Diese Arbeit befaßt sich mit der praktischen Relevanz und Leistungsfähigkeit semiotischer Ansätze für die sozialwissenschaftliche Analyse. Ich sage bewußt ‚sozialwissenschaftlich‘, weil nicht nur die Kommunikationswissenschaft, sondern vielleicht auch Soziologie und Politikwissenschaft von einer praktischen Anwendbarkeit semiotischer Konzepte profitieren könnten. Die Übermacht systemtheoretischer oder analytischer Ansätze in diesen beiden Disziplinen führt möglicherweise dazu, daß die Reichweite technischer Rationalität dem Verständnis kollektiver Entitäten zu enge Grenzen setzt. Nur zu oft beschäftigt sich die sozialwissenschaftliche Reflexion nur noch mit der Klärung ihrer Begrifflichkeit und mit der logischen Kohärenz ihrer Modelle, während für die Analyse kollektiver Strukturen und Ereignisse methodisch nichts gewonnen wird. Auf der anderen Seite blendet die ergebnisorientierte Praxis gezwungenermaßen die Realitätsbereiche aus, die mangels theoretischer Fundierung methodisch nicht zu erfassen sind. In den Sozialwissenschaften steht einem Theorieüberhang manchmal ein Grundlagendefizit gegenüber, der sich in der praktischen Analyse auswirkt. Nur ein Beispiel: bei der Analyse der Internationalen Politik haben konkurrierende Theorieansätze jeweils eigene Schulen gebildet. Der Grundlagenstreit zwischen den beiden Hauptlagern hat sich längst institutionalisiert. Eine eindeutige theoretische Grundlage zur Analyse der Vorgänge in der Internationalen Politik ist dagegen nicht in Sicht. Viele Themen und Beobachtungen werden essayistisch abgehandelt, viele Lösungsvorschläge haben insulären Charakter und können nicht in eine einigermaßen strukturierte, quantitativ unterstützte Analysemethodik überführt werden.
Inhalt
Einleitung
1. Natur und Zeichen
2. Semiotic Solutions
3. Semiometrie
a. Der semantische Raum
b. Rekonstruktion des semantischen Raums
c. Forschungsanlage
4. The Values of Europeans
a. Überblick
b. Ergebnisse
5. Abschlußbetrachtung
a. Relevanz
b. Leistungsfähigkeit
Literaturliste
Einleitung
Diese Arbeit befaßt sich mit der praktischen Relevanz und Leistungsfähigkeit semiotischer Ansätze für die sozialwissenschaftliche Analyse. Ich sage bewußt ‚sozialwissenschaftlich‘, weil nicht nur die Kommunikationswissenschaft, sondern vielleicht auch Soziologie und Politikwissenschaft von einer praktischen Anwendbarkeit semiotischer Konzepte profitieren könnten. Die Übermacht systemtheoretischer oder analytischer Ansätze in diesen beiden Disziplinen führt möglicherweise dazu, daß die Reichweite technischer Rationalität dem Verständnis kollektiver Entitäten zu enge Grenzen setzt. Nur zu oft beschäftigt sich die sozialwissenschaftliche Reflexion nur noch mit der Klärung ihrer Begrifflichkeit und mit der logischen Kohärenz ihrer Modelle, während für die Analyse kollektiver Strukturen und Ereignisse methodisch nichts gewonnen wird. Auf der anderen Seite blendet die ergebnisorientierte Praxis gezwungenermaßen die Realitätsbereiche aus, die mangels theoretischer Fundierung methodisch nicht zu erfassen sind. In den Sozialwissenschaften steht einem Theorieüberhang manchmal ein Grundlagendefizit gegenüber, der sich in der praktischen Analyse auswirkt. Nur ein Beispiel: bei der Analyse der Internationalen Politik haben konkurrierende Theorieansätze jeweils eigene Schulen gebildet. Der Grundlagenstreit zwischen den beiden Hauptlagern hat sich längst institutionalisiert. Eine eindeutige theoretische Grundlage zur Analyse der Vorgänge in der Internationalen Politik ist dagegen nicht in Sicht. Viele Themen und Beobachtungen werden essayistisch abgehandelt, viele Lösungsvorschläge haben insulären Charakter und können nicht in eine einigermaßen strukturierte, quantitativ unterstützte Analysemethodik überführt werden.
