Betrachtet man die Menschen um sich herum, begegnet man einer Vielzahl unterschiedlicher Personen. Diese ordnet man in den meisten Fällen in kürzester Zeit ein und entscheidet ob man diese Person als weiblich oder männlich bezeichnet. Doch woran liegt das? Vor allem im Bereich der Kleidermode, dessen Begrifflichkeit im Laufe dieser Arbeit erläutert und mit dem Begriff der Mode verglichen wird, herrschen oftmals starre Ordnungen was welches Geschlecht zu tragen hat.
In unserer Gesellschaftlich existieren Kleidercodes, die die Zugehörigkeit zu einem der Geschlechter, Mann und Frau, signalisieren. Dabei entscheiden Kleinigkeiten ob wir diese Person als weiblich oder männlich sehen. Der Unterschied kann dabei im Schnitt eines T-Shirts, in der weite oder enge einer Hose oder sogar in der Farbe eines Kleidungsstückes liegen. Dabei greifen Stereotype, die in der Gesellschaft vorhanden sind, die festlegen was als weibliche oder männliche Kleidungsstücke angesehen wird. So werden Kleid und Rock als typisch weiblich bezeichnet, weite Jeans und locker geschnittenes T-Shirt gelten als männliche Kleidungsattribute. Warum steht außerdem hellblau für Jungs und rosa für Mädchen?
Diese Annahmen und Stereotype haben sich seit Ende des 20. Jahrhunderts verändert, denn es entstehen immer wieder neue Regeln und neue Kleidercodes. So werden über die Kleidung inszenierte Körper- und Geschlechtsbilder immer weiter verschoben und die Individualität eines Menschen rückt weiter in den Vordergrund. So brechen auch die traditionellen Geschlechterrollen auf und sorgen für massive Umbrüche in der Gesellschaft und ebenso in der Mode und innerhalb der Marketingaktivitäten von Unternehmen in der Bekleidungsbranche. Die Frage nach der Identität eines Menschen lässt sich heute nicht mehr durch seine sekundären Geschlechtsmarkmale beantworten. Geschlecht lässt sich nicht mehr als rein binäres System beschreiben und die Heteronormativität rückt zunehmend in den Hintergrund. Das einleitende Zitat von Jean-Jaques Rousseau verdeutlicht, dass die Grenzen der Dichotomie verschwimmen und immer mehr Menschen mit ihrer Identität spielen und diese bewusst auch durch ihre Kleidung zum Ausdruck bringen. Geschlecht ist scheinbar keine festgelegte Kategorie mehr, sondern wird immer mehr zum individuell wähl- und gestaltbaren Merkmal der eigenen Identität.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Begriffsbestimmungen
2.1 Megatrend
2.2 Gender Shift
2.3 Gender
2.4 Mode – Ein Definitionsversuch
2.5 Mode und Kleidung – Eine begriffliche Erklärung
2.6 Mode in der Bekleidung – oder auch Kleidermode
2.6.1 Kleidung – die allgemeine Gültigkeit
2.6.2 Schutzfunktion
2.6.3 Schamfunktion
2.6.4 Schmuckfunktion
2.7 Botschaften von Kleidermode
3 Kleidung als geschlechtliche Kennzeichnung
3.1 Gender Shift - die Rollenneuverteilung in der Modewelt
3.2 Mode und Geschlecht
4 Gender Identitäten
4.1 Identität
4.2 Sexuelle Identität
4.3 Macht Identität Mode oder macht Mode Identität?
5 Geschlechterrollen und deren Stereotype
5.1 Die Kontroverse um die Geschlechterrollen - Heteronormativität
5.2 Geschlechtsstereotype – Typisch Mann, typisch Frau
5.2.1 Rosa und Blau – Kleidung verschiebt die Geschlechtergrenzen
6 Queer Studies - Individuen jenseits des binären System
6.1 Transvestitismus
6.2 Metrosexualität
6.3 Intersexualität
6.4 Transsexualität
6.5 Transgender
6.5.1 Androgynie
6.6 Die Vielfalt der Transgender Models
7 Die Inszenierung des Gender in der Werbung
7.1 Mode spielt keine Rolle mehr – Unisex und Androgynie auf dem Vormarsch
7.2 Definition Marketing und Werbung
7.3 Werbekampagnen
7.3.1 Hema Lingerie-Kampagne
7.3.2 & Other Stories ‚Athleisure‘ Kampagne
7.3.3 Givenchy Herbst/Winter Kampagne 2010 /
7.3.4 Selfridges Concept Store Kampagne ‚Agender‘
7.4 Kollektionen
7.4.1 Zara ‚Ungendered‘ Kollektion
7.4.2 Rad Hourani ‚Transclassic‘ Kollektion
7.4.3 Sarah Effenberger ‚Fomme‘ Kollektion
7.4.4 ‚Baal‘ Kollektion
8 Gender und Marketing
8.1 Diversity-Management
8.2 Charta der Vielfalt
8.3 Diversity-Marketing
9 Fazit
10 Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Maslowsche Bedürfnispyramide
Abbildung 2: Genderbread Person
Abbildung 3: Olivia Jones alias Oliver Knödel
Abbildung 4: David Beckham
Abbildung 5: George Bryan Brummel
Abbildung 6: Elliot Sailors
Abbildung 7: Stav Strashko
Abbildung 8: Tamy Glauser
Abbildung 9: Ruby Rose
Abbildung 10: Andrej Pejic
Abbildung 11: Hema Lingerie-Kampagne 2011
Abbildung 12: & Other Stories 'Athleisure' Kampagne
Abbildung 13: Givenchy Herbst / Winter Kampagne 2010 / 2011
Abbildung 14: Selfridges 'Agender' Kampagne 2015
Abbildung 15: Zara 'Ungendered' Kollektion 2015
Abbildung 16: Rad Hourani 'Transclassic' Kollektion 2010
Abbildung 17: 'Fomme' Kollektion 2015
Abbildung 18: 'Baal' Kollektion 2014
Abbildung 19: '4 Layers of Diversity' nach Gardenwartz und Rowe
1 Einleitung
„Bei der Verwirrung der Geschlechter, die bei uns herrscht, ist es beinahe ein Wunder, seinem eigenen anzugehören.“[1]
Betrachtet man die Menschen um sich herum, begegnet man einer Vielzahl unterschiedlicher Personen. Diese ordnet man in den meisten Fällen in kürzester Zeit ein und entscheidet ob man diese Person als weiblich oder männlich bezeichnet. Doch woran liegt das? Vor allem im Bereich der Kleidermode, dessen Begrifflichkeit im Laufe dieser Arbeit erläutert und mit dem Begriff der Mode verglichen wird, herrschen oftmals starre Ordnungen was welches Geschlecht zu tragen hat.
In unserer Gesellschaftlich existieren Kleidercodes, die die Zugehörigkeit zu einem der Geschlechter, Mann und Frau, signalisieren. Dabei entscheiden Kleinigkeiten ob wir diese Person als weiblich oder männlich sehen. Der Unterschied kann dabei im Schnitt eines T-Shirts, in der weite oder enge einer Hose oder sogar in der Farbe eines Kleidungsstückes liegen. Dabei greifen Stereotype, die in der Gesellschaft vorhanden sind, die festlegen was als weibliche oder männliche Kleidungsstücke angesehen wird. So werden Kleid und Rock als typisch weiblich bezeichnet, weite Jeans und locker geschnittenes T-Shirt gelten als männliche Kleidungsattribute. Warum steht außerdem hellblau für Jungs und rosa für Mädchen?
Diese Annahmen und Stereotype haben sich seit Ende des 20. Jahrhunderts verändert, denn es entstehen immer wieder neue Regeln und neue Kleidercodes. So werden über die Kleidung inszenierte Körper- und Geschlechtsbilder immer weiter verschoben und die Individualität eines Menschen rückt weiter in den Vordergrund. So brechen auch die traditionellen Geschlechterrollen auf und sorgen für massive Umbrüche in der Gesellschaft und ebenso in der Mode und innerhalb der Marketingaktivitäten von Unternehmen in der Bekleidungsbranche.
Die Frage nach der Identität eines Menschen lässt sich heute nicht mehr durch seine sekundären Geschlechtsmarkmale beantworten. Geschlecht lässt sich nicht mehr als rein binäres System beschreiben und die Heteronormativität rückt zunehmend in den Hintergrund. Das einleitende Zitat von Jean-Jaques Rousseau verdeutlicht, dass die Grenzen der Dichotomie[2]verschwimmen und immer mehr Menschen mit ihrer Identität spielen und diese bewusst auch durch ihre Kleidung zum Ausdruck bringen. Geschlecht ist scheinbar keine festgelegte Kategorie mehr, sondern wird immer mehr zum individuell wähl- und gestaltbaren Merkmal der eigenen Identität.
In der Mode beziehungsweise Kleidermode, diese beiden Begriffe werden im Laufe dieser Arbeit noch genauer beschrieben, ist das Spiel der Identitäten und der Geschlechter ein sehr aktuelles Thema. So ist Unisex ein schon länger währender Trend der in der Modebranche immer wieder aufgegriffen wird und in Szene gesetzt wird. Unisex-Mode konnte erst dadurch möglich werden, dass Frauen zunächst die Männermode eroberten und es bis heute als selbstverständlich gilt, dass diese Anzug oder Hemd tragen. Dagegen werden Männer die weibliche Kleidung tragen noch eher mit vernichtenden oder fragenden Blicken angesehen. Doch diese Sichtweise der Geschlechter und der Unisex-Mode wird langsam aber sicher immer weiter verschoben oder gar aufgelöst.
