In dieser Hausarbeit werden die V. 61–71a aus dem Romuleon 8 de raptu Helenae von Blossius Aemilius Dracontius analysiert, wobei die V. 63 und 66 nur paraphrasiert werden. Die Analyse geschieht unter der Beachtung, dass es sich bei Dracontius um einen christlichen Autor der Spätantike handelt, der auch eine Reihe nicht-christlicher Gedichte geschrieben hat, zu denen die zehn Romulea zählen.
In der Hausarbeit soll untersucht werden, inwiefern sich Dracontius antiker Motive bedient und wie er diese und die pagane religio innerhalb des Mythos als christlicher Schriftsteller modifiziert. Die zu bearbeitende Stelle lässt sich insofern in das Kleinepos einordnen, als dass das Proömium mit V. 60 abgeschlossen ist und nun mit V. 61 der Abschnitt folgt, in dem direkt nach dem Paris-Urteil dessen Aufnahme in Troja beschrieben wird (V. 61–212).
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
I. Übersetzung der V. 61–71a
II. Sprachliche und inhaltliche Interpretation der V. 61–71a
III. Fazit
IV. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
In der vorliegenden Hausarbeit werden die V. 61–71a aus dem Romuleon 8 de raptu Helenae von Blossius Aemilius Dracontius analysiert, wobei die V. 63 und 66 nur paraphrasiert werden. Die Analyse geschieht unter der Beachtung, dass es sich bei Dracontius um einen christlichen Autor der Spätantike handelt[1], der auch eine Reihe nicht-christlicher Gedichte geschrieben hat, zu denen die zehn Romulea zählen. In der Hausarbeit soll untersucht werden, inwiefern sich Dracontius antiker Motive bedient und wie er diese und die pagane religio innerhalb des Mythos als christlicher Schriftsteller modifiziert. Die zu bearbeitende Stelle lässt sich insofern in das Kleinepos einordnen, als dass das Proömium mit V. 60 abgeschlossen ist und nun mit V. 61 der Abschnitt folgt, in dem direkt nach dem Paris-Urteil dessen Aufnahme in Troja beschrieben wird (V. 61–212).[2]
I. Übersetzung der V. 61–71a
Nun scheute er sich vor der Herde, die Quellen, die Hütte, die Weiden, die Wälder, die Flüsse und das Land erregten Unlust und die liebliche Hirtenpfeife wurde nicht mehr geliebt. Oenone gefällt ihm nicht mehr, sondern nun wird sie für beinahe hässlich gehalten, seitdem die schöne Venus im Idagebirge ihm eine solche versprach, wie sie es selbst als nackte war: nun verlangte der Hirte nach einer solchen. Nach dem bedeutenden Streit der Göttinnen ekelten den Mann die Felder an, allein Trojas Burg gefiel ihm und sein Wille und die Zukunftsvorhersagen befahlen ihm, Trojas Mauern aufzusuchen. Paris, der als Knabe von seiner geschmeichelten Amme daran erinnert worden war, wusste alles: von welchem Blut er entsprossen war, wer er in Bezug auf sein Geschlecht war und woher er in Bezug auf seine Geburtsstadt war. Und der Hirte raffte die Erkennungszeichen an sich und legte den Weg nach Troja zurück.
II. Sprachliche und inhaltliche Interpretation der V. 61–71a
Vers 61 wird mit iam eingeleitet, welches hier den Beginn der Handlung des Kleinepos nach dem Proömium markiert.[3] Horretur wird hier als Synonym zu timetur oder horrendus est gebraucht, was in der passivischen Form des Verbes horrere möglich ist.[4] Dazu wurde als auktorialer Dativ[5] Paridi ausgelassen.[6] Die darauf folgende asyndetische Reihung[7] fontes, casa, pascua, silvae, flumina, rura erzeugt das Bild einer bukolischen Landschaft, in der Paris als junger Hirte lebte. Hier wird seine Rolle als pastor (vgl. V. 65) hervorgehoben.[8] Am Ende dieser Reihung wird mit pigent die innere Abneigung[9] des Paris gegenüber dieser bukolischen Welt ausgedrückt. Nach der Aufzählung der bukolischen Elemente, wird nun mit nec fistula dulcis amatur darauf hingewiesen, dass Paris auch seine Gewohnheiten als Hirte wie das Spielen auf der Hirtenpfeife[10] nicht mehr gefallen. Als weiteres bukolisches Element fügt Dracontius in V. 62 eine bukolische Dihärese ein, welche die syntaktisch verbundenen Wörter fistula und dulcis trennt.[11] Auch dadurch wird die innerliche Abspaltung des Paris vom Hirtenleben, das ihm zuvor noch angenehm war, verdeutlicht.