Natürlich ist die Semiotik ein weites Feld und die Grenzen dieser Disziplin zur Philosophie oder zur anderen Zweigen der Sprachwissenschaft sind fließend. Eine Eingrenzung der hier diskutierten Konzepte ist nötig. Ich möchte an sie heranführen, indem ich zuerst auf die Zusammenhänge zwischen Zeichen und Natur eingehe: was hat die Sphäre der Zeichen mit der realen Welt zu tun und kann die „Semiosphäre“ unabhängig von der Natur, unabhängig von der phänomenalen Welt analysiert werden? Die Beantwortung dieser Frage ist entscheidend für die theoretische Fundierung der praktischen Ansätze, die im zweiten Kapitel (Anwendung semiotischer Grundgedanken im Marketing) und den Kapiteln Drei und Vier (Semiometrie) vorgestellt werden. Die Semiometrie ist primär ein Instrument der Kommunikationsforschung, findet praktische Anwendung aber auch in der Marktforschung und in sozialwissenschaftlichen Untersuchungen. Ob man mit semiometrischen Methoden einen quantitativen Zugang zur Tiefenebene von Gesellschaften, Institutionen, ganz allgemein – zur Tiefenebene kollektiver Entitäten – finden kann, damit möchte ich mich im abschließenden Kapitel auseinandersetzen.
1. Natur und Zeichen
Die Differenz zwischen Name und Ding ist ein Grundmovens der Erkenntnistheorie. Die Philosophie des 20. Jahrhundert hat die Beschäftigung mit der Sprache zu einem ihrer Hauptanliegen gemacht. Aber nicht nur die abendländische Philosophie, sondern auch das Denken anderer Kulturen hat die zentrale Bedeutung der Sprache für das Leben, das Denken, die Welt–Anschauung des Menschen erkannt, wenn auch die kulturelle Basis und Zielsetzung oft wesentlich von der unseren verschieden war: das magische Wort des Schamanen war der Schlüssel zur Beherrschung seines lebendigen und allbeseelten Universums, das Mantram des Yogin, das rituelle Wort, war und ist ein wichtiges Instrument zur Erkenntnis des Selbst und zur Erlangung des Samadhi – und somit auch zur Verwandlung der Welt durch den Geist. Die Philosophie des 20. Jahrhunderts hat einerseits versucht, Probleme der Erkenntnis der realen Welt in einem ‚linguistic turn‘ zu umgehen, hat diese einfach zu sprachlichen Problemen deklariert und sich in der Folge einer intensiven Analyse der Strukturen der Sprache gewidmet. Auch haben sich eine Vielzahl von Disziplinen ausgebildet, die sich konkreter mit verschiedenen Aspekten der Sprache befassen: zuerst die Linguistik mit ihren vielen Ausgliederungen nach sozialen (Sozio-), psychischen (Psycho-), mechanischen Aspekten (Computerlinguistik), aber auch die Kommunikationswissenschaft, und nicht zuletzt die Semiotik, als eine umfassende und wieder ins Philosophische und Theoretische gewendete Disziplin des Zeichens.
Unbestritten ist, daß die Sprache die Grundlage für alles darstellt, was wir auszudrücken wünschen. Alles Mitteilbare über die Welt muß sich eines Codes bedienen. „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.“ [Wittgenstein, Tractatus, §7]. Aber die philosophischen Probleme von Welt und Wahrheit lassen sich natürlich nicht ganz auf ein sprachliches Problem abbbilden und dann in einer Fachdiskussion lösen. Ganz behavioristisch die Realität auf das sprachlich Mitteilbare zu verkürzen, entspricht nicht unserem realen Erfahrungshorizont. Um bei Wittgenstein zu bleiben: „Es gibt [...] Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.“ [§6.522] „Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern daß sie ist.“ [§6.44] Die Grenze der Sprache ist die Faktizität der Welt. Die Faktizität der Welt erschöpft sich nicht in ihrer Beschreibbarkeit. Umgekehrt sagt aber Wittgenstein auch: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ [§5.6] Unsere Sprache, als Sinnbild unserer epistemologischen Grundstruktur, konstituiert die Grenzen unserer Weltwahrnehmung.
In zwei Schritten versucht die Semiotik als Spezialphilosophie in diese Zusammenhänge einzudringen. Einerseits als Theorie der Zeichen, die auch andere Konfigurationen des Geistes berücksichtigt als allein die der technischen Rationalität und ihrer spezifischen Fragestellungen. Die Semiotik befaßt sich daneben mit biologischen, kybernetischen, musischen Codes und ihrer Struktur und sieht den menschlichen Kosmos in der Fülle seiner Symbole. Andererseits als semiotische Kulturtheorie, die sich mit der sozialen, kollektiven Dimension der Codes befaßt und die Kraft des sprachlichen Bildes in den Mythen der Gesellschaft wirksam werden sieht.
