Ein stichpunktartig formuliertes Protokoll zum Thema "Die Bedeutung der Kinder- und Jugendliteratur für die Geschichte von Kindheit und Jugend. Überschneidungen zwischen (historischer) Pädagogik und Kinder- und Jugendforschung"
Einleitung
- Einst Kinder- und Jugendliteratur-Forschung in Erziehungswissenschaften (z.B. Horst Schaller/ Göttingen)
- Ab den 1960er Jahren vor allem Germanisten und Deutschdidaktiker
- Kinder- und Jugendliteratur-Forschung heute Fachbereich der Neueren Philologie
- Pädagogik kann Kinder- und Jugendliteratur angeblich nicht als Literatur, sondern nur als pädagogisches Mittel sehen; spielt keine nennenswerte Rolle mehr
- Moderne Kinder- und Jugendliteratur den meisten Pädagogik-Professoren nicht bekannt
- Innerhalb der Pädagogik Wiederentdeckung der Literatur, aber nicht der Kinder- und Jugendliteratur
- Kinder- und Jugendliteratur nimmt großen Platz im Alltag von Kindern ein („heimlicher Erzieher“)
➔ Muss von mehr Disziplinen erforscht werden (mit interdisziplinärer Kooperation)
Teil 1: Aspekte der Kinder- und Jugendliteratur als Gegenstand der Pädagogik-Forschung
- Kinder- und Jugendliteratur erzählt von Verhaltensstandards (in der Schule etc.)
➔ Teildisziplin der Erziehungswissenschaften
➔ Erziehungsstandards
- Literaturwissenschaft vs. Erziehungswissenschaft:
- Literaturwissenschaft geht von Kinder- und Jugendliteratur aus und fragt z.B. nach religiöser Erziehung
-Erziehungswissenschaften gehen von der Religion aus und fragen nach der Rolle der Kinder- und Jugendliteratur
- Kinder- und Jugendliteratur ist nicht nur bei ausdrücklicher pädagogischer Absicht von Bedeutung (Wissensvermittlung), sondern auch Teil des Prozesses der Wissensvermittlung durch Eltern oder Wissensaufnahme durch Kinder
- Kinder können mit Kinder- und Jugendliteratur nicht nur Stoff, sondern auch Lernen lernen
➔ Anleitung für eigene pädagogische Handlung (Wissen, Moral)
- Kinder- und Jugendliteratur soll von Lehrern und Erziehern als Beispiel für Lernsituation gelesen werden
- Kinder- und Jugendliteratur liefert Bilder von Kindheit und Jugend (Schule, Freunde, erste Liebe, Urlaub)
- Grundannahme der neueren Geschichtsschreibung der Kinder- und Jugendliteratur (seit den 1980er Jahren):
- Veränderung von Kinder- und Jugendliteratur folgt Veränderung der Kindheit nach
- Veränderung nachträglich theoretisch erfasst (z.B. Rainer Wild: Dokumentarfunktion der Literatur)
- Heutige Auffassung:
- Kinder- und Jugendliteratur-Konzepte spiegeln nicht immer reale, bereits eingetretene Zustände wider (z.B. Locke, Rousseau: Wirklichkeit vorausgeeilt, vorauseilende Entwürfe, utopischer Charakter)
- gilt für Kinder- und Jugendliteratur des späten 18. Jahrhunderts (vor allem England, auch Deutschland) und des frühen 19. Jahrhunderts
➔ Bedeutung (bisher unbeachtet) für sozialwissenschaftliche Ausrichtung der Kinder- und Jugendliteratur-Forschung
Teil 2: Historisches
- Ideale Entwürfe und Zukunftsmodelle in der Literatur
- Kinder- und Jugendliteratur im Einklang mit der Erwachsenenliteratur, „visionär vorauseilende“ Arbeit an der Revolution des Familienlebens (Veränderung der Vaterrolle zentral, freundliches Familienmitglied statt autoritäres Oberhaupt)
- Revolutionär:
- Kindeswohl im Mittelpunkt des Familienlebens
- Kinder haben Rechte
-Kinder sind so gleichberechtigt wie möglich
➔ Neuer Umgang mit Kindern, neue Unterrichtsformen
- Christian Felix Weiße, Zeitschrift „Der Kinderfreund“:
- Vorführung von modernem Familienleben
- utopisch
- kein Abbild des tatsächlichen Familienlebens
- Aufklärung stellt Durchsetzung als einfach dar
- Kinder- und Jugendliteratur weist rückwärts in vermeintlich „rosige“ Vergangenheit
- Johann Gottfried Herder: Lebensalter der Kindheit sperre sich grundsätzlich gegen Modernisierung
- Naturverhältnis des modernen Menschen:
- primär ästhetische, emotionale, sentimentale Wahrnehmung
- setzt sich von modernen Naturwissenschaften ab
- Kinder- und Jugendliteratur nach der Aufklärung möchte männliche Kinder zu berechnenden Naturwissenschaftlern ausbilden
- Aber: „Mainstream“ im frühen 19. Jahrhundert:
- z.B. Matthias Claudius (Der Mond ist aufgegangen)
- Bedeutung von Naturdichtung
- Haus- und Familienbücher prägten Familienleben im 19. Jahrhundert tief
- Säkularisierungsprozess durch Literatur tief im städtischen Familienleben verankert (Leben nach Jahreszeiten statt nach religiösen Festen)
- Zentrale Alltagskultur Projekt der Moderne, großer Anteil der Kinder- und Jugendliteratur
- Mythisch-animistische Naturerfassung Kindern nahegelegt
- Moderne Kinder- und Jugendliteratur kreiert neue Spielwelt, Rollenspiele entstammen häufig Kinder- und Jugendliteratur, z.B. Pippi Langstrumpf
- Kindliche Helden in Kinder- und Jugendliteratur, die selbst Kinderliteratur nachspielen
Teil 3: Theoretische Überlegungen
- Meist konkrete erzieherische Ziele
- religiöse Normen
- gesellschaftliche Normen
- Oft nicht bewusste Wirkung: Verankerung neuer sozio-kultureller Muster
- Produzenten von Kinder- und Jugendliteratur Mitverursacher gesellschaftlichen und kulturellen Wandels (meist unbewusst)
- Meist Rückgriff auf thorethische (z.B. theologische) Abhandlungen mit geringer Reichweite (kleiner Expertenkreis)
➔ Kinder- und Jugendliteratur überlegen, Kommunikationsmedium neuer Entwürfe
➔ Umsetzung in konkreten Lebensverhältnissen, sozialer Wandel auf alltagskultureller Ebene
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- Verena Binder (Author), 2017, Die Bedeutung der Kinder- und Jugendliteratur für die Geschichte von Kindheit und Jugend, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/414142