Wie verkauft man ein glückliches Leben? Ella Woodward ist Bloggerin, lebt seit 2011 vegan, glutenfrei und ohne Industriezucker. Damit trifft ihr Speiseplan den Zahn der Zeit. Sowohl online als auch in Form eines kürzlich veröffentlichten Kochbuchs schafft sie es in die Bestsellerlisten. Mit monatlich etwa 2,5 Millionen Lesern gilt das ehemalige Model aktuell als die beliebteste Food Bloggerin Großbritanniens. Grund hierfür ist ihr Differenzierungskriterium: Ella Woodward hat eine Geschichte zu erzählen. Vor knapp fünf Jahren wird Woodward die Nervenkrankheit posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom diagnostiziert. Nachdem weder Ärzte helfen können, noch ihre Medikamente anschlagen, lässt sich Woodward von der autobiografischen Lektüre einer Krebspatientin dazu inspirieren, ihrem Leiden mit einer Ernährungsumstellung zu begegnen. Hierfür, so Woodward, iteriert sie in einem langen Prozess, ob und welche Nahrungsmittel ihren Gesundheitszustand verbessern. Ihre Fortschritte hält sie auf dem eigens hierfür erstellten Blog „deliciously Ella“ fest. Heute ist die Bloggerin Geschäftsfrau, sie führt ein neu gegründetes Unternehmen, hat einen Instagram Channel mit mehr als 680.000 Followern, schreibt eine Kolumne im Telegraph und bespielt weitere soziale Netzwerke. Damit erreicht die Unternehmerin täglich hunderttausende ihrer „Follower“ weltweit.
Story Telling
Wie verkauft man ein gl ü ckliches Leben 1 ? Ella Woodward ist Bloggerin, lebt seit2011 vegan, glutenfrei und ohne Industriezucker. Damit trifft ihr Speiseplan denZahn der Zeit. Sowohl online als auch in Form eines kürzlich veröffentlichtenKochbuchs schafft sie es in die Bestsellerlisten. Mit monatlich etwa 2,5Millionen Lesern gilt das ehemalige Model aktuell als die beliebteste FoodBloggerin Großbritanniens. Grund hierfür ist ihr Differenzierungskriterium: EllaWoodward hat eine Geschichte zu erzählen (vgl. Brown, 2015; Wohlert, o.J.).Vor knapp fünf Jahren wird Woodward die Nervenkrankheit posturalesorthostatisches Tachykardiesyndrom (POTS) diagnostiziert2. Nachdem wederÄrzte helfen können, noch ihre Medikamente anschlagen, lässt sich Woodwardvon der autobiografischen Lektüre einer Krebspatientin dazu inspirieren, ihremLeiden mit einer Ernährungsumstellung zu begegnen. Hierfür, so Woodward,iteriert sie in einem langen Prozess, ob und welche Nahrungsmittel ihrenGesundheitszustand verbessern (vgl. Brown, 2015; Wohlert, o.J.; Woodward,2015). Ihre Fortschritte hält sie auf dem eigens hierfür erstellten Blog„deliciously Ella“ (Woodward, o.J.) fest. Heute ist die Bloggerin Geschäftsfrau,sie führt ein neu gegründetes Unternehmen, hat einen Instagram Channel mitmehr als 680.0003 Followern, schreibt eine Kolumne im Telegraph und bespieltweitere soziale Netzwerke. Damit erreicht die Unternehmerin täglichhunderttausende ihrer „Follower“4 weltweit (vgl. Biedermann, 2015; Brown,2015; Raether, 2015; Wohlert, n.d.).
Ella Woodward beschreibt auf ihrem Blog, mit ihrer Ernährungsweise und dendazugehörigen Rezepten einerseits einen langen Beobachtungs- und Iterationsprozess mit sich und ihrer Krankheit und entwickelt andererseits ein kluges Geschäftsmodell. Doch hat das Ernährungsexperiment der Ella Woodward einen Mehrwert? Steckt in ihr tatsächlich eine allgemeingültige Gesundheits- und Glücksformel oder handelt es sich lediglich um ein Geschäftsmodell, das ihre Follower zu Kunden macht?
Nachdem ein kurzer Einblick in die Biografie der untersuchten Einzelperson gegeben wurde, wird im Folgenden eine Einbettung in den wissenschaftlichen Kontext vorgenommen. Zunächst wird das Augenmerk auf den Iterationsprozess der Bloggerin hinsichtlich der für ihren Gesundheitszustand optimalen Ernährung gelegt und anhand des Black Box Models analysiert. In zweiter Instanz wird dann das Verhältnis zwischen dem Instagram Kanal Deliciously Ella und dessen Followern betrachtet, um abschließend die eingangs gestellten Fragen argumentativ zu erörtern.