So kann durch die hier vorgestellten Werbekampagnen und Kollektionen vermutet werden, dass die Gesellschaft einen großen Einfluss auf die Medien nimmt, sodass diese sich den Gender Shift bewusst für ihre Kampagnen und Kollektionen zu Nutze machen. Ausschlaggebend hierfür ist die Vielzahl und der regelrechte Hype um Transgender[3]Models, die verstärkt in Kampagnen und Kollektionen diverser Designer und Bekleidungsmarken zu sehen sind, ein Indiz. Da sich das Marketing eines Unternehmens selbstverständlich auch an gesellschaftlichen Diskussionen oder Veränderungsbewegungen orientiert und stets auf der Suche nach dem Neuen ist, ist es unumgänglich sich diesem vermuteten Trend zu wiedersetzen. Dadurch ist es einem Unternehmen möglich auf die individuellen, stetig wechselnden Kundenbedürfnisse zu reagieren und diese zu befriedigen. So ist die Thematik der Geschlechter und das Spiel mit dem Brechen der Geschlechtergrenzen ein aktuelles Thema in vielen Werbekampagnen und Kollektionen. So kann es theoretisch möglich werden, dass eine große Anzahl an Unternehmen der Modebranche sich diesem Thema widmen und es aktiv in ihre Marketingmaßnahmen einbinden und umsetzen. Weiter lässt sich ebenfalls diskutieren, ob und inwiefern diese Kampagnen als auch Kollektionen selbst Einfluss auf den Gender Shift nehmen und eine geschlechtslose und androgyne Gesellschaft formen und vorantreiben, in dem sie Stereotypen in der Mode und zwischen den Geschlechtern aufbrechen oder gar auflösen.
Einleitend zur Thematik des Gender Shift werden zunächst einige Begriffe erläutert, die das Verständnis dieser Bachelorarbeit voraussetzen sollen. Zu Beginn wird zunächst das Prinzip eines Megatrends vorgestellt um deutlich zu machen, ob der Gender Shift als solcher angesehen werden kann. Folgend wird der Gender Shift der sich mit der Frage beschäftigt, welche Bedeutung Geschlechterrollen haben und wie diese sich in Zukunft entwickeln als auch der allgemeine Begriff Gender erklärt. Da sich diese Arbeit den Bereich der Mode beziehungsweise Kleidermode verschrieben hat, werden die Begriffe, die zwar im Verlaufe dieser Arbeit gleichgesetzt werden, zunächst durch ihre Unterschiede beschrieben. Daraus ergeben sich auch das Kapitel 2.6.1 und dessen Unterkapitel die sich mit dem Nutzen von Kleidung für den Menschen und den daraus resultierenden Funktionen des Schutzes, der Scham und der Schmückung des menschlichen Körpers befassen. Daraus resultiert auch das nachfolgende Kapitel 2.7, dass sich mit der Botschaft der Kleidermode befasst, um herauszustellen, warum ein Mensch Kleidung nutzt und welche Beweggründe dafür existieren.
Um aus den daraus resultierenden Informationen und Erkenntnissen einen Zusammenhang zwischen Mode, Kleidung und Geschlecht zu erkennen, wird der Gender Shift in der Modewelt erläutert. So lässt sich ein Anhaltspunkt erkennen, dass Kleidung und Geschlecht im Zusammenspiel agieren und das nicht erst seit einigen Jahrzehnten sondern bereits seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte. Die Identität selbst und ihre Entstehung als auch der Unterschied zwischen der psychischen und sexuellen Identität eines Menschen bilden die Thematik des Kapitels 4 in Bezug auf den Zusammenhang und das Wechselspiel einer Identität und Mode.
Weiter werden sowohl die Heteronormativität sowie die Stereotypen die Mann und Frau ausgesetzt sind erfasst und erläutert um anschließend auf die Individuen jenseits des binären Systems einzugehen. Darunter werden in dieser Arbeit Transvestitismus, Intersexualität, Metrosexualität als auch Transgender gefasst. Innerhalb des Bereiches Transgender wird der Begriff der Androgynie spezifiziert um anschließend die derzeit bekanntesten Transgender Models der Welt vorzustellen, um einen Einblick auf deren Arbeit und deren Empfinden und Definition ihres eigenen Geschlechts zu erhalten.
Aufgrund der vorangegangenen Erkenntnisse werden folglich diverse Beispiele von Werbekampagnen und Kollektionen herangezogen, um aufzuzeigen, dass sich die Geschlechterrollen verändern beziehungsweise annähern oder gar auflösen. Dabei werden diese Kampagnen und Kollektionen auf ihre Kernaussage überprüft, welchen Zweck sie erfüllen sollen und inwiefern sie nicht binäre Identitäten einbinden und für die Allgemeinheit darstellen. Dabei ist zu überprüfen, inwiefern die Unternehmen oder Designer die Geschlechter darstellen und ob sie die Aufhebung Dieser aus rein marketingtechnischen Gründen nutzen oder wirklich einen Teil zur Akzeptanz aller Menschen die sich entweder als geschlechtslos sehen, zwischen den Geschlechtern wechseln oder sich nur in einem Geschlecht wohlfühlen, beitragen.
Das letzte Kapitel dieser Arbeit befasst sich mit dem Diversity-Management und dem dazugehörigen Diversity-Marketing. Das Diversity-Management befasst sich mit der Vielfalt der Mitarbeiter eines Unternehmens und der daraus resultierenden Chance durch das Diversity-Marketing, dass dafür sorgen kann, dass durch die Einbindung vielfältiger Identitäten neue Kunden angesprochen, neue Zielgruppen erschlossen werden können und dadurch der Erfolg am Markt gesichert werden kann.
Zuletzt wird neben dem Fazit, inwiefern der Megatrend Gendershift Auswirkungen auf die Modebranche hat und wie das Aufbrechen der Geschlechtergrenzen die Mode und deren Darstellungsweise sowie Präsentation beeinflusst, auch ein Ausblick auf die Zukunft dieses gesellschaftlichen Wandels gegeben und wie die Geschlechter als auch die Geschlechtslosigkeit Einfluss auf Unternehmen, Werbekampagnen oder aber auch Kollektionen nehmen kann.
2 Begriffsbestimmungen
2.1 Megatrend
Als Basis für die nachfolgende Untersuchung soll zunächst eine konkrete Definition für den Begriff ‚Megatrend‘ erarbeitet und herausgestellt werden, da Autoren und Institutionen oftmals eine sehr eigene Definition und Sichtweise des Begriffes kommunizieren.
Zerlegt man zunächst das Wort Megatrend in seine Bestandteile, so erhält man die beiden Wörter ‚mega‘ und ‚Trend‘. Bei Trends geht es grundsätzlich um Entwicklungen die heute zu sehen sind, also Phänomene, die real existieren. Der Begriff ‚mega‘ stammt von dem griechischen ‚megas‘ und steht für ‚groß‘. „Megatrends sind über einen Zeitraum von Jahrzehnten beobachtbar. Für die Gegenwart existieren bereits quantitative, empirisch eindeutige Indikatoren. Sie können mit hoher Wahrscheinlichkeit noch über mindestens 15 Jahre in die Zukunft projiziert werden. Megatrends wirken umfassend. Ihr Geltungsbereich erstreckt sich auf alle Weltregionen und alle Akteure – Regierungen, Individuen und ihr Konsumverhalten, aber auch auf Unternehmen und ihre Strategien.“[4]
Um die Identifikation eines Megatrends zu erreichen ist daher in erster Linie zu hinterfragen, was die grundlegenden Eigenschaften dieses Megatrends sind und welche diesen ausmachen und identifizieren.
