Titus Livius‘ Geschichtswerk "ab urbe condita" ist eines der zentralen historiographischen Zeugnisse aus der Antike, welches uns heute zumindest zum Teil erhalten ist. Obwohl Livius in seinem Leben keinerlei politische Ämter ausgeübt hat, ist sein Werk der senatorischen Geschichtsschreibung zuzuschreiben. Er glorifiziert die Zeit des Augustus und damit die pax Augusta nach den Bürgerkriegen.
In der dritten Dekade des Werkes beschreibt er die Zeit des zweiten punischen Krieges. Zu dem historischen Kontext der ausgewählten Textstelle 22,3,4–8 ist zu sagen, dass Hannibal bereits über die Alpen gezogen ist, in einem Scharmützel am Ticinus und in der Schlacht an der Trebia siegreich auf die Römer getroffen ist und nun ein weiterer Sieg auf italischem Boden über die Römer am Trasimenischen See bevorsteht. Die Schlacht hat im Jahre 217 v.Chr. stattgefunden, die genaue Datumszuweisung ist aus heutiger Sicht jedoch schwer festzulegen, da die antiken Quellen in dieser Frage stark voneinander abweichen. In jedem Fall wurde sie zwischen Mai und Juni ausgetragen.
Eine Quelle des Livius bei der Darstellung der Ereignisse ist der griechische Historiograph Polybios, der in seinem Werk Historíai die Gründe für die römische Weltherrschaft darstellte. Im Gegensatz zu diesem versteht man heutzutage Livius eher als Schriftsteller bzw. tragischen Geschichtsschreiber denn als Historiker. Interessant zu beobachten ist somit die unterschiedliche Darstellung des Konsuls Gaius Flaminius bei Livius und Polybios sowie die verschiedenartige Auslegung der Quellen. Wie folgt Livius dem Stil der römischen Geschichtsschreibung, wie stellt Polybios den Flaminius dar?
Inhalt
I. Einleitung
II. Hauptteil
1. Übersetzung Liv. 22,3,4–8:
2. Analyse und Interpretation
III. Schluss
IV. Literaturverzeichnis
1. Editionen, Kommentare, Übersetzungen
2. Sekundärliteratur
I. Einleitung
Titus Livius‘ Geschichtswerk ab urbe condita ist eines der zentralen historiographischen Zeugnisse aus der Antike, welches uns heute zumindest zum Teil erhalten ist. Obwohl Livius in seinem Leben keinerlei politische Ämter ausgeübt hat, ist sein Werk der senatorischen Geschichtsschreibung zuzuschreiben. Er glorifiziert die Zeit des Augustus und damit die pax Augusta nach den Bürgerkriegen.[1]
In der dritten Dekade des Werkes beschreibt er die Zeit des zweiten punischen Krieges. Zu dem historischen Kontext der ausgewählten Textstelle 22,3,4–8 ist zu sagen, dass Hannibal bereits über die Alpen gezogen ist, in einem Scharmützel am Ticinus und in der Schlacht an der Trebia siegreich auf die Römer getroffen ist und nun ein weiterer Sieg auf italischem Boden über die Römer am Trasimenischen See bevorsteht.[2] Die Schlacht hat im Jahre 217 v.Chr. stattgefunden, die genaue Datumszuweisung ist aus heutiger Sicht jedoch schwer festzulegen, da die antiken Quellen in dieser Frage stark voneinander abweichen. In jedem Fall wurde sie zwischen Mai und Juni ausgetragen.[3]
Eine Quelle des Livius bei der Darstellung der Ereignisse ist der griechische Historiograph Polybios, der in seinem Werk Historíai die Gründe für die römische Weltherrschaft darstellte. Im Gegensatz zu diesem versteht man heutzutage Livius eher als Schriftsteller bzw. tragischen Geschichtsschreiber denn als Historiker.[4] „Die polybianischen Forderungen (kritisches Dokumentenstudium, Autopsie der Schauplätze, eigene politische Erfahrung) erfüllt er […] nicht“[5], sondern er versucht ein künstlerisch in sich geschlossenes Bild zu erzeugen. Hauptziel des Polybios ist in Anlehnung an Thukydides die Darstellung der Wahrheit und er lehnt jegliche Verfälschung durch persönliche Meinungen und Intentionen des Autors ab.[6] Generell ist die römische Geschichtsschreibung patriotisch, also weder unparteiisch noch empirisch. Oft überlagert das literarisch Wahrscheinliche das historisch Wahre.[7] Polybios ist kurz nach dem zweiten punischen Krieg geboren worden[8], während sich Livius, der Mitte des ersten Jahrhunderts vor Christus geboren wurde[9], wegen der zeitlichen Distanz hauptsächlich auf Sekundärquellen stützt.[10] Hauptquelle beider ist Fabius Pictor, der nicht nur als der erste Annalist in Rom gilt, sondern auch selbst die Schlacht am Trasimenischen See miterlebt hat und Senator aus angesehener Familie war.[11]
Interessant zu beobachten ist somit die unterschiedliche Darstellung des Konsuls Gaius Flaminius bei Livius und Polybios sowie die verschiedenartige Auslegung der Quellen. Wie folgt Livius dem Stil der römischen Geschichtsschreibung, wie stellt Polybios den Flaminius dar?