Auf diese Dimensionen bezieht sich Umberto Eco, wenn er im Versuch, die wissenschaftliche Reichweite der Semiotik zu bestimmen, zwei Hypothesen zum Zusammenhang von Zeichen, Kommunikation und Kultur formuliert.
Die erste Hypothese lautet: „Kultur kann nicht nur als Kommunikation untersucht werden, sondern ... nur indem sie als Kommunikation untersucht wird, kann sie in einigen ihrer grundlegenden Mechanismen geklärt werden.“ [Eco, 33] Diese Hypothese stellt die Sprachlichkeit der Kultur und die kulturelle Kommunikation als Manifestation dieser Sprachlichkeit in den Mittelpunkt der Analyse. Nicht nur das, sie behauptet, wesentliche Aspekte der Kultur seien nur verständlich, wenn man sie als semiotisches System untersucht (wobei Sprache selbst nur als semiotisches Subsystem zu sehen ist). Man kann einwenden, daß nicht unbedingt ein Kommunikationsvorgang notwendig ist, um Kultur zu schaffen. Auch die Welt eines Robinson kann man als Kulturwelt betrachten. Diesem Einwand begegnet Eco, indem er den Kommunikationsvorgang abstrahiert und annimmt, daß ein Einzelner, der zu sich selbst spricht, sozusagen gleichzeitig Sender und Empfänger der Botschaft und mithin nur ein Sonderfall des Kommunikationsphänomens ist.
Eco verlegt den Ursprung der Kultur in die dialogische Erkenntnis der Natur. Der alleinige Gebrauch z.B. eines Steines als Werkzeug schafft danach noch keine Kultur. „Kultur ... entsteht ... wenn a) ein denkendes Wesen die neue Funktion des Steines festlegt ... b) es ihn ‚benennt‘ als ‚Stein, der zu etwas dient‘.“ [Eco, 33]. Hier ist es primär nicht nötig, daß diese Benennung auch kommuniziert wird. Der Kultur-Schaffende kann gleichzeitig Sender und Empfänger der Botschaft sein. Die Definition impliziert in ihrer Einfachheit die „Gleichsetzung von Denken und Sprache“ [Eco, 34]. Diese Hypothese macht aus der Semiotik eine zeichen- und sprachorientierte Erkenntnistheorie und benutzt diese, um aus dem grundlegenden Aspekt der Sprachverwendung eine Theorie der Kultur abzuleiten.
Nachdem die erste These ‚Kultur‘ als Kommunikationsphänomen bestimmt, befaßt sich die zweite Hypothese mit der Struktur der kulturellen Kommunikation: „In der Kultur kann jede Größe zu einem semiotischen Phänomen werden. Die Gesetze der Kommunikation sind die Gesetze der Kultur. Die Semiotik ist eine Disziplin, die sich mit der ganzen Kultur beschäftigen kann und muß.“ [Eco, 38] Eco gebraucht den Kommunikationsbegriff hier offensichtlich unspezifisch als Synonym für ‚semiotisches Phänomen‘. Semiotik stellt sich nach Eco als eine Disziplin dar, die über die Analyse spezifischer Signale, Zeichen, Bedeutungen und Bedeutungsumständen zum Gesamtkomplex der Kommunikation einer Kultur Zugang verschafft.
Interessant am semiotischen Ansatz ist, daß er versucht, über die Sprache einen rational-analytischen Zugang zu Aspekten der Kultur zu finden, die sich als Bilder, als Werte und Grundüberzeugungen äußern. Die Semiotik schließt den Bereich kultureller Metaphern, den Kulturmythos, kurz – das Reich des kollektiv Unbewußten nicht aus. Das ist sozialwissenschaftlich gesehen von nicht unerheblichem Interesse, denn dieser nichtrationale Anteil kulturimmanenten (Un-/Über-/Unter-) Bewußtseins scheint ähnlich wie in der Psyche des Individuums einen Großteil der kollektiven Aktionen zu beeinflussen und zu steuern. Möglicherweise ist der öffentliche Mythos weitaus mächtiger als der öffentliche Diskurs, was seine Erklärungskraft angeht. Zudem muß der Mythos nicht wie der Diskurs idealtypisch nachmodelliert werden, um sich als Theorie gegen das Chaos, gegen die Non-Diskursivität, gegen die faktische Irrationalität der Kommunikation in der Gesellschaft abzusichern.
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- Arbeit zitieren
- Manfred Kipfelsberger (Autor:in), 1999, Semiotik und Kommunikationsforschung: Semiometrie - quantitative Exploration des mythischen Horizonts der Gesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41726
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