Die vorliegende Arbeit behandelt Entstehung und Entwicklung eines Volkes, das als eines der ältesten Naturvölker zu den Schätzen der Menschheit zählt.
Es wurde darauf Wert gelegt, die Lebensweise, Spiritualität und Bedeutung der australischen Ureinwohner dem Leser näher zu bringen. Dies erscheint als eine wichtige Aufgabe in unserer heutigen Gesellschaft, die durch Ignoranz und Vorurteile gegenüber Naturvölkern wie den Aborigines geprägt ist. Ein Appell an das Gewissen zu mehr Toleranz, soll daher das höchste Ziel unserer Arbeit sein.
Der wissenschaftliche Teil dieser Arbeit bezieht sich groessten Teils auf der Untersuchung und bildliche Beschreibung der Lebensweise und Kultur der australischen Aborines.
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwortolle
I. Einleitung
II. Ursprung und Lebensweise
II.1. Besiedlung Australiens
II.2. Das Leben der Ureinwohner
II.3. Umgang mit der Natur
III. Spiritualität
III.1. Mythen
III.2. Totems und Rituale
III.3. Kunst und Körperkult
IV. Konfrontation zweier Kulturen
IV.1 Erster Kontakt mit weißen Siedlern
IV.2. Aborigines heute
IV.2.1. Soziale Situation
IV.2.2. Wirtschaftliche Ausbeutung des Landes
IV.2.3. Rechtliche Situation
V. Zusammenfassung
VI. Literaturverzeichnis
VII. Anhang
VII.1. Zeittafel
VII.2. Anlagen
VII.3. Versicherung
Vorwort
Die vorliegende Arbeit behandelt Entstehung und Entwicklung eines Volkes, das als eines der ältesten Naturvölker zu den Schätzen der Menschheit zählt.
Wir als Autoren legten darauf Wert, die Lebensweise, Spiritualität und Bedeutung der australischen Ureinwohner dem Leser näher zu bringen. Dies erscheint uns als eine wichtige Aufgabe in unserer heutigen Gesellschaft, die durch Ignoranz und Vorurteile gegenüber Naturvölkern wie den Aborigines geprägt ist. Ein Appell an das Gewissen zu mehr Toleranz, soll daher das höchste Ziel unserer Arbeit sein.
Dabei stießen wir auf einige Probleme, von denen sich manche lösen ließen aber bei anderen mußten Kompromisse eingegangen werden. Ein solcher war zum Beispiel die Anwendung unterschiedlicher Zeitformen. Bei der Beschreibung der Lebensweise und dem damit verbundenen Umgang mit der Natur wurde bei nicht mehr existenten Handlungen das Präteritum und bei heute noch üblichen oder möglichen Vorgehensweisen das Präsens verwendet.
Trotz Schwierigkeiten , Mühen und großem Zeitaufwand hat uns die Arbeit an diesem Thema sehr viel Freude bereitet und zu der Erweiterung unseres geistigen Horizontes beigetragen. Wenn ein persönlicher Dank hier seinen Ort finden darf, so ist es ein siebenfacher: er gilt unseren Familien, die uns in allen Phasen der Arbeit beistanden, Joist Grolle, der uns bei vielen formellen Problemen half, Annegret Rühle, die uns fachlich Tips und Anregungen gab, Rowina, ein Aborigine, die eine von uns persönlich kennenlernen und interviewen durfte und schließlich unseren Betreuern an der Schule Frau Bräutigam und Frau Müller, die das Entstehen jedes Kapitels dieser Arbeit mit ihrem Rat verfolgten.
I. Einleitung
Die Faszination eines Landes wird ausgelöst durch einzigartige Landschaftsformen, durch Vegetation oder durch exotische Tierarten, die von der Norm des Betrachters abweichen.
Derartige Gedanken sind auch in den Köpfen der Menschen zu finden, wenn sie an Down Under denken, einer anderen Bezeichnung für Australien. Aber es sind nicht nur diese Art von Dingen, die die Fremdheit eines Kontinents ausmachen. Dieses Land hütet seit mehr als 40.000 Jahren die Geheimnisse der Lebensweise eines Naturvolkes und dessen Kultur - die der Aborigines. Diese Bezeichnung wird aber keinesfalls im abwertenden Sinn verwendet. Sie stammt ab von dem lateinischen Ausdruck ab origine, was „in freier Übersetzung bedeutet: jemand, der von Anfang an da war”1.
