„Die vordringlichste Schwierigkeit unserer Generation ... ist es, dass unsere Leistungen auf der ökonomischen Ebene unseren Fortschritt auf der politischen Ebene in einem solchen Maß überholt haben, dass unsere Ökonomie und unsere Politik ständig und weit auseinander fallen.“ Was sich liest wie der Einstieg zu einem kapitalismus- und ökonomiekritischen Werk der jüngsten Zeit, ist in Wirklichkeit entnommen dem renommierten Wirtschaftsblatt Economist und zwar aus dem Jahre 1930. „Solche Unkenrufe gibt es immer wieder und sind ein Topos in der Geschichte“ könnten Verteidiger der herrschenden Wirtschaftsordnung jetzt erwidern, schließlich haben wir in den letzten 50 Jahren einen nie gekannten Reichtum und wirtschaftliche Prosperität erreicht. Dennoch scheint ein kritischer Blick auf die Wirtschaft vor dem Hintergrund von Geschehnissen wie dem Enron-Skandal (immerhin die größte Firmenpleite in der Geschichte der USA) angebracht. Zunächst scheint es, als seien nach dem Ende des Kalten Krieges sämtliche Zweifel an der Richtigkeit, ja Unfehlbarkeit des herrschenden kapitalistischen Systems ausgeräumt. Mittlerweile jedoch häufen sich Bestechungsskandale, Bilanzbetrügereien etc., so weit, dass die Wall-Street sogar einen Gesetzentwurf forciert hat, der die verantwortlichen Manager von börsennotierten Unternehmen dazu zwingt, ihre Geschäftszahlen zu beeiden. Dies ist ein eher unbeholfen wirkender Versuch, der Entwicklung Herr zu werden. Dabei stellt sich die Frage, ob diese und ähnliche Vorfälle wirklich bedauerliche Einzelfälle darstellen?
Inhalt
1. Einleitung
1.1 Problemaufriss
1.2 Historie der Wirtschaftsethik
2. Modelle der Wirtschaftsethik
2.1 Dominanz der Wirtschaft über die Ethik
2.2 Dominanz der Ethik über die Wirtschaft
2.3 Interdependezkonzept Integrative Ethik
3. Schlussbetrachtung
3.1 Kritische Würdigung
3.2 Ausblick
4. Literatur
„Es ist immer wieder gesagt worden, der Mensch habe im Mittelpunkt der Wirtschaft zu stehen. Diese Aussage ist sicher richtig, nur kommt es jetzt darauf an, diesen allgemeinen Satz zu präzisieren.“[1]
Wirtschaftsethik
Ein Versuch über drei Modelle
1. Einleitung
„Die vordringlichste Schwierigkeit unserer Generation ... ist es, dass unsere Leistungen auf der ökonomischen Ebene unseren Fortschritt auf der politischen Ebene in einem solchen Maß überholt haben, dass unsere Ökonomie und unsere Politik ständig und weit auseinander fallen.“[2]
Was sich liest wie der Einstieg zu einem kapitalismus- und ökonomiekritischen Werk der jüngsten Zeit, ist in Wirklichkeit entnommen dem renommierten Wirtschaftsblatt Economist und zwar aus dem Jahre 1930. „Solche Unkenrufe gibt es immer wieder und sind ein Topos in der Geschichte“ könnten Verteidiger der herrschenden Wirtschaftsordnung jetzt erwidern, schließlich haben wir in den letzten 50 Jahren einen nie gekannten Reichtum und wirtschaftliche Prosperität erreicht. Dennoch scheint ein kritischer Blick auf die Wirtschaft vor dem Hintergrund von Geschehnissen wie dem Enron-Skandal (immerhin die größte Firmenpleite in der Geschichte der USA) angebracht. Zunächst scheint es, als seien nach dem Ende des Kalten Krieges sämtliche Zweifel an der Richtigkeit, ja Unfehlbarkeit des herrschenden kapitalistischen Systems ausgeräumt. Mittlerweile jedoch häufen sich Bestechungsskandale, Bilanzbetrügereien etc., so weit, dass die Wall-Street sogar einen Gesetzentwurf forciert hat, der die verantwortlichen Manager von börsennotierten Unternehmen dazu zwingt, ihre Geschäftszahlen zu beeiden. Dies ist ein eher unbeholfen wirkender Versuch, der Entwicklung Herr zu werden. Dabei stellt sich die Frage, ob diese und ähnliche Vorfälle wirklich bedauerliche Einzelfälle darstellen?