In V. 63 wird beschrieben, dass Paris seine Oenone nicht mehr anziehend, sondern sogar hässlich findet. Antithetisch dazu stellt Dracontius in V. 64 der Venus als Attribut pulchra voran und setzt dieses Merkmal als Gemeinsamkeit mit der dem Paris versprochenen Frau ein[12], was Dracontius durch die relativen Korrelativa talem … qualis verdeutlicht. Durch das Prädikativum nuda könnte laut Wolff (1996) der Eindruck erweckt werden, dass beim Paris-Urteil von den drei Göttinnen nur Venus nackt gewesen sei.[13] Sie habe sich somit einen Vorteil verschafft, da es Paris‘ Naturell gewesen sei, körperliche Begierden und Verlockungen Macht und Kriegsruhm voranzustellen,[14] welche laut Ovid Iuno und Minerva als Preis versprachen.[15] In V. 65 wird talem aus dem vorherigen Vers wieder aufgegriffen und mit iam nach V. 61 und 63 zum dritten Mal der Beginn einer neuen Handlung umschrieben, wonach Paris sich nun nach der versprochenen Frau sehnt. Dieses Begehren wird durch anhelare zum Ausdruck gebracht, welches hier transitiv gebraucht wird und in diesem Fall mit ‚verlangen nach‘ übersetzt wird.[16] In V. 66 wird beschrieben, dass Paris auch das unbebaute Land nicht mehr gefällt, nachdem er den Streit zwischen den Göttinnen Venus, Iuno und Minerva geschlichtet hat.
Mit Beschreibungen wie horrere, piget, non placet, prope turpis und sordent wird in den V. 61–66 eine Stimmung erzeugt, die derjenigen des Paris in Ovids Heroides ähnelt. Speziell im 16. Brief, in dem Paris an Helena schreibt, empfindet Paris fastidium gegenüber allen Frauen am Hofe Trojas, seitdem er von seiner künftigen Ehe mit Helena weiß.[17] Diese Ablehnung wird bei Dracontius auf Oenone und das gesamte Hirtenleben ausgeweitet und auf die Zeit unmittelbar nach dem Paris-Urteil vordatiert. Eben diese fastidia sieht Simons (2005) als Motiv des Aufbruchs aus dem Idagebirge. Dass nicht Helena der alleinige Auslöser des Aufbruchs ist, begründet Simons damit, dass Paris nicht direkt zu Helena, sondern nach Troja aufbricht.[18] Der Anspruch auf eine Frau, die der Venus an Schönheit gleichkomme, liegt bei Dracontius in Paris‘ überhöhtem Selbstwertgefühl begründet, welches er durch seine Rolle als arbiter über die drei Göttinnen entwickelt hat.[19] Wie in Romul. 8,65 wirkt Paris nach der Aussicht auf eine schöne Frau auch bei Ovid direkt im Anschluss an die Beschreibung des fastidium beinahe euphorisch. So wird bei Ovid Paris‘ Besessenheit auf Helena dadurch ersichtlich, dass dieser tagsüber seine Augen nicht mehr von ihr abwenden kann und nachts von ihr träumt.[20] Diese Liebesäußerung des Körpers findet sich bei Dracontius durch die Formulierung talem anhelat, welches zwar hier mit ‚verlangen nach‘ übersetzt wird, aber im etymologischen Sinne eine gewisse Atemlosigkeit impliziert.[21]
In den beiden darauf folgenden V. 67–68a wird dargelegt, wohin es Paris zieht, nachdem ihm sein altes Hirtenleben im Idagebirge nicht mehr gefällt: Pergama sola placent et moenia quaerere Troiae / mens et fata iubent. Mit Pergama wird die Burg von Troja bezeichnet.[22] Neben der Burg als Sitz seiner Familie sind die moenia als die Stadtmauern Trojas sein Ziel, welche den vom einfachen Volk bewohnten Stadtteil umgaben[23], aber hier metonymisch für die ganze Stadt stehen. Die Umklammerung des Verses durch Pergama und Troiae setzt einen weiteren Fokus auf die Stadt Troja als Ziel von Paris‘ Wünschen. Quaerere wird hier als Synonym zu petere verwendet[24] und mit der Bedeutung ‚nach etwas streben‘[25] übersetzt. Der Ausdruck mens et fata iubent birgt einigen Diskussionsstoff, der sowohl durch den Begriff des fatum als auch durch die Reihenfolge der Wörter mens und fata erzeugt wird. Bezeichnen die Begriffe μοῖρα und fatum bei den Griechen und bei den durch die Griechen beeinflussten Dichtern Vergil und Horaz den Götterspruch und eine Willenserklärung eines Gottes bzw. der Götter, so waren die fata laut Otto (1909) für Cicero und Livius Schicksalssprüche meist göttlicher Wesen, oftmals auch im Rahmen eines Orakels.[26] Der Begriff leitet sich von fari ab, wodurch ersichtlich ist, dass es sich um den „Spruch [und die] Weissagung aus dem Munde göttlicher Seher“[27] handelt. Begemann (2012) übersetzt den Begriff jedoch mit ‚Bestimmungsmacht‘, die sowohl Ausdruck göttlichen Willens als auch eine menschliche Entscheidung sein kann.[28] In der späten Republik weist fatum in den meisten Fällen eine negative Konnotation auf, wobei vor allem Lukrez den Zwang und die Unausweichlichkeit in den Vordergrund stellt und in der Folge ein Wirken des fatum im Leben der Menschen ablehnt.[29] Die Willensfreiheit des Menschen ist für ihn wie auch für Dracontius die Voraussetzung eines glücklichen Lebens, zumal sich Dracontius als christlicher Autor negativ zum Schicksalsglauben paganer religio positionierte.[30]
[...]