„Ein Megatrend wirkt auf alle Ebenen der Gesellschaft: Wirtschaft und Politik, sowie Wissenschaft, Technik und Kultur. Megatrends verändern die Welt - zwar langsam, dafür aber grundlegend und langfristig.“[5]So unterscheiden sie sich auch von anderen Trends, einmal durch ihren großen zeitlichen Horizont als auch in ihrer enormen Reichweite und Wirkung durch alle Kultur- und Gesellschaftsschichten. Megatrends umfassen dabei diverse Lebensbereiche, dazu zählen Schlagworte wie Globalisierung, Healthy Lifestyle, Gesundheit, Fitness, Female Shift als auch der demografische Wandel. Diese Trends sorgen dafür, dass sich langfristig neue Lebensstile, Konsummuster, Bedürfnisse und Werthaltungen der Menschen herausbilden“.[6]
Der Begriff wurde im Jahre 1982 von John Naisbitt geprägt, der mit seinen Welt-Bestsellern ‚Megatrends‘ und ‚Megatrends 2000‘ die Begriffswelt der modernen Zukunftsforschung prägte.[7]Der US-amerikanische Futurologe, studierte Politologe und gebürtige Mormone, der auch den Begriff „Globalisierung“ bekannt machte, ist einer der bekanntesten Trend- und Zukunftsforscher. Er wurde in Mitteleuropa durch seine Bücher Megatrends (1982), Megatrends 2000 (1990) und Megatrend Asia (1996) bekannt.[8]
„Im Unterschied zu kurzfristigen Mode- und Konsumtrends oder soziokulturellen Trends, die maximal 5 Jahre Wirkkraft entfalten können, stellen Megatrends die ‚Blockbusters‘ der Veränderung dar.“[9]Sie beeinflussen das gesellschaftliche Weltbild, Werte und das Denken. Dabei ist es eine spannende und nicht endgültig diskutierte Fragestellung, ob ein Megatrend einen Wert verändern kann oder ob ein Wertewandel einen Megatrend initiiert. Außerdem sollen sich diese von Modetrends abheben, die keinen tiefergehenden gesellschaftlichen Einfluss haben. Primär im Kleidungs-, Konsum-, Musik- und Freizeitbereich sind sie eigentlich Produkt- oder Branchentrends, die häufig bereits wieder in der nächsten Saison verschwinden und vergessen werden.[10]
2.2 Gender Shift
Der Gender Shift beschäftigt sich mit der Frage, welche Bedeutung Geschlechterrollen in unserer künftigen Gesellschaft haben werden und wie die Identität eines Individuums damit umgeht, dass sie sich je nach Lebensphase und Gefühl, einer anderen Geschlechtsidentität anschließen kann.
Grundlegend für den Gender Shift ist zunächst der sogenannte Female Shift, dessen Begriff vom Zukunftsinstitut injiziert wurde. „Dieser Megatrend manifestierte sich in unterschiedlichen kulturellen Kontexten und Zeitabläufen auf unterschiedliche Art und Weise, und seine Auswirkungen sind heute schon wesentlich extremer, als es die alten Vorkämpferinnen voraussehen konnten. Denn der ‚Megatrend Frauen‘ ist natürlich nicht auf die Frauen beschränkt, sondern verändert Gesellschaften auf vielen verschiedenen Ebenen. Lebens- und Arbeitswelten, Familien, Karrieren, Krieg und Frieden sind nicht mehr dasselbe wie zuvor, weiße und schwarze, hetero- und homosexuelle, männliche und weibliche Menschen leben und lieben jetzt schon anders.“[11]
Dadurch ist selbstredend auch die Emanzipation gestiegen, der es Frauen möglich macht Männerdomänen einzugehen, sei es bei der Berufswahl oder im Freizeitbereich, sowie Rollenklischees zu überwinden. So wird laut Zukunftsinstitut die männlich strukturierte Gesellschaft immer mehr von weiblichen Zügen eingeholt, bis schließlich eine gesamtgesellschaftliche Androgynität herrsche. So verkündeten diese bereits in ihrer Studie zum Female Shift im Jahre 2003: „In einer androgynen Gesellschaft wird jeder einzelne Mensch mehr und mehr sein persönliches Potenzial leben können, ohne von den traditionellen Formen des Frau- bzw. Mann-Seins gefangen zu sein, […].“[12]Somit ist der Gender Shift folglich der nächste Schritt, nach dem enormen Erfolg der Weiblichkeit und der Auflösung starrer Rollenbilder und Stereotypen, die bislang in den Köpfen der Gesellschaft gefestigt waren. So wird jedes Individuum immer freier über seine eigene Rolle entscheiden können und auch sein Geschlecht wählen können.
2.3 Gender
Der Begriff ‚Gender‘ wird mittlerweile in den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft genutzt, doch welche Bedeutung er genau in sich trägt ist vielen nicht bekannt.
Der Begriff Gender leitet sich vom lateinischen ‚generare‘ ab, welches übersetzt ‚erzeugen‘ heißt. Dabei ist das Gender, die Geschlechterrolle, welche einem Menschen von der Gesellschaft zugewiesen wird, stets von dem biologischen Geschlecht, dem Sex, voneinander frei zu betrachten und abzugrenzen.[13]So ergibt sich auch die Bedeutung ‚erzeugen‘, denn Gender beschreibt rollenspezifische Verhaltensmuster und Klischees, die die Identität eines Menschen beeinflussen. Diese stehen immer im Kontext von Kultur und Gesellschaft. Dieser Begriff „ […] hat den Vorteil, dass er eine gemeinsame Perspektive von biologischem Geschlecht und der Geschlechterrolle zulässt. Es ermöglicht eine übergeordnete Ebene der Betrachtung von Geschlechtlichkeit – ohne durch ‚Männlichkeit‘ und ‚Weiblichkeit‘ das Denken zu begrenzen.“[14]Gender setzt sich somit umfassend aus dem sozialen, kulturellen, anerzogenen und erlernten Geschlecht in Vergangenheit und Gegenwart zusammen.
Erstmals wurde der Begriff in den 1970er Jahren im feministischen Sprachgebrauch aufgenommen, um die Unterscheidung zwischen biologischem und sozialem Geschlecht zu betonen. Dabei wurde die Veränderbarkeit von Geschlecht in den Blickpunkt gestellt, denn Geschlechterrollen sind kein biologisches Phänomen, sondern stellen soziale Normen, Werte und Identitäten dar; demnach sind gibt es keine homogene Gruppe oder Definition für das was es heißt männlich oder weiblich zu sein. Mit der Abgrenzung zum biologischen Geschlecht (sex) wird deutlich, dass Geschlecht und mit ihm einhergehende Vorstellungen von Frauen und Männern veränderbar sind.
Das dieses System schon lange überholt ist, indem nur Mann und Frau existieren, wird seit diesem Jahrhundert immer deutlicher. Neue Lebensstile- und Formen, gesellschaftliche Trends und Sichtweisen, aber auch die TV-, Medien- und Modewelt prägen die vermeintlichen Geschlechter immer intensiver. So wird das Bestreben, die Zweigeschlechtlichkeit bzw. die Zweiförmigkeit der Geschlechter zu übersteigen immer bedeutsamer. Ob eine generelle Männlichkeit beziehungsweise Weiblichkeit in der heutigen Gesellschaft überhaupt noch existiert wird somit immer fraglicher; bedingt durch die steigenden Erscheinungsformen von Männlichkeit und Weiblichkeit und die daraus entstehende Grauzone.
Innerhalb dieser wachsenden Grauzone wird die Frage über das eigene Sein, die eigene Geschlechtlichkeit oder Ungeschlechtlichkeit immer größer. Das Individuum stellt sich selbst, sein eigenes Verhalten und Denken sowie das seiner Außenwelt stetig in Frage und entwickelt dadurch seine eigene Identität heraus. Dieses geschieht aber nicht nur im sozialen, gesellschaftlichen Kontext, sondern immer um Zusammenhang mit den Gender. In welcher Weise sich ein Mensch einem Geschlecht zugehörig fühlt, ist somit immer individuell und der Grundstein der Identitätsbildung.