II. Hauptteil
1. Übersetzung Liv. 22,3,4–8:
Der Konsul war übermütig vom[12] früheren Konsulat und achtete weder Volks- und Senatsbeschlüsse[13], noch achtete er auch[14] die Götter genug. Das Glück hatte diese Unbesonnenheit, die in dessen Geist gelegt war, durch glücklichen Erfolg in Bürger- und Kriegsangelegenheiten genährt. Deshalb war es offenkundig genug, dass er weder Götter noch Menschen um Rat fragte und übermütig alles sehr hastig machen wollte. Auch damit er zu seinen Fehlern geneigter wäre, war der Punier im Begriff ihn zu hetzen und zu reizen, und auf der linken Seite ging er an Faesulae vorüber, wobei der Feind zurückgelassen wurde, brach auf, um im mittleren Gebiet Etruriens Raubzüge anzustellen, und er zeigte dem Konsul in der Ferne durch Blutbäder und Brände, zu welch sehr großer Verwüstung er imstande war. Flaminius, der nicht einmal, wenn der Feind sich ruhig verhalten hätte[15], selbst ruhig geblieben wäre, glaubte dann aber, nachdem er sah, dass die Sache der Verbündeten fast vor seinen Augen ausgeführt und gemacht wurde, dass es seine eigene Schande sei, dass der Punier schon durch das mittlere Italien umherstreifte und ohne irgendeinen Widerstand zu den Mauern Roms selbst gehe, um sie zu bestürmen, während alle übrigen im Kriegsrat mehr Heilsames als Ansehnliches rieten.
2. Analyse und Interpretation
Die Darstellung des Flaminius wird für Livius schwierig gewesen sein, da der Konsul der Repräsentant Roms war und ihm Charakterzüge wie scientia rei militaris, virtus und auctoritas nicht abzusprechen waren. Andererseits konnte auch der populus Romanus als eigentlicher Held der ab urbe condita libri nicht für die Niederlagen verantwortlich gemacht werden.[16] Somit ist Livius gezwungen, einzelne Personen (wie an der zu behandelnden Stelle den Konsul Flaminius) herauszugreifen und deren Schuld auf vielfältige Weise darzulegen.
