Einleitung
Nach Stahl entwarf Rilke dieses Gedicht Anfang 1904 in Rom und stellte es im Herbst 1904 fertig. Im Erstdruck (1905) erschien es zunächst in Prosaform, und Rilke brachte es vermutlich erst 1907, als es im Zusammenhang mit den ,,Neuen Gedichten" herausgegeben wurde, in die uns vorliegende Strophenform.1 Auf seiner Reise nach Rom im September 1903 hielt sich Rilke auch in Florenz auf, und dort befindet sich das Original des berühmten Botticelli- Bildes mit dem gleichnamigen Titel ,,Die Geburt der Venus" (siehe Abb. 1) in den Uffizien.2 Als Kunstliebhaber hatte Rilke dieses besichtigt und wurde dadurch vermutlich zu dem Gedicht angeregt.
Rilke kannte selbstverständlich auch den mythologischen Hintergrund des Bildes aus dem Sagenkreis der griechischen Götter. Es gibt ,,zwei verschiedene Überlieferungen. Die erste [...] erzählt, daß sie [Aphrodite= Venus, die Verf.] die Tochter von Zeus und Dione war. Die andere berichtet, daß sie aus dem Samen des Gottes Uranos hervorging, als Kronos seinem Vater das Geschlechtsorgan abgeschnitten hatte, das ins Meer fiel."3 Sowohl die Darstellung Botticellis, als auch das dadurch angeregte Gedicht Rilkes stützen sich eher auf die zweite Überlieferung. Jede der Bearbeitungen bezieht noch andere Aspekte ein, beispielweise beschreibt Rilke keine Muschel, auf der die Göttin an Land getrieben wird, dafür geht er am Ende auf einen Delphin ein, welcher auf Botticellis Bild nicht zu finden ist. So zeigt sich, dass Rilke durch Botticelli zwar angeregt wurde, aber ,,sich mehr auf den Mythos stützte."4
In dieser Arbeit soll jedoch kein Vergleich von Bild und Gedicht stattfinden.
[...]
Inhaltsverzeichnis
Rainer Maria Rilke
Geburt der Venus
„Geburt der Venus“
1. Einleitung
2. Formale Analyse
2. 1. Versgestalt
2. 2. Satzgestaltung und Sprache
2. 3. Bildsprache und Wortwahl
2. 4. Lautmalerei
2. 5. Zusammenfassung „Formale Analyse“
3. Inhaltliche Analyse
3. 1. Inhalt und Grobstruktur
Analyse der Teilbereiche
3. 2. Erste Strophe
3. 3. Mittelteil (Strophen zwei bis acht)
3. 3. 1. Licht (Strophen zwei bis vier)
3. 3. 2. Bewegung (Strophen fünf bis acht)
3. 4. Einzeiler und Schlussstrophen
3. 5. Vergleich „Inhaltliche Analyse“ und „Formale Analyse“
4. Resümee
Bibliographie
Abbildungen
GEBURT DER VENUS[1]
An diesem Morgen nach der Nacht, die bang
vergangen war mit Rufen, Unruh, Aufruhr, -
brach alles Meer noch einmal auf und schrie.
Und als der Schrei sich langsam wieder schloß
und von der Himmel blassem Tag und Anfang
herabfiel in der stummen Fische Abgrund -:
gebar das Meer.
Von erster Sonne schimmerte der Haarschaum
der weiten Wogenscham, an deren Rand
das Mädchen aufstand, weiß, verwirrt und feucht.
So wie ein junges grünes Blatt sich rührt,
sich reckt und Eingerolltes langsam aufschlägt,
entfaltete ihr Leib sich in die Kühle
hinein und in den unberührten Frühwind.
Wie Monde stiegen klar die Kniee auf
und tauchten in der Schenkel Wolkenränder;
der Waden schmaler Schatten wich zurück,
die Füße spannten sich und wurden licht,
und die Gelenke lebten wie die Kehlen
von Trinkenden.
Und in dem Kelch des Beckens lag der Leib
wie eine junge Frucht in eines Kindes Hand.
In seines Nabels engem Becher war
das ganze Dunkel dieses hellen Lebens.
Darunter hob sich licht die kleine Welle
und floß beständig über nach den Lenden,
wo dann und wann ein stilles Rieseln war.
Durchschienen aber und noch ohne Schatten,
wie ein Bestand von Birken im April,
warm, leer, und unverborgen, lag die Scham.
Jetzt stand der Schultern rege Waage schon
im Gleichgewichte auf dem graden Körper,
der aus dem Becken wie ein Springbrunn aufstieg
und zögernd in den langen Armen abfiel
und rascher in dem vollem Fall des Haars.
Dann ging sehr langsam das Gesicht vorbei:
aus dem verkürzten Dunkel seiner Neigung
in klares, waagrechtes Erhobensein.
Und hinter ihm verschloß sich steil das Kinn.
Jetzt, da der Hals gestreckt war wie ein Strahl
und wie ein Blumenstiel, darin der Saft steigt,
streckten sich auch die Arme aus wie Hälse
von Schwänen, wenn sie nach dem Ufer suchen.
Dann kam in dieses Leibes dunkle Frühe
wie Morgenwind der erste Atemzug.
Im zartesten Geäst der Aderbäume
entstand ein Flüstern, und das Blut begann
zu rauschen über seinen tiefen Stellen.