2.4 Mode – Ein Definitionsversuch
Der Begriff Mode ist alltäglich, omnipräsent und ein vielseitiges Phänomen, denn jeder kann dazu beitragen. Der Begriff ‚Mode‘ hat seinen Ursprung im Lateinischen (Modus, die Art). Die hergeleitete Übersetzung ‚Art‘ kann genutzt werden um genauere Definitionsversuche vorzunehmen: Mode – die Art. Mode ist also unter bestimmten Menschen die ‚zur Zeit‘ übliche Art, etwas zu machen, etwas zu tragen.[15]Laut Duden versteht man unter Mode etwas, was dem gerade herrschenden, bevorzugten Geschmack, dem Zeitgeschmack entspricht; etwas, was einem zeitbedingten verbreiteten Interesse, Gefallen, Verhalten entspricht.[16]Zudem wird Mode als Aussage über sozialen Status und damit auch auf gesellschaftliche Strukturen übertragen und gedeutet.[17]So verändern sich auch die kulturellen Zuschreibungsprozesse der Moden ständig, da diese als soziales Zeichensystem verstanden werden. Außerdem werden sie durch unterschiedliche soziale Gruppen ebenso wie sämtliche Individuen, die sie verwenden, unablässig im Gebrauch verändert.[18]
„Mode ist eine Ideologie, die für einen bestimmten Zeitraum und für eine bestimmte Gruppe von Menschen Gültigkeit hat. Menschen kaufen, tun, tragen oder nutzen bestimmte Dinge, ja denken sogar für einen begrenzten Zeitraum auf eine bestimmte Art und Weise. Aufgrund von gesellschaftlichen Prozessen sind Moden immerzu im Wandel und werden durch neue ersetzt. Denk- und Verhaltensweisen verändern sich entsprechend und Wertungen über sich selbst und die Umwelt werden immer wieder revidiert. Alle zehn bis zwanzig Jahre werden bestimmte Themen wieder aufgenommen und neu interpretiert.“[19]„Für eine Mode ist es dabei bezeichnend, dass sie einem ständigen gesellschaftlichen Wandel unterliegt und damit nie stagniert, sondern immer einen Querschnitt aus einer bestimmten zeitlich-soziologischen Strömung darstellt.“[20]
Der Begriff der Mode wird, wie oftmals angenommen, aber nicht nur im Bereich der Bekleidung angewandt. Im allgemeinen, abstrakten Sinne kann Mode als grundlegende Dynamik betrachtet werden, die die modernen, das heißt die Konsum-Kulturen antreibt und sich in einer Vielzahl von Moden konkretisiert.[21]Moden finden sich in der Architektur, Inneneinrichtung, Design, Musik, Film, Fernsehen und Theater, in der Wissenschaft, Wirtschaft und im gesellschaftlichen Verhalten.[22]„Strömungen wie z.B. in den 50er-Jahren mit Petticoat und Rock ‘n Roll, der 68er-Look der Blumenkinder, der Minirock, Punk und Grunge sind Abbilder der Zeit. Große Stilrichtungen wie z. B. die Renaissance, der Jugendstil oder das Bauhaus waren Moden in der Kunst und Literatur. Musik, Film und Theater haben ihren Zeitgeist. Für deren Erfolg tragen die Medien eine große Verantwortung. Ausstellungen, Wettbewerbe und Bestsellerlisten bewirken Weiteres. Entwicklungen in der Wissenschaft, Medizin und Wirtschaft werden nicht nur von großen Konzernen gesteuert. Weltweite Einflüsse durch Vernetzung lässt Moden auch hier schneller entstehen und vergehen.“[23]Somit bedeutet Mode immer die Permanenz des Wandels.[24]
2.5 Mode und Kleidung – Eine begriffliche Erklärung
Mode ist dazu da, um aus der Mode zu kommen. Ihre ständige Veränderung ist ihre Konstante und ihr Bezug zur Gegenwart beinhaltet natürlich unweigerlich die Erzeugung von Neuheit. Kleidung ist jedoch das, was bleibt; ihre grundsätzlichen Funktionen sind nach Jahrhunderten noch immer die gleichen.[25]
Mode und Kleidung stehen oftmals, auch in der Fachliteratur, synonym gegenüber. Dieses ist möglicherweise auch darauf zurückzuführen, dass Mode und Kleidung im allgemeinen Sprachgebrauch gleichgesetzt werden. Während Mode in der Bekleidung sich aus weltweiten Einflüssen aus Kunst, Kultur und aktuellen Themen zusammensetzt und eine Funktion der Kommunikation bedeutet, wird Kleidung als etwas Notwendiges, das jeder braucht, um sich zu schützen, gesehen.[26]Laut Lehnert: „Der Unterschied von Mode und Kleidung und spezieller auch dem, was man früher allgemein Tracht nannte, besteht im Wesentlichen darin, dass die Mode der Flüchtigkeit und dem schnellen Wechsel verschrieben ist und oft eine Neigung zur Verselbstständigung der Form aufweist, die Tracht sich demgegenüber langsamer ändert und mit dem Anspruch auf Stabilität und dauerhafte Identität verbunden ist.“[27]
Aufgrund dieser vielschichtigen Bedeutungsebenen des Wortes Mode, ist es notwendig, auf die folgenden Aspekte hinsichtlich der Begriffsbildung Mode und Kleidung aufmerksam zu machen.
2.6 Mode in der Bekleidung – oder auch Kleidermode
“Bei Mode geht es nicht nur darum, sich dem anzupassen, was uns umgibt. Es geht auch um ein eigenes Selbstverständnis und darum, eine persönliche Wahl zu treffen. Mode zeigt nicht nur, wer wir sind, sondern ermöglicht auch zu signalisieren, wer wir sein wollen. Man kann durch Mode rebellieren, seinen gesellschaftlichen Status hinterfragen oder Grenzen von Klassen, Ethnien und Geschlechtern überschreiten, indem man bestimmte Kleidungsstücke aus dem Schrank holt.“[28]
„Mode ist einerseits das, was wir auf den Laufstegen sehen und das, was die Leute durch ihren Konsum und durch gegenseitige Beobachtung und Nachahmung zur Mode machen – Dinge die so zum Zeitgeist werden. Das System der Mode charakterisiert sich […] durch Widersprüchlichkeiten. In seinem Streben nach Individuation folgt das Individuum den Versprechen der Mode und setzt sich diesen Paradoxien unumgänglich aus. Die Suche nach Originalität bzw. individueller Differenzierung ist jedoch innerhalb der Mode zugleich mit dem hemmenden Prinzip der Nachahmung verbunden. Das Individuum folgt zwar der Mode, um der eigenen Einzigartigkeit Ausdruck zu verleihen, jedoch tut es dies, indem es sich nach einer allgemeinen Tendenz ausrichtet.“[29]
„Mode in der Bekleidung ist eine Kunst, inspiriert und erzählt Geschichten. Designer lassen weltweite Einflüsse aus der Kunst, Kultur und aktuellen Themen in ihre Kollektionen einfließen. Dabei kommt es auf die Kombination der Teile untereinander und die Inszenierung an, damit das Ergebnis als modisch bewertet werden kann.“[30]Durch die Hilfe eines Kleidungsstücks wird Mode erst sichtbar, denn dieses spiegelt gesellschaftliche, geistige und kulturelle Strömungen wieder. Kleidung gibt die Möglichkeit, zu zeigen, wer jemand ist, welche Identität er aufweist und welche Meinung er vertritt. So lässt sich auch eine Gruppenzugehörigkeit ausdrücken und damit wird die innere Einstellung dieser Person schnell visuell erkennbar.[31]„Mode ist das Grundbedürfnis nach Beachtung: aufzufallen, Interesse zu wecken, sich selbst und anderen zu gefallen. Für einige Gruppen, den Trendsettern, ist dabei Abwechslung und Individualität ausschlaggebend, für andere der Wunsch nach Konformität. Elemente neuer Moden werden schneller von Gruppen übernommen, die offen für Neues sind, gerne experimentieren, etwas verändern wollen oder Lust haben, zu provozieren. Wird diese Mode dann zum Mainstream, ist sie für die Trendsetter nicht mehr interessant. Bedingt durch ihr Interesse an Neuem entdecken sie immer wieder neue Moden und inszenieren sie.“[32]Damit Kleider auch zu Mode werden, bedarf es der Akzeptanz einer Gruppierung von Menschen, die dabei über die soziale Dynamik von ‚In‘ und ‚Out‘ bestimmen.[33]
Unter Kleidermode versteht man zunächst einmal Artefakte, also Kleider in ihrer Materialität. Diese sind Gegenstand der Kostümgeschichte, der Textilwissenschaft und ebenso Grundlage jeder Beschäftigung mit dem Phänomen Mode. Darüber hinaus wird der Begriff Mode aber nicht nur aus der Materialität der Kleidungsstücke und ihrer spezifischen ästhetischen Gestaltung gesehen, sondern vielmehr was Menschen fortwährend mit diesen Kleidungsstücken tun.[34]„Mode […] fordert die Inszenierung von Kleidern durch Körper und von Körpern durch Kleider. Denn erst im Zusammenspiel von Kleid und Körper entsteht Mode. Modekleidung verändert Körper, und sie bringt neue Körper hervor, die Modekörper, die weder nur Kleid noch nur TrägerIn sind.“[35]Lehnerts zentrale These ist, dass Mode ein Spielraum des Möglichen und weitestgehend als Dynamik zu begreifen ist, die sich durch unterschiedliche Formen des menschlichen Handelns und in Artefakten wiederspiegelt und realisiert. Dabei bestehe Mode nicht nur aus Kleidern und Accessoires, vielmehr seien diese nur ein materielles Angebot, dass durch Zuschreibungen, sowie Akzeptanz und Inszenierungen durch Einzelne und Gruppen kurzfristig zu Mode wird. Kleidermode erlaubt Personen eine Ästhetisierung ihres Körpers und ihres eigenen Lebens und dient ebenso als Medium des Versprechens des ganz Anderen, denn genauso wie Träume, ermöglicht sie imaginäre Wunscherfüllungen. Somit realisiert sich Mode im Streben nach dem Neuen, dem Unerwarteten, dem Unbekannten und auch oft dem Bizarren, was paradoxerweise über den Weg der Nachahmung erfolgt.[36]„Mode ist als Ergebnis des Zusammenspiels von Materialität, Design, Diskursen und Handlungen zu verstehen. Sie konstituiert sich in einem Prozess, in den Kleider, Körper, Wahrnehmung, ökonomische wie ästhetische Aktivität und Bedeutungszuweisungen verwickelt sind.“[37]
Somit sollte durch die vorrangegangenen Stichworte und Erklärungen deutlich werden, wie vielfältig der Begriff Kleidermode und das Phänomen Mode ist. Im Verlaufe dieser Arbeit wird der Begriff ‚Mode‘ mit ‚Kleidermode‘ gleichgesetzt.
