In dieser Hausarbeit soll erarbeitet werden, in wieweit das Buch „Max Havelaar“ von Eduard Douwes Dekker, alias Multatuli, eine gute Darstellung von Wirklichkeit ist. Sie soll aufzeigen, welche Kriterien in dem Buch dafür erfüllt werden, aber auch, welche nicht erfüllt werden, bzw. welche eher im Gegensatz dazu stehen. Was für Kriterien für eine gelungene Darstellung von Wirklichkeit notwendig sind, soll aus Erich Auerbachs Buch „Mimesis – Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur“ erarbeitet werden, um diese dann später auf „Max Havelaar“ anzuwenden. Da es im Buch „Mimesis“ um viele verschiedene Epochen der Wirklichkeitsdarstellung geht, werden nur die Kapitel bearbeitet, in denen es um die Entstehung des Realismus geht (XVII – XIX), also eine Epoche, in der auch „Max Havelaar“ entstanden ist.1 In wieweit Multatulis Geschichte nun aber dem Genre Realismus zuzuordnen ist oder ob es überhaupt realistisch ist, möchte ich durch die Anwendung der Kriterien von „Mimesis“ auf „Max Havelaar“ herausfinden. Die Kriterien werden gleich im nächsten Kapitel dargestellt, bevor im übernächsten Kapitel dann „Max Havelaar“ analysiert wird.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung – „Max Havelaar“ und „Mimesis“: Ist Multatulis „Max Havelaar“ eine, nach Erich Auerbachs Kriterien, gelungene Darstellung von Wirklichkeit?
- 2. Erich Auerbachs Kriterien für eine gelungene Darstellung von Wirklichkeit
- 2.1 Die Stilmischung
- 2.2 Zeitgenössische Geschichte und geschichtlich bewegter Hintergrund
- 3. Argumente für und gegen eine gelungene Wirklichkeitsdarstellung in „Max Havelaar“
- 3.1 Pro - Argumente für eine gelungene Darstellung von Wirklichkeit
- 3.2 Contra - Argumente gegen eine gelungene Darstellung von Wirklichkeit
- 4. Zusammenfassung
- 5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung – Max Havelaar und Mimesis: Ist Multatulis „Max Havelaar“ eine, nach Erich Auerbachs Kriterien, gelungene Darstellung von Wirklichkeit?
In dieser Hausarbeit soll erarbeitet werden, in wieweit das Buch „Max Havelaar“ von Eduard Douwes Dekker, alias Multatuli, eine gute Darstellung von Wirklichkeit ist. Sie soll aufzeigen, welche Kriterien in dem Buch dafür erfüllt werden, aber auch, welche nicht erfüllt werden, bzw. welche eher im Gegensatz dazu stehen. Was für Kriterien für eine gelungene Darstellung von Wirklichkeit notwendig sind, soll aus Erich Auerbachs Buch „Mimesis – Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur“ erarbeitet werden, um diese dann später auf „Max Havelaar“ anzuwenden. Da es im Buch „Mimesis“ um viele verschiedene Epochen der Wirklichkeitsdarstellung geht, werden nur die Kapitel bearbeitet, in denen es um die Entstehung des Realismus geht (XVII – XIX), also eine Epoche, in der auch „Max Havelaar“ entstanden ist.[1] In wieweit Multatulis Geschichte nun aber dem Genre Realismus zuzuordnen ist oder ob es überhaupt realistisch ist, möchte ich durch die Anwendung der Kriterien von „Mimesis“ auf „Max Havelaar“ herausfinden. Die Kriterien werden gleich im nächsten Kapitel dargestellt, bevor im übernächsten Kapitel dann „Max Havelaar“ analysiert wird.
2. Erich Auerbachs Kriterien für eine gelungene Darstellung von Wirklichkeit
Erich Auerbach erarbeitet seine Kriterien an verschiedenen Beispielgeschichten aus der Zeit des Realismus. Drei Kriterien sind seiner Meinung nach besonders wichtig, sie bilden die Grundlage des modernen Realismus. So sagt er im Kapitel XVIII:
„Die ernsthafte Behandlung der alltäglichen Wirklichkeit, das Aufsteigen breiterer und sozial tieferstehender Menschengruppen zu Gegenständen problematisch-existenzieller Darstellung einerseits – die Einbettung der beliebig alltäglichen Personen und Ereignisse in den Gesamtverlauf der zeitgenössischen Geschichte, der geschichtlich bewegte Hintergrund andererseits – dies sind, wie wir glauben, die Grundlagen des modernen Realismus, […].[2]
Was genau das bedeutet, soll anhand von Beispielen aus seinem Buch verdeutlicht werden.
2.1 Die Stilmischung
Unter der Stilmischung sind zwei Kriterien vereint. Zum einen die erst tragische, dann sachliche und ernste Behandlung des Themas, zum anderen die Ausweitung der Behandlung auf alle gesellschaftlichen Klassen.
