Die Arbeit widmet sich zunächst der Frage, welche teils spezifischen Herausforderungen Führung an Universitäten in sich birgt. Darauf aufbauend wird der Fokus auf die Frage gelenkt, wie diesen Herausforderungen mit einem strukturierten Leadershipkonzept begegnet werden kann. Es werden zu diesem Zweck die Standards für Führungsverhalten sowie Rahmenbedingungen für den Einsatz von Führungsinstrumenten beleuchtet, die an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz für alle Mitglieder der Hochschule mit Führungsverantwortung festgelegt wurden. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Entwicklung und Implementierung dieser Führungsleitlinien gelegt. Es soll gezeigt werden, mit welcher Zielsetzung sie eingeführt wurden, wer daran beteiligt war und wie sie im Hochschulbetrieb verankert sind. Dazu wird auch die Frage von Bedeutung sein, wie die Evaluation solcher Maßnahmen stattfinden kann.
Inhalt
1. Einführung in die Themenstellung
1.1. Forschungsleitende Fragen und Methodik
2. Führung an Universitäten
2.1. Die Universität als besondere Organisation
2.2. Führung an Universitäten: Der Status Quo
2.3. Eine begriffliche Klärung und Führungsmodelle
2.4. Führen mit Erfolg
3. Führungsleitlinien an der JGU
3.1. Planungsphase
3.2. Inhaltliche Dimension der Führungsleitlinien
3.3. Implementierung
3.4. Evaluation
4. Kritische Reflexion und Ausblick
5. Literaturverzeichnis
6. Anhänge
1. Einführung in die Themenstellung
„The university has moved much closer to an industrial pattern of organisation with senior management teams and strategic plans.“ (Gibbons et al. 1994: S. 82)
Der von Gibbons et al. angesprochene Entwicklungstrend einer „managerial revolution […] throughout higher education“ (ebd.) hatte seinen Ausgangspunkt bereits vor Jahrzehnten in den USA und im angelsächsischen Raum. Auch an deutschen Universitäten findet er zunehmend seinen Niederschlag. Gesellschaftliche und politische Veränderungen im Umfeld der Hochschullandschaft sowie eine zuvor „nicht erwartete[] Expansion der Hochschulen“ (Heinrichs 2010: S. 6) bringen für Universitäten im Wettbewerb um finanzielle und personelle Ressourcen ein „wachsendes Problem der Kosten und […] ständigen Unterfinanzierung“ (ebd.) mit sich. Es ergibt sich für Hochschulen zudem zunehmend die Notwendigkeit der Legitimation ihres Handelns im Hinblick auf ihren gesellschaftlichen Nutzen. Die Antwort darauf ist u.a. eine „verstärkte Leistungs- und Wirkungsorientierung der Steuerung“ (Schedler; Proeller 2003: S. 230) innerhalb von Hochschulen. Es finden betriebswirtschaftliche Konzepte Anwendung, die im Handeln von marktwirtschaftlich orientierten Unternehmen bereits lange fest verankert sind. Im Zuge dessen haben sich neue Berufsbilder wie das des Wissenschaftsmanagers herausgebildet und es werden an Hochschulen Führungsleitlinien entwickelt. So ist dies auch an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz (im Folgenden JGU) geschehen, die exemplarisch im Fokus dieser Arbeit stehen soll. Bei allem Willen zur Veränderung darf allerdings „das Trennende […] zwischen dem Management in Wirtschaftsbetrieben und dem Management an Hochschulen“ (Heinrichs 2010: S. 16) nicht außer Acht gelassen werden. Dies wird auch bei der Beantwortung der forschungsleitenden Fragen immer zu berücksichtigen sein.
1.1. Forschungsleitende Fragen und Methodik
Die vorliegende Arbeit widmet sich zunächst der Frage, welche teils spezifischen Herausforderungen Führung an Universitäten in sich birgt. Darauf aufbauend wird der Fokus auf die Frage gelenkt, wie diesen Herausforderungen mit einem strukturierten Leadershipkonzept begegnet werden kann. Die Beantwortung dieser Frage kann im Rahmen dieser Arbeit nur exemplarisch erfolgen. Es werden zu diesem Zweck die „Standards für Führungsverhalten“ sowie „Rahmenbedingungen für den Einsatz von Führungsinstrumenten“ beleuchtet, die an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz für „alle Mitglieder der Hochschule mit Führungsverantwortung“ (JGU 2012) festgelegt wurden. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Entwicklung und Implementierung dieser Führungsleitlinien gelegt. Es soll gezeigt werden, mit welcher Zielsetzung sie eingeführt wurden, wer daran beteiligt war und wie sie im Hochschulbetrieb verankert sind. Dazu wird auch die Frage von Bedeutung sein, wie die Evaluation solcher Maßnahmen stattfinden kann.
