Es ist erst fünfzehn Jahre her, dass die Nationale Volksarmee der DDR, ein ganz wesentlicher Pfeiler des Warschauer Paktes, über Nacht aufhörte zu existieren. Am 3. Oktober 1990 um Null Uhr begann eine neue Ära für die Bürger ebenso wie für die Armee der DDR.
Gerade im Punkt der Menschenführung schienen NVA und Bundeswehr äußerst konträre Standpunkte zu vertreten. Eine Zusammenführung schien nicht vorstellbar. Trotzdem wurde sie mit dem Tag der deutschen Einheit realisiert.
Der in der vorliegenden Arbeit zu beschreibende Prozess sucht wohl seinesgleichen in der Militärgeschichte. Eine schwerbewaffnete Armee, ideologisch verblendet und mit einem deutlichen Feindbild versehen, wurde friedlich aufgelöst in die Feindarmee integriert. Dies spielte sich in einem Zeitraum von weniger als einem Jahr ab.
Doch wieweit lässt sich tatsächlich von Integration sprechen? Wie viele Soldaten der DDR dienten später dem ehemaligen Feind, der Bundeswehr? Öffentlich wird die „Armee der Einheit“ propagiert, in der Ost und West offensichtlich nicht zu trennen sind. Nach fünfzehn Jahren wird die Trennlinie mit Sicherheit langsam unscharf. Doch gab es jemals eine?
Gliederung
1 Einleitung
2 Die Voraussetzungen
2.1 Die NVA
2.1.1 NVA - Geschichte und Aufgaben
2.1.2 NVA - Politisches Selbstverständnis
2.2 Die Bundeswehr
2.2.1 Bundeswehr - Geschichte und Aufgaben
2.2.2 Das politische Selbstverständnis der Bundeswehr
3 Die Übernahme
3.1 Das Ende der DDR
3.2 Auf dem Wege zur Wiedervereinigung – der Einigungsvertrag
3.2.1 Militärreform DDR
3.3 Nach der Wiedervereinigung
3.3.1 BwKdo Ost
3.3.2 Stellungnahmen
3.3.2.1 Egon Bahr
3.3.2.2 Jörg Schönbohm
4 Fazit
1 Einleitung
Es ist erst fünfzehn Jahre her, dass die Nationale Volksarmee der DDR, ein ganz wesentlicher Pfeiler des Warschauer Paktes, über Nacht aufhörte zu existieren. Am 3. Oktober 1990 um Null Uhr begann eine neue Ära für die Bürger ebenso wie für die Armee der DDR.
Gerade im Punkt der Menschenführung schienen NVA und Bundeswehr äußerst konträre Standpunkte zu vertreten. Eine Zusammenführung schien nicht vorstellbar. Trotzdem wurde sie mit dem Tag der deutschen Einheit realisiert.
Der in der vorliegenden Arbeit zu beschreibende Prozess sucht wohl seinesgleichen in der Militärgeschichte. Eine schwerbewaffnete Armee, ideologisch verblendet und mit einem deutlichen Feindbild versehen, wurde friedlich aufgelöst in die Feindarmee integriert. Dies spielte sich in einem Zeitraum von weniger als einem Jahr ab.
Doch wieweit lässt sich tatsächlich von Integration sprechen? Wie viele Soldaten der DDR dienten später dem ehemaligen Feind, der Bundeswehr? Öffentlich wird die „Armee der Einheit“ propagiert, in der Ost und West offensichtlich nicht zu trennen sind. Nach fünfzehn Jahren wird die Trennlinie mit Sicherheit langsam unscharf. Doch gab es jemals eine?