Im Gegensatz zu uns verfügten diese Ureinwohner über ein derart komplexes Wissen über die Natur, die Lebewesen und über die Menschen, die diesen Lebensraum bewohnen. Die Erde wurde von ihnen als heiliger Nährboden und Lebensquell bezeichnet, was besagt, mit der Natur in Einklang zu leben und sie nicht zu zerstören. Weder Geld noch Besitz ist ein Privileg ihrer Gesellschaft. Wir, die wir uns Mitglieder einer zivilisierten Gesellschaft nennen, haben bei so einer Art von Leben wie dem der Aborigines meist den Gedanken von Primitivität im Hinterkopf.
Da dieser Fakt keineswegs zutrifft, möchten wir mit der nachfolgenden Abhandlung das Verständnis und Interesse für ihre Art von Zivilisation und die damit verbundene Spiritualität wecken. Dabei sind aber auch die negativen Auswirkungen aufzuzeigen, die ihnen die übergestülpte Lebensweise des weißen Mannes angetan hat.
II. Ursprung und Lebensweise
II.1 Die Besiedlung Australiens
Australien ist seit ca. 120.000 Jahren von den restlichen Landmassen isoliert. Daher ist es leicht vorzustellen, daß dieser Kontinent in Hinsicht auf seine Entwicklung gesondert von der Welt betrachtet werden muß. So überlebten dort z.B. bestimmte Tier- und Pflanzenarten, die auf anderen Teilen der Erde schon längst ausgestorben waren. Zur Zeit der Abtrennung vom Urkontinent Gondwanaland vor etwa 200 Millionen Jahren lebten in Australien eierlegende Kloakentiere und altertümliche Beuteltiere.
Einige prähistorische Tiere und Pflanzen haben als ”lebende Fossilien” bis heute überlebt. Zu diesen zählt der Lungenfisch (neoceratus), der nur im Mary River und einigen anderen Flüssen im Südosten Queenslands zu finden ist. Das Schnabeltier (platypus), der Schnabeligel (echidna) und die Marienpalmen im Palm Valley sowie die Macrozamia - Palmen in Zentral-Australien zählen auch zu den ”Ureinwohnern” Australiens. Nun stellt sich die Frage, wie ein Kontinent, der weit ab, ohne Verbindung zu weiteren Landmassen liegt, besiedelt werden konnte.
Zwar sank der Meeresspiegel zwischenzeitlich auf unter 50m unter den heutigen, jedoch kam es nie zu einer vollständigen Landbrücke zwischen Australien und Südostasien. Damit waren Australien und Neuguinea mit dem Sahul Shelf, einer Tiefebene, durch welche die südlichen Inseln Indonesiens an die Küste der Kimberlys heranreichte, miteinander verbunden. Aus diesem Grund blieb Australiens frühzeitlicher Mikro-Organismus erhalten. Am wahrscheinlichsten ist, daß die ersten Siedler Australiens vor etwa 40.000 bis 120.000 Jahren Menschen vom asiatischen Kontinent waren. Damit können die „australischen Aborigines die älteste kontinuierliche Kultur der Erde ihr eigen nennen”2. Vermutlich kamen die ersten Menschen entweder aus Neugier oder durch Klimaveränderungen durch ein Von-Insel-zu-Insel-”Springen” nach Australien. Sobald die Nomaden einmal Timor oder eine andere in der Nähe gelegene Insel erreicht hatten, konnten sie von hier aus Rauch am entfernten australischen Kontinent sehen. Blitze im trockenen Grasland können Buschfeuer erzeugen, die diese Rauchsäulen, die bis zu 110 km Entfernung sichtbar seien können, erklären würden.
Die Ankömmlinge erreichten wahrscheinlich mit Bambus- oder Mangrovenholzflößen Australien und brachten schon einen großen Teil ihres Wissens und Brauchtums in die ”neue Welt” mit. Dieses Wissen haben sie bis heute nicht verloren, doch sie haben es ergänzt und weiterentwickelt.
Die Menschen asiatischen Ursprungs sahen sich mit einem neuen, für sie völlig unbekannten Lebensraum konfrontiert, der aufgrund der Isolation des Kontinents keinem anderen auf der Erde glich. Was als Zeugnis eines langsamen Evolutionsvorganges übrigblieb, waren die Beuteltiere. Es wird allerdings nicht ausgeschlossen, daß die ersten Menschen Australiens den letzten Spezies der riesigen Urzeittiere begegnet sind, wie dem Riesenkänguruh (Procoptodon) und dem größten von allen, dem Wombat oder Diprotodon, einem Tier so groß wie ein Nashorn. Im Gegensatz zu Krokodilen und Thylacoleos, einem großen raubenden Beuteltier, stellten jene Tiere keine Bedrohung dar, da sie reine Pflanzenfresser waren.