2.6.1 Kleidung – die allgemeine Gültigkeit
„Kleidung ist die zweite Haut des Menschen, welche an- und ablegbar ist. Diese Hülle, in die wir uns täglich begeben, kann dünn und luftdurchlässig oder dick bis panzerartig sein. Sie variiert von praktisch bis dekorativ, bequem bis ungemütlich, schick bis schlampig und auffällig bis tarnend. Verhüllungsgrad wie auch Kombinationsmöglichkeiten sind hochgradig variabel.“[38]Laut Scheiper steht der in der Textil- bzw. bekleidungswissenschaftlichen Terminologie genutzte Begriff Kleidung als Oberbegriff zu den Begriffen Uniform, Tracht und Mode.[39]
Kleidung und das Bedürfnis nach ihr, ist so alt wie die Menschheit selbst, denn sie gehört zu den grundlegenden, elementaren Bedürfnissen. Schon Höhlenmalereien und andere Artefakte der Steinzeit zeugen davon, dass die Menschen bereits vor Jahrtausenden Kleidung als Schutz vor Umwelteinflüssen benutzten. Selbst in der Bibel steht, dass Adam und Eva Feigenblätter verwendeten, um ihre Scham zu bedecken. Diese Aufzeichnungen sind die frühesten erwähnten Nutzungen von nachwachsenden Rohstoffen zur Kleidungsherstellung.[40]
Betrachtet man die Maslowsche Bedürfnispyramide, wird deutlich, dass Kleidung in allen Stufen aufzufinden ist. Zunächst gehört Kleidung zu den physiologischen Bedürfnissen, die in der ersten Stufe beschrieben werden. Diese erste Stufe umfasst alle grundlegenden Bedürfnisse eines Menschen, zu denen beispielsweise Essen und Trinken, Wärme, Wohnraum, Gesundheit, Schlaf oder Sexualität gehören. Betrachtet man dabei den Aspekt der Bekleidung, soll diese kleiden, wärmen und bequem sein. Aber auch innerhalb der zweiten Stufe wird das Bedürfnis von Bekleidung sichtbar. Dabei dient Kleidung als Sicherheit, dass sie vor Umwelteinflüssen wie Wind, Wasser und Kälte schützt. Die dritte Stufe befasst sich mit sozialen Bedürfnissen und gibt den Wunsch des Menschen wieder, Teil einer Gemeinschaft zu sein und Kleidung tragen, die es ihm ermöglicht, an bestimmten Aktivitäten oder Veranstaltungen teilzunehmen. Die vierte Stufe umfasst das Bedürfnis nach Anerkennung und Wertschätzung, steht aber auch für den Status, Einfluss und die Macht eines Menschen. Dabei versucht eine Person, durch das Tragen von Kleidung bestimmter Marken, Lob und Anerkennung zu erhalten und seinen Wohlstand zu präsentieren. Die fünfte und letzte Stufe steht für die Selbstverwirklichung eines Menschen und seinem Wunsch nach persönlicher Entfaltung, Individualität und Perfektion, was sich auch in seinem Kleidungsstil ausdrückt, indem er nur das trägt, was seinem eigenen persönlichen Stil und Wunsch entspricht.[41]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Maslowsche Bedürfnispyramide[42]
2.6.2 Schutzfunktion
Die ersten Kleidungsstücke die der Mensch trug, hergestellt aus Fellen und Baumrinden, galten noch rein existenziellen Zwecken.[43]Diese schützen ihn vor Umwelteinflüssen wie Kälte, Wärme, Niederschlag als auch vor Verletzungen und Angriffen von Mensch und Tier. Auch die Transpiration des menschlichen Körpers, denn dieser produziert kontinuierlich Schweiß über den ganzen Tag hinweg, muss durch Kleidung gewährleistet sein, damit ein gleichmäßig physiologisches und hautverträgliches Klima vorhanden ist.[44]„Neben dem Schutz vor sichtbaren, physischen Gefahren wird der Kleidung auch eine mystisch-magische Funktion zugeschrieben. Um die Magie überirdischer Mächte und Kräfte abzuwehren, ging der primitive Mensch mit verschiedenen Gegenständen oder Amuletten, denen er magische Eigenschaften zumaß, zum Gegenzauber über. Dieses Form des Schutzes vor physischen wie psychischen Gefahren wurde, neben Bemalungen und Tätowierungen unter der Haut, vor allem bei der Jagd angelegt.“[45]„Unter dem Gesichtspunkt des körperlichen Schutzes kann man Bekleidung- neben Ernährung, Unterkunft usw. – zu den menschlichen Grundbedürfnissen rechnen.“[46]
2.6.3 Schamfunktion
„Vergleichbar stellt die Nacktheit in der Scham-Theorie, auch ‚Modesty-Theory‘ genannt, einen körperlichen Mangel dar, wobei auf die eigene Blöße mit Scham reagiert und der Wunsch nach Bedeckung hervorgerufen wird.“[47]So stellt die Schamfunktion die Schlussfolgerung dar, dass auf die eigene Blöße mit Scham reagiert wird und der Wunsch entsteht sich und seine Scham zu bedecken. Schon in der Bibel wurde deutlich, dass die Scham ein Kulturprodukt ist, die durch das Alte Testament zur Begründung für die Notwendigkeit von Bekleidung wurde.[48]So steht in der Bibel Genesis 3.7: Da gingen den beiden die Augen auf, und es wurde ihnen bewusst, dass sie nackt waren. Deshalb flocht sich jeder aus Feigenblättern einen Lendenschurz.[49]„Dass die Scham kulturspezifisch geprägt ist, beweisen z.B. die Sitten einiger Naturethnien, in denen das Nacktgehen praktiziert und nicht als schamlos empfunden wird. Objekte der Scham unterscheiden sich nicht nur in den jeweiligen Kulturen, sondern verändern sich auch im Laufe der Geschichte. In der westlichen Kultur ist der unbekleidete Körper auch heute fast ausschließlich im privaten Bereich legitimiert.“[50]„Ohne Körperbemalungen, passenden Frisuren, Lendenschur, Stammestätowierungen, Schmuck oder eben nur die Bedeckung bestimmter Körperpartien kamen sich die in den tropischen Regionen lebenden Landbewohner genauso schamlos nackt vor wie wir ohne entsprechenden Anzug im Büro.“[51]So wird deutlich, dass jede Kultur oder Gesellschaft das Schamgefühl kennt - je nach seinen eigenen Maßstäben dafür, was anständig, sittlich oder schamhaft ist- und nie ganz nackt herumläuft.[52]
2.6.4 Schmuckfunktion
Das Schmücken und Verzieren des menschlichen Körpers ist das grundlegendste Motiv der Kleidung und der ästhetische Hauptantrieb des Menschen, denn dieser versucht stets seine Reize zur Schau zu stellen, seinen Rang, seinen Reichtum aber auch sein Geschlecht zu kennzeichnen und zu markieren.[53]Unter der Schmückung des Körpers versteht man neben klassischen Schmuckstücken wie Ketten, Ringen oder Armreifen auch Körperbemalungen, Tätowierungen und Narben. Auch das unterstreichen und kaschieren bestimmter Körperformen- und Eigenheiten durch Kleidung fällt unter die Schmuckfunktion, denn diese soll zum Wohlbefinden des Trägers beitragen. Farben, Schnitte, Stoffe, Muster und Verzierungen tragen dabei zum Schmücken des Körpers bei.[54]
2.7 Botschaften von Kleidermode
Mode geht jeden in gewisser Weise etwas an, denn jeder kleidet sich irgendwie und vielleicht auch nach einem Vorbild. Die Persönlichkeit eines Menschen wird durch Kleidung und Mode zum Ausdruck gebracht. Dabei wird ein Kompromiss zwischen der Tendenz zum Allgemeinen und Gleichartigen und zum Besonderen, Einzigartigen und Individuellen gezogen.[55]Somit versucht sich der Träger der Kleidung mit ihr in sein soziales Umfeld zu integrieren und ihm ein gewisses Körpergefühl zu gewährleisten.[56]Laut Lehnert ist Mode ein besonders wichtiges, da omnipräsentes soziales Zeichensystem.[57]„Eines der vielfältigsten, unveränderlichsten, ungreifbarsten und doch hartnäckigsten Medien der Bedeutungsgenerierung, Bedeutungszuschreibung, aber auch der Dekonstruktion von Bedeutung. […] Mode wird immer erst im Gebrauch mit einer Bedeutung versehen, die je nach Kontext sehr schnell wieder wechseln kann oder ohnehin uneindeutig bleibt. Es deuten sowohl die TrägerInnen als auch die BetrachterInnen.“[58]„Von den BetrachterInnen wird Kleidung anderer immer als Zeichen rezipiert, entziffert, gedeutet. Sie löst entsprechende Reaktionen aus, auch wenn die Signale von den Trägerinnen und Trägern der Kleidung denkbar uneindeutig und oft nicht einmal absichtlich eingesetzt werden: aber die BetrachterInnen deuten sie zwangsläufig und gleichsam automatisch. Mode kann nie nicht bedeuten.“[59]„Modische Zeichen glaubt man meist bewusst einzusetzen, aber tatsächlich geschieht aus häufig aufgrund eines impliziten – also nicht bewussten – Wissens, das Verhaltensweisen steuert. Die Wahrnehmung des Erscheinungsbildes der anderen läuft zunächst bewusst ab; wir reagieren, bevor wir es merken. Zur Erscheinung gehören Ausstrahlung, Aussehen, Körpersprache, Mimik, aber vor allem auch die damit korrespondierende, den Eindruck unterstützende, meist sogar hervorbringende oder auch damit im auffälligen Gegensatz stehende Kleidung. […] Das heißt, Mode kann niemals bedeutungsneutral sein, auch wenn man der Ansicht ist, dass man nur eben etwas übergeworfen hätte: die Betrachterinnen und Betrachter fassen die modische (oder auch unmodische) Erscheinung anderer sofort als Indikator für etwas auf – für Status, soziale Zugehörigkeit, Geschlecht, persönlichen Geschmack, modische Kompetenz. Aber auch vorübergehende, schwer greifbare aktuelle Stimmungen werden sofort abgelesen aus Erscheinung und Auftreten, zu der eben auch die Kleidung gehört. Es gehört zur kulturellen Kompetenz, Moden lesen oder erspüren zu können, zu wissen, was bestimmte Kleidungsstile in bestimmten Momenten bedeuten können.“[60]
3 Kleidung als geschlechtliche Kennzeichnung
In diesem Kapitel soll sich ein erster Anhaltspunkt erkennen lassen, dass Kleidung und die Formen des Gender, die Geschlechtsidentität, deren Formen in den kommenden Kapitelpunkten näher betrachtet werden, prägen können. Folgend wird auch ein kurzer geschichtlicher Überblick über den Verlauf der Kennzeichnung von Geschlechtsidentitäten- und stereotypen wiedergegeben.