In einer Wirtschaftswelt, in der Share-Holder-Value wichtiger geworden ist als Werte wie Arbeitsplatzerhalt, Umweltschutz und gesamtgesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen und Konzernen, nimmt es nicht wunder, dass der Erhalt und die Steigerung des Unternehmenswertes zu verzweifelten Maßnahmen führt. Diese Argumentation folgt letztlich den Apologeten der freien Wirtschaft, die, gefragt nach den ethischen Konsequenzen ihres Handelns, abwinken, mit den Worten, die Regeln des freien Marktes zwingen leider zu Arbeitsplatzabbau, Produktion in Billiglohnländern, umweltschädlicher Produktion etc. Nimmt man diese Argumentation an, dann kann man schlüssig behaupten, dass Fälle von Bilanzbetrügereien und Abzockerei, dem kapitalistischen System immanent sind. An dieser Stelle setzt der St. Galler Wirtschaftsethiker Peter Ulrich mit seiner Integrativen Wirtschaftsethik an, indem er eine radikale Kritik[3] der herrschenden Verhältnisse vornimmt.
In der vorliegenden Arbeit soll Ulrichs St. Galler Ansatz der Integrativen Wirtschaftsethik als radikaler Neuansatz vor dem Hintergrund der Ansätze von Karl Homann und Horst Steinmann besprochen werden. Zunächst stelle ich diese Vorschläge vor, um ausgehend von der Kritik des „Reflexionsstopps“ den Vorschlag Peter Ulrichs zu besprechen.
1.1 Problemaufriss
Kaum ein Tag, an dem man die einschlägigen Wirtschaftsblätter wie die Financial Times oder die Börsenzeitung aufschlägt und nicht irgendwo einen Artikel über Bilanzfälschungen oder Bestechungen bei großen Unternehmen findet. Entsprechend wird immer wieder der Ruf nach mehr und schärferen Kontrollen laut, nach härteren Strafen und anderen Werkzeugen, den Schurken das Handwerk zu legen. Auch die ethische Grundbildung der Führungskräfte stand dabei immer wieder im Mittelpunkt. Nach einer Blütezeit des Fachs Wirtschaftsethik an den Universitäten und Hochschulen in den letzten zehn bis 20 Jahren des 20. Jahrhunderts scheint es, als sei das Interesse wieder erstorben.
Interessant ist dabei, dass gerade der Grund für das zunehmende Unbehagen vieler an der Weltwirtschaft und der daraus resultierende Wunsch nach mehr Kontrolle, nämlich die starke und immer stärker werdende Internationalisierung der Wirtschaft gleichzeitig auch das stärkste Argument gegen die Umsetzbarkeit vieler Forderungen ist. Häufig wird gesagt, in einer Wirtschaft, die nicht mehr der Gesetzgebung von Nationalstaaten unterworfen ist, sondern in der transnationale Großkonzerne, sogenannte Global Player, die Macht an sich gerissen haben, ist es nicht möglich, ethische Forderungen durchzusetzen. Eine Antwort auf diese Frage lässt sich sicherlich nicht auf wenigen Seiten geben, dennoch ist es der Anspruch dieser Arbeit dem Problem nachzugehen und zumindest durch einen eigenen Standpunkt Denkanstösse zu geben.
1.2 Historie der Wirtschaftsethik
„Wirtschaftsethik kann man nicht studieren, man muss sich schon entscheiden“
Karl Kraus, österreichischer Satiriker und Gesellschaftskritiker (1874-1936)
Das obenstehende Zitat obwohl schon vor mehr als 70 Jahren ausgesprochen, spiegelt noch immer die landläufige Meinung wieder. Viele Menschen sind überzeugtdavon,dass sich Wirtschaft und Ethik nicht vereinbaren lassen, sondern sich geradezu konträr gegenüberstehen. Indem im Folgenden die Entwicklung der Ökonomik ideenhistorisch dargestellt wird, soll versucht werden die gefühlte Diskrepanz von Wirtschaft und Ethik einerseits zu erklären und andererseits zu zeigen, dass es möglich ist, diese zu beheben. Zunächst jedoch soll gezeigt werden, dass Ökonomie nicht, wie so häufig behauptet, ein ethikfreier Raum ist.
