Analyse der Bewegungsstruktur in James Camerons "Titanic"


Seminar Paper, 1999

25 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Dreh-, Kreis-, Strudelbewegung
2.1 Drehbewegung als Erinnerung
2.2 Die Drehung als Antrieb

3. Die Horizontalbewegung und die Inszenierung von Dynamik
3.1 Horizontalbewegung: Schiff und Libido

4. Drehen und Strudeln: Der Sog der Liebesbeziehung

5. Die Vertikalbewegung, der Abbruch von Dynamik und das Umschwenken ins Versinken
5.1 Entgleiten in die Vergangenheit

6. Bewegung im Raum der Semiose

(Zusammenfassung und Ausblick)

Anhang:

Literaturverzeichnis und Filmografie

1. Einleitung

Die Struktur der Bewegungsführung in James Camerons Titanic soll hier als Teil einer filmischen Strukturbildung untersucht werden, die Elemente von Form und Inhalt zu einem übergreifenden Themenkomplex vereinigt.

Ein solcher Ansatz leitet sich ab aus Hermann Kappelhoffs Artikel „Vom Bildlichen zum Sinnbildlichen: Ikonografische Leitmotivtechnik in dem Film Titanic von James Cameron“. Der dort etablierte filmanalytische Ansatz, die Vorstrukturierung von „Bewußtseinseinstellungen, affektive[n] Attitüden und subjektive[n] Welteinstellungen“[1] durch das kinematografische Bild in den Mittelpunkt der Filmuntersuchung zu stellen, betont die Bildlichkeit und die sich daraus ergebenden Strukturen gegenüber der „erzähltheoretisch“[2] orientierten Vorgehensweise.

Kappelhoff betont die Besonderheit des „Ineinandergreifens ikonischer und ikonografischer Elemente“[3] im Melodram: Er weist auf die Möglichkeit hin, daß hier nicht lediglich eine Handlung vorangetrieben werden soll, deren „Subtext einer verdrängten Subjektivität“[4] die symbolisch aufgeladenen (Sinn-)Bilder transportieren, sondern daß „die Übergänge zwischen dem Bildlichen und dem Sinnbildlichen [...] einer eigenen Beziehungslogik [...] gehorchen.“[5]. Er vergleicht diese Strukturen mit den Mustern musikalischer Strukturbildung. In diesem Zusammenhang können die Begriffe „Thema“ und „Leitmotiv“, die in der Musikwissenschaft schon etabliert sind, zur Begrifflichkeit der Filmanalyse hinzukommen.

Das Thema ist in der Musik ein „Gebilde, das in einem Werk als in sich geschlossener musikalischer Gedanke wirkt. [...] [Es] wird erst durch öftere Wiederholung während des Verlaufs eingeprägt. Es kann in Motive zerlegbar sein.“[6] Beim Leitmotiv handelt es sich um eine „oft wiederkehrende Tonfolge, die in einem Tonstück durch ihr erstes Auftreten in Verbindung mit einer Gestalt, einem Vorgang, einer Naturstimmung oder einer Gefühlsäußerung eine bestimmte Bedeutung erhält und bei ihrer Wiederkehr die Erinnerung daran auslöst.“[7] Bezogen auf die Filmanalyse sollen diese Begriffe für visuelle Vorgänge eingesetzt werden, die Komposition des Bildlichen steht dabei im Vordergrund.

Im folgenden soll nun ein Aspekt des Bildlichen, nämlich die Bewegungsführung, besonders untersucht und durch die Focussierung auf bestimmte Teile des filmischen Materials unterstützt werden. Dabei wird intensiv auf Beispiele aus dem untersuchten Film Bezug genommen, da der Schwerpunkt der Analyse die Entdeckung von Strukturen im Film sein soll, die vorwiegend „aus dem Film heraus“ erarbeitet werden. So werden über eine genaue Beschreibung einzelner Teile des filmischen Textes Verbindungen zwischen den verschiedenen Elementen hergestellt. Die Auswertung dieser Beobachtungen wird auf Grundlage des Artikels von Kappelhoff und der im Seminar „Einführung in die Filmanalyse“ (im WS 1998/99 am Institut für Theaterwissenschaft der FU-Berlin) erarbeiteten Analyseergebnisse zu James Camerons Titanic erfolgen. Dort entdeckte Themen und Motive werden hier berücksichtigt.