Um der Komplexität der forschungsleitenden Fragen gerecht werden zu können, ist es nicht ausreichend, bloß auf etablierte wissenschaftliche Theorien zurückzugreifen. Diese Theorien stammen häufig aus dem betriebswirtschaftlichen Kontext und berücksichtigen daher keine Charakteristika der Universität als Organisation. Es ist daher unerlässlich, einen Blick in die Praxis an Universitäten zu werfen. Im Rahmen dieser Arbeit geschieht dies am Exempel der JGU durch die Auswertung schriftlicher Zeugnisse, aber vor allem durch ein Interview, welches ich am 12.04.2017 mit Frau Dr. J L, der Referentin für Personalentwicklung an der JGU, geführt habe (vgl. Anhang 1). So entsteht ein differenziertes Bild, welches Unterschiede zwischen Wirtschaftsbetrieben und der Universität transparent werden lässt.
2. Führung an Universitäten
Im vorangegangenen Kapitel wurde bereits angedeutet, dass es sich bei Universitäten um besondere Organisationen handelt, die auch besondere Formen der Führung erfordern. Nickel argumentiert entsprechend, dass Führungskräfte an Universitäten weder „geeignete Strukturen und Arbeitsweisen“ noch eine „Kultur des Managements“ (Nickel, 2007: S. 76) vorfinden, um effektiv führen zu können. Führungspersonen in Universitäten sind oft zugleich auch oder eben vor allem Wissenschaftler, die sich primär über ihre wissenschaftliche Tätigkeit profilieren. Führungsaufgaben werden daher häufiger mit geringerem Bewusstsein für die Implikationen von Führung wahrgenommen, als dies in Wirtschaftsunternehmen der Fall ist (vgl. Müller 2014: S. 45). Dies kann sich sowohl aus dem besonderen „Dienst- und Treueverhältnis eines Beamten“ (Heinrichs 2010: S. 15) und dem damit verbundenen Selbstverständnis ergeben als auch aus einer anderen Konstellation von Risiken, denen das Managementhandeln an Hochschulen im Vergleich zu profitorientierten Unternehmen begegnet (vgl. ebd.). Eine ganz entscheidende Rolle spielen aber sicherlich strukturelle Unterschiede, die dazu veranlassen, im Folgenden eine kurze Betrachtung anzustellen, welches die Spezifika der Universität als Organisation sind.
2.1. Die Universität als besondere Organisation
Aus der Historie der Universität, aber auch aus ihrem gesellschaftlichen Auftrag heraus, ergeben sich Spezifika, die sie von profitorientierten Betrieben unterscheidet. In ihrem Ursprung war die europäische Universität eine Form der „Genossenschaft der Studierenden“, bei der „wichtige Dinge mit Mehrheit entschieden“ wurden (Fisch 2015: S. 13). Bis heute haben sich aus diesem Anfangsgedanken Elemente erhalten. So schreibt auch Heinrichs, dass bei Wirtschaftsunternehmen die „Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen“ von der „Grundkonstellation von Arbeitgebern und Arbeitnehmern“ (Heinrichs 2010: S. 122) geprägt sei. An Hochschulen hingegen sei die Idee von einer gemeinsamen Konstituierung der Institution durch „Professoren, Dozenten, akademische Mitarbeiter und Studierende“ (ebd.: S. 123) noch immer lebendig. Dies spiegelt sich u.a. in der Gremienarbeit wider, bei der alle Anspruchsgruppen vertreten sind. Insgesamt weist eine Universität aber ein hohes Maß an „Heterogenität“ mit „vielen unterschiedliche[n] Formen von Führung“ (L. 2017: Anhang S. A-1) auf. „Klassische Führungsfunktionen, wie man sie aus der Wirtschaft kennt“ (ebd.) so L., seien auch vertreten. Besonders sei dies in der Verwaltung (vgl. ebd.) zu finden.