Dasmenschliche Handelnist sowohlGegenstand derÖkonomik als auch derEthik. EthikwilldasStreben nach dem Guten begründen und definieren was das Gute ist.Siebezieht sich nicht auf singuläre Situationen/Handlungen, sondern auf Maßstäbe zur Beurteilung von Handlungen, siewilldieBedingungenmoralischer Normen undWerte erfahren.Ökonomik hingegen ist „die Wissenschaft von der Bewirtschaftung knapper gesellschaftlicher Ressourcen“[4].
Beide Wissenschaften wollen Regeln zum vernunftgemäßen Handeln aufstellen. Ethische wie auch ökonomische Regeln sollen als Richtlinie für richtiges Handeln dienen, sie sind also beide normativ und daher durchaus auf der gleichen Ebene angesiedelt. Man kann also nicht behaupten, Wirtschaft sei ein ethikfreier Raum, da sie sich selber bei genauer Betrachtung den Regeln einer normativen Ethik, nämlich der Ökonomik beugt.
Doch auch wenn Ökonomie und Ethik heutzutage eher als Gegensätze denn als Ergänzung gesehen werden, standen ethische Überlegungen schon bei der Entwicklung der Grundlagen einer Wirtschaftstheorie Pate. Der Begründer der Nationalökonomie, Adam Smith (1723 – 1790) denkt vor allem als Moralphilosoph, wenn er in dem auf natürlichen Egoismus gründenden Selbstinteresse die entscheidende Triebfeder menschlichen Handelns sieht. Es ist dabei Smiths Interesse, einen Rahmen zu finden, der moralisches Handeln erleichtert, und zwar unabhängig vom moralischen Empfinden Einzelner.
Denn „nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen“[5]. Mit diesem wohl berühmtesten Satz seines Werks „Inquiry into the Nature and Causes of The Wealth of Nations“(1776)[6] begründet er den allgemeinen Wohlstand, der durch Wirtschaftswachstum hervorgebracht wird, nicht auf dem moralischen Handeln der Individuen, sondern auf einen freien Markt mit Arbeitsteilung und Wettbewerb. Smith hat mit seinem Werk den Grundstein der klassischen Nationalökonomie gelegt und gilt als Vater der modernen freien Wirtschaft.
Jedoch hat Smith sich gerade als Ethiker besondere Meriten erworben, indem er aus seiner „Theory of Moral Sentiments“ (1759)[7] den Satz „Handle so, dass ein unparteiischer Beobachter mit Dir sympathisieren kann“ postuliert und die unwillkürliche Sympathie als maßgebliches Gefühl für das Entstehen des Moralgefühls einführt. Die Rücksicht auf den eigenen Nutzen trete erst später hinzu.
Unter anderem war Thomas Hobbes, dessen Staatsverständnis aus dem Leviathan Pate stand bei der Festschreibung der Pflichten des Staates in „Wealth of Nations“. Vorbild für Smith. Hobbes, stark geprägt durch die blutrünstigen Ereignisse der Cromwellzeit, postulierte das bekannte „homo homines lupus est“. Urzustand der Menschheit sei der Krieg aller gegen alle, es sei daher vorrangige Aufgabe des Staates, mit Rechtssicherheit und Gesetzen dafür zu sorgen, dass ein friedliches und humanes Leben für alle möglich wird.
Smith sieht in „Wealth of Nations“ den Staat ebenfalls als Garanten für Ruhe und Ordnung, aber seine Befugnisse beschränken sich auf den Rahmen, indem er z.B. gerechte Gesetze erlässt. Alles Weitere regele sich von selber und durch die <<unsichtbare Hand des Marktes>>. Kern des Denkgerüstes ist die These, dass für gutes Handeln keineswegs eine Einsicht des Handelnden in die ethische Notwendigkeit bestehen muss.