3.1 Gender Shift - die Rollenneuverteilung in der Modewelt
„Zeig mir, was du trägst, und ich sage dir, was du bist - diese Zeiten sind vorbei. In der Mode gleichen sich die Geschlechter an. Ein Übertrend. Man soll - und kann - nicht mehr zuordnen, was für Männer oder Frauen geschneidert wurde.“[61]
Sichtet man aktuelle Trendforschungsberichte und deren Ergebnisse, wird deutlich klar, dass der Begriff ‚Gender Shift‘ als Megatrend der heutigen Zeit gesehen werden kann. Neue, flexible Gender-Modelle ersetzen dabei die traditionellen Rollenbilder von ‚Mann‘ und ‚Frau‘ – ein fundamentaler gesellschaftlicher Wandel mit weitreichenden wirtschaftlichen und modischen Folgen setzt ein. Dabei verliert das traditionelle Geschlechtermodell, das Lebensstile, Spielzeug, Kleidung, Berufe, Bücher und vieles mehr nach Geschlecht trennt, zunehmend an Bindungskraft. Laut Zukunftsinstitut werden dadurch in der Zukunft mehr Produkte gefragt sein, die sich jenseits der klassischen Binarität bewegen: von unisex über crossgender bis hin zur Genderneutralität.[62]Genau darauf setzen mittlerweile immer mehr Hersteller, Vertriebler und ebenso Designer und bekannte Bekleidungshersteller. „Das Angebot an Produkten und Dienstleistungen, die frei von althergebrachten Geschlechterkonnotationen sind, erfreut sich wachsender Popularität. Weitsichtige Unternehmen reagieren darauf mit Design von Unisex-Produkten, genderneutralem Marketing und Dienstleistungen, die stärker auf individuelle Einzelbedürfnisse fokussieren als auf verallgemeinernde Kategorien.“[63]
Betrachtet man diesen Megatrend genauer, wird deutlich, dass er sich zunehmend auch im Bereich der Mode und Bekleidung ausbreitet. „Blusen für den Mann, Hosenanzüge für die Frau, Übergrößen für sie und ihn: Seit Jahrzehnten versuchen sich Modeschöpfer an der Überwindung der Geschlechtergrenzen. Was lange Zeit den kleinen, aber einflussreichen Labels vorbehalten war, erfasst zusehends auch bekannte Marken wie Gucci, Prada und Vivienne Westwood.“[64]Immer mehr Kollektionen vieler Modedesigner umfassen genderneutrale Kleidung, sie spielen sowohl mit Androgynität bei den Frauen als auch mit vermeintlich weiblichen Silhouetten und Kleidungsstücken bei Männern. Laut dem Onlinemagazin Stylight kommt der Trend des geschlechterübergreifenden Stylings und Kleidens direkt von den Laufstegen dieser Welt. Die britische Kaufhauskette Selfridge öffnete 2015 mitten in London einen Pop-Up-Store der nur Unisex Mode anbot; Raf Symons, Gucci, Alexander Mc Queen, Rad Hourani sind nur einige wenige Beispiele von Designern, die sich dem Trend innerhalb ihrer Kollektionen hingegeben haben.[65]
So ist bereits seit einiger Zeit nicht klar, ob es sich bei einschlägigen Kollektionen und Laufstegpräsentationen, um Frauen- oder Männermode handelt. Zum einen, da die gängigen feminin/maskulin-Codes hochtourig vermischt werden und immer mehr Unisex- und Transgendermodels anzutreffen sind. Es finden sich aber auch seidige, rosafarbene Blumenmuster, Maxiröcke, Durchsichtigkeit, überlanger Schichtenlook als auch enganliegende Silhouetten bei den Männern. Oversize-Jacketts und Shirts, Nadelstreifen und stoffschwere Hüfthosen, die zum breitbeinigen Gang einladen, sind in der eigentlichen Frauenmode zu finden.[66]„Während sich manche Designer in ihren Kollektionen die Stilistiken männlicher und weiblicher Mode zusammenwürfeln oder quer über die Geschlechtergrenzen hinweg Accessoires kombinieren, setzen andere, wie das schwedische Label Acne, auf nahezu idente Linien für Sie und Ihn.“[67]Dabei werden vorwiegend simple, geometrische Formen genutzt. Auch die Verwendung von Übergrößen ist ein beliebtes Mittel zur Aufhebung der Geschlechtergrenzen.[68]
Dieser Trend ist aber bei weitem kein völlig neues stilistisches Mittel in der Mode, denn Experimente mit geschlechtsneutraler Mode gab es in der Vergangenheit immer wieder. Ende der 1960er Jahre schuf Edelschneider Pierre Cardin futuristische Roben für Sie und Ihn. In den 1990er Jahren präsentierte Jil Sander geschlechtsneutrale Stücke und zeitgleich erkor Calvin Klein das knabenhafte, androgyn aussehende Topmodel Kate Moss zur Stilikone.[69]Bereits „seit Jahrzehnten gleicht sich die Kleidung von Männern und Frauen an. Think Unisex! Think Metrosexuals! Alle, Männer wie Frauen, tragen heute Jeans, Tshirt oder Hemd und Pullover – alternativ Businesskostüm.“[70]Dabei geht das Kleiden weit über die bereits längst in der Gesellschaft akzeptierten Modestile der sogenannten ‚Boyfriend Hose‘ für die Frau und tief dekolletierten Oberteilen, die bewusst die männliche Brust betonen, hinaus. Laut Vinken verwenden beide Geschlechter die gleiche Aufmerksamkeit auf ihre Kleidung und das ‚gepflegte Auftreten‘ ist beider gleich wichtig. So trennen Kleider die Geschlechter nicht mehr, sondern vereinen sie zu einer androgynen Silhouette.[71]
3.2 Mode und Geschlecht
„Da Mode sich in der Wechselwirkung von Kleidern und Körpern konstituiert, im Einwirken von Menschen auf die Kleider, die sie tragen (= inszenieren) und umgekehrt im Einfluss der Kleider auf die Menschen, kann man sie als eine Körperpraxis betrachten. Menschen und Kleider inszenieren einander wechselseitig und verändern sich dabei, und es entsteht dabei immer ein drittes, der Modekörper. Dieser ist in der Regel ein Geschlechtskörper.“[72]Dieser Geschlechtskörper soll laut Steele dazu dienen, Mode durch Männlichkeit und Weiblichkeit in Bezug auf die sexuelle Anziehung zu erzeugen, denn Schönheit habe ihre eigentliche Wurzel in sexuellen Empfindungen.[73]Dabei sind modische Inszenierungen von Identität auch immer die Inszenierung des Geschlechts, da Geschlechtsidentität in den meisten Kulturen ein integrales Element von Identitätskonzepten darstellt. Diese Identitäten und die darunter zu erfassende Sexualität wird meist noch ganz selbstverständlich als heterosexuelle Erotik gesehen.[74]„Mit einer spezifisch männlichen, bzw. weiblichen Kleidung wird die Attraktivität des jeweiligen Geschlechtes unterstrichen. Die Betonung, bzw. Verhüllung des Geschlechtes diente jedoch nicht allein individual-, sondern vor allem sozialpsychologischen Zwecken.“[75]
Doch laut aktuellen einschlägigen Forschungsergebnissen der Genderforschung, die unter anderem vom Zukunftsinstitut[76]durchgeführt wurden, entspricht diese Annahme nicht mehr dem aktuellen Stand. Auch Lehnert begründet diese neuen Annahmen damit, dass Mode zwar dominant sei, aber mitnichten zwingend der Heteronormativität verpflichtet sei. Das große Potenzial der Mode liege vielmehr darin, dass diese auch immer das von der Norm abweichende inszenieren bzw. damit spielen könne. Darunter zu fassen seien schwule, lesbische als auch androgyne Stile oder Kleider, die nicht an vergeschlechtlichten Körpern, sondern ausschließlich an Formen im Raum ausgerichtet seien. Daher ist auch das Spektrum der Identitäten breit gefächert, wobei die Mode sie sowohl ermöglichen als auch einschränken könne.[77]„Sie moduliert Identitäten und damit auch Geschlechtsidentitäten und gibt dabei (ungeachtet der Normativität, die gesellschaftlich den Geschlechtsidentitäten anhaftet), auch die Freiheit, die traditionellen Grenzen von Zweigeschlechtlichkeit zu überschreiten und viele Versionen und Nuancen zu erforschen. Entgegen dem, was oft propagiert wird, drückt Modebekleidung also Identität und folglich auch Geschlecht nicht einfach aus. Sie ist vielmehr stark in seine Hervorbringung involviert; sie ist eine alltagsrelevante Form von ‚doing gender‘.“[78]Demnach dient Kleidung dazu, die eigene Identität eines Menschen nach außen zu transportieren, zeitgleich kann sie aber auch das Innere eines Individuums verstecken. Sie dient also immer dazu sich inszenieren, sich einer bestimmten Gruppe optisch anzupassen und seine Identität spielerisch verändern zu können. Die Identität ist kein lebenslanger, monotoner Prozess, sondern besteht aus Brüchen, Änderungen oder neuen Normen und Sichtweisen.
