Einigkeit besteht in der Kleist-Forschung darüber, dass das Thema Recht und Gerechtigkeit in Kleists Werk eine zentrale Rolle einnimmt. So überrascht es auch nicht, dass neben Philologen auch zahlreiche Juristen und Rechtshistoriker, wie zum Beispiel Wolfgang Naucke, sich mit den Texten Kleists auseinandergesetzt haben. Am häufigsten Verwendung für juristische und rechtsphilosophische Abhandlungen findet dabei Kleists Erzählung Michael Kohlhaas. Die Erzählung eignet sich besonders, da bereits in der Figur des Michael Kohlhaas, wie noch zu zeigen sein wird, mehrere divergierende Rechtsauffassungen angelegt sind. Die vorliegende Arbeit will versuchen, diese unterschiedlichen Aspekte von Recht und Gerechtigkeit, die aus der Person des Michael Kohlhaas ableitbar sind, freizulegen. Es soll gezeigt werden, dass eine juristische, respektive rechtsphilosophische Lesart der Figur des Michael Kohlhaas für das Textverständnis erhellend sein kann und einen Einblick in die Rechtsfragen gewährt, mit denen sich Kleist auseinandergesetzt hat. Der Protagonist Michael Kohlhaas handelt teilweise so, als ob er den Beweis antreten wolle, rechtstheoretische Ideen ließen sich durchaus auch praktisch umsetzen. Exzessive Gewalttaten und eine psychotisch anmutende Verhaltensweise seitens des Kohlhaas lassen dann aber auch wieder Zweifel aufkommen, ob es Kleist beim Anlegen der Figur tatsächlich nur um eine Stellungsnahme betreffend der Theorie von der Durchsetzung des Rechts und der Gerechtigkeit ging.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Rechts- und Staatsphilosophie in Kleists Zeit
II.I Naturrecht bei Hobbes
II.II Weiterentwicklung durch Jean-Jacques Rousseau
II.III Die Staatstheorie Adam Müllers
III. Michael Kohlhaas als Verfechter einer modernen Rechtssprechung
III.I Veranlassung und Durchführung des Rachefeldzuges
III.II Das Luthergespräch
III.III Der Prozess in Dresden und die erste Verurteilung
III.IV Überführung nach Berlin und Hinrichtung
IV. Schlussbetrachtungen
V. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Einigkeit besteht in der Kleist-Forschung darüber, dass das Thema Recht und Gerechtigkeit in Kleists Werk eine zentrale Rolle einnimmt. So überrascht es auch nicht, dass neben Philologen auch zahlreiche Juristen und Rechtshistoriker, wie zum Beispiel Wolfgang Naucke[1], sich mit den Texten Kleists auseinandergesetzt haben. Am häufigsten Verwendung für juristische und rechtsphilosophische Abhandlungen findet dabei Kleists Erzählung Michael Kohlhaas. Die Erzählung eignet sich besonders, da bereits in der Figur des Michael Kohlhaas, wie noch zu zeigen sein wird, mehrere divergierende Rechtsauffassungen angelegt sind. Die vorliegende Arbeit will versuchen, diese unterschiedlichen Aspekte von Recht und Gerechtigkeit, die aus der Person des Michael Kohlhaas ableitbar sind, freizulegen. Es soll gezeigt werden, dass eine juristische, respektive rechtsphilosophische Lesart der Figur des Michael Kohlhaas für das Textverständnis erhellend sein kann und einen Einblick in die Rechtsfragen gewährt, mit denen sich Kleist auseinandergesetzt hat. Der Protagonist Michael Kohlhaas handelt teilweise so, als ob er den Beweis antreten wolle, rechtstheoretische Ideen ließen sich durchaus auch praktisch umsetzen. Exzessive Gewalttaten und eine psychotisch anmutende Verhaltensweise seitens des Kohlhaas lassen dann aber auch wieder Zweifel aufkommen, ob es Kleist beim Anlegen der Figur tatsächlich nur um eine Stellungsnahme betreffend der Theorie von der Durchsetzung des Rechts und der Gerechtigkeit ging.