Der weitere Verlauf der Wirtschaftsgeschichte wurde gerade in England, aber auch in anderen Teilen Europas entscheidend durch die protestantische Ethik geprägt. Schon vorher war wie mit der Emanzipation des Bürgertums und der „Entzauberung der Welt“ durch das von der Aufklärung verbreitete rationale Weltbild der Übergang vom feudalen Merkantilismus (der bereits als Geldwirtschaft organisiert war) zum Kapitalismus[8] eingeläutet worden.
Im Kapitalismus strebt das Kapital seiner Natur nach Akkumulation (Anhäufung bzw. Vermehrung) durch Innovation oder Expansion an. Die sich ausbreitende protestantische Ethik förderte diesen Prozess wie folgt: viele kapitalistische Unternehmer empfanden aufgrund ihrer puritanischen Frömmigkeit Luxus als Sünde und pflegten einen sehr bescheidenen Lebensstil. Anstatt erwirtschaftete Gewinne zu verkonsumieren, reinvestierten sie diese. Die calvinistische Prädestinationslehre, die Wohlstand und wirtschaftlichen Erfolg als Zeichen von himmlischer Auserwähltheit interpretierte, tat ihr übriges, um das Streben nach Gewinn zu verstärken.[9]
Innovation und Expansion waren die beiden primären Arten der Reinvestition von Gewinnen, das Geld wurde meist entweder auf neuere Produktionsmethoden oder auf Erweiterung der Produktion (mithilfe zusätzlicher Produktionsmittel und -stätten) verwendet. Dabei wurde durch Investition in Innovation die industrielle Revolution vorangetrieben, die bereits eine beeindruckende Eigendynamik an den Tag legte, da Erfindungen in einem Technologiebereich oft weitere Neuerungen in anderen Bereichen nach sich zogen.
Das entscheidende Merkmal, das die europäischen Mächte von anderen Reichen der Weltgeschichte unterschied, war wohl, dass der produzierte Überschuss nicht zum Konsum, sondern zur Transformation des Produktionsprozesses verwendet wurde.[10] Die oben angesprochenen Zwänge und Wertvorstellungen führten dazu, dass die Produktion sich heute nicht mehr in erster Linie an vorhandenen menschlichen Bedürfnissen orientiert, sondern unter allen Umständen der Gewinn maximiert werden soll, auch wenn entsprechende Bedürfnisse erst generiert werden müssen.
Ursprünglich jedoch ist „arbeitsteiliges Wirtschaften eine gesellschaftliche Veranstaltung zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse der Lebenserhaltung und Lebensqualität[11].
[...]
[1] Müller-Armack; Die zweite Phase der sozialen Markwirtschaft,
zit. nach Ulrich; Integrative Wirtschaftsethik, S. 11
[2] Economist, 11. Oktober 1930, S. 652
zit. nach Kennedy, 1993
[3] radikal im Wortsinn, als „von der Wurzel her beginnend“
[4] Mankiw, Volkswirtschaftslehre, S. 4
[5] Smith, S. 17
[6] dt.: „Untersuchung über die Natur und die Ursachen des Reichtums der Völker“ 1776-1792
[7] dt.: „Theorie der moralischen Gefühle“ 1770
[8] Kapitalismus: nach Werner Sombart das Vorherrschen der kapitalistischen Gesinnung, d.h. Erwerbsprinzip, Rationalität und Individualismus; nach Max Weber die rationale Arbeitsorganisation zur Gewinnerzielung auf Basis eines formalisierten Rechnungskalküls
[9] Vgl. Marx 1969; Weber, Max 1920: Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, in ders. 1970: Die protestantische Ethik, Band I - Eine Aufsatzsammlung. herausgegeben v. Johannes Winckelmann, Gütersloh: Mohn, S. 27-277. Die marxistisch-strukturalistischen Thesen und die sozialpsychologischen Theorien Webers (und anderer) können durchaus als einander ergänzend angesehen werden, ohne dass man der einen oder anderen Interpretation die alleinige Erklärungskraft zubilligt.
[10] Bujra, Janet 1992: A Third World in the Making: Diversity in Pre-Capitalist Societies, in: Allen / Thomas 1992, S. 145-167
[11] Ulrich, 2001, S. 11
- Arbeit zitieren
- Wilhelmine E. Dohmen (Autor:in), 2002, Wirtschaftsethik. Ein Versuch über drei Modelle, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40839
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