Eine weitere Besonderheit ergibt sich aus dem Prinzip der Führung auf Zeit, das eine turnusmäßige Rotation bei der Verteilung von Führungsaufgaben mit sich bringt. Die Schwierigkeit dabei ist nach L., dass „jemand aus der Riege Verantwortung übernimmt“ und nach „unpopuläre[n] Entscheidungen […] später wieder in die Riege zurück[kehrt]“ (ebd.: S. A-2). Das hohe Maß an Heterogenität hat jedoch noch weitere Ursachen und Implikationen. Pellert hat 5 Charakteristika von Hochschulen herausgestellt, die sie von Wirtschaftsunternehmen unterscheiden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1: Charakteristika von Hochschulen (in Anlehnung an Pellert 2007: S. 21f.)
Zu dem Charakteristikum der ungeliebten Verwaltung hat L. das Beispiel der Studienbüros angeführt. Ein Spannungsfeld ergibt sich dort daraus, dass z.B. Studienmanager unliebsame Entscheidungen gegenüber „dem Professor, dem sie nicht vorgesetzt sind“ (L.: S. A-2) treffen und kommunizieren müssen. Auch der Aspekt der hohen individuellen Autonomie spielt nach L. an der JGU eine wichtige Rolle. Misstrauen gegenüber dem Thema Führung entsteht demnach vor allem, weil der Verdacht im Raum steht, dass die Universitätsleitung ihren Einfluss vergrößern wolle (vgl. ebd.: S. A-2). Die daraus resultierende Angst vor der Gefährdung der Autonomie der Wissenschaft und Belohnungsmechanismen, die vor allem die Reputation als Motivationstreiber nutzen (vgl. Pellert: S. 21) sind Hindernisse bei der Etablierung des Themas Führung.
Bei allen Unterschieden zwischen Universität und Wirtschaftsbetrieben sind aber auch Gemeinsamkeiten zu erkennen. So lässt sich eine für Wirtschaftsbetriebe gängige Differenzierung nach drei Führungsebenen mit Abstrichen auch für Universitäten vornehmen. In der obersten Führungsebene sind nach Heinrich dabei das Rektorat bzw. Präsidium sowie der Kanzler/die Kanzlerin, in der mittleren die Dekanate und in der untersten Ebene sind u.a. Institutsleitungen zu verorten (vgl. ebd.: S. 15). Blümel merkt ferner an, dass sich im Rahmen einer zunehmend „post-bürokratischen Logik des Managements im Hochschulwesen“ (Blümel 2016: S.173) auch das Rollenverständnis innerhalb der Verwaltungsleitung und die Positionierung der Verwaltung im Gefüge einer Universität verändere. Somit ist auch der Aspekt der „ungeliebten Verwaltung“ (Pellert 2007: S. 21) und des Managements an Hochschulen insgesamt im Wandel begriffen.
2.2. Führung an Universitäten: Der Status Quo
„Inhaber von Top-Management-Positionen fühlen sich nicht als Führungskräfte!“ (Müller 2014: S.45)
Das Zitat klingt scheinbar absurd, aber an Universitäten, so bestätigt auch L., sei es nicht selbstverständlich, dass sich Führungskräfte ihrer Rolle auch bewusst sind (vgl. L.: S. A-2). Eine Vollerhebung deutscher Rektoratsmitgliedern hat gezeigt, dass 40% aller Universitätsleitungsmitglieder sich nicht als Führungskraft wahrnehmen, obwohl sie „doch in erheblichem Maße Führungsaufgaben wahrnehmen“ (Müller: S. 49). Analog zu Watzlawicks Axiomen der Kommunikation lässt sich konstatieren, dass eine Führungsperson nicht nicht führen kann, genauso wie es unmöglich ist, sich nicht zu verhalten (vgl. Watzlawick et. al. 2012: S. 58). Es ist folglich nur schlechte Führung von guter Führung zu unterscheiden, wobei diese Attribute immer vor dem Hintergrund der Ziele der Institution zu beurteilen sind.
