Zeiten immer wieder auf. Im Durchschnitt kann mit sieben bis acht de pressiven Phasen gerechnet werden (vgl. Baierl 2011, s. 187).

Wie in den Beschreibungen der einzelnen Störungen zu erkennen ist, findet sich eine ganze Bandbreite möglicher Erscheinungsformen hinter ein und derselben ICD-10 Di agnose. Dies beruht darauf, dass ״Klassifikationen [...] immer das Problem [haben], dass sie mannigfaltige Phänomene auf einige wenige Klassen reduzieren. “ (Bai eri 2011, s. 25). Hierbei wird erneut der Nachteil des kategorialen Klassifikationsansatzes deut lieh, da die Gefahr der künstlichen Vereinheitlichung und das Vernachlässigen des indi viduellen Falles besteht (vgl. Heinrichs und Lohaus 2011, s. 42). Daher ist es für Päda gogen wichtig zu wissen, dass die Depression viele verschiedene Ausprägungsformen zeigen kann. Ein Jugendlicher, der schwer traurig ist, muss nicht zwangsläufig depressiv sein, wohingegen ein anderer Jugendlicher, der ständig müde ist und nicht schlafen kann, möglicherweise die psychische Erkrankung der Depression aufweist. Die eben vorgestellten Kriterien zur Bestimmung einer Erkrankung können für Sozialpädagogen daher zur Orientierung dienen. Jedoch ist an dieser Stelle anzumerken, dass die ICD-10 lediglich Kriterien vorgibt, anhand derer eine Diagnose erstellt werden kann (vgl. Bai eri 2011, s. 25). Das bedeutet folglich, dass nicht zwangsläufig eine psychische Störung vorliegt, wenn ein Jugendlicher einige Kriterien der Störung aufweist. An dieser Stelle soll auf die Gefahr einer zu schnellen oder laienhaften Diagnose von psychischen Er krankungen bei Jugendlichen hingewiesen werden.

2.2 Symptomatik

Die Bestimmung der Kinder- und Jugenddepression erfolgt mit denselben diagnosti schen Kriterien wie bei Erwachsenen (vgl. Abel und Hautzinger 2013, s. 8). Nach heuti gern Wissensstand geht man allerdings davon aus, dass sich die Symptomatik von de pressiven Jugendlichen und Erwachsenen unterscheidet (vgl. Essau 2002, s. 26). Kaess und Resch grenzen die depressiven Symptome bei Jugendlichen von denen Erwachsener wie folgt ab: ״Während sich die Symptomatik depressiver Störungen im Erwachsene nal ter meist an der bereits erwähnten WHO-Definition symptomatisch abbildet, zeigen de pressive Störungen im Kindes- und Jugendalter ein äußerst vielgestaltiges Bild“ (Kaess und Resch 2014, s. 150). Die klinische Depression ist im Gegensatz zu einer üblichen niedergedrückten Stimmung dadurch gekennzeichnet, dass weder mit Anstrengung noch mit Willenskraft gegen sie angekämpft werden kann (vgl. Essau 2002, s. 17). Eine Rei he von Symptomen bleiben über einen längeren Zeitraum bestehen und können den Be troffenen stark beeinträchtigen bis völlig lahm legen (vgl. ebd.). Symptome, die bei der depressiven Episode Jugendlicher auftreten können sind laut des ICD-10 folgende: de pressive Stimmung, Interessensverlust und/ oder Freudlosigkeit, Antriebsmangel, Ver lust des Selbstvertrauens sowie unbegründete Selbstvorwürfe oder unangemessene Schuldgefühle. Weiterhin aufgezählt werden vermindertes Denk- und Konzentrations vermögen, Unentschlossenheit, verminderter oder gesteigerter Appetit, Schlafstörungen sowie im schlimmsten Falle Suizidgedanken (vgl. Heinrichs und Lohaus 2011, s. 169f.). Nach Ergebnissen des ״Oregon Adolescent Depression Project“[5] berichteten Jugendli che mit einer Major Depression von einer niedergedrückten Stimmung (97,7%), Schlaf problemen (88,6%), Denkschwierigkeiten (81,8%) und Gewichts- bzw. Appetitstörun gen (79,5%). Die durchschnittliche Anzahl von Symptomen bei Jugendlichen mit Major Depression betrug bei dieser Studie 6,9 (vgl. Lewinsohn et al. 1998a). Bei der Major Depression zeigten die elf- bis zwölf] ährigen Mädchen vermehrt die Symptomatik der Hoffnungslosigkeit auf. 13- bis 14-jährige Mädchen berichten von Gewichtsverlust und Schuldgefühlen, 15- bis 16-jährige von Reizbarkeit und Unruhe (vgl. Goodyer/Cooper 1993). An dieser Stelle führen Essau et al. auf, dass es zu zunehmenden Selbstmordge danken bei steigendem Alter der Mädchen kommt, wohingegen bei Jungen die höchste Rate suizidaler Vorstellungen und Suizidversuchen im jungen Alter festgestellt wurde (vgl. Essau 2002, s. 59). Dies ist deshalb nennenswert, da bereits bei mittleren depressi- ven Phasen das Selbstmordrisiko erheblich steigt. Bei einer schweren Depression steigt das Suizidrisiko sogar um das zwanzigfache an (vgl. Baierl 2011, s. 187). Neben dem hohem Suizidrisiko weisen depressive Jugendliche zudem ein hohes Risiko einer Chro nifizierung der Symptomatik auf (vgl. Kaess und Resch 2014, s. 150).