Theorie
Laut des Konstruktivismus ist die Realität lediglich eine Spiegelung unseresDenkens, mit der wir die Wirklichkeit konstruieren. Ähnlich verhält es sich mitder Interpretation von Phänomenen, die sich nicht beobachten lassen (vgl.Voigt, 2005). Solche Systeme lassen den Beobachter mit einem Nichtwissenüber einen nicht sichtbaren, internen Mechanismus eines Systems zurück.Sichtbar sind nur Reiz- und Reaktionsprozesse, bei denen sich nach dem Input-Output Prozess eine Wertveränderung ergibt (vgl. Ashby, 1957; Voigt, 2005).
Derartige Beobachtungen sind durchaus üblich. Um ihre Natürlichkeit zudemonstrieren nutzt Ross Ashby das Beispiel eines Kindes, das eine Tür öffnenmöchte. Innerhalb dieses Input- (Türgriff betätigen) Output (Türgriff bewegtsich) Systems, erlernt das Kind, wie es die Bewegung der Türklinke kontrolliert,ohne dass es die zu Grunde liegende, innere Mechanik der Tür beobachtenkann, diese bleibt für das Kind „schwarz“ (vgl. Ashby, 1957). Somit behauptetAshby, dass alles was wir beobachten zunächst eine Black Box sei, über die wirmit Hilfe unserer Intelligenz und Erfahrungswerten Funktionsbeschreibungenanfertigen, um sie so für uns „weiß“, also gläsern zu machen (vgl. Ashby, 1957;
Glanville, 1982). Demnach eignet sich das Black Box Modell gut, um dieRealität zu approximieren (vgl. ebd.). Das von Ranulph Glanville entwickelteModell zieht den Beobachter mit in das zu beschreibende System ein (vgl.Glanville, 1982). Anhand dieses Modells soll nun der Iterationsprozessuntersucht werden, welcher der Ernährungsstrategie der Ella Woodward zuGrunde liegt und von der Beobachtung und Konstruktion der Black Box ihrerNervenkrankheit ausgeht.
Play with it!
Nach Glanvilles Definition lässt sich eine Black Box durch eine angenommeneEindeutigkeit, beobachtbare In- und Outputs und ihre Schwärzecharakterisieren (vgl. ebd). In Bezug auf Ella Woodward steht im Kern derBetrachtung zunächst die Patientin Woodward in ihrer Rolle als Beobachterin,die im Zuge ihrer Diagnose totaler Unwissenheit ausgesetzt ist, ähnlich demKind, das versucht eine Türklinge zu bedienen (vgl. Woodward, 2015). Dasbesondere Charakteristikum einer Black Box ist, dass der Beobachter nichtweiß, was in ihr vorgeht. In diesem Fall vermutet die Beobachterin Woodward,dass sie ihre Black Box, sprich ihre Krankheit, mit Hilfe von Nahrungsmittelnlindern kann.
Zur Vereinfachung der Untersuchung wird im Folgenden die Krankheit POTSals Black Box eines geschlossenen Systems betrachtet5. Dasausschlaggebende Kriterium der Bloggerin sich für eine Umstellung ihrerErnährungsweise zu entscheiden ist ihre Krankheit. Dieser Dreh- undAngelpunkt stellt die Ausgangssituation dar und beschreibt gleichzeitig einneues System der Unwissenheit, das es zu beobachten, auszutesten und zubeschreiben gilt. In der Manier von René Thom klingt dies so: „ The only conceivable way of unveiling a black box is to play with it “ (Thom, 1983). Folglich beginnt Woodward mit ihrer Krankheit zu “spielen”, um diese kennen zu lernen und so einen verbesserten Gesundheitszustand durch eine Anspassung ihrer Ernährung zu erreichen.
Ella Woodward setzt hierbei ihren Körper mit ausgewählten NahrungsmittelnReizen aus und beobachtet die Reaktion. Diesen Output misst sie binär in Formvon Verbesserung oder Nicht-Verbesserung ihres Gesundheitszustandes (vgl.Glanville; Woodward, 2015). Anhand dieses Reizreaktionsschemas erstelltWoodward Annahmen über die Funktionsweise der Black Box und kann eineVerbesserung oder Nicht-Verbesserung dokumentieren, welche ein bestimmtesNahrungsmittel (vermutlich6 ) auf ihren Gesundheitszustand ausgeübt habenkönnte.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Black Box System mit Ella Woodward (E.W.) als Beobachterin
Wie in Abbildung 1 dargestellt, ist Woodward als Beobachterin7 Teil des Systems, doch ist es ihr zu keinem Zeitpunkt möglich, die Black Box ihrer Krankheit zu öffnen. Sie macht die Black Box lediglich zum Subjekt der Gesetze ihrer Beschreibung (vgl. Glanville 1982). Daraus ergibt sich, dass eine andere Person zu einer abweichenden Beschreibung derselben Black Box kommen kann, da jedes beobachtende Individuum auf ein individuelles Erfahrungsschema zurückgreift (vgl. ebd.).