Das Problem eines mangelnden Bewusstseins der eigenen Führungsrolle hat allerdings zwei Seiten. Weibler geht davon aus, dass die „Führer-Eigenschaft [auch] von den Geführten zugeschrieben“ (Weibler 2012: S. 161) wird. Müller hat in ihrer Studie belegt, dass „eine Großzahl der Dekane und […] Professoren nicht […] geführt werden will“ (Müller 2014: S 48). Das führt zu dem Dilemma, dass Führung durch die Universitätsleitung zwar notwendig ist, um strategische Ziele erreichen zu können, gleichzeitig in der mittleren Führungsebene der Dekane und Professoren der Führungsanspruch der Universitätsleitung nur teilweise anerkannt wird.
Die Grundlegende Prämisse für gute Führung, die allen weiteren Erfolgsfaktoren voransteht, ist es daher für den Hochschulbereich, zunächst ein stärkeres Bewusstsein für die Relevanz von Führung für die Durchsetzung einer Strategie zu schaffen. So sieht auch L. die erste große Hürde, die zu überwinden ist, darin, „überhaupt das Thema Führung zu etablieren“ (L.: S. A-2). Pellert argumentiert ebenfalls, dass es „ein brennendes Thema des Personalmanagements an Bildungseinrichtungen ist, dass überhaupt Leitungs- und Führungsverantwortung entwickelt wird“ (Pellert 2008: S.23). Damit einher geht die Steigerung der Bereitschaft von Führungskräften, Führungsaufgaben bewusst und auf Grundlage der Ziele der Institution wahrzunehmen. Dabei muss dem Umstand des Prinzips der Führung auf Zeit Rechnung getragen werden. Das Bewusstsein für Führung sowie Führungskompetenzen immer wieder neu zu vermitteln, bleibt daher besonders an Universitäten eine Aufgabe, die ein hohes Maß an Kontinuität erfordert.
2.3. Eine begriffliche Klärung und Führungsmodelle
Bei aller Besonderheit, die den Kontext von Führungsaufgaben innerhalb von Expertenorganisationen wie der Universität prägt, gelten einige grundlegende Prinzipien doch überall dort, wo Führung stattfindet. Für ein Verständnis der Komplexität des Führungsbegriffs sowie auch einer qualitativen Einordnung der Führungsleitlinien der JGU ist es daher sinnvoll und unerlässlich, auf Definitionen und Modelle zurückzugreifen, die nicht ursprünglich für den Hochschulkontext entwickelt wurden.
Führung kann demnach als „personale Seite der Steuerung von Prozessen und Betrieben“ definiert werden, durch die „Mitarbeiter veranlasst (motiviert, in die Lage versetzt) werden, Ziele zu erreichen“ (Heinrichs 2010: S. 64).
Neben einer rein definitorischen Eingrenzung des Begriffs lässt sich eine Unterscheidung von Führungsdimensionen nach verschiedenen Modellen vornehmen. Dies soll hier exemplarisch anhand weit verbreiteter Modelle geschehen, da jeder dieser Ansätze sich auch in den Führungsleitlinien der JGU wiederfindet (vgl. Kap. 3.2).
Unterscheiden lassen sich solche Modelle grundsätzlich danach, ob sie Führung vor allem durch die Persönlichkeit der Führungskraft determiniert sehen, ob sie Verhaltensmuster zu Führungsstilen zusammenfassen oder ob sie Führung in Abhängigkeit der Situation beleuchten (vgl. Lippold 2015: S. 26). Ferner kann eine Unterscheidung danach erfolgen, ob Führungsverhalten mit einer, zwei oder mehreren Dimensionen charakterisiert wird (vgl. ebd.). Zudem existieren neuere Ansätze, die Führung weniger transaktional betrachten und dafür den Einfluss von Führung auf Werte und Motive von Mitarbeitern in den Vordergrund stellen.
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Tab. 2: Schematische Darstellung von Führungsansätzen (vgl. Lippold 2015: S. 26; Borgmann u. Rowold 2015: S. 189 f.)
In frühen Betrachtungen wurde „Führung als Ausfluss von Führungseigenschaften“ (Heinrichs 2010: S. 66) verstanden. Es gibt jedoch zahlreiche Belege dafür, dass bei erfolgreichen Führungskräften nicht „so viele übereinstimmende Eigenschaften auszumachen sind“ (ebd.). Es kann jedoch konstatiert werden, dass erfolgreiche Führung oft von der Offenheit für neue Situationen, von der Entscheidungsfreudigkeit und der Fähigkeit, den eigenen Standpunkt zu überdenken, abhängt (vgl. Charan 2016: S. 57). Diese Aspekte spielten auch bei der Entwicklung der Führungsleitlinien an der JGU eine wichtige Rolle (vgl. Kap. 3.2).
