Intention vorliegender Arbeit ist es, im Zuge einer dialektischen Vermittlung von Stilistik und Textlinguistik Gedichte Konkreter Poesie anhand einer repräsentativen Auswahl zu untersuchen. Unter Rücksicht dieser beiden eng in Beziehung stehenden sprachwissenschaftlichen Teildisziplinen wird ein multiperspektivisches Analyseinstrumentarium eröffnet, das eine möglichst detailreiche und mehrdimensionale Untersuchung anstrebt. Dabei steht ohne Zweifel fest, dass eine textlinguistische Betrachtung Konkreter Texte möglich ist, wie die Zulassungsarbeit von BURIGK und die Dissertation von VOLLERT , die den Gegenstand Konkrete Poesie (im Folgenden KP genannt) in einer zuvor noch nie gezeigten semiotischen, typographischen und linguistischen Ausführlichkeit betrachtet, demonstrieren. Allerdings wird in beiden aufschlussreichen Arbeiten nicht die durchaus relevante Frage aufgeworfen, ob eine stilistische Analyse möglich ist, ob sich diese überhaupt lohnt und wenn ja, was sie zum Verständnis des Objektes Konkrete Dichtung beiträgt. Zwar sind in der textlinguistischen Auseinandersetzung mit dieser aufgrund des noch näher zu erläuternden Verwandtschaftsverhältnisses von Textlinguistik und Stilistik implizit stilkundliche Aussagen enthalten Eine aus dem Wesen der Stilistik hervorgehende Fragestellung, die explizit über Möglichkeiten und Grenzen ihrer Methoden im Hinblick auf Konkrete Texte Auskunft gibt, steht aber, soweit ich sehe, noch aus. Denn es liegt im Selbstverständnis des Sprachwissenschaftlers, „daß er“ – wie PETER HARTMANN in seinen für die Textlinguistik sowie die gesamte Sprachwissenschaft grundlegenden Aufsatz gezeigt hat – „um so mehr Gesichtspunkte aktivieren muß, je extremer die zu behandelnden Sprachäußerungen werden. Das aber wird den großen Nutzen haben, daß sich die Linguistik dazu zwingen muß, es nicht mit irgendwelchen bewährten Einseitigkeiten – und seien sie noch so effektiv – genug sein zu lassen.“
Inhaltsverzeichnis
Ziel- und Aufgabenstellung
I. THEORETISCHE TEIL
1. Das Wesen der KP
2. Stilistik – Aufgabe und methodischer Zugang
3. Textlinguistik – Aufgabe und methodischer Zugang
4. Das problematische Verhältnis von Stilistik und Textlinguistik
5. Methodische Überschau
II. PRAKTISCHER TEIL
1. Beispielanalysen
1.1. Claus Bremer – lesbares in unlesbares übersetzen
1.2. Eugen Gomringer – worte sind schatten
Zusammenfassung
Bonusmaterial für den Sprachwissenschaftler, der alles lesen muss
Literaturverzeichnis
Ziel- und Aufgabenstellung
„Der gefundene Stil ist eine Beleidigung für den Freund des gesuchten Stils.“[1]
(Friedrich Nietzsche)
Intention vorliegender Arbeit ist es, im Zuge einer dialektischen Vermittlung von Stilistik und Textlinguistik Gedichte Konkreter Poesie anhand einer repräsentativen Auswahl zu untersuchen. Unter Rücksicht dieser beiden eng in Beziehung stehenden sprachwissenschaftlichen Teildisziplinen wird ein multiperspektivisches Analyseinstrumentarium eröffnet, das eine möglichst detailreiche und mehrdimensionale Untersuchung anstrebt. Dabei steht ohne Zweifel fest, dass eine textlinguistische Betrachtung Konkreter Texte möglich ist, wie die Zulassungsarbeit von Burigk[2] und die Dissertation von Vollert[3], die den Gegenstand Konkrete Poesie (im Folgenden KP genannt) in einer zuvor noch nie gezeigten semiotischen, typographischen und linguistischen Ausführlichkeit betrachtet, demonstrieren. Allerdings wird in beiden aufschlussreichen Arbeiten nicht die durchaus relevante Frage aufgeworfen, ob eine stilistische Analyse möglich ist, ob sich diese überhaupt lohnt und wenn ja, was sie zum Verständnis des Objektes Konkrete Dichtung beiträgt. Zwar sind in der textlinguistischen Auseinandersetzung mit dieser aufgrund des noch näher zu erläuternden Verwandtschaftsverhältnisses von Textlinguistik und Stilistik implizit stilkundliche Aussagen enthalten Eine aus dem Wesen der Stilistik hervorgehende Fragestellung, die explizit über Möglichkeiten und Grenzen ihrer Methoden im Hinblick auf Konkrete Texte Auskunft gibt, steht aber, soweit ich sehe, noch aus. Denn es liegt im Selbstverständnis des Sprachwissenschaftlers, „daß er“ – wie Peter Hartmann in seinen für die Textlinguistik sowie die gesamte Sprachwissenschaft grundlegenden Aufsatz gezeigt hat – „um so mehr Gesichtspunkte aktivieren muß, je extremer die zu behandelnden Sprachäußerungen werden. Das aber wird den großen Nutzen haben, daß sich die Linguistik dazu zwingen muß, es nicht mit irgendwelchen bewährten Einseitigkeiten – und seien sie noch so effektiv – genug sein zu lassen.“[4] Bevor die „Gesichtspunkte“ Stilistik und Textlinguistik erläutert werden können, muss zuerst die Wesensart der „extremen Sprachäußerung“ KP als poetische Gattung kurz bestimmt werden. Dies wird in einem „Theoretischen Teil“ geschehen, dem sich ein „praktischer“ anschließt, in dem Beispielgedichte von Claus Bremer und Eugen Gomringer analysiert werden.