Nach Klimaveränderungen und zunehmender Trockenheit im Landesinneren starben diese Tiere aus und die Aborigines lernten mit dem fremden, einsamen und abseits liegenden Kontinent umzugehen. Sie folgten den Flußmündungen, um von den Küstenregionen der Kimberleys oder von der Cape-York- Halbinsel in das Innere des Landes zu gelangen. Nachdem sie gelernt hatten in diesem rauhen Umfeld zu überleben, traten sie in einen metaphysischen Austausch mit dem unbekannten Land. Somit verloren sie das Gefühl der Fremdheit und sogar Feindschaft, das die Regionen hervorzurufen schienen. Das Gefühl des Respekts verloren die Aborigines allerdings nie und bewiesen mit ihrer Lebensweise große Ehrfurcht vor Mutter Natur.
Die Aborigines können weder kulturell noch ethisch zugeordnet werden, jedoch fand man durch neueste molekular-genetische Untersuchungen heraus, daß sich die australisch-orientalische Abstammungslinie vor etwa 40.000 Jahren teilte. Im Laufe der Jahrtausende wurde der Kontinent nicht nur von unterschiedlichen Menschengruppen bevölkert, sondern auch von den „unterschiedlichen geistigen Konzepten, Glaubensvorstellungen und Bräuchen beeinflußt”3. Die Menschen selbst besitzen keine schriftlichen Zeugnisse aus dieser oder anderen Zeiten der Geschichte. Doch die Zeit der Besiedlung und der Schöpfung des Landes wurde in vielfältigen Mythen mündlich überliefert oder ist in den unzähligen ”Natur-Bibliotheken” (Felsmalereien) nachvollziehbar. Dadurch wird die Geschichte dieses Volkes genauso real und gelebte Wirklichkeit wie das momentane ”Jetzt”.
II.2. Das Leben der Ureinwohner
Zu Beginn ist zu sagen, daß die Lebensart der Aborigines sehr einfach, aber dennoch überaus komplex, rückständig in materiellen Dingen und doch hochentwickelt im spirituellen Sinne (siehe dazu III.) ist. Diese Rückständigkeit stellt allerdings eine bewußte Wahl dar, da sie es anstrebten, religiöse Werte über materielle zu stellen. Gemäß ihrem Glauben „können wir Menschen unseren wahren Ursprung finden, da wir über mehr verfügen als nur über eine materielle Existenz”4. Geistige Introvertiertheit verlieh ihnen eine Stärke, die jede Sympathie für jene ausschließt, die darüber unzufrieden sind, daß sie nicht über einen höheren Lebensstandard verfügen. Die Urgesellschaft der Aborigines lebte etwa 40.000 Jahren lang auf dem australischen Kontinent im Einklang mit der Natur als Jäger und Sammler. Die meisten Stämme hatten keinen festen Wohnsitz, sondern zogen im australischen Busch umher.
Für die Aborigines sind Geburt, Leben und Tod Bestandteil eines ewigen Kreislaufes, der undurchdringbar durch die Kraft des Geistes erneuert wird. Der Lebenszyklus beginnt mit dem Geist und kehrt zum Geist zurück. Ein solcher Lebenskreislauf beinhaltet mehrere Phasen, die den Eintritt in eine vorgegebene soziale Struktur und den Durchlauf verschiedener Stationen mit sich bringt. Sie können als soziale Transformationen angesehen werden, die innerhalb eines ewigen spirituellen Prozesses ablaufen.
Archäologische Untersuchungen haben die „Existenz eines komplexen Netzes von Handelsrouten und Wegen des Kulturaustausches offengelegt”5, das den gesamten Kontinent überspannte. Auf diese Weise stellt sich die früher allgemein akzeptierte Überzeugung, die Aborigines seien ziellos umherwandernde Nomaden mit wenig ernst zu nehmender sozialer und kultureller Struktur gewesen, mehr und mehr als Irrtum heraus. Eine Karte mit der Auswahl einiger Stämme und ihren Stammesterritorien ist in der Anlage 1 zu finden. Für den französischen Anthropologen Claude Lévi-Stauss waren die Aborigines die „Aristokraten des Geistes” 6 unter den Jäger-Sammler-Gesellschaften. Sie besaßen bereits sehr früh ein „hochentwickeltes System der Landnutzung und Landschaftspflege” und entwickelten eine stark ritualisierte Gesellschaft, in der das „tägliche Leben in einer Symbiose mit dem Universum ablief”7.