Ein frühes und einfach anzuwendendes verhaltensorientiertes Modell, das hier exemplarisch vorgestellt werden soll, ist das von Tannenbaum und Schmidt. Das von ihnen entwickelte Führungskontinuum ermöglicht eine Bewertung von Führungsstilen eindimensional anhand der Ausprägung von Dominanz bzw. Partizipation (vgl. Tannenbaum u. Schmidt 1958: S. 95f.). Führungsstile werden dabei auf einem Kontinuum zwischen den Polen „Boss-centered leadership“ und „Subordinate-centered leadership“ (ebd.: S. 96) eingeordnet. Das Modell ist noch immer nützlich, um ohne großen Aufwand Verhaltensmuster von Führungskräften grob zu charakterisieren, besitzt aber aufgrund seiner Eindimensionalität keine Aussagekraft über Einflussfaktoren und Auswirkungen bestimmter Führungsstile.
Ein zweidimensionaler, verhaltensorientierter Ansatz, dem in der Fachliteratur noch immer eine Relevanz zugesprochen wird, ist der des „managerial grid“ (Blake u. Mouton 1960). Blake und Mouton haben Führungsverhalten in ein Raster eingeordnet. Das so entstandene Verhaltensgittermodell kombiniert die zwei Dimensionen der Mitarbeiter- und der Sachorientierung im Verhalten von Führungskräften, berücksichtigt dabei aber noch nicht die „Abhängigkeit von bestimmten Führungssituationen“ (Lippold 2015: S. 36). Vorzüge dieses Ansatzes liegen vor allem darin, dass er eine differenzierte Typologisierung in mehrere Grundstile von Führung ermöglicht.
Situative Ansätze oder Prozessansätze scheinen der Praxis näher zu kommen, da sie nicht nur Eigenschaften und Verhaltensmuster der Führungspersönlichkeit beleuchten. Viele dieser Führungsansätze stellen eine Erweiterung des Verhaltensgitters von Blake und Mouton dar. Um Rückschlüsse auf Implikationen für das Mitarbeiterverhalten und den Führungserfolg sowie letztendlich die Leistungsfähigkeit des Unternehmens ziehen zu können, werden die beiden Dimensionen des Verhaltensgitters mit mindestens einer weiteren Dimension verknüpft. Im ersten situativen Führungsansatz, der Kontingenztheorie nach Fiedler, wurde zusätzlich zur Sachziel- und Mitarbeiterorientierung die situationale Günstigkeit anhand der drei Variablen der Positionsmacht, der Aufgabenstruktur und der Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter operationalisiert (vgl. Fiedler 1965, S. 118). Im situativen Reifegradmodell und der damit verbundenen „Life-Cycle-Leadership-Theory“ (Hersey und Blanchard 1981: S. 42) hingegen wird die Erfahrung der geführten Mitarbeiter als Variable ergänzt. Somit wird auch berücksichtigt, dass beispielsweise „unterschiedliche aufgabenrelevante Reifegrade des Mitarbeiters“ (Lippold 2015: S. 45) eine entscheidende Rolle spielen und ein unerfahrener Mitarbeiter anders zu führen ist als ein erfahrener Mitarbeiter. Das Drei-D-Modell führt als weitere Dimension die Effektivität ein (Reddin 1981). Das Modell lässt dabei offen, von welchem Faktor das Führungsverhalten abhängen sollte, um seine Effektivität zu steigern. Es ist allerdings fraglich, ob die Effektivität sich als Gradmesser erfolgreicher Führung in Universitäten eignet, da die Messbarkeit der Leistung komplexer ist als in produzierenden Unternehmen (vgl. Kap. 2.4).