So beginnt er in der vorliegenden Passage die Darstellung des Flaminius mit dem Vorwurf, dass dieser durch sein voriges Konsulat ferox sei und weder die Beschlüsse des Senats bzw. der Volksversammlung, noch die Götter ausreichend ehre (Liv. 22,3,4). Gegen die Gesetze und Senatoren richtete er sich, als er im Jahre 223 während seines ersten Konsulats gegen den Willen des Senats, aber mit Zustimmung des Volkes einen Triumphzug durchführte (Liv. 21,63,2).[17] Ebenso soll er als einziger Senator der lex Claudia zugestimmt haben, die den Senatoren wirtschaftlichen Zugang zum Seehandel untersagte (Liv. 21,63,3f.).[18] Livius wirft dem Flaminius somit gleich auf zwei entscheidenden Ebenen, nämlich der politischen und der religiösen, charakterliche Defizite vor, die sich für einen Konsul nicht gehören. Von der virtus aus Liv. 22,6,2 ist hier noch nichts zu erkennen.[19] Livius steht mit dieser negativen Darstellung des popularen Flaminius nicht alleine. Fabius Pictor, der als erster römischer Annalist eine seiner Hauptquellen ist, war Senator und begründete die senatorische Geschichtsschreibung.[20] Somit war er dem Flaminius gegenüber, der sich sein Leben lang im Streit mit dem Senat befand, negativ eingestellt. Livius, der nie ein politisches Amt ausübte, wurde nicht „aus parteipolitischen Gründen, sondern aus seiner national-ethischen Deutung der historischen Ereignisse dazu veranlasst“[21]. Gegen die Götter wendete sich Flaminius, als er sein zweites Konsulatsamt nicht wie üblich in Rom, sondern in Ariminum antrat. In diesem Zusammenhang entsprang das schon verletzte Opfertier noch einmal (Liv. 21,63,13f.).[22]
Diesen religiösen Aspekt lässt Polybios völlig aus, da er für solche Sachen wohl keinen Sinn hatte.[23] Er sieht sich in der Rolle des aufgeklärten Hellenisten, der der Religion, in diesem Falle speziell der römischen Religion lediglich die hohe Bedeutung beimisst, dass sie eine sittlich fundierte Gesellschaftsordnung sichere.[24] Generell stellt er in seiner ersten Beschreibung den Flaminius nicht so explizit dar, sondern begnügt sich mit der Beschreibung, „dass Flaminius […] ein vollendeter Demagoge sei und sich vorzüglich auf die Kunst verstehe, dem Volk zu schmeicheln“[25] (Polyb. 3, 80, 3). Die vorigen Erfolge civilibus bellicisque rebus (Liv. 22,3,4) des Flaminius schiebt Livius dann der fortuna zu, sodass ihm eine völlig passive Rolle zufällt. Hierbei geht Livius nicht weiter auf diese Erfolge ein. Die lex, welche die Verteilung des ager Gallicus anordnet, entstand auf Initiative des Flaminius, außerdem ordnete er den Bau der via Flaminia und des circus Flaminius an. Als kriegerischer Erfolg wird der Sieg über die Isubrer im Jahre 223 v.Chr. genannt.[26]
[...]
[1] Vgl. von Albrecht (2012) 703.
[2] Vgl. Zimmermann (2005) 118–121.
[3] Vgl. Seibert (1993) 220f.
[4] Vgl. von Albrecht (2012) 707.
[5] von Albrecht (2012) 706f.
[6] Vgl. Dreyer (2011) 69f.
[7] Vgl. von Albrecht (2012) 305.
[8] Vgl. Dreyer (2011) 7f.
[9] Vgl. von Albrecht (2012) 702.
[10] Vgl. von Albrecht (2012) 705.
[11] Vgl. ebd. 315f.
[12] Vgl. ThLL VI 1, 568,51 s.v. ferox.
[13] Vgl. Vgl. Weissenborn (1965) z. St.
[14] Vgl. OLD 1279,6b s.v. ne (ne quidem im Sinne von ne…quoque).
[15] Vgl. OLD 1710,4b s.v. quiesco.
[16] Vgl. Will (1983) 173–182.
[17] Vgl. Elvers (1998) 540 s.v. Flaminius (1): F. C.
[18] Vgl. ebd.
[19] Vgl. Bruckmann (1936) 307.
[20] Vgl. von Albrecht (2012) 315f.
[21] Bruckmann (1936) 306.
[22] Vgl. Münzer (1909) 2499 s.v. C. Flaminius.
[23] Vgl. ebd. 2500.
[24] Lesky (1971) 870.
[25] Drexler (1961) 276 (die folgenden Übersetzungen aus Polybios beziehen sichauf diese Übersetzung von Hans Drexler).
[26] Vgl. Weissenborn (1965) z. St.
- Quote paper
- Martin Schrömges (Author), 2014, Die unterschiedliche Darstellung des Konsuls Gaius Flaminius bei Livius und Polybios, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/419282
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