Im Gegensatz zu den meisten Schriftstellern ermöglicht uns Kafka nicht nur einen Blick auf die Gedanken und Handlungen seiner Hauptperson, sondern auch, durch seine besondere Erzählweise, Einblicke in ihr Unterbewusstsein. Der Leser wird konfrontiert mit tiefsitzenden Trieben, Gefühlen und Ängsten. Dies eröffnet die Möglichkeit, Kafkas Figuren nicht nur soziologisch zu interpretieren, wie es beispielsweise Adorno getan hat, sondern auch psychologisch. Dies ist besonders dann relevant für das Textverständnis, wenn der entsprechende Text aus der personalen Perspektive der Hauptfigur erzählt wird, wie dies beim ‚Proceß‘ der Fall ist. Um die Vorgänge in dem Roman zu verstehen, ist es unerlässlich, den Protagonisten Josef K. zu verstehen. Ohne die Einsicht in seine Psyche ist eine kritische Sicht auf die eingeschränkte Erzählperspektive, die häufig als ‚einsinniges Erzählen‘ bezeichnet wird, nicht möglich.
Auf der Suche nach dem ‚Bauplan‘ für K. wird man zunächst mit seiner stetigen Verdrängung des Gerichtsverfahrens konfrontiert. Er entzieht sich der aktiven Beschäftigung mit seinem Fall und streitet den Gedanken an Schuld sofort ab. Versucht man, ein ursächliches Muster für diese Reaktion auf seine Anklage zu finden, stößt man schließlich auf drei große Kräfte; verborgene Mechanismen, die in K.s Innerem walten. Sie lenken ihn in nahezu all seinen Handlungen, ohne dass sich K. dieser Einflüsse bewusst ist (zumindest bis auf wenige Ausnahmen).
In dem Roman ‚Spieltrieb‘ von Juli Zeh (2006) begegnen dem Leser die gleichen drei Kräfte. ‚Feigheit, Dummheit, Eigennutz‘ nennt Zeh das Prinzip, das alle beherrscht – nicht nur die Figuren in ihrem Roman, sondern gleichsam alle Menschen zu jedem Zeitalter. Hier lässt sich nun wieder an den ‚Proceß‘ anknüpfen, an Josef K., der letztlich an sich selbst scheitert und seiner Unfähigkeit, sich zu verändern. Die drei Begriffe von Zeh erschließen K.s Verhalten und geben den Gründen für sein Scheitern Namen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Feigheit, Dummheit, Eigennutz
- Feigheit
- Dummheit
- Eigennutz
- Conclusio
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert das Verhalten der Hauptfigur Josef K. im Roman „Der Prozess“ von Franz Kafka und untersucht, wie die Kräfte „Feigheit, Dummheit, Eigennutz“ seine Handlungen und sein Scheitern prägen. Sie strebt nach einem tieferen Verständnis von K.s Psyche und wie seine inneren Konflikte die Interpretation des Romans beeinflussen.
- Josef K.s Feigheit und Passivität im Angesicht seines Prozesses
- Die Auswirkungen von Dummheit und Naivität auf K.s Entscheidungen
- K.s Egoismus und sein Streben nach persönlichem Vorteil
- Die Rolle des Unterbewusstseins in Kafkas Roman und die psychologische Interpretation von K.s Verhalten
- Der Einfluss von Kafkas Erzählweise auf das Verständnis von K.s Psyche
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Diese Einleitung präsentiert eine psychologische Perspektive auf Kafkas Werk und argumentiert, dass das Verständnis von Josef K.s Psyche entscheidend für eine kritische Analyse des Romans ist. Sie verweist auf Kafkas einzigartige Erzählweise, die Einblicke in das Unterbewusstsein der Figur gewährt, und betont die Relevanz einer psychologischen Interpretation, um K.s Verhalten im "Prozess" zu entschlüsseln.
- Feigheit, Dummheit, Eigennutz: Dieses Kapitel führt die drei zentralen Kräfte ein, die Josef K.s Verhalten im Roman bestimmen. Es stellt die Behauptung auf, dass diese Kräfte in K.s Innerem wirken, ohne dass er sich ihrer vollständig bewusst ist. Die Arbeit verweist auf Juli Zehs Roman "Spieltrieb" als Vergleich, der die gleiche „heilige Dreifaltigkeit“ in einer zeitgenössischen Perspektive betrachtet.
- Feigheit: Dieses Kapitel konzentriert sich auf die Rolle der Feigheit als dominierende Kraft in Josef K.s Verhalten. Es beschreibt K.s Passivität und seine Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen, Konflikte anzugehen und aktiv am Prozess teilzunehmen. Darüber hinaus analysiert es K.s Tendenz, Schuld zu rechtfertigen und sie auf andere zu übertragen, und zeigt, wie dies seine Bewusstwerdung seiner eigenen Schuld verhindert.
Schlüsselwörter
Die zentralen Schlüsselwörter dieser Arbeit sind: Franz Kafka, Der Prozess, Josef K., Feigheit, Dummheit, Eigennutz, Passivität, Schuld, Unterbewusstsein, Psychologische Interpretation, Erzählweise.
- Citar trabajo
- Lisa Maria Koßmann (Autor), 2011, Feigheit, Dummheit, Eigennutz. Zu Josef K.s Verhalten im "Proceß" von Kafka, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/412093