Gegenstand dieser Arbeit bildet ein Komplex an Regelungen, welcher zwar bereits 1975 Eingang in die Strafprozessordnung (StPO) gefunden hat, dessen bundesweite Anerkennung (und Anwendung) durch die Praxis jedoch bis Mitte der 90er Jahre auf sich warten ließ: Die Sicherstellung von Einziehungs- und Verfallsgegenständen nach §§ 111b ff. StPO.
Die Gründe für eine nur zögerliche Aufnahme der Regelungen sind vor allem ihrer vermeintlichen Kompliziertheit an der Schnittstelle zwischen Straf(verfahrens)-, Zivil- und Vollstreckungsrecht geschuldet. Das – auf der anderen Seite – in diesen Regelungen steckende Potential soll mit dieser Arbeit für den interessierten Laien systematisch erschlossen und dargestellt werden.
Gliederung
A. Einleitung
I. Struktur und Reichweite der Arbeit
II. Zentrale Begriffe
B. Die Sicherstellung nach §§ 111b ff. StPO
I. Abgrenzung zu anderen Formen der Sicherstellung
II. Normgenese
III. Sicherungsformen
1. Tabellarischer Überblick
2. Beschlagnahme
3. Dinglicher Arrest
IV. Sicherstellung für Verfall und Einziehung
1. Tatbestandsvoraussetzungen
a) „Gründe für die Annahme“
b) Verfall (§ 73 StGB)
c) Einziehung (§ 74 StGB)
aa) Einziehungsgegenstände
bb) Tatbestandsvoraussetzungen
cc) Einziehungsanordnung
dd) Rechtsfolge der Einziehung
2. Rechtsfolge: Sicherstellung durch Beschlagnahme
a) Bewegliche Sachen
aa) Form der Beschlagnahme
bb) Anordnungskompetenz
cc) Durchführung der Beschlagnahme
dd) Rückgabe beschlagnahmter beweglicher Sachen
b) Sonderfall: Beschlagnahme von Druckwerken
c) Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte
d) Forderungen und andere Vermögensrechte
e) Schiffe, Schiffsbauwerke und Luftfahrzeuge
3. Begleitmaßnahmen und sonstige Rechtsfolgen
a) Anwendung der §§ 102 bis 110
b) Veräußerungsverbot
c) Rechtsübergang auf den Staat
V. Sicherstellung für Verfall und Einziehung von Wertersatz
1. Tatbestandsvoraussetzungen
a) „Gründe für die Annahme“
b) Verfall und Einziehung von Wertersatz
aa) Verfall von Wertersatz
bb) Einziehung von Wertersatz
cc) Rechtsfolge von Wertersatzeinziehung und Wertersatzverfall
2. Rechtsfolge: Sicherstellung durch dinglichen Arrest
a) Voraussetzungen und Durchführung des dinglichen Arrestes
b) Begleitmaßnahmen und sonstige Rechtsfolgen
VI. Sicherstellung für Verletztenansprüche
1. Tatbestandsvoraussetzungen
2. Rechtsfolgen
VII. Umfang und Dauer der Beschlagnahme
VIII. Rechtsmittel
C. Ausblick
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
A. Einleitung
Diese Arbeit behandelt ein Thema, welches bundesweit seit Mitte der 90er Jahre nach einigen (bundes-)gesetzlichen Änderungen[1], vor allem jedoch auf Grund von Initiativen auf Länderebene[2], ganz erheblich an Bedeutung gewonnen hat: Die Sicherstellung mutmaßlicher Einziehungs- und Verfallsgegenstände nach §§ 111b ff. StPO [3].