Ein Stamm bestand oder besteht zum Teil heute noch aus ungefähr 500 Männern, Frauen und Kindern.
Familiäre Bedingungen sind tragende Säulen in der Gesellschaft der Aborigines.
Bei der Schwangerschaft einer Frau ist interessant, daß sich ein Ahnenwesen im Fötus als Kindgeist inkarnieren kann und dieser eine direkte Verbindung zur Traumzeit herstellen kann. Eine solche Inkarnation belebt den Fötus mit jenem ”Geist”, ohne den er sterben würde. Diese Kindergeister wohnen in der verschiedensten „spirituellen Zentren” des Landes - meist in Wasserlöchern - und es wird behauptet, daß sie im Umkreis des Lagerfeuers sichtbar sind, jedoch verschwinden, wenn man näher kommt. Der Empfängnisort ist von großer Bedeutung, da er Rechte auf Land impliziert und die Stellung des Kindes innerhalb der Gruppe begründet. Die Geburt an sich umspannt nur wenige Rituale und Zeremonien, da vorausgesetzt wird, daß es bei der Geburt keine Komplikationen geben wird. Der Ort der Geburt ist allerdings für das spätere Leben des Kindes und seine Stellung in der Gemeinschaft sehr entscheidend. Die Namensgebung eines Kindes ist sehr kompliziert und mit der unseren nicht zu vergleichen. Nach der Geburt erhält das Baby meist von älteren Familienmitgliedern seinen Eigennamen, der sich auf ein bestimmtes Merkmal des Landes, des Meeres oder des Himmels beziehen kann. Dieser Name wird bis zur Pubertät verwendet, bis das Kind initiiert wird, dann erhält es einen neuen Namen. Der erste Name wird als ”geheimer Name” behalten, darf aber in der Allgemeinheit nicht verwendet werden.
Im Alltag bevorzugen die Aborigines die Verwendung allgemeiner Verwandtschaftsbeziehungen wie „Schwester” oder „Vater”. Mit viel Liebe und Zärtlichkeit wird sich um die Kinder gekümmert und auch die Väter widmen sich mit viel Hingabe und unendlichem Langmut ihrem Nachwuchs.
Kleine Kinder genießen außerdem viel Freiheit in der Aborigines-Gesellschaft und waren bei allen Aktivitäten der Erwachsenen dabei, wobei ihnen jedes ungehörige Benehmen verziehen wurde. Grundsätzlich wurden Kinder nicht bestraft, aber von älteren Kindern wurde erwartet, daß sie eine Art Vorbild für die Kleinen darstellen.
Die Pubertät ist bei den Aborigines eine sehr wichtige Lebenserfahrung, die den Einzelnen zum vollwertigen Mitglied der Gemeinschaft macht. „Geschlechtsverkehr vor der Pubertät gab es allerdings nicht.”8 Wenn ein Mädchen das heiratsfähige Alter erreicht hat, muß es sich einer rituellen Operation unterziehen, die ”Atna-ariltha-kuma” genannt wird. Diese Beschneidungszeremonien ähneln denen der Jungen und werden von einem älteren Stammesmitglied vollzogen, das nicht mit dem Mädchen rituell verbunden ist. Die Initiationsriten sind in III.2. und Anlage 3 näher beschrieben.
Selbstverständlich war es jedoch, daß junge Leute vor der Ehe sexuelle Beziehungen hatten.
Wenn beide Geschlechter zu akzeptierten Mitgliedern der Gemeinschaft geworden sind, wird meisten die Verlobung gefeiert, die oft schon im Kindesalter versprochen wurde und mit den Hochzeitsvorbereitungen begonnen. Traditionell ist die Heirat nicht nur eine Herzensangelegenheit.
Es gab ein sehr komplexes Verwandtschaftssystem, welches durch die totemistische Identität - eine religiöse Zuordnung - gekennzeichnet ist. Jede Person wird in ein solches Totem hineingeboren, was entweder ein Tier, ein Naturphänomen oder eine Pflanze ist. So gehört jeder in eine bestimmte Gemeinschaft innerhalb des Stammes, die ihr eigenes Wissen, ihre eigenen Lieder und Gesänge hat. Aufgrund dieses Totems durften z.B. nur Ehen innerhalb bestimmter ”Tiere” geschlossen werden. Es war verboten einen Ehepartner aus seiner eigenen ”Klasse” zu erwählen, denn diese und andere Regeln des gemeinsamen Lebens sollten vor allem Degenerationserscheinungen durch Inzest verhindern. Dies geschieht mit der Absicht, daß sich die menschlichen Temperamente ausgleichen sollen, d.h. eine aktive Frau soll einen passiven Mann heiraten oder umgekehrt.