Modellierung
Allerdings ist zu beachten, dass Ella Woodward, als Beobachter, „schwarz“ fürdie übrigen Bestandteile dieses Systems ist, genauso wie die Krankheit für dieBeobachterin Woodward und die übrigen Systembestandteile „schwarz“erscheint. Um diese Behauptung genauer zu erläutern, bietet es sich an,Glanvilles Beschreibung des “weiß” sein einzubeziehen. So ist nach Glanville„everything white to itself“ (1982), wo es hingegen in der äußeren Betrachtung(durch jemand anderen) “schwarz” erscheint. Eine einzelne “weiße” Gläsernheitkann sich allerdings weiterhin für „private“ Beziehungen zweier nach außen„schwarzer“ Akteure erstrecken, indem sie durch Interaktion im Verhältniszueinander “weiß” werden können. In anderen Worten: Sowohl die Krankheit(Black Box) als auch Ella Woodward als Beobachter (Black Box) sind in ihrergegenseitigen Außenbetrachtung „schwarz“. In ihrem jeweiligen Innenverhältniserscheinen sie sich selbst hingegen als „weiß“. Interagieren diese beiden BlackBox Systeme nun miteinander werden diese beiden Black Box Systemehierdurch zu einem gemeinsamen System und somit zu einer “White Box” 8 (vgl. Glanville, 1982). Dadurch ergibt sich: „Inside every white box there are twoblack boxes trying to get out“ (Glanville, 1982). In diesem „weißen“ Systembesteht nun darüberhinaus eine Feedbackschleife zwischen Beobachter undBlack Box, welche die Reaktionen der Nahrungsmittel auf denGesundheitszustand meldet. Dadurch glaubt der Beobachter zu verstehen, wiedie Black Box arbeitet. “Weiß” bezeichnet also nur die Beziehung zwischen derBlack Box (Krankheit) und dem Beobachter (Ella Woodward). Für einen nichtintegrierten Systempart erscheint es hingegen „schwarz“. Die angesprocheneFeedbackschleife führt gleichzeitig dazu, dass sowohl die BeobachterinWoodwards die Inputs, sprich Nahrungsmittel, kontrolliert, als auch die BlackBox diese (in Abhängigkeit der Verträglichkeit) selbst determiniert (sieheAbbildung 1) (vgl. ebd.).
[...]
1 Analogie zum Titel von Woodwards Bestsellers (2015): „ Deliciously Ella. Genial gesundes Essen f ü r ein gl ü ckliches Leben ” .
2 Eine Krankheit, die zumeist bei jungen Frauen auftritt und im Schnitt nach fünf Jahren wieder verschwindet
3 Stand laut Instagram 8. Januar 2016
4 Überträgt man Glanvilles Modell ins 21. Jahrhundert so sollten Follower als Beobachter der elektronisch vernetzten Welt gelten, denn sie Folgen einer Person und lassen deren Inhalte Teil ihres Bezugs- und Sozialen Netzwerkes werden.
5 An dieser Stelle ist es möglich verschiedene Black Boxes aufzuzählen, da sich die Patientin ineiner Situation befindet, die ihr unbekannt und „neu“ (Glanville, 1982) ist. Die offensichtlichsteBlack Box ist die Nervenkrankheit posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom (POTS)selbst. Aber auch die verabreichten Medikamente, Nahrungsmittel u.v.m. könnten jeweils fürsich als einzelne Black Box betrachtet werden. Im Prinzip ist all dasjenige für die Patientin nuneine Black Box, das auf Grund der Krankheit zu einer Veränderung im Verhalten ihres Körpersund ihres Gesundheitszustandes in für sie bis dahin gewohnten Situationen und Systemenführt. Als ein Beispiel ist zu nennen, dass Ella Woodward nach der Diagnose ihrer Krankheitnicht ohne gesundheitliche Komplikationen verreisen kann, was vor ihrer Krankheit keinProblem war (vgl. Woodward, 2015).
6 Als Vereinfachung werden alle übrigen Umweltfaktoren, die den Gesundheitszustand der Patientin beeinflussen könnten, nicht berücksichtigt.
7 Die Beobachterin Woodward ist auch selbst eine Black Box, im Sinne ihres Körpers. Einekonkrete Analyse hierzu wird im Folgenden nicht vorgenommen um die Komplexitäteinzugrenzen.
8 Die White Box beschreibt einen Zustand, in dem der Beobachter glaubt die innere Funktion des tatsächlich nicht sichtbaren Systems zu verstehen. Dieses Verständnis konstruiert die Bloggerin Woodward durch Input und Output Beobachtungen bzw. Messungen, die sie für die Funktionsbeschreibung der Black Box nutzt (vgl. Glanville, 1982, Voigt, 2005).
- Quote paper
- Nina Viktoria Heine (Author), 2016, Süßkartoffel statt Sahnetorte. Die essayistische Betrachtung der Vermarktung einer Black Box, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/418621
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