In Prozessansätzen kommt zur Betrachtung der Führungssituation hinzu, dass Führung als ein „Prozess der Beeinflussung“ verstanden wird, bei dem „psychologische und soziale Momente eine weit größere Rolle spielen als die Charaktermerkmale der Führungspersönlichkeit“ (Heinrichs 2010: S. 66). Das führt zu der Annahme, dass Führungsverhalten erlernbar ist oder eingeübt werden kann (vgl. ebd.). Diese Sichtweise ist von zentraler Bedeutung für die Konzeption von Führungskonzepten an Universitäten, da dort Persönlichkeiten in Führungsrollen geraten, die nicht in erster Linie zu Führungskräften ausgebildet wurden.
Noch relativ neue Ansätze stellen die Konzepte der transformationalen Führung sowie ihre Weiterentwicklung im Full-Range-Leadership-Modell dar (vgl. Borgmann u. Rowold 2015: S. 189 f.). Darin wird davon ausgegangen, dass im Idealfall Mitarbeiter dann die höchste Leistungsbereitschaft zeigen, wenn ihnen die Bedeutung des eigenen Tuns sowie Begeisterung und Zuversicht vermittelt werden. Das Handeln der Führungskraft zielt stark auf die Schaffung von Zielen und Werten ab, die von Mitarbeitern übernommen werden. Dimensionen von Führung sind dabei die Vorbildfunktion, eine klare Zukunftsvision, individuelle Unterstützung, die Förderung von Gruppenzielen, intellektuelle Anregung, eine hohe Leistungserwartung und Belohnungen (vgl. Borgmann u. Rowold 2015: S. 191 f.). Zwar lässt sich argumentieren, dass in der transformationalen Führung sowohl Aspekte des Eigenschaftsansatzes als auch des Verhaltens- und des situativen Ansatzes ineinanderfließen, das charakteristische Merkmal dieses Konzepts aber liegt in der Bedeutung eines gemeinsamen Bewusstseins für die Ziele und Werte der Institution.
2.4. Führen mit Erfolg
Die Darstellung von Führungsmodellen in Kap. 2.3. hat bereits nahegelegt, dass Führung von vielfältigen Faktoren beeinflusst wird. Ebenso vielfältig wie die Einflussfaktoren auf Führung sind auch die Einflussfaktoren von Führung auf den Erfolg von Einrichtungen. Erfolg kann für die Universität bzw. für einzelne Fachbereiche vieles bedeuten. Er kann sich in messbaren Outputvariablen wie z.B. der Mitteleinwerbung und dem Publikationsaufkommen eines Fachbereichs zeigen. Daraus geht aber, wenn überhaupt, nur indirekt hervor, wie es z.B. um die Arbeitsmotivation oder Mitarbeiterzufriedenheit bestellt ist. Für solche weicheren Faktoren ließen sich aber zumindest Indikatoren wie z.B. Mitarbeiterfehlzeiten und -fluktuation finden. Schwieriger wird es dort, wo ein wesentliches Spezifikum wissenschaftlichen Arbeitens ins Spiel kommt, nämlich dass sie „relativ häufig ein kreativer Prozess [ist], der nicht unbedingt linear und zeitlich kalkulierbar abläuft“ (Nickel, Sigrun 2007: S.75). Dies führt zu dem gängigen Missverständnis, dass Führung in der Wissenschaft per se hinderlich, wenn nicht gar unmöglich ist. Daraus wiederum resultiert der bereits skizzierte Sachverhalt, dass Wissenschaftler ihre Führungsaufgaben nicht mit einem angemessenen Rollenverständnis oder Bewusstsein für die Tragweite ihrer Entscheidungen wahrnehmen. L. ist vor diesem Hintergrund davon „überzeugt, dass ein guter Forscher, der auch gleichzeitig eine gute Führungskraft ist, […] nicht seine Forschung einschränken muss“ (L. 2017: S. A-3). Vielmehr kann er durch erfolgreiches Führen auch in seiner Arbeit als Wissenschaftler „noch mehr bewirk[en], wenn es Absprachen gibt, wenn Konflikte reduziert werden“ (ebd.).