Es gibt noch vielfältige andere Charakterbeziehungen, die benutzt wurden, die jedoch alle einem Ziel dienen : der Gewährung einer langanhaltenden Stabilität und sozialen Harmonie innerhalb eines Stammes durch polare Ehebindungen.
Traditionell gab es auch einen großen Altersunterschied zwischen Männern und Frauen bei der Heirat, das heißt, daß ältere Männer jüngere Frauen heirateten. Dieser große Altersunterschied führte oft dazu, daß die Ehefrauen schnell Witwen wurden und dann einen jüngeren Mann heiraten konnten. Außerdem hatten junge Frauen neben ihren älteren Männern oft junge Liebhaber, über die die anderen Stammesmitglieder großzügig hinwegsahen. Sexuelle Beziehungen zu anderen klassenzugehörigen Ehemännern oder -frauen wurden weder als ehebrecherisch betrachtet, noch schwächten sie eine glückliche Ehe. Um die Harmonie der Ehe zu erhalten wird danach getrachtet, Affären nicht in auffallender Weise zu zeigen.
Über polygame Ehen bei Aborigines ist wenig bekannt, doch in den zentralen Regionen Australiens sind sie nicht selten. Ein Mann kann bis zu fünf Frauen heiraten, bei manchen Stämmen sogar zwanzig Frauen. Solche Ehebindungen sind das Ergebnis persönlicher Bevorzugung und es wird davon ausgegangen, daß es auch um wirtschaftliche Belange, Prestige und politische Bündnisse geht. Rivalitäten oder Eifersucht gibt es nur wenig unter den Frauen. Eine Frau wird weder als Eigentum ihres Mannes, noch als wirtschaftlich abhängig von diesem betrachtet. Ihr Status in der Gesellschaft richtet sich nach ihrer ”verehrten und gefürchteten” Fähigkeit, Kinder zu gebären. Große Achtung wurde ihnen aber auch entgegengebracht, da sie den Großteil der Nahrung für die Familie herbeischafften - zwei für das Überleben der Menschheit lebensnotwendige Qualitäten.
Das sexuelle Verhalten der Aborigines - ausgenommen wahllose Beziehungen - wird durch den Mythos, auf dem das soziale Verhalten basiert, gutgeheißen. Die Verhaltensmuster werden durch die großen Taten der Himmelshelden und mythischen Gestalten geschaffen.
Sakrale Liebe, mit der man die sexuellen Gruppenbeziehungen der Aborigines bezeichnet, wurde durchgeführt, um während dessen eine geballte Energiekonzentration zu erreichen. Indem man sexuelle Tabus brach, stand man außerhalb der konventionellen Moralgesetze und war damit mit den wilden Gesetzen der Natur auf einer Ebene.
Durch einen Ausgleich zwischen den Stammesgesetzen und den Gesetzen der Natur haben die Aborigines die Fähigkeit normale Liebesaktivitäten in eine mächtige Kraft zu verwandeln.
Das rituelle Übertreten der sozialen Gesetze vor dem Monsun gab den Aborigines die Möglichkeit, Beziehungen zu erfahren, die ihnen ansonsten verwehrt waren. Durch sakrale Liebe konnten sie ihren Körper in einen symbolischen Bereich transformieren, um die schöpferische Kraft der Natur wiederzugeben, wodurch sie sich dem Reich des Traumes näherten. Die Anrufung des Monsunregens durch den sexuellen Akt in der Gruppe garantierte, daß das Schauspiel der Natur den vollen Status der heiligen Ehe zwischen den Menschen und den ursprünglichen Kräften, die die Erde beherrschen, erlangte. „Die Welt wird neu erschaffen.”9
Erschöpfte Energien wurden wiederbelebt, und so hat sich die zeitlose Ordnung innerhalb der Natur zu Gunsten aller Lebewesen erneut bestätigt.