Und dieser Wind wuchs an: nun warf er sich
mit allem Atem in die neuen Brüste
und füllte sie und drückte sich in sie, -
daß sie wie Segel, von Ferne voll,
das leichte Mädchen nach dem Strande drängten.
So landete die Göttin.
Hinter ihr,
die rasch dahinschritt durch die jungen Ufer,
erhoben sich den ganzen Vormittag
die Blumen und die Halme, warm, verwirrt,
wie aus Umarmung. Und sie ging und lief.
Am Mittag aber, in der schwersten Stunde,
hob sich das Meer noch einmal auf und warf
einen Delphin an jene selbe Stelle.
Tot, rot und offen.
1. Einleitung
Nach Stahl entwarf Rilke dieses Gedicht Anfang 1904 in Rom und stellte es im Herbst 1904 fertig. Im Erstdruck (1905) erschien es zunächst in Prosaform, und Rilke brachte es vermutlich erst 1907, als es im Zusammenhang mit den „Neuen Gedichten“ herausgegeben wurde, in die uns vorliegende Strophenform.[2] Auf seiner Reise nach Rom im September 1903 hielt sich Rilke auch in Florenz auf, und dort befindet sich das Original des berühmten Botticelli- Bildes mit dem gleichnamigen Titel „Die Geburt der Venus“ (siehe Abb. 1) in den Uffizien.[3] Als Kunstliebhaber hatte Rilke dieses besichtigt und wurde dadurch vermutlich zu dem Gedicht angeregt.
Rilke kannte selbstverständlich auch den mythologischen Hintergrund des Bildes aus dem Sagenkreis der griechischen Götter. Es gibt „zwei verschiedene Überlieferungen. Die erste [...] erzählt, daß sie [Aphrodite= Venus, die Verf.] die Tochter von Zeus und Dione war. Die andere berichtet, daß sie aus dem Samen des Gottes Uranos hervorging, als Kronos seinem Vater das Geschlechtsorgan abgeschnitten hatte, das ins Meer fiel.“[4] Sowohl die Darstellung Botticellis, als auch das dadurch angeregte Gedicht Rilkes stützen sich eher auf die zweite Überlieferung. Jede der Bearbeitungen bezieht noch andere Aspekte ein, beispielweise beschreibt Rilke keine Muschel, auf der die Göttin an Land getrieben wird, dafür geht er am Ende auf einen Delphin ein, welcher auf Botticellis Bild nicht zu finden ist. So zeigt sich, dass Rilke durch Botticelli zwar angeregt wurde, aber „sich mehr auf den Mythos stützte.“[5]
In dieser Arbeit soll jedoch kein Vergleich von Bild und Gedicht stattfinden.
2. Formale Analyse
2. 1. Versgestalt
Das 63- zeilige Gedicht ist in elf Strophen unterteilt. Der Einzeiler (54) fällt aus den sonst mehrversigen Strophen heraus und bekommt so optisch eine Sonderstellung. Das Metrum ist ein fünfhebiger Jambus, der nur an wenigen Stellen etwas unregelmäßig wird (16). Weibliche und männliche Kadenzen kommen zwar etwa gleich oft vor, allerdings folgen sie keinem erkennbaren Schema. Das hängt aber auch stark damit zusammen, dass es keine Reime gibt. Das Gedicht lebt von einer Spannung, die darin besteht, dass die Form einerseits streng geordnet ist (Metrum), und andererseits ein wichtiges Strukturmerkmal von Gedichten, nämlich den Reim, außen vor lässt. Dies muss wohl daher rühren, dass das Gedicht ursprünglich in Prosa veröffentlicht und erst später in Gedichtform gebracht wurde.
2. 2. Satzgestaltung und Sprache
Daher finden sich auch viele Enjambements, die an manchen Stellen so gewählt sind, dass bestimmte Teile eines Satzes als Gegensatzpaar besonders hervorgehoben werden (z. B. „aufstieg“ 33 Û „abfiel“ 34 oder „Neigung“ 37 Û „Erhobensein“ 38). Die Satzstruktur weist zwar keine hypotaktischen Merkmale auf, bevorzugt aber dennoch lange Sätze. Allerdings weichen ein paar Verse davon ab, dies wären der oben schon erwähnte Einzeiler (54) und die jeweils letzten Verse der Strophen eins, zehn und elf. Diese sind geprägt von besonderer Kürze und schlichtem Aufbau. Dadurch werden diese Kurz- Verse besonders betont und es ist zu erwarten, dass sie auch inhaltlich für das Gedicht eine besondere Stellung einnehmen. Die Sprache ist zwar schlicht, aber dennoch elaboriert. Dazu tragen besonders die Bilder bei, von denen das Gedicht vor allem lebt.
[...]
[1] Rilke, Rainer Maria: Sämtliche Werke. Gedichte 1. Teil. Herausgegeben von Ernst Zinn. Frankfurt am Main 1962.
[2] Stahl, August: Rilke- Kommentar zum lyrischen Werk. Unter Mitarbeit von Werner Jost und Reiner Marx. München 1978. S. 196.
[3] Berendt, Hans: Rainer Maria Rilkes Neue Gedichte. Versuch einer Deutung. Bonn 1957. S. 188.
[4] Souli, Sofia: Griechische Mythologie. Athen 1995. S.42.
[5] Bradley, Brigitte L.: R. M. Rilkes Neue Gedichte. Ihr zyklisches Gefüge. Bern 1967. S. 162.
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