Die Argumentation von Blake und Mouton, nach der der größtmögliche Erfolg von Führung dann erreicht wird, wenn sowohl Mitarbeiter- als auch Sachzielorientierung maximiert werden (vgl. Lippold 2015: S. 36), kann für Universitäten aber dennoch nur mit Einschränkungen gelten. In welchem Verhältnis eine Leistungs- und Outputorientierung mit einer starken Mitarbeiterorientierung verknüpft werden sollte, ist in der Führungspraxis von Universitäten noch stärker als z.B. in Industrieunternehmen eine immer wiederkehrende Entscheidungsaufgabe. So argumentiert auch Lippold auf Grundlage des Drei-D-Modells, dass eine Führungsperson „die konkrete Führungssituation zu analysieren und daraufhin den geeigneten Führungsstil zu wählen“ (ebd.: S. 43) habe. Weiche und harte Faktoren müssen folglich gleichsam im Blickfeld der Führungskraft liegen und Führung muss der Situation und dem Kontext z.B. innerhalb eines Fachbereichs oder innerhalb eines Forschungsprojekts angepasst sein. Bei der Entwicklung der Führungsleitlinien an der JGU, so L., „war im Vorfeld […] schon klar, dass wir eher dem situativen Ansatz folgen“ (L.: S. A-7). L. konstatiert dazu weiter, dass es „den einen Führungsstil, der für alle Situationen funktioniert, einfach nicht gibt“ (ebd.). Dies korrespondiert auch mit dem Charakteristikum der unterschiedlichen Fachkulturen, das Pellert angesprochen hat (vgl. Pellert: S. 21f.). Dennoch ist es sinnvoll, auch gemäß dem Konzept der transformationalen Führung, eine gemeinsame Grundlage für Führung zu schaffen, die eine globale Gültigkeit über alle Fachbereiche hinweg hat. Dieser Aufgabe hat sich die JGU mit der Entwicklung von Führungsleitlinien gestellt.
3. Führungsleitlinien an der JGU
Im vorangegangenen Kapitel wurde bereits herausgestellt, wie wesentlich es für den Erfolg von Führung ist, dass Führungskräfte ihre Rolle auch bewusst wahrnehmen. Es sollte daher im Interesse einer Universität liegen, diese Bereitschaft zu steigern und die Durchsetzung der strategischen Ziele auf allen Ebenen in Einklang zu bringen. Die JGU hat dies erkannt und im Rahmen des Projekts „JGU-Leadership – Wandel gestalten“ Führungsleitlinien entwickelt. Das Projekt wurde auf der Grundlage einer Ausschreibung des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft initiiert und nach erfolgreicher Antragsstellung finanziell gefördert.
3.1. Planungsphase
Die Entwicklung von Führungsleitlinien ist ein Akt managerialen Handelns, der eine umfangreiche und detaillierte Planung erfordert. Planung kann dabei als „ein systematisches, zukunftsbezogenes Durchdenken und Festlegen von Zielen, Maßnahmen, Mitteln und Wegen zur künftigen Zielerreichung“ (Wild 1982, S. 13) verstanden werden. Horvath hat in Anlehnung an Wild „Planungsphasen“ (Horváth 2012, S. 148) unterschieden, die auch als schematische Blaupause auf die Gliederung des Planungsprozesses an der JGU anzuwenden sind. Er unterscheidet die „Gestaltung des Planungssystems (Metaplanung)“ von der „eigentlichen Planung“ (ebd.). Bei dem Planungsprozess für das Leadershipprojekt hat die Metaplanung zeitlich vor der Antragsstellung beim Stifterverband innerhalb eines kleinen Kreises von Angehörigen der Hochschulleitung stattgefunden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 Planungsprozess im Leadership-Projekt der JGU (Eigene Erstellung. Quelle: Interview mit Frau L., Anhang 1)
Die Planung nach der Förderzusage beinhaltet im Wesentlichen die von Wild benannten Sachverhalte der Klärung von Prämissen, der Zielsetzung, Ressourcen- und Rollenzuteilung, terminlichen Abstimmung und letztendlich eines Ergebnisses (vgl. Wild 1982, S. 49), das dem Senat vorgestellt wurde. Das Ergebnis der Planung ist nach Horváth dabei eine Festlegung auf bestimmte Aktionsparameter oder Planalternativen, die zur Umsetzung gebracht werden (Horváth 2012: S. 148). Da es Vorgaben vom Stifterverband gab, war die Freiheit bei der Auswahl der Planalternativen allerdings eingeschränkt.
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- Arbeit zitieren
- Markus Haack (Autor:in), 2017, Die Entwicklung von Führungsleitlinien für Universitäten am Beispiel der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/416906
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