In allen Angelegenheiten, die die weibliche Fruchtbarkeit betreffen, wie Menstruation, Schwangerschaft und Geburt, halfen und unterstützten sich die Frauen gegenseitig. Hierbei gab es geheime Gesänge und Rituale, zum Beispiel solche, die die Geburt erleichtern sollten, von denen Männer grundsätzlich ausgeschlossen waren. Außerdem hatten die Frauen ein absolutes Verfügungsrecht über ihren Körper und ihre Gebärfähigkeit. Verhütungsmittel und Abtreibungsmethoden waren ihnen nicht fremd und so gibt es zum Beispiel die sehr interessante Praktik, unmittelbar nach dem Geschlechtsverkehr den Samen durch geschickte Bewegungen und Kontraktionen wieder auszustoßen. Jüngere Frauen machten von diesen Methoden Gebrauch, um ungestört ihr Liebesleben genießen zu können und ältere, da sie es vorzogen, relativ große Abstände zwischen den Geburten zu haben, um so das Risiko für die eigene Gesundheit zu verringern.
Wie in vielen anderen traditionellen Gesellschaften gab es auch bei den Aborigines eine mehr oder weniger ausgeprägte Arbeitsteilung unter den Geschlechtern.
Dies bedeutet, daß die Männer im Prinzip für die Jagd nach Tieren zuständig waren, während die Frauen Früchte, Knollen, Kräuter und Samen sammelten. Die Arbeit der Frauen war somit im allgemeinen leichter und angenehmer als die der Männer, die unter erheblichem Leistungsdruck standen und nach einem langen Tag in der brütenden Hitze oft mit leeren Händen zurückkehrten.Tatsächlich ist es nachgewiesen, daß die Frauen den größten Teil der Nahrung für ihre Familien beschafften. Nur gelegentlich jagten und fischten Mann und Frau gemeinsam; üblicherweise waren die männlichen und weiblichen Arbeits- und Geisteswelten streng getrennt, was sich nach Ansicht der Anthropologin Phyllis Kaberry, die 1939 mit einer Arbeit über Aboriginal-Frauen dazu beitrug, daß diese als vollwertige Mitglieder eines Stammes angesehen wurden, auch in der Sphäre der rituellen Aktivitäten niederschlug (siehe auch III.2.). Nach der Tradition durfte eine Hüterin über die geheimen Rituale und Gesänge nur zu Frauen, Hüter nur zu Männern sprechen.
Obwohl Männer und Frauen um das rituelle und zeremonielle Leben voneinander wissen können, ist es ihnen nicht gestattet darüber zu sprechen oder öffentlich ihr Wissen zu bekunden.
Gleichberechtigung ist ein schwieriges Thema, aber man muß sagen, daß der Mann eindeutig das statushöhere Wesen war und die Führung und Kontrolle des Stammes fast ausschließlich in den Händen der älteren Männer lag. Mit zunehmendem Alter erhielten aber auch Frauen immer mehr Rechte.
Es gibt in einem Stamm noch die sogenannten ”Clever-man”. Ihre wesentliche Aufgabe ist die spirituelle Führung des Stammes. Sie beinhaltete die Bestätigung und Vermittlung zwischen dem geistigen Reich des Traumes und der alltäglichen Realität. Außerdem wurden sie als „Heiler der menschlichen Seele”11 bezeichnet und wurden gerufen, um Wunderheilungen zu vollziehen oder Spannungen beizulegen. Die Stammesältesten sind die Hüter des Wissens und führen u.a. die Initiationsriten (Beschneidungsriten) durch, die es ermöglichen, „als Erwachsener in einem ganzheitlichen Leben ‘wiedergeboren’ zu werden”10. (Näheres in III.2.)
Mit fünfundfünfzig bis sechzig Jahren wird ein Aborigine von der Familiengruppe als „Älterer” eingestuft, doch das ist nicht das einzige Kriterium für einen solchen Status. Größere Anerkennung genießen die Kenntnisse der rituellen Angelegenheiten und entscheidende Führungsqualitäten, die er während des Erwachsenenlebens bewies. Allerdings können auch Personen mittleren Alters erhebliche Autorität erlangen, indem sie Anführer des Lagers oder durch bestimmte Initiationen ein ”Arzt” des Stammes oder ein traditioneller Heiler wurden. Der körperliche Vorgang des Alterns bringt sowohl Freuden als auch Enttäuschungen mit sich. Für ältere Männer wird es immer schwieriger große Beutestücke zu fangen oder zu transportieren und so entsteht eine größere Abhängigkeit zu den Söhnen oder Schwiegersöhnen. Ältere Frauen hingegen scheinen viel länger Buschnahrung zu sammeln als die Männer auf die Jagd gehen und auch die gegenseitige Unterstützung zwischen den Frauen scheint besser zu funktionieren.