Potentiell wird die geltende Geschlechterordnung in Frage gestellt, nicht nur aktuell und in den letzten zwei Jahrhunderten, sondern auch, und vor allem dann, als eine strikte Geschlechterhierarchie jedem Geschlecht seinen festen Platz zuwies und die Frauen den Männern untergeordnet waren. So ist auch das was als männlich oder weiblich gilt im Laufe der Zeit geändert worden. Darüber hinaus ist auch das, was jeweils als Identität, Maskerade, was als ‚authentisch‘ und was als ‚unecht‘ und wie dieses zum Ausdruck gebracht wird nicht fest vorgeschrieben und keine feste Größe. Sobald diese Grenzen jedoch festgeschrieben sind, gibt es immer wieder Versuche, diese zu überschreiten und sich nicht von ihnen diktieren zu lassen. So haben sich Menschen in allen historischen Epochen als etwas verkleidet, was sie in den Augen ihrer Mitmenschen (und in ihren eigenen) nicht waren.[79]
Geschlechtsspezifische Kleidung findet sich jeher in allen Kulturen, von der Antike, über die Renaissance bis heute. Schon in der Antike unterschieden sich die Gewänder von Männern und Frauen, in der Renaissance trugen Männer zur Betonung ihrer geschlechtlichen Potenz eine Schamkapsel[80]und auch in der heutigen Zeit haben einige Naturvölker das Geschlechtsteil mithilfe eines Penisfuterals besonders hervorgehoben.[81]Auch „in der frühen Neuzeit gab es noch Kleiderordnungen, die entsprechend dem sozialen Stand der Menschen genau vorschrieben, was er tragen durfte. Bestimmte Materialien, Farben und Schnitte waren dem Adel vorbehalten, der sich in sich auch wieder differenzierte; Bürgern oder gar Bauern war zu viel Glanz verboten. In der Aristokratie waren Prunk und modische Extravaganz für beide Geschlechter Pflicht. Das änderte sich erst langsam mit dem Umbruch der gesellschaftlichen Ordnung.[82]So wandelte sich die Gesellschaft im Laufe des 17. Und 18. Jahrhunderts in eine moderne, funktional ausdifferenzierte Gesellschaft, die nach Individualität und Innerlichkeit, als auch nach einer zunehmenden Trennung der (beiden) Geschlechter und ihrer sozialen Funktion strebte.[83]„Die beiden Geschlechter gelten zunehmend als physisch und psychisch grundlegend verschieden. Die Mode wird zur bürgerlichen Angelegenheit und zur Sache der (Ehe-)Frauen, deren soziale Funktion sich zunehmend auf das Private und Häusliche einschränkt […]. Männer schmücken sich nicht länger, sie kleiden sich seriös und stilistisch reduziert in Anzüge, die ihre Seriosität, ihre Korrektheit, ihr Leistungsethos, ihr ‚Sein‘ betonen. Sie hatten, so befand die Geschlechterideologie, es nicht mehr nötig, ein buntes Pfauenrad zu schlagen, um auf sich aufmerksam zu machen. Die Kleidung der Männer wird folglich seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr mit Mode gleichgesetzt.“[84]Doch trotz der Verabschiedung der modischen, bürgerlichen Männerwelt, wurde eine modische Erfolgsgeschichte geschrieben, die bis in die Gegenwart wirkt. Der zwei- bis dreiteilige Anzug aus schlichten Tuchen und in gedeckten Farben gilt seitdem als Standardbekleidung für Männer und beeinflusste auch die Damenmode vor allem an den 1980er Jahren, bekannt als ‚Power Suit‘, wieder.
Mode wird im 18. und 19. Jahrhundert als Frauensache zu einem wesentlichen Element in der Definition der Geschlechter und der Festschreibung der Zweiheit der Geschlechter sowie der sozialen Rollenverteilung. Wissenschaft, Kunst, Mode – alles wirkt darauf hin, einen neunen Menschen zu schaffen, der vor allem Mann oder Frau ist. Frauenmode bedeutet im Gegensatz zur schlichten Männer-Kleidung Prunk und Aufputz, üppige Stoffmassen, wechselnde Silhouetten, den Drang nach immer Neuem und ständigem Wechsel. Frauen benötigen im 19. Jahrhundert viel Zeit und Geld, um modisch gekleidet zu sein. […] Frauen schmückten sich und machten sich selbst äußerlich zum schönsten Besitz der Männer, sie ‚bewiesen‘ deren Bedeutung, indem sie durch ihre ‚unpraktische‘ Kleidung vorführten, dass sie nicht arbeiten mussten.“[85]Dieses wurde maßgeblich durch den schmalen Umfang der weiblichen Taille geprägt, die durch das enge Korsett zur Minimalform geschnürt wurde. So wurde die lang gestreckte, schlanke Figur der Frau, mit schmaler Taille und nach oben geschobenen Brüsten modern. Dieses galt bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, allerdings änderte sich die Frauenmode zu Beginn des 20. Jahrhunderts grundlegend, denn durch die ‚Reformmode‘ sollte eine für die berufstätige Frau angemessene Kleidung geschafft werden.[86]Sie wurde schlichter, flächiger, scheinbar funktionaler; sie brachte die berühmte ‚Neue Frau‘ der Zwanzigerjahre hervor, die windschnittig, selbstbewusst und oft berufstätig war und das mit ihrer Kleidung auch sein konnte- und sein musste.“[87]Im Laufe des 20. Jahrhunderts, besonders ab den Fünfzigerjahren, verwischen sich die Grenzen in visueller Weise zunächst wieder. Unisex wird modern, die Hippie Ära beginnt, Männer lassen sich lange Haare wachsen, Frauen tragen einen Mix aus stark körperbetonter und schlichter, weiter Kleidung. Diese modischen Grenzen zwischen den Geschlechtern haben sich auch bis heute gehalten, jedoch haben sich Spielräume innerhalb von Lebensstilen, sexuellen Identitäten und Subkulturen gebildet.[88]
4 Gender Identitäten
4.1 Identität
„Fragt ein Mann die Mutter: Ist Ihr Kind ein Junge oder ein Mädchen? Antwortet die Mutter: Das soll das Kind später selbst entscheiden.“[89]
Die Identitätsbildung ist in unserer Gesellschaft zum Hauptprojekt des eigenen Lebens geworden. Wie bin ich, was bin ich? Wer will ich sein? Was zeichnet mich aus und wie sehen mich die Anderen? Die Identitätsbildung eines Menschen wird so bei jeder Entscheidung weitergetrieben und entwickelt sich über das gesamte Leben dieser Person. Dabei besteht der Anspruch eines Menschen aus drei Dimensionen: Der Anspruch ein ‚Individuum‘ zu sein; der Anspruch ‚Individualität‘ auszubilden und der Anspruch in seiner ‚Identität‘ anerkannt zu werden.[90]Zur Identität gehört das Bewusstsein des Individuums über sich selbst, das dabei stetig von äußeren Einflüssen wie der Familie, der Kultur und der Gesellschaft geprägt sowie verinnerlicht wird. Laut Abels ist Identität sowohl geglaubte als auch gelebte Identität. Dabei stellt Abels die These auf, dass Identität immer die Arbeit an einem Bild was wir sein wollen ist und dieses stetig, im ganzen Verlaufe eines Lebens, immer wieder neu gebildet und betrachtet werden muss.[91]Zum Individuum und seiner Identität gehört auch immer seine Individualität, um sich dadurch von der Masse abzuheben. „Individualität mein einerseits das Bewusstsein des Menschen von seiner Besonderheit und das Bedürfnis, diese Einzigartigkeit auch zum Ausdruck zu bringen, und andererseits die von ihm selbst und den Anderen objektiv festgestellte Besonderheit oder Einzigartigkeit.“[92]Dabei ist die Individualität die in der heutigen Zeit zu verstehen ist, also die der Moderne, als Zusammenspiel und Anspruch der Gleichberechtigung zu sehen. Diese Gleichberechtigung setzt sich aus dem Recht zusammen, so sein zu dürfen als Mensch oder Person wie sich jeder Einzelne sehen möchte, egal welchen Geschlechts, welcher Herkunft, sozialer Lage oder sexuellen Orientierung.
So beschreibt auch der Schriftsteller und Comedian Sam Killermann in seinem Buch ‚The Social Justice Advocate’s Handbook: A Guide to Gender‘[93]aus welchen Bausteinen das Geschlecht eines Menschen besteht. Diese Person stellt er dabei als ‚gebackenes Männchen‘ dar.