Wie auch andere Autoren, zeigen Heinemann und Hopf die Verschiedenheit der depreş- siven Symptomatik bei Jungen und Mädchen auf. Mädchen machen häufig sich und den eigenen Körper zum Opfer und leiden an Verstimmungszuständen, Ängsten und Schlaf Störungen. Bei Jungen hingegen treten Verhaltensweisen wie Hyperaktivität, Getrieben- heit, aggressives Verhalten sowie sozial störendendes Verhalten auf. Zudem ist es für depressive Jungen sehr schwer bis kaum möglich, verlässliche emotionale Bindungen einzugehen (vgl. Heinemann und Hopf 2015, s. 150). Weitere Beschwerden, die Jugend liehe im Rahmen einer Depression zeigen können, sind Kopf-, Muskel- oder Magen schmerzen, Langeweile, die Angst vor dem Tod oder auch eine erhöhte Reizbarkeit (vgl. Heinrichsund Lohaus 2011, s. 170).

Anhand der Aufzählung der depressiven Symptome zeigt sich deutlich, dass die Jugend liehen in vielen Bereichen Beeinträchtigungen erfahren. Die Symptome wirken sich nämlich auf ihre Emotionen, Motivation, auf das Verhalten und Motorik, auf den Kör per, beziehungsweise die Gesundheit sowie auf ihre Kognition aus (vgl. Stemmer-Lück 2009, s. 105). Dies verdeutlicht das große physische und psychische Leid bei einer De pression.

Die unterschiedliche Symptomatik innerhalb der verschiedenen Altersgruppen und zwi- sehen den Geschlechtern spiegelt die Heterogenität der Depression im Jugendalter wi der. Mehrere Autoren nennen den unterschiedlich ausgeprägten Grad der kognitiven Reife und des Verständnisses von Emotionen als Gründe des heterogenen Auftretens (vgl. Essau 2002, s. 59). Abel und Hautzinger führen auf, dass die Heterogenität in der Symptomatik innerhalb der Altersstufen bei Kindern und Jugendlichen darauf schließen lassen, dass das Erscheinungsbild der jugendlichen Depression vom biologischen, kogni tiven, sozialen und linguistischen Entwicklungsstand des Kindes abhängt (vgl. Abel und Hautzinger 2013, s. 8). Hierbei deutet sich bereits an, dass die Ursachen für das Auftre ten einer Depression im Jugendalter multifaktoriell bedingt sind.

״Das Verständnis dieser altersspezifischen Unterschiede bei der Darstellung depressiver Symptome ist für unsere Fähigkeit, diese Störung zu bemerken und zu diagnostizieren, von entscheidender Bedeutung“ (Essau 2002, s. 59f.). Doch nicht nur für die Erkennung, sondern auch für die Behandlung und Prävention der Depression bei Jugendlichen ist die genaue Bestimmung der Symptomatik, sei es alters- oder geschlechterspezifisch, außer ordentlich wichtig (vgl. Essau 2002, s. 60). Dies gilt auch besonders für Pädagogen.