Allgemein bringt das Alter einen höheren Rang und höheres Ansehen mit sich. Dabei besitzen die älteren Frauen und Männer größeren Einfluß innerhalb ihrer Gruppe. Aufgrund ihres geheimen rituellen Wissens verlangen sie Respekt. Sie haben aber auch die Verantwortung und Verpflichtung dieses Wissen an künftige Generationen weiterzugeben, denn auf dieser Weitergabe beruht die Kontinuität der Traditionen. Physische Fähigkeiten wie Telepathie und Hellsichtigkeit sind in den Aboriginal-Kulturen nichts Außergewöhnliches. Traditionelle Ärzte besitzen zusätzliche Kräfte, weshalb sie als ”hochrangige” Personen in hohem Ansehen stehen.
Am Ende des Lebenszyklus steht der Tod, doch für die Aborigines ist diese unausweichliche Tatsache eher ein Übergang als ein Ende. Er ist damit ein akzeptierter Bestandteil des ewigen Kreislaufes von Schöpfung und Zerstörung - von Empfängnis, Geburt, Heranwachsen, Reife, Niedergang, Tod und Wiedergeburt.
Voraussetzung ist allerdings, daß die richtigen Rituale gläubigen Herzens und kontinuierlich durchgeführt werden. Hierbei spielt der Mond im jahreszeitlichen Zyklus der Vegetation eine besondere Rolle, denn er war das erste Ahnenwesen, das starb.
Es gibt mehrere Tode und Wiedergeburten in den Kulturen der Aborigines. Bald nach dem Tod des physischen Körpers verläßt der Geist die materielle Ebene und betritt erneut das spirituelle Reich. Die Wiedergeburt hängt von den Umständen in der physischen Welt ab.
Die sozialen Auswirkungen des Todes können weitreichend sein, und es entstehen Verlustgefühle und Schmerz, wenn Personen sterben. Zur persönlichen Trauer kommt die erhöhte Bewußtwerdung der eigenen körperlichen Sterblichkeit. Nach der traditionellen Lebensart mußte jeder nach einem Todesfall das Lager verlassen und die Besitztümer der Person wurden entweder vernichtet oder rituell gereinigt. Es gibt verschiedene Bestattungsformen, wie Verbrennung, Mumifizierung, Einäscherung, Aufbewahrung auf einem Baum oder einer erhöhten Plattform oder einem hohlen Baumstamm. Ein solcher Baumstammsarg wird manchmal mit totemistischen Mustern bemalt und in der Landschaft dem natürlichen Verfall, dem Schicksal aller Materie, überlassen. Bei vielen Aborigines ist es Brauch, daß der Name des Verstorbenen nicht mehr erwähnt werden darf, doch das Gedenken an die Person wird bewahrt. Manchmal kommt es sogar vor, daß zu einem späteren Zeitpunkt dem Verstorbenen eine Rolle in heiligen Liedern zukommt. Es heißt, daß die Geister der Toten die Verwandten aufsuchen und ihnen im Traum Mitteilungen machen. Der Geist kann aber auch Lieder und rituelle Informationen vermitteln, die von großer spiritueller Wichtigkeit sind. Jeder Stamm oder jede Gemeinschaft sieht sich als Wächter oder Hüter eines bestimmten Gebietes. Sie müssen sich um dieses Land zu Ehren ihrer Vorfahren kümmern und es mit Gesängen, Tänzen und Ritualen am Leben erhalten. Auf diese Weise entstand ein ”Generationenvertrag”, der das Überleben des Volkes in größtmöglicher Harmonie mit der Natur garantierte.
II.3. Umgang mit der Natur
Die Beziehung der „wahren Menschen”12 zu ihrem Land ist derart stark, wie es wohl kaum bei anderen Kulturen der Fall ist. Um das anfängliche Gefühl der Fremdheit zu verlieren, haben sie ihre Territorien vermessen, wie moderne Kartographen es heute tun. Sie studierten die Grundzüge ihres Landes mit jedem Baum, jeder Höhle, jedem Felsblock, jeder Salzpfanne, jedem Bachbett und jeder Erhebung. Ihr komplexes geographisches Wissen über ihr Land ist derart vollständig, daß sie es symbolisch in einer Aufeinanderfolge von Zickzacklinien und Merkmalen in den Sand oder auf Schilde zeichnen könnten. Sie besitzen außerdem einen absoluten Kompaßsinn, und das auch außerhalb ihrer gewohnten Umgebung.
Durch ihre Spiritualität konnten die Aborigines „40.000 Jahre in Frieden und Einklang mit der Natur leben”13.