Nachdem im ersten Teil die wichtigsten Grundzüge der Rechtstheorien, mit denen sich Kleist auseinandergesetzt hat und die aus der Figur des Kohlhaas ableitbar sind, skizziert werden, wird im zweiten Teil der Arbeit das Konzept einer juristischen Lesart auf seinen interpretatorischen Wert hin untersucht und gezeigt, dass eine solche Lesart, insbesondere im Hinblick auf den Schluss, bei Kleist auch an ihre Grenzen stößt. Hierfür wurde der Text in vier Abschnitte eingeteilt, in denen jeweils Kohlhaas’ Umwelt aus rechtstheoretischer Sicht beleuchtet werden soll und seine Reaktionen hierauf. Dabei soll auch der Aspekt der Ambivalenz, zwischen einem Michael Kohlhaas als Verfechter einer modernen Rechtsordnung und als quasi Terrorist und rachesüchtiger Querulant, wie er im ersten Satz der Erzählung zum Ausdruck kommt, beleuchtet werden, um ihn in Zusammenhang mit dem rechtstheoretischen Befund zu stellen.
II. Rechts- und Staatsphilosophie in Kleists Zeit
II.I Naturrecht bei Hobbes
Insbesondere im ersten Drittel der Erzählung handelt und argumentiert Michael Kohlhaas ganz in der Tradition des Naturrechts. Nach dem Machtverlust der Kirchen im 16. Jahrhundert und der allmählichen Auflösung eines rein christlich determinierten Weltbildes, kam es in ganz Europa zu Ordnungskrisen, die in der Errichtung absolutistischer Staaten mündeten. In England entwickelte der Philosoph Thomas Hobbes (1588-1679) seine Staatsphilosophie, die ihren gedanklichen Ausgang thematisch in dem lateinischen Vers „bellum omnium contra omnes“, „der Krieg, jeder gegen jeden“, hat.[2] Im Naturzustand ist jeder Mensch gleich und hat das Recht alles zu tun, was er will. Da jeder seinen eigenen Vorteil zu Lasten der anderen erstrebt, und immer mehrere dasselbe wollen, ist die Folge in diesem Naturzustand der besagte Krieg, jeder gegen jeden. Um diesem zu entgehen, er garantiert schlussendlich nur die Überlebenschance von wenigen, übergeben die Menschen, nach Hobbes Theorie, ihre Macht und Rechte einem einzigen Individuum, dem absolutistischen Herrscher. Mit dem Beitritt in diesen Bund geht der Mensch vom Naturzustand in den Gesellschaftszustand über. Der so entstehende Staat basiert auf dem Prinzip der Selbsterhaltung, denn er bietet den Untertanen Schutz vor Übergriffen. Ein Widerstandsrecht sieht diese Theorie nicht vor, da laut Hobbes jeder Zweifel an der Autorität des Staates wieder zum Erwachen der egoistischen Einzelinteressen führen würde.[3]
II.II Weiterentwicklung durch Jean-Jacques-Rousseau
Im Naturrecht, wie Hobbes es formulierte, liegt ein Widerspruch. Einerseits regiert der absolutistische Herrscher mit der Zustimmung des ganzen Volkes, die nur darauf begründet sein kann, dass das Verhalten des Monarchen legitim ist, anderseits ist nicht vorgesehen den Monarchen zu ersetzen oder gegen illegitimes Verhalten des Herrschers und des Staates gewaltsam vorzugehen.[4]
In der französischen Aufklärung wurde dann versucht, diesen Widerspruch aufzulösen. Nach Rousseau ist der Mensch frei geboren und unterwirft sich freiwillig dem Gesellschaftsvertrag. Die Staatsgewalt ist dem Volkswillen unterstellt und ist somit verpflichtet, sich an die allgemeinen, d.h. vereinbarten Gesetze zu halten. Kommt der Staat seinen Pflichten nicht nach, wird der Vertrag hinfällig und das Individuum tritt in den Naturzustand zurück. Dies bedeutet aber nach Rousseau nicht zwangsläufig, dass ein Widerstandrecht des Individuums besteht. Denn auch bei Rousseau gilt der Einzelne als fehlbar, ein Widerstandsrecht ist an einen Konsens im Volk gebunden.[5] Anders ausgedrückt: die partikulären Interessen Einzelner ergeben für Rousseau auch im Kollektiv noch keine funktionierende Gemeinschaft, erst durch die Aufgabe der Einzelinteressen und die Eingliederung in den Staat als „Citoyen“ wird – zumindest theoretisch – der Friede erreicht. Trotz einiger Gemeinsamkeiten – dem Individuum kommt in beiden Lehren nur eine marginale Rolle zu – sind die beiden Theorien grundverschieden, sie stehen zwar jeweils in der Tradition der Staatsvertragslehre, gehen aber von ganz unterschiedlichen Annahmen bezüglich der menschlichen Natur aus. Kleist war sicherlich mehr der Philosophie Rousseaus zugetan als der Hobbes, aber auch Rousseau betreffend, ist bei Kleist in späteren Jahren eine gewisse Skepsis diesem gegenüber nachgewiesen.