2 Die Voraussetzungen
Um den ideologischen Gegensatz zwischen Bundeswehr und NVA deutlich herauszubringen, nehme ich mir an dieser Stelle den Raum ausführlich zu zitieren. Denn nichts kann diesen Gegensatz so deutlich machen wie Auszüge aus einem relevanten Lexikon der damaligen Zeit. Hier also der Blick in ein DDR-Militärlexikon:
„Bundeswehr: wichtigstes bewaffnetes Machtorgan des staatsmonopolistischen Regimes der BRD, dessen innenpolitische Funktion die Sicherung der monopolkapitalistischen Klassenherrschaft ist und dessen außenpolitische Funktion daran besteht, den Krieg zur Revidierung der Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges und damit zur Durchsetzung der Expansionspläne des staatsmonopolistischen Regimes der BRD gegen die Deutsche Demokratische Republik (...) vorzubereiten und zur gegebenen Zeit zu führen. (...) Die Führung der Bundeswehr liegt in den Händen ehemaliger Generalstabsoffiziere der faschistischen Wehrmacht. (...) Das Offizierskorps ist antikommunistisch, revanchistisch und neonazistisch ausgerichtet und militärisch auf die Führung eines Aggressionskrieges gegen die DDR und die anderen sozialistischen Staaten vorbereitet. Zusammen mit der 7. US-Armee bildet sie die Hauptangriffskraft der NATO in Europa. (...) Durch die sogenannte innere Führung, die psychologische Kampfführung werden die Armeeangehörigen ideologisch auf die Führung eines Aggressionskrieges gegen die DDR und die anderen sozialistischen Staaten vorbereitet. (...) Sie ist eine Gefahr für die bürgerlich-parlamentarische Demokratie in der BRD und die Sicherheit und den Frieden in Europa.“[1]
Dem gegenüber steht die Stellung der NVA im kommunistischen Weltbild und ihre Darstellung in ebendiesem Werk.
„Nationale Volksarmee: wichtigstes bewaffnetes Organ der Arbeiter-und-Bauern-Macht der DDR, das gemeinsam mit den Bruderarmeen des Warschauer Vertrags, in erster Linie mit der Sowjetarmee, die Souveränität des sozialistischen deutschen Nationalstaates, die sozialistischen Errungenschaften des Volkes der DDR vor imperialistischen Aggressionsbestrebungen, besonders vor den Revanchebestrebungen der Imperialisten in der BRD, schützt. (...)“[2]
Für meine Begriffe beschreiben diese Zitate sehr gut die überwältigende Wirkung der SED-Propaganda-Maschinerie, die sich auf alle Teile des öffentlichen Lebens in der DDR erstreckte und richtungsweisend für die Militärpolitik des Staates war. Bei einer derartigen Stilisierung der Bundeswehr zum Feind erscheint der Versuch der Integration als waghalsiger Schritt.
2.1 Die NVA
Die offizielle Bezeichnung der Streitkräfte der DDR lautete Nationale Volksarmee (NVA).
2.1.1 NVA – Geschichte und Aufgabe
Sie entstand 1956 nach einem Volkskammerentscheid zur Aufstellung einer Armee aus den Verbänden der seit 1952 existierenden Kasernierten Volkspolizei (KVP) und den seit bereits seit 1950 getarnt aufgebauten See- und Luftstreitkräften[3].
Die NVA entstand als Freiwilligenarmee und umfasste bei ihrer Gründung 120.000 Soldaten. Die oberste Kommandobehörde war das Ministerium für Nationale Verteidigung, ab 18.11. 1989 geführt von Admiral Theodor Hoffmann, der das Amt von Armeegeneral Heinz Kessler übernahm. Er leitete das Ministerium bis zu seiner Auflösung und stand darüber hinaus der Nachfolgeorganisation Bundeswehrkommando Ost (BwKdo Ost) beratend zur Seite.
Die NVA unterstand dem Oberbefehl des Warschauer Pakts.
1967 wurde die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Damit erweiterte sich die Personalstärke der NVA auf 167.000 Mann.
Die SED nahm starken Einfluss auf ihre Armee über Strukturen der Parteiorganisation wie z.B. die „Politische Hauptverwaltung“ (PHV). Durch umfassende Organisation kontrollierte die Partei beinahe jeden Soldaten. Über 95% der Offiziere und immerhin über 50% der Unteroffiziere waren Mitglieder der Einheitspartei. Ein berufliches Fortkommen war demnach so gut wie nur mit, keinesfalls jedoch gegen die SED möglich[4]. Ziel war die Ausbildung einer „sozialistischen Soldatenpersönlichkeit“.