Allerdings führten sie nicht nur ein Leben mit der Natur, sondern sie wirkten auch auf sie ein. Da Savannen und offene, lichte Wälder besser zum Jagen geeignet waren, brannten die Ureinwohner regelmäßig ihre Jagdgründe ab und förderten damit gleichzeitig die Fruchtbarkeit des Bodens.
Vor 10.000 Jahren brachten sie den Dingo, einen australischen Wildhund, nach Australien, der zum Aussterben des tasmanischen Teufels auf dem Festland führte.
Das Land war bei den Aborigines gemeinschaftlicher Besitz, und sie betrachten es als den Erlöser und die Quelle ihres Wohlbefindens. Es hat somit eine völlig andere Bedeutung als für den Europäer. „Nichts ist ihnen fremder als die Vorstellung, daß man Land besitzen und für Geld kaufen und verkaufen kann”14 . Die Natur ist für die Aborigines viel mehr als ihre sichtbare Schönheit, denn sie betrachten sie nicht nur als Ergänzung oder Versorgungsquelle, sondern sie sehen die „Natur als Symbol einer tieferliegenden Wirklichkeit, die als heilig verstanden werden muß, wenn wahre Weisheit erlangt werden soll”15. Das enorme Wissen über die Natur kann als Ausdruck des Göttlichen verstanden werden und macht sie damit auf eine bestimmte Art zu Weisen. Die Fähigkeit, eine Verbindung zwischen der physischen und der geistigen Welt zu sehen und herzustellen, verlangt eine spezielle Form der Wahrnehmung. Dieses Einsichtsvermögen in eine Welt, in der alle Kräfte zusammengefaßt sind, die die sichtbaren und die unsichtbaren Bereiche beherrschen, ist für uns nur schwer begreiflich.
Durch die extremen Bedingungen in Australien waren die Aborigines von der Natur abhängig, die ihnen Nahrungsquelle und ”Heimat” zugleich war. Aufgrund dieser Abhängigkeit herrschte ein ständiges Geben und Nehmen. Aborigines vertrauten auf den Reichtum und die Vielfalt der Natur und legten auf ihren Wanderungen nie einen Vorrat an. Sie nahmen der Natur nur so viel, wie sie momentan brauchten. Trotzdem sahen sie die Gaben der Natur nicht als selbstverständlich an, sondern entschuldigten und bedankten sich für alles, was sie bekommen hatten. Nutzbarmachung und Ausbeutung waren ihnen unbekannt, denn Mensch, Tier, Pflanze und Erde bilden eine unzertrennbare Einheit. Die Aborigines studierten die Natur und zogen Rückschlüsse aus den Erkenntnissen, die sie zu der Überzeugung brachten, daß die Natur ein „Ausdruck eines tiefergehenden, ganzheitlichen metaphysischen Prinzip ist, das alles, was ist, umfaßt”16 .
Die umfassende Bedeutung des Landes wird für die Aborigines vor allem daran deutlich, daß der Verlust ihrer Heimat gleichzeitig einen Verlust ihrer Identität, eines Teils ihrer selbst bedeutet.
In Wahrheit liefern uns die australischen Ureinwohner eine Parabel des Überlebens und trotz der massiven Eingriffe in ihr Land und ihr Leben halten sie an ihrem kulturellen Erbe fest, denn sie sind ein mutiges Volk.
[...]
1 Dehne, Anne: Reiseführer, Berlin 1999, S.77.
2 Dehne, Anne: Reiseführer, Berlin 1999, S.77.
3 Cowan, James G.: Offenbarungen aus der Traumzeit, München 1992, S.20.
4 a.a.O., S.9.
5 Nile, R., Clerk, C.: Bildaltas der Weltkulturen , München 1995, S.32.
6 a.a.O., S.33.
7 ebd.
8 <http://www.uni-saarland.de/~su13mwfs/aus/i-ausabo.html> am 7.08.01.
9 Cowan, James G.: Offenbarungen aus der Traumzeit, München 1992, S.160.
11 Cowan, James G.: Offenbarungen aus der Traumzeit, München 1992, S.119.
10 Cowan, James G.: Offenbarungen aus der Traumzeit, München 1992, S.79.
12 Morgan, Marlo: Traumfänger, München 1995, S.36.
13 Dehne, Anne: Reiseführer, München 1999, S.77.
14 Dehne, Anne: Reiseführer, München 1999, S.77.
15 Cowan, James G.: Offenbarungen aus der Traumzeit, München 1992, S.9.
16 ebd.