Die Gründung des Deutschen Reiches hat auf den Schlachtfeldern stattgefunden. In dieser Weise wurde die Reichsgründung im militaristischen Deutschen Kaiserreich und auch darüber hinaus lange Zeit gesehen. In der Stilisierung der Kriege von 1864, 1866 und 1870 zu den sogenannten „Einigungskriegen“ wurde ihre entscheidende Bedeutung für die Entstehung des deutschen Nationalstaates hervorgehoben. Im Zusammenhang mit der Verehrung des „großen Staatsmannes“ Bismarck wurde nicht selten der Eindruck erweckt, das Genie Bismarcks habe die Reichgründung mit langem Atem und einer zielgerichteten militärischen Strategie geplant und schließlich vollendet. Von dieser teleologischen und auf den Genius „großer Männer“ abhebenden Interpretation ist die heutige Geschichtswissenschaft weit entfernt.
Es steht außer Zweifel, dass die Kriege im Vorfeld der Reichgründung sowohl außenpolitisch, das europäische Staatensystem betreffend, als auch innenpolitisch, in Bezug auf Mentalität und Stimmung der Bevölkerung, eine wichtige Rolle gespielt haben. Über diese Erkenntnis gerät leicht in Vergessenheit, dass die Reichsgründung auch eine verfassungs- und staats-rechtliche also eine innenpolitische Komponente hatte, die im Kontext einer längerfristigen Entwicklung steht.
Die staatsrechtliche Frage nach der Verfasstheit eines Staates war spätestens seit der Franzö-sischen Revolution, zu einer drängenden Frage geworden, die es in der Ansicht vieler neu zu beantworten galt. Die traditionellen absolutistischen Prinzipien wurden verstärkt in Frage ge-stellt und erschienen vielen mehr und mehr unzeitgemäß.
In Deutschland verbanden sich diese liberalen Vorstellungen spätestens seit der Julirevolution von 1830 auf das engste mit der nationalen Bewegung, für die Verfassungsfrage und nationale Frage immer mehr zu zwei Seiten einer Medaille wurden.
INHALT
Einleitung
1. Das System des Deutschen Bundes und der Frühkonstitutionalismus
2. 1848/49 – Einheit und Freiheit!
3. Der Norddeutsche Bund – auf dem Verfassungswege zur „Einheit von oben“?
Zusammenfassung
Literatur
EINLEITUNG
Die Gründung des Deutschen Reiches hat auf den Schlachtfeldern stattgefunden. In dieser Weise wurde die Reichsgründung im militaristischen Deutschen Kaiserreich und auch darüber hinaus lange Zeit gesehen. In der Stilisierung der Kriege von 1864, 1866 und 1870 zu den sogenannten „Einigungskriegen“ wurde ihre entscheidende Bedeutung für die Entstehung des deutschen Nationalstaates hervorgehoben. Im Zusammenhang mit der Verehrung des „großen Staatsmannes“ Bismarck wurde nicht selten der Eindruck erweckt, das Genie Bismarcks habe die Reichgründung mit langem Atem und einer zielgerichteten militärischen Strategie geplant und schließlich vollendet. Von dieser teleologischen und auf den Genius „großer Männer“ abhebenden Interpretation ist die heutige Geschichtswissenschaft weit entfernt.[1]
Es steht außer Zweifel, dass die Kriege im Vorfeld der Reichgründung sowohl außenpolitisch, das europäische Staatensystem betreffend, als auch innenpolitisch, in Bezug auf Mentalität und Stimmung der Bevölkerung, eine wichtige Rolle gespielt haben. Über diese Erkenntnis gerät leicht in Vergessenheit, dass die Reichsgründung auch eine verfassungs- und staatsrechtliche also eine innenpolitische Komponente hatte, die im Kontext einer längerfristigen Entwicklung steht.
Die staatsrechtliche Frage nach der Verfasstheit eines Staates war spätestens seit der Französischen Revolution, zu einer drängenden Frage geworden, die es in der Ansicht vieler neu zu beantworten galt. Die traditionellen absolutistischen Prinzipien wurden verstärkt in Frage gestellt und erschienen vielen mehr und mehr unzeitgemäß.
In Deutschland verbanden sich diese liberalen Vorstellungen spätestens seit der Julirevolution von 1830 auf das engste mit der nationalen Bewegung, für die Verfassungsfrage und nationale Frage immer mehr zu zwei Seiten einer Medaille wurden.[2]
Angesichts dieser Entwicklung muss es merkwürdig erscheinen, dass die national-liberale Bewegung sich 1867/71 bei der Grünung des deutschen Nationalstaates gewissermaßen in der Rolle des Juniorpartners wiederfand. Wie war es dazu gekommen? Welche Konsequenzen hatte das für die Verfassungsfrage, jenes ureigene Anliegen der Liberalen? Welche Rolle spielten verfassungsrechtliche Überlegungen bei der Reichsgründung und wer waren die politischen Akteure, die das neue Reich, immerhin einen Verfassungsstaat, aus der Taufe hoben? Anhand dieser Fragen soll die Bedeutung der Verfassungspolitik für die Reichseinigung erörtert werden.