Die NVA verstand sich als Machtinstrument der Arbeiterklasse mit dem Auftrag die sozialistischen Errungenschaften zu schützen und zu sichern. Gleichzeitig und das geht aus dem oben zitierten Lexikonartikel auch eindeutig hervor, war die NVA verpflichtet die Staaten des Warschauer Pakts gegen imperialistische Aggressionen der Westmächte zu verteidigen. Wie viele Armeen der Welt stand auch die NVA im Kampf für den Weltfrieden.
2.1.2 NVA - Politisches Selbstverständnis
Der Auftrag der NVA wurde durch den sogenannten Klassenauftrag der SED bestimmt.[5] Die Verfassung der DDR formulierte für die Streitkräfte im Artikel 7 den Schutz der sozialistischen Ordnung als obersten Wert.[6]
Die intensive gesellschaftlich-politische Erziehung nach marxistisch-leninistischem Muster hatte ein sehr ausgeprägtes und zwischen DDR und BRD stark differenzierendes Feindbild zur Folge. In ihm galt die Bundeswehr als „Speerspitze des Imperialismus“ im aggressiven Bündnis der NATO, dem die NVA als Mittel zur Erhaltung des Friedens gegenüberstand. Die politische Identität der Armee war sehr stark von der Propagierung dieses Feindbildes abhängig.
Die enge Parteibindung der NVA-Soldaten hatte eine große Scheu vor offener Kritik zur Folge. Die Soldaten wurden so unmündig wie möglich gehalten, waren z.B. in der Wahl ihrer Informationsmedien eingeschränkt. Ein Parteibuch bzw. Parteikonformität war dementsprechend Grundvoraussetzung für eine Karriere in der NVA. In verantwortlicher Position galt das Befürworten und Vermitteln des marxistisch-leninistischen Gedankenguts als Leistungskriterium. Kritik am System, ob im Kleinen oder im Großen, wurde öffentlich nicht geäußert.
Die Befehlsstruktur war stark verhärtet. Diese Tatsache hatte zur Folge, das sich die NVA-Soldaten später im direkten Vergleich mit den Bundeswehr-Soldaten als sehr diszipliniert erlebten.[7]
Russische militärische Tradition war in der NVA bestimmend, sie ersetzte die deutsche Tradition mit der Zeit. Dazu gehörten das ausgeprägte Spezialistentum, ebenso wie das übergroße Sicherheits- und Geheimhaltungsbedürfnis, welches sich im Staate DDR am deutlichsten in der Arbeit der Staatssicherheit wiederspiegelte, aber auch die Arbeit der NVA beeinflusste.
Frühzeitig wurde mit der Werbung für den Dienst an der Waffe begonnen. Als Grundlage galt ein umfassendes System der Wehrerziehung, dass den gesamten Ausbildungsbereich (Schule, Ausbildung, Studium...) einnahm und zur Rekrutierung von ideologisch tauglichen Soldaten diente. In den Klassenstufen 9 und 10 gab es beispielsweise einen für alle Schüler obligatorischen Wehrunterricht. Die Ausbildung erfolgte dann entweder sehr „breit“ im Sinne einer sozialwissenschaftlichen Ausrichtung oder extrem „eng“, so dass sich ein regelrechtes Spezialistentum entwickelte.
2.2 Die Bundeswehr
Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs stand die Armee der BRD – die Bundeswehr.
[...]
[1] Militärlexikon, S. 64
[2] ebd., S. 178
[3] Meyers, S. 628
[4] Schönbohm, S. 42
[5] Knabe, S. 17
[6] Verfassung, S. 13
[7] Von Scheven, S. 207
- Arbeit zitieren
- Peggy Stuber (Autor:in), 2005, Die Integration von NVA-Angehörigen in die Bundeswehr, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41787
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