Allerdings rufen auch körperliche Erkrankungen, wie Funktionsstörungen der Schilddrü se oder Eisenmangel, sehr ähnliche Symptome hervor, wie sie bei Depressiven zu be obachten sind (vgl. Baierl 2011, s. 188). Zudem geht die Jugendphase mit körperlichen und hormonellen Veränderungen einher, welche Empfindungen und Stimmungen stark beeinträchtigen können. In keinem anderen Lebensabschnitt wie in der Pubertät sind die Jugendlichen mit so umfassenden Veränderungen im Gehirn und im Hormonhaushalt konfrontiert. Bis sich die Jugendlichen an diese Elmstellungen gewöhnt haben, zeigen sie häufig ungewöhnliche und bizarre Verhaltens- und Erlebensweisen auf (vgl. ebd., s. 16). Daher muss bei der Diagnostik sehr genau unterschieden werden, weshalb Jugendliche entsprechende Symptome aufweisen, zumal die Hemmschwelle für Zuschreibungen psychischer Erkrankungen meiner Meinung nach immer stärker sinkt. Hierbei sehe ich es für Sozialarbeiter als wichtig an, sich im eigenen Team oder mit Ärzten und Fachleu ten zu besprechen, damit je nach Ergebnis entsprechend auf den Jugendlichen eingegan gen werden kann.

2.3 Psychosoziale Belastungen

Folgen, beziehungsweise Begleiterscheinungen der depressiven Störungen von Jugendli chen können starke psychosoziale Beeinträchtigungen sein, die häufig von der Schwere der Depression abhängen (vgl. Heinrichs und Lohaus 2011, s. 175). Abel und Hautzin- ger umschreiben die Auswirkungen der depressiven Störung, abhängig von ihrem unter schiedlichen Schweregrad, wie folgt: ״Bei der leichten depressiven Störung können das Kind oder der Jugendliche unter Schwierigkeiten leiden, ihre normalen scindi sehen und sozialen Aktivitäten fortzusetzen, eine mittelgradige Störung führt zu erheblichen Schwierigkeiten bei sozialen, häuslichen und schulischen Aufgaben. Eine schwere epi sodi sehe oder eine rezidivierende depressive Störung führt zu einer sehr begrenzten Fortführung oder zum Erliegen der allgemeinen Aktivitäten.“ (ebd. 2013, s. 5).

In vielen Fällen haben die Jugendlichen interpersonelle Probleme, wie eine schlechte Beziehung zu den Eltern oder zu ihren Freunden. Zudem ist ihre Leistungsfähigkeit ge mindert und ihr Durchhaltevermögen stark reduziert. Dies kann mitunter zu schulischen Problemen führen, da die Jugendlichen häufig im Unterricht fehlen und dadurch schlech te Noten schreiben (vgl. Abel und Hautzinger 2013, s. 5). Die gesamte psychosoziale Entwicklung der Betroffenen wird eingeschränkt, wodurch schwerwiegende Folgeer-

[...]


[1] Es existieren nur zwei Ausprägungen, entweder inan weist die Krankheit auf, oder nicht.

[2] 111 der rechten Spalte der Tabelle wird die Einteilung der Depression nach DSM 5 aufgeführt. Dies stellt ein weiteres Klassifikationssystem dar, welches sich ausschließlich auf psychische Störungen bezieht (vgl. Heinrichs und Lohaus 2011, s. 39). Weiter wird auf dieses Klassifikationssystem jedoch nicht eingegangen.

[3] ״Rezidivierende depressive Episode“ bedeutet, dass depressive Episoden nach symptomfreien Zeiten immer wieder auftreten (vgl. Baierl 2011, s. 187).

[4] andauernde Instabilität der Stimmung mit zahlreichen Perioden von Depression und leicht gehobener Stimmung (Hypomanie), von denen keine ausreichend schwer und anhaltend genug ist, um die Kriterien für eine bipolare affek tive Störung oder rezidivierende depressive Störung zu erfüllen (vgl. Krollner, B., Krollner, D., 2016)

[5] Das ״Oregon Adolescent Depression Project“ ist eine Studie aus den USA, welche Ende der 1980-er Jahre die Prä Valenz und Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen) von depressiven Störungen bei High-School Studenten (14-18 Jahre) untersuchte (vgl. Hihi 2012, s. 139).

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Depression in der Jugendphase
Untertitel
Eine multiperspektivische Betrachtungsweise sowie Handlungsansätze in der sozialpädagogischen Fallarbeit
Hochschule
Hochschule Darmstadt
Note
1,5
Autor
Jahr
2016
Seiten
37
Katalognummer
V420541
ISBN (eBook)
9783668685338
ISBN (Buch)
9783668685345
Dateigröße
876 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
depression, jugendphase, eine, betrachtungsweise, handlungsansätze, fallarbeit
Arbeit zitieren
Lisa Straub (Autor:in), 2016, Depression in der Jugendphase, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/420541

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