Diese Komponenten bestehen aus:
- Identity (Identität)
- Gender Expression (Geschlechtsausdruck)
- Biological Sex (biologisches Geschlecht)
- Sexual Orientation (sexuelle Orientierung)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Genderbread Person[94]
Dabei wird sichtbar, dass die Identität als auch die Geschlechtsidentität eine Konstruktion der Gesellschaft und des Selbst ist und sich stetig verändern kann.
4.2 Sexuelle Identität
Innerhalb der Orientierung und Identitätsbildung eines Menschen, spielt die sexuelle Identität eine immens große Rolle. Durch biologische Merkmale und dem Zusammenschluss durch das soziale Umfeld einer Person und seiner sexuellen Orientierung bildet sich seine sexuelle Identität heraus.
Der Begriff ‚Sex‘ beschreibt zunächst einmal die biologische und physiologische Klassifikation von Frauen und Männern. Dieses biologische Geschlecht, dessen Kriterien die Genitalien bei der Geburt, Anatomie, Hormone oder Chromosomen umfassen, wird als natürlich gegeben verstanden. Aufgrund körperlicher Merkmale wird dem Neugeborenen bereits bei der Geburt ein Geschlecht, weiblich oder männlich, zugewiesen. Von diesem Zeitpunkt an gelten das zugewiesene Geschlecht und das sexuelle Begehren als angeordnet und naturgegeben. Frauen lieben Männer und Männer lieben Frauen, das heterosexuelle Begehren gilt somit als Norm innerhalb der Gesellschaft.[95]Doch diese scheinbar logische Trennung und Aufspaltung in beide biologische Geschlechter ist nicht ohne Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit zu betrachten. So ist laut Bilden die Trennung und Unterscheidung zwischen ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ auch aus biologischer Sicht nicht genau möglich: „Die verschiedenen biologischen Kriterien für Geschlecht – anatomische, hormonale, gonadale, chromosonale – können nicht zu jedem Zeitpunkt ‚weiblich‘ und ‚männlich‘ klar voneinander unterscheiden und stimmen manchmal nicht mit einander überein. So gibt es zum Beispiel Personen mit weiblichen äußeren Genitalien und XY-Chromosomen.“[96]Unter dieser Begriffsbestimmung sind dadurch viele Menschen nicht erfasst, also jeder der sich weder als Frau oder als Mann, als auch jeder der sich sowohl als Frau oder Mann sieht oder sich je nach Lebensphase entweder als Mann oder Frau situiert. Dazu zählen auch Personen die sich und ihre Identität jenseits dieser Beschreibung begreifen und ausleben. Darunter fallen intersexuelle Menschen, deren Geschlecht bei der Geburt und auch im weiteren Verlaufe des Lebens nicht unter Frau oder Mann zugeordnet werden kann, transsexuelle Menschen, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen, aber genauso auch Transvestiten und alle anderen Geschlechter, die sich jenseits der Bipolarität[97]befinden.[98]
[...]
[1]Jean-Jacques Rousseau(1712-1778) war ein französischer Schriftsteller und Philosoph und gilt als wichtiger Wegbegleiter der Französischen Revolution.
[2]Dichotomie beschreibt in diesem Kontext die Zweiteilung der Geschlechter. Also Mann und Frau.
[3]Hierzu zählen sowohl Androgyne Frauen und Männer als auch Intersexuelle, Metrosexuelle und Transsexuelle.
[4]ZPunkt GmbH (2016), Web.
[5]Zukunftsinstitut, (2016), Web.
[6]Vgl. Naisbitt, J. (1990), S. 9ff.
[7]Vgl. Horx, M. (2007), Web.
[8]Vgl. Nextmind (2012), Web.
[9]Horx, M. (2007), Web.
[10]Vgl. Nextmind, Web.
[11]Zukunftsinstitut (2015), Web.
[12]Ebenda.
[13]Vgl. Schumacher, J. (2013), Web.
[14]Schmelzer, C. (2013), S. 15.
[15]Vgl. Nomag (2009), Web.
[16]Vgl. Duden (2016), Web.
[17]Vgl.Lehnert, G. (2012), S.7.
[18]Vgl. Lehnert, G. (2012), S.7.
[19]Becker, Dr. M. (2012), Web.
[20]Schmidt, C., Web.
[21]Vgl. Lehnert, G. (2012), S.8.
[22]Vgl. Becker, Dr. M. (2012), Web.
[23]Becker, Dr. M. (2012), Web.
[24]Vgl. Loschek, I. (1999), S.358.
[25]Köster, T. (2015), Web.
[26]Vgl. Becker, Dr. M. (2012), Web.
[27]Lehnert, G. (2013), S.16.
[28]Croll, J. (2014), S.7.
[29]Köster, T. (2015), Web.
[30]Becker, Dr. M. (2012), Web.
[31]Vgl. Becker, Dr. M. (2012), Web.
[32]Becker, Dr. M. (2012), Web.
[33]Vgl. Lehnert, G. (2013), S.9.
[34]Ebenda, S.7.
[35]Lehnert, G. (2013), S.7.
[36]Vgl. Lehnert, G. (2013), S.8.
[37]Lehnert, G. (2013), S.15.
[38]Justo, G. (2005), Web.
[39]Scheiper, P. (2008), S.56.
[40]Vgl. Altenfelder, K. (1998), Web.
[41]Vgl. Artdefects Media Verlag, Web.
[42]Quelle: http://rueetschli.net/psychologie/angewandte-psychologie/psychologische-grundprozesse-motivation-teil-ii-331.html [Abruf am 13.06.2016].
[43]Vgl. Koch Mertens, W. (2000), S.11.
[44]Vgl. Altenfelder, K. (1998), Web.
[45]Von Pape, C. (2007), S.51.
[46]Wirtz, H.-J. (1981), S.17.
[47]Strohmeyer, K. (2013), S.8.
[48]Vgl. Von Pape, C. (2007), S.51.
[49]Nach der Übersetzung von Martin Luther,
[50]Von Pape, C. (2007), S. 52.
[51]Payer, M., Payer, A. (2001), Web.
[52]Vgl. Strohmeyer, K. (2013), S.9
[53]Vgl. Von Pape, C. (2007), S. 52.
[54]Vgl.Altenfelder, K. (1998), Web.
[55]Vgl. Strohmeyer, K. (2013), S.12.
[56]Vgl. Von Pape, C. (2007), S.50.
[57]Vgl. Lehnert, G. ( 2013), S.17.
[58]Lehnert, G. (2013), S. 17, als auch Lehnert, G. (2003), S.216f.
[59]Lehnert, G. (2013), S.17.
[60]Ebenda.
[61]Walbersdorf, M. E. (2015), Web.
[62]Vgl. Zukunftsinstitut (2016), Web.
[63]Ebenda.
[64]Pfleger, P. (2015), Web.
[65]Vgl. Stylight, Morgen, B. (2015), Web.
[66]Ebenda.
[67]Pfleger, P. (2015), Web.
[68]Vgl. Pfleger, P. (2015), Web.
[69]Ebenda.
[70]Vinken, B. (2013), S.30.
[71]Ebenda.
[72]Lehnert, G. (2013), S.37.
[73]Vgl. Lehnert, G. (2013), S.37 aus Steele (1985).
[74]Vgl. Lehnert, G. (2013), S.37.
[75]Von Pape, C. (2008), S.53.
[76]Vgl. Zukunftsinstitut, Web.
[77]Vgl. Lehnert, G. (2013), S.37.
[78]Ebenda.
[79]Vgl. Lehnert, G. (1997), S.14.
[80]Vgl. Koch-Mertens (2000), S.189.
[81]Vgl. Von Pape, C. (2008), S. 53
[82]Vgl. Lehnert, G. (2013), S. 39.
[83]Ebenda.
[84]Ebenda.
[85]Ebenda, S.40.
[86]Vgl. Von Pape, C. (2008), S.59.
[87]Vgl. Lehnert (2013), S.41.
[88]Ebenda.
[89]Dammler, A. (2011), S. 25.
[90]Vgl. Abels, H. (2010), S.16.
[91]Ebenda.
[92]Abels, H. (2010), S. 43.
[93]Downloadbar unter: http://www.guidetogender.com/ [Abruf am 17.06.2016].
[94]Quelle: http://www.guidetogender.com/ [Abruf am 30.06.2016].
[95]Vgl. Balthes-Lähr, C. (2015), S. 21.
[96]Bilden, H. (2001), S. 139.
[97]Beschreibt das System, in dem es nur zwei genau voneinander unterschiedene Zustände gibt, also kein Dazwischen und kein Vielleicht aufzufinden sind. Bezogen auf Geschlecht heißt das: Ein binäres Verständnis von Geschlecht nimmt an, dass es nur und genau zwei Geschlechter gibt und dass diese scharf abgrenzbar sind.
[98]Vgl. Balthes-Löhr, C. (2015), S.21.
- Quote paper
- Nele Holtmann (Author), 2016, Megatrend Gender Shift. Zuschreibung von "Männlichkeit" und "Weiblichkeit" in der medialen Präsentation von Mode, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/411996
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