Um eine sinnstiftende Paraphrasierung der Bewegungen in James Camerons Titanic leisten zu können, ist zunächst die Frage von Bedeutung, welche Arten von Bewegung den Film strukturieren, verknüpft mit der Untersuchung der verschiedenen Ebenen, auf denen diese Bewegungen stattfinden. Dabei werden die Musik im Film sowie der größte Teil der Tonebene ausgeklammert, da eine Strukturbildung im visuellen Bereich untersucht werden soll, die vielleicht Ähnlichkeiten mit der musikalischen aufweist, aber eben gerade davon abgesetzt behandelt werden soll.

2. Die Dreh-, Kreis-, Strudelbewegung

Betrachtet man James Camerons Titanic unter dem Gesichtspunkt der Bewegungsführung, so werden auf allen Ebenen filmischer Strukturbildung drei Grundschemata deutlich, die sich als Dreh- (bzw. Kreis- oder Strudel-) Bewegung, Horizontalbewegung und Vertikalbewegung, der ein Abbruch der Horizontalbewegung vorausgeht, beschreiben lassen.

Die Drehbewegung wird zunächst in der zirkulären Struktur des Filmes deutlich. Der ganze Film ist durchzogen von einer Struktur der Wiederholungen und seriellen Verknüpfungen. Am deutlichsten wird dies im dramaturgischen Modell, das nicht auf eine symmetrisch ansteigende und wieder abflachende Spannungskurve gebracht werden kann, sondern ein System aus Wiederholungen, Rückbezügen und ständig neuen Höhepunkten bildet.[8]

Auf der Ebene des dramaturgischen Aufbaus sind Wiederholungen bestimmter Handlungen zu finden. So wird z.B. die Abfahrt der Titanic zweimal gezeigt: Die erste Abfahrtssequenz eröffnet den Film. In „pseudo-dokumentarischen“[9] Aufnahmen, die in ihrer Sepia-Einfärbung authentischem Filmmaterial aus der Zeit um die Jahrhundertwende ähneln, werden das Schiff, Menschen, die am Kai zum Abschied winken, die Menge auf den Schiffdecks und einzelne Passagiere gezeigt; unter den Zurückbleibenden an Land ist auch ein Kameramann.

Circa 25 Minuten später im Film ist die Abfahrt noch einmal zu sehen, diesmal im Bildmodus von Roses Erinnerung. Dies ist die „zweite Ebene der Erzählung“[10], die erste ist durch die Gegenwart der Personen auf dem Forschungsschiff bezeichnet. Die Subjektivität dieser zweiten Erzählebene als erinnertes Bild wird jedoch ersetzt durch „die Inszenierung im klassischen Erzählmodus objektiver Bilder eines fiktiven Geschehens“[11]

Die Ähnlichkeiten zwischen beiden Abfahrtssequenzen sind leicht auszumachen: Nahezu identische Perspektiven, Objekte und Handlungen werden präsentiert. Die Unterschiede sind im Detail zu finden: Die Reihenfolge der Einstellungen ist verändert, in der Wiederholung ist einiges hinzugefügt.

So beginnen die „Dokumentar“-Aufnahmen mit einer Fahrt um den Schiffsbug, zeigen dann den Kameramann am Kai, die Decks mit winkenden Menschen und schließlich das Mädchen mit dem Hut. In den Aufnahmen, die Roses Erinnerung zugeordnet werden können, sieht man zuerst das Mädchen mit dem Strohhut, allerdings spiegelverkehrt im Vergleich zu der ersten Aufnahme, dann das Schiff. Dem folgt eine Aufnahme der Schiffsschrauben, die anfangen, sich zu drehen. Dafür gibt es in der Anfangssequenz keine Entsprechung. (Vielleicht hängt dies damit zusammen, daß erst hier, nach 25 Filmminuten die Titanic in Fahrt gebracht wird, nämlich in der Erzählung der alten Rose.) Danach werden der Kameramann und schließlich die zwei Decks mit den Winkenden gezeigt.