Obwohl bereits seit 1.1.1975 in Kraft, fanden die Vorschriften lange Jahre keine rechte Akzeptanz bei der Praxis. Noch 1992, also beinahe 20 Jahre nach ihrem Inkraftreten, schreibt Hans Achenbach[4] dieser Praxis, und hier v.a. der Justiz, eine wenig rühmliche Bestandsaufnahme ins Stammbuch:
„Die Bedeutung der §§ 111b ff. wird, gemessen an der Resonanz in der juristischen Literatur und veröffentlichten Judikatur, bisher erheblich unterschätzt. Die monströse Ausdehnung des Komplexes, die Häufung heterogener Ziele und zur Zielerreichung eingesetzter Mittel und die aus dem Geist des E 1962 geborene Perfektion wirken schon für sich abschreckend. Hinzu kommt die faktische Orientierung der Justiz an bürokratischer Routine, die derzeit durch die Erfahrung und den Begriff der Ressourcenknappheit [...] und die herkömmliche Handlungsabläufe festschreibenden Pensenschlüssel [...] eine unangemessene Überhöhung erfährt. Beides zusammen bewirkt eine ausgesprochene Berührungsangst, welche die Erkenntnis verhindert, daß es sich hier in Wahrheit um einen für die Ziele der Strafrechtspflege – Erhaltung der Normorientierung und Schadenswiedergutmachung – außerordentlich wichtigen Teil des Strafverfahrensrechts handelt. Es erscheint bemerkenswert, daß starke Impulse zu einer Aktivierung der §§ 111b ff. heute von der polizeilichen Praxis ausgehen [...]. Die Justiz dagegen scheint gegenüber den Schwierigkeiten und Belastungen der §§ 111b ff. ebenso wie gegenüber denen der §§ 73 ff. StGB in einer weitgehenden Verweigerungshaltung zu verharren.“
Achenbach nimmt in sehr deutlichen Worten Bezug auf ein Dilemma, dem wohl jeder, der sich intensiver mit der Materie auseinandersetzt, begegnet: Zum einen ist der mit den Vorschriften verfolgte kriminalpräventive und vor allem auch das Kriminalitätsopfer in den Blick nehmende Zweck ausdrücklich zu begrüßen und verleiht den Regelungen eine außerordentliche Attraktivität. Die Kehrseite ist jedoch ein zweifellos bestehendes Regelungsdickicht, das mit seinen Bezügen zum Zivil- und Vollstreckungsrecht zu durchdringen nicht einmal versierten Juristen auf Anhieb leicht fällt und das auch dem mit dieser Arbeit verfolgten Anspruch, einen zielgruppenadäquaten Überblick und Einstieg in die polizeilich durchaus interessante Materie zu geben, einiges abverlangt hat. Diesem Komplex wollen wir uns nunmehr systematisch annähern.
I. Struktur und Reichweite der Arbeit
Die Arbeit soll dem interessierten Leser in allererster Linie einen kompakten Überblick über die aus Sicht der Polizei wesentlichen Zusammenhänge der Sicherstellungsvorschriften geben. Über die rein rechtliche Darstellung hinaus, die sich in Aufbau und Inhalt vor allem an den o.g. Zielen orientiert, wird daher immer wieder eine Bezugnahme auf die sich aus der Sicht der Praxis ergebenden (polizeilichen) Implikationen erforderlich sein[5].
Es hätte den Rahmen dieser Darstellung gesprengt, alle Verästelungen der §§ 111b ff. zu verfolgen – Beschränkungen ergaben sich insofern aus den Anforderungen der Zielgruppe: In erster Linie wird es um die sich mit der Sicherstellung selbst befassenden Fragen gehen – Regelungen, die sich primär oder gar ausschließlich mit der weiteren justiziellen Abwicklung der Sicherstellungen beschäftigen und aus polizeilicher Sicht von nachrangigem Interesse sind, werden – wenn überhaupt – nur kurz gestreift.
Abschließend zur Beachtung: Auch wenn die Arbeit auf den Bereich der Verfolgung von Straftaten zugeschnitten ist, so ist doch wichtig zu beachten, dass die Maßnahmen der §§ 111b ff. über die Brückenvorschrift des § 46 I OWiG analog auch im Bereich von Ordnungswidrigkeiten anwendbar sind und der zuständigen Verwaltungsbehörde im Ordnungswidrigkeitenverfahren gem. § 46 II OWiG die StPO-Befugnisse der Staatsanwaltschaft zustehen.[6]
II. Zentrale Begriffe
Bevor wir uns im folgenden Kapitel mit den Einzelheiten der hier interessierenden Vorschriften beschäftigen werden, sollen zunächst mit Sicherstellung und Beschlagnahme zwei zentrale Begriffe eingeführt werden.
Sicherstellung ist der Oberbegriff für die förmliche oder formlose Herstellung staatlicher Gewalt über einen Gegenstand. Sicherstellungen der ersteren Art sind insofern förmlich, als sie nach den in der StPO geregelten Verfahrensweisen abzulaufen haben – bei formlosen Sicherstellungen ist die Beachtung solcher Regelungen gerade nicht erforderlich.
Die förmliche Sicherstellung findet statt durch Beschlagnahme