I. THEORETISCHER TEIL
1. Das Wesen der KP
Trotz der von Vollert konstatierten „uneinheitlichen Definitionslage“[5] der KP, die sich aus dem Mangel an eindeutiger Klassifikationszuordnung ergibt, lässt sich allgemein festhalten, dass sie sich der bloßen Materialität von Sprache zuwendet und den außersprachlichen, d.h. referenziellen Bereich auszuklammern versucht. Der Diskussion zum Klassifikationsproblem möchte ich jedoch hinzufügen, dass es durchaus problematisch erscheint, die KP dem „zu nichts verpflichtende[n] allerweltsbegriff“[6] experimentelle Dichtung zuzuordnen, wie es Burigk „unbeschadet der anderen Ansicht“ des eben zitierten Protagonisten der deutschen KP, Eugen Gomringer, tut. Ich schließe mich hingegen einem engeren gefassten Verständnis von „experimentell“ an, der sich auf die Erörterung von Harald Hartung stützt. Für ihn
„bietet sich [der Terminus „experimentell“] zur Beschreibung all jener Tendenzen und Methoden an, die über die Fixierung der konkreten Poesie hinaus die Geschlossenheit poetischer Gebilde (Gedichte) in Frage stellen, ohne zu einer neuen gattungsmäßigen oder stilistischen Festlegung zu gelangen, wie es die konkrete Poesie in ihren Konstellationen, Textbildern und Artikulationen tut.“[7]
Diese Begründung entgegnet einer Verwässerung und beliebigen Handhabung des Begriffs „experimentell“, denn gemäß dieser darf man nur dort von einer experimentellen Dichtung sprechen, wo die jeweilige Gattung, z.B. die Lyrik, trotz experimenteller Eingriffe, wie bei den von Burigk behandelten Paul Celan und Gottfried Benn, als Form erhalten bleibt und sich nicht zu einer anderen Gattung modifiziert. Die lediglich „eine gedanklich-stoffliche beziehung“[8] ausdrückenden Konstellationen von Gomringer konstituieren jedoch eine neue autonome Gattung, die im Übergang „vom vers zur konstellation“ entsteht. Ein Celan-Gedicht jedoch muss weiter ein Gedicht der Nicht-Konkreten Poesie bleiben, sonst ist es nicht „experimentell“.
Wenn KP die spezifische Materialität, genauer: die verbale, vokale und visuelle Materialität von Sprache anspricht, dann bedeutet dies – sprachwissenschaftlich differenzierter gedacht – dass sie die Ausdruckseite (den Signifikanten) des sprachlichen Zeichens fokussiert und den direkten Verweis auf die Inhaltseite (das Signifikat) unterbricht.[9]
Das Thema der KP „ist der Bezug auf das Material, auf das Zeichen, das das Sprechen und Schreiben erst vermittelbar macht. Damit wird ein möglicher Inhalt des Gedichts zweitrangig, da die Absicht im Zeigen der substanziellen Ebene von Sprache, nicht im Erklären einer Idee oder dem Erzählen einer Begebenheit liegt.“[10] Dadurch erlangt KP einen metasprachlichen Charakter, in dem ein (poetisches) Sprechen über Sprache möglich wird, indem die Qualität des Signifikanten in seiner graphematischen, phonematischen, lexematischen Struktur thematisiert wird. Allerdings steht die der Theorien der KP inhärenten „regulativen Idee“[11] „einer Identität von Signifikant und Signifikat“[12] quer zu deren praktischen Realisierungen, denn es lässt sich nicht leugnen, dass gerade im Bemühen, die Abwesenheit des Signifikanten zu proklamieren, seine Erinnerung im Konkreten Gedicht wirksam wird.
In den nächsten Kapiteln sollen nun die Aufgabenbereiche von Stilistik und Textlinguistik und deren methodischen Zugängen zum besonderen Gegenstand KP kritisch erörtert sowie abschließend das problematische Verhältnis zwischen diesen beiden Disziplinen angesprochen werden.
[...]
[1] Nietzsche, Friedrich: Menschliches, Allzumenschliches. KSTA. Hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. 2. Aufl. München 1999, S 604.
[2] Vgl.: Burigk, Michael: Blau ist die Farbe Deines gelben Haares, / Rot ist die Farbe Deines grünen Vogels. Experimentelle Lyrik textlinguistisch betrachtet. Zulassungsarb. Würzburg 2004.
[3] Vgl.: Vollert, Lars: Rezeptions- und Funktionsebenen der Konkreten Poesie. Eine Untersuchung aus semiotischer, typographischer und linguistischer Perspektive. Diss. Würzburg 1999.
[4] Hartmann, Peter: Textlinguistik als linguistische Aufgabe. In: Textlinguistik. Hrsg. von Wolfgang Dressler. Darmstadt 1978, S. 105.
[5] Vollert (1999): S. 13.
[6] konkrete poesie. deutschsprachige autoren. anhthologie von eugen gomringer. stuttgart (reclam) 1972, S. 6.
[7] Hartung, Harald: Experimentelle Literatur und konkrete Poesie. Göttingen 1975, S. 21.
[8] gomringer, eugen: worte sind schatten. die konstellationen 1951-1968. reinbek bei hamburg 1969, S. 280.
[9] Vgl. Vollert (1999): S. 14.
[10] Ebd., S. 16.
[11] Schmitz-Emans, Monika: Die Sprache der modernen Dichtung. München 1997, S. 185.
[12] Ebd., S. 186.
- Quote paper
- Marcus Erben (Author), 2005, Stilistische und textlinguistische Analysen Konkreter Poesie von Claus Bremer und Eugen Gomringer, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41924
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