II.III Die Staatsphilosophie Adam Müllers
Adam Müller, ein Zeitgenosse Kleists, verwirft die Lehre vom Gesellschaftsvertrag ganz. Ausgehend vom Scheitern der französischen Revolution und den Ideen der französischen Aufklärung wendet er sich dem englischen Pragmatismus und Liberalismus zu, zur Zeit Kleists vor allem durch die neue amerikanische Verfassung und die Federal Papers bekannt. Der Gesellschaftsvertrag ist für Müller eine mechanische Konstruktion, da der Mensch für ihn nicht außerhalb des Staates gedacht werden kann. Es gibt daher bei ihm auch kein Naturrecht, der Staat selbst ist ein Produkt der Natur und kann als solches auch nicht separiert von ihr betrachtet werden. Für Müller existiert der Staat in sich widerstrebenden Ideen und Zielen der einzelnen Individuen. So gilt für ihn:
Die Schranke für die Freiheit des einzelnen Bürgers ist nichts anderes als die Freiheit der übrigen Bürger […] damit eine Kraft sich äußern und wirken könne, muß ihr irgendeine andere Kraft entgegenwirken; Krieg ohne Gegenkrieg, Freiheit ohne Gegenfreiheit ist nichts.[6]
Auch in Müllers Theorie gibt es kein explizites Widerstandsrecht. Dies erklärt sich daraus, dass jedes Mittel sich Recht zu verschaffen, durch seine Einbettung in das Kraft-Gegenkraft-Prinzip, im Staat verbleibt. Dieses Kraft-Gegenkraft-Prinzip findet sich noch heute in der politischen Theorie, bekannt unter dem Schlagwort checks-and-balances. Interessant im Hinblick auf die Kohlhaas-Rezeption ist vor allem Müllers Verständnis von der Rolle des Individuums. Im Unterschied zu den vorhergehenden Theorien kommt hier dem Einzelnen eine entscheidendere Rolle zu. Nach Müller muss nämlich der einzelne Bürger sich:
[…] Recht über bloße Verstandesbegriffe hinweg zu erkämpfen suchen. Und dafür muß die Persönlichkeit notfalls bereit sein sich selbst und ihr ganzes Dasein herzugeben.[7]
[...]
[1] Kleist, Heinrich von: Michael Kohlhaas. Nomos Verlag: Stuttgart 2000, S. 111 (Mit einem Begleittext von Wolfgang Naucke).
[2] Tuck, Richard: Hobbes. Spektrum Meisterdenker. Freiburg i.Br 1998, S. 103-120.
[3] Dtv-Atlas Philosophie. Hg. von Peter Kunzmann, Franz-Peter Burkard und Franz Wiedmann. München 2003, S. 171.
[4] Kleists Kohlhaas. Ein deutscher Traum vom Recht auf Mordbrennerei. Hg. von Friedemar Apel. Berlin 1984, S. 125.
[5] Ebd., S. 126.
[6] Ebd., S.127.
[7] Ebd., S. 128
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