Im Klassizismus hatten sich Stilgrenzen entwickelt. So konnten Gegenstände der praktischen Wirklichkeit nur komisch, satirisch oder didaktisch-moralistisch behandelt werden.[3] Ebenso konnte das Realistische nicht mit dem Tragischen vermischt werden.[4] Das literarische Behandeln von den unteren, ja schon den mittleren Gesellschaftsschichten, galt in dieser Zeit als niederer Stil.[5]
Einer der Ersten, der anfing diese Stilgrenzen zu durchbrechen, war Friedrich von Schiller. Er machte den Anfang für den Realismus und fasste in seinem bürgerlichen Trauerspiel des „Musikus Miller“ („Kabale und Liebe“, Anm. d. Verf.) das Schicksal der Tochter des Musikus Miller „[…] tragisch, realistisch und zeitgeschichtlich[…]“.[6] Seine Geschichte spielt sich im bürgerlichen Milieu ab und handelt von einer Liebe zwischen zwei gesellschaftlichen Ständen, die es nicht geben darf. Die Besonderheit dabei ist, dass Schiller das erste Mal die Gegenwart als Vorlage nahm und ein bürgerliches Einzelschicksal auf die zeitgenössischen, gesellschaftlichen Zustände zurückführte und dies eben nicht satirisch sondern tragisch fasste.[7] Die Gattung des bürgerlichen Trauerspiels war aber noch zu sehr „[…] an das Persönliche, Häusliche, Rührende und Gefühlvolle gebunden, […] und verhinderte so eine Ausweitung der gesellschaftlichen Probleme und des Schauplatzes, was somit die Echtheit der Darstellung beeinträchtigte.[8]
Eine weitere Entwicklung der Stilmischung war die Ablösung der tragischen Behandlung von Problemen durch die des sachlichen Ernstes. Zwar hatten schon Balzac und Stendhal untere gesellschaftliche Schichten ernst behandelt[9], doch mit einem entscheidenden Unterschied zu Flaubert, der als Begründer des sachlichen Ernstes gilt. Flaubert versuchte in dem Stück „Madame Bovary“, seinen Gegenstand völlig sachlich zu beschreiben. Er verzichtete dabei, im Gegensatz zu Balzac und Stendhal, auf jeglichen Kommentar, blieb unpersönlich. Er begrenzte seine Aufgabe darauf, die Vorgänge auszuwählen und sie möglichst rein und vollkommen darzustellen. Er war der Meinung, dass diese Vorgänge dadurch viel vollkommener zu interpretieren wären, als es irgendeine Beurteilung von ihm selbst tun könnte.[10] Ein Schritt, den Flaubert ebenfalls vollzogen hat, ist die Behandlung einer alltäglichen Wirklichkeit. Er beschrieb die Verzweiflung einer Frau, der eigentlich nichts fehlt, die ihre Verzweiflung nicht konkretisieren kann. Es ist eine ganz normale Frau, man könnte sie als Durchschnittsheldin bezeichnen.[11] Das Besondere, so Auerbach, ist bei „Madame Bovary“:
„[…] eine so unkonkrete Verzweiflung mag es wohl immer gegeben haben, aber man dachte vordem nicht daran, sie in literarischen Werken ernst zu nehmen; eine so gestaltlose Tragik, wenn man es Tragik nennen darf, die durch die eigene Lage im ganzen ausgelöst wird, ist erst durch die Romantik literarisch erfassbar geworden; an Menschen niederer geistiger Bildung und tieferer sozialer Schicht dürfte sie Flaubert als erster dargestellt haben;[…].[12]
Es ist also eine Ausweitung der literarischen Darstellung auf einen wirklich alltäglichen Gegenstand und tiefere soziale Schichten.
Den letztendlichen Stilbruch vollbrachte dann Émile Zola. Er weitete mit seiner Geschichte „Germinal“ den Gegenstand auf die unterste Schicht, die Arbeiterklasse, den vierten Stand aus.[13] Wäre die Gesellschaftsschicht komisch behandelt worden, wäre diese Geschichte nichts Neues gewesen, Zola aber sah dies nicht als niederen Stil an, er schrieb durchaus ernst und moralisch über den vierten Stand. Er gab […] das wahre Bild der zeitgenössischen Gesellschaft[…] wieder.[14] Auch die Brüder Goncourt hatten schon in „Germinie Lacerteux“ versucht, die Wirklichkeit des vierten Standes wiederzugeben,[15] doch hatten sie ein anderes Motiv. Sie waren fasziniert vom Hässlichen, Krankhaften und Dreckigen der untersten Klasse,[16] es war also ein rein ästhetisches Interesse und keine sozial-gesellschaftliche Kritik.[17] Genau dies vollbrachte aber Zola, er schrieb über den sozialen Klassenkampf, den täglichen Überlebenskampf; stellte diesen mit aller Härte und Trostlosigkeit dar, sodass man diese
[...]
[1] vgl.: „dtv-Lexikon Band 15, Ein Konversationslexikon in 20 Bänden“, München; Deutscher Taschenbuch Verlag, 1976, S. 75 f.
[2] vgl.: Auerbach, Erich; „Mimesis – Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur“, 10. Aufl., Tübingen und Basel; A. Francke Verlag, 2001, S. 458
[3] vgl.: „Mimesis – Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur“, S. 448
[4] vgl.: „Mimesis – Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur“, S. 413
[5] vgl.: „Mimesis – Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur“, S. 448
[6] vgl.: „Mimesis – Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur“, S. 408
[7] vgl.: „Mimesis – Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur“, S. 407
[8] vgl.: „Mimesis – Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur“, S. 409
[9] vgl.: „Mimesis – Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur“, S. 452
[10] vgl.: „Mimesis – Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur“, S. 453
[11] vgl.: „Mimesis – Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur“, S. 455
[12] vgl.: ebda.
[13] vgl.: „Mimesis – Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur“, S. 472
[14] vgl.: „Mimesis – Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur“, S. 474
[15] vgl.: „Mimesis – Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur“, S. 464
[16] vgl.: ebda.
[17] vgl.: „Mimesis – Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur“, S. 470
- Quote paper
- Thetje Sausel (Author), 2005, Max Havelaar und Mimesis: Ist Multatulis Max Havelaar eine, nach Erich Auerbachs Kriterien, gelungene Darstellung von Wirklichkeit?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41015
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