Dazu soll zunächst in äußerst knapper Form auf die Bedeutung von Verfassungsfrage und nationaler Frage in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingegangen werden. Das System des Deutschen Bundes, der Frühkonstitutionalismus der Mittelstaaten und der erste Versuch zur deutschen Einigung unter liberaler Federführung von 1848/49 bilden hierfür den Rahmen. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Gründung des Norddeutschen Bundes 1867, als der maßgeblichen Weichenstellung hin zur kleindeutschen Reichseinigung unter preußischer Hegemonie. Hier soll die verfassungsrechtliche Seite der Staatsgründung sowie die Rolle der daran beteiligten politischen Akteure näher untersucht werden.
1. Das System des Deutschen Bundes und der Frühkonstitutionalismus
An die Stelle des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, das 1806 endgültig untergegangen war, trat als Ergebnis der Verhandlungen auf dem Wiener Kongress 1815 ein neues staatsrechtliches Gebilde: Der Deutsche Bund. Ziel dieses Gebildes war es, die mitteleuropäischen Kleinstaaten in den Rahmen einer Friedensordnung einzubinden. Der Deutsche Bund war ein loser Staatenbund mit einem ständigen Gesandtenkongress in Frankfurt am Main. Die „Väter“ des Deutschen Bundes hatten ihn auf dem Wiener Kongress als ein janusköpfiges Gebilde geplant. Nach Innen sollte er Stärke beweisen, für Frieden und Abhängigkeit zwischen den Bundesmitgliedern sorgen, nach Außen sollte er jedoch machtlos bleiben, um nicht zur einer Bedrohung für die übrigen Staaten Europas, allen voran Frankreichs, zu werden. Das System des Deutschen Bundes war eingebunden in internationale Rechtsvereinbarungen des Wiener Kongresses, da die Artikel 1 – 12 der Bundesakte von 1815, also das Grundgesetz des Deutschen Bundes, in die Wiener Schlussakte von 1820 aufgenommen wurden.
Die Bundesakte, die ja in gewisser Weise die Verfassung des Deutschen Bundes war, hatte jedoch wenig gemeinsam mit einer Verfassung im engeren Sinne, wie sie Kernbestandteil liberaler Forderungen war. Sie enthielt lediglich Rechtsabsprachen zwischen den souveränen Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes beziehungsweise deren Fürsten. Der Deutsche Bund entwickelte sich schnell zu einem Organ der Reaktion, obwohl er nicht primär als solches angelegt worden war. Dies lag zum einen daran, dass die reaktionäre Habsburgermonarchie das Präsidium des Bundes inne hatte und sich in der Praxis eine Politik durchsetzte, die von Vorabsprachen mit der zweiten deutschen Großmacht, dem ebenfalls antiliberalen Preußen, bestimmt war. Die kleinen Staaten hatten diesen Vorabsprachen gegenüber kaum mehr ein eigenes Gewicht, mit dem sie Entscheidungen des Bundes beeinflussen konnten. Man spricht aufgrund dieser Konstellation in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch vom österreichisch-preußischen Dualismus.
In den Mittelstaaten, dem sogenannten dritten Deutschland, hatte die liberale Bewegung durchaus einen besseren Stand. Die meisten dieser Staaten erhielten eine Verfassung, häufig allerdings auch in Form der Oktroyierung durch den Landesfürsten, dessen Souveränität in der Regel durch die Verfassungen kaum angetastet wurde. Zum Teil wurde altständische Verfassungen des 18. Jahrhunderts wieder eingesetzt, zum Teil kamen die neuen Verfassungen aber auch den modernen konstitutionellen Ideen entgegen. Am weitesten ging dabei die badische Verfassung, die sogar ein Wahlrecht ohne ständische Gliederung kannte. Diese mitunter recht unterschiedlichen Verfassungsentwürfe des frühen 19. Jahrhunderts wurden mit dem Begriff „Frühkonstitutionalismus“ zusammengefasst und Theodor Schieder bemerkt dazu: „... der frühkonstitutionelle, noch halbständische Parlamentarismus bildete den Übergang vom Ständewesen zum Repräsentativsystem“.[3]
Allerdings kann jedoch keine klare Linie von jenen Verfassungsbestrebungen der Mittelstaaten hin zu den konstitutionellen Forderungen der national-liberalen Bewegung nach 1830 gesehen werden. Theodor Schieder weist darauf hin, dass es ein nicht zu unterschätzendes Ziel der frühkonstitutionellen Verfassungen der Mittelstaaten war, ihre auf dem Wiener Kongress neu zusammengefügten Staatswesen zu festigen und so ein Stück partikularstaatliche Souveränität sicherzustellen.[4] Ein Anliegen also, dass der späteren national-liberalen Bewegung bis zu einem gewissen Grad sogar entgegengesetzt war.
[...]
[1] Ewald Frie: Das deutsche Kaiserreich, Darmstadt 2004 (Kontroversen um die Geschichte), S. 21 – 31.
[2] Elisabeth Fehrenbach: Verfassungsstaat und Nationalstaatsbildung 1815 – 1871, München 1992, S. 19.
[3] Theodor Schieder: Vom Deutschen Bund zum Deutschen Reich, München 161999, S. 16.
[4] Ebd., S. 14 f.
- Quote paper
- Lucas Glombitza (Author), 2005, Einigungspolitik als Verfassungspolitik. Vom Deutschen Bund zum Deutschen Reich., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40541
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