[1] Dracontius lebte um 500 n. Chr., vgl. Kaufmann (2006) 19.
[2] Vgl. Simons (2005) 221.
[3] Vgl. OLD 896,1b s.v. iam, wonach iam oft den Beginn einer neuen Handlung einleitet.
[4] ThLL VI 3, 2976,31–38 s.v. horreo.
[5] Vgl. KS I (1966), 324.
[6] Vgl. Wolff (1996) 123.
[7] KS II (1966), 152.
[8] Bei Dracontius bleibt Paris trotz seiner späteren Aufnahme in die Königsfamilie Trojas ein pastor, was er durch seine zahlreichen Fehlschläge als Mächtiger immer wieder unter Beweis stellt. Durch solch klare Personendarstellungen und Rollenverteilungen schafft Dracontius eine Umgestaltung und Umakzentuierung einzelner Aspekte aus dem bestehenden Paris-Mythos und gibt den Charakteren verankerte Motivationen für ihr Handeln, vgl. Simons (2005) 305 und 363.
[9] OLD 1517,b s.v. piget.
[10] ThLL VI 1, 829.78 s.v. fistula, OLD 777,2 s.v. fistula.
[11] In der Regel befindet sich an dieser Stelle bei Auftreten der bukolischen Dihärese ein syntaktischer Einschnitt, vgl. Zgoll (2012) 93.
[12] Auch bei Ovids Überlieferung des Paris-Urteils wird die Ähnlichkeit zwischen Venus und Helena angesprochen: His similes vultus, quantum reminiscor, habebat, / venit in arbitium cum Cytherea meum (Ov. epist. 16,137f.).
[13] Andere Darstellungen legen jedoch dar, dass alle drei Göttinnen nackt gewesen seien, vgl. Prop. 2,2,13f.: cedite, etiam, divae, quas pastor viderat olim / Idaeis tunicas ponere verticibus, Ov. epist. 5,35f.: […] qua Venus et Iuno sumptisque decentior armis / venit in arbitrium nuda Minerva tuum; Ov. epist. 17,118: at Venus hoc pacta est, et in altae vallibus Idae / tres tibi se nudas exhibuere deae.
[14] Vgl. Wolff (1996) 123; Simons (2005) 289 wertet nuda als christliche Polemik, indem sie konstatiert, dass Venus bei anderen christlichen Autoren als meretrix und Schöpferin der Prostitution beschrieben wird.
[15] Ov. epist. 16,81.
[16] ThLL II 67,44-47 s.v. anhelo.
[17] Ov. epist. 16,99f.: Sed mihi cunctarum subeunt fastidia, postquam / coniugii spes est, Tyndari, facta tui.
[18] Vgl. Simons (2005) 242.
[19] ebd. 240.
[20] Ov. epist. 16,101f.: Te vigilans oculis, animo te nocte videbam, / lumina cum placido victa sopore iacent.
[21] Vgl. dazu ThLL II 67,61 s.v. anhelus.
[22] OLD 1476 s.v. Pergama.
[23] Vgl. Baatz (1997) 539, OLD 1238,1 s.v. moenia.
[24] Vgl. Wolff (1996) 16, Anm. 44.
[25] OLD 1687,5 s.v. quaero.
[26] Vgl. hierzu ThLL VI 1,357.11–13. s.v. fatum.
[27] Otto (1909) 2048f. s.v. fatum.
[28] Vgl. Begemann (2012) 17.
[29] vgl. Begemann (2012) 338f.
[30] Für Dracontius ist richtiges Verhalten eine Sache der Erkenntnis und der Entscheidung des Menschen. Somit sind äußere Faktoren nur selten handlungsbestimmende Faktoren, was die Motive und die Entscheidungen des einzelnen Menschen in den Vordergrund treten lässt, vgl. Simons (2005) 364.; vgl. dazu auch Augustinus‘ Ausführungen in de libero arbitrio; zu Lukrez vgl. von Albrecht (2012) 257.
- Quote paper
- Martin Schrömges (Author), 2017, Antike Motive bei Dracontius und ihre Einordnung in die pagane religio innerhalb des Mythos, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/419284
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