2.1 Drehbewegung als Erinnerung

Bis zu der Stelle im Film, an der diese erste Wiederholung auf Ebene der dramatischen Struktur erfolgt, reicht somit die erste Zirkulation: Von den „Dokumentar“-Aufnahmen über das Wrack der Titanic, das Forschungsschiff, auf dem Rose sich einfindet, kehrt man zurück zur Abfahrt der Titanic in Roses Erinnerung. Die Titanic ist damit im Verlauf des Films in den „pseudo-dokumentarischen“[12] Aufnahmen schon einmal gestartet, hat den Punkt auf dem Meeresboden erreicht, wo sie als Wrack liegt; dorthin bewegt sich die Handlung mit den Aufnahmen der Tauchfahrt zum echten Wrack, von dort taucht sie wieder auf an den Punkt 4000 Meter höher an der Meeresoberfläche, führt ihre Protagonisten hier zusammen und wird dann in der erzählten Erinnerung der alten Rose wieder von neuem in Gang gebracht. „Mit dem Forschungsschiff ist auf diese Weise nicht nur eine Rahmenhandlung lokalisiert, sondern ein Ort bezeichnet, an dem die verschiedenen Zeitschichten aufeinander bezogen sind.“[13] „Man erkennt in dieser räumlichen Anordnung unschwer den Vorgang des Erinnerns selbst beschrieben. Rose kehrt zurück an den Ort des Geschehens.“[14]

Die Erinnerung ist hier eine Rückkehr in die Zeit und an den Ort, von dem aus man gestartet ist. Hier schließt sich der Kreis. Aber der Ort und die Rückkehrende haben sich verändert. Rose ist nun die Hundertjährge, die von ihren Erlebnisse in ferner Vergangenheit berichtet, die Titanic liegt seit Jahrzehnten auf dem Grund des Meeres und die Erinnerung – die genannte zweite Erzählebene – weist nicht nur im Inhalt der Bilder, sondern auch in Montagerhythmus und Art der Schnitte (Überblendungen am Anfang, harte Schnitte in der Erinnerung), in der Farbigkeit der Bilder und in der Geschwindigkeit (Zeitlupe in der Anfangssequenz) Differenzen auf. Der Modus der Erinnerung ist also keine genaue Wiederholung des schon Gezeigten, es bestehen Ähnlichkeiten, Rückbezüge werden hergestellt, Verweise gegeben.So wird z.B. in beiden Fällen mit den Bildern, in denen der Kameramann auftaucht, auf eine weitere Bildebene verwiesen.[15] Diese „Rückblende“, in der zwar Inhaltliches wiederholt wird, aber die Bilder differieren und damit die Objektivität in Frage stellen, fügt sich in eine Zirkulation, deren Ausgangs- und Endpunkt gleich ist.

Im weiteren Verlauf der Analyse von Titanic werden weitere Elemente der Zirkulation hinzukommen, so daß am Ende vielleicht ein für den Film spezielles Muster erkennbar wird, in das sich diese Aspekte einbinden lassen.

[...]


[1] Kappelhoff, 1998, S.1

[2] ebd.

[3] ebd., S.2

[4] ebd.

[5] ebd.

[6] dtv-Lexikon, 1997, Bd.18, S.169

[7] dtv-Lexikon, Bd. 10, S.332

[8] Vgl. Kappelhoff, 1998, S.4

[9] ebd., S.7

[10] ebd., S.6.

[11] ebd.

[12] ebd., S.7

[13] ebd.

[14] ebd., S.8

[15] Kappelhoff hat diese Vielschichtigkeit der Bilder und Zeitebenen im Begriff der „parabolischen Spiegelung“ gefaßt. (Kappelhoff, 1998, S.9)

Excerpt out of 25 pages

Details

Title
Analyse der Bewegungsstruktur in James Camerons "Titanic"
College
Free University of Berlin  (Seminar für Filmwissenschaft am Inst. f. Theaterwiss.)
Course
Einführung in die Filmanalyse
Grade
1,0
Author
Year
1999
Pages
25
Catalog Number
V4154
ISBN (eBook)
9783638125789
ISBN (Book)
9783638638470
File size
540 KB
Language
German
Keywords
Strukturalistische Filmanalyse, Formalismus
Quote paper
M.A. Sibylle Meder Kindler (Author), 1999, Analyse der Bewegungsstruktur in James Camerons "Titanic", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/4154

Comments

  • No comments yet.
Look inside the ebook
Title: Analyse der Bewegungsstruktur in James Camerons "Titanic"



Upload papers

Your term paper / thesis:

- Publication as eBook and book
- High royalties for the sales
- Completely free - with ISBN
- It only takes five minutes
- Every paper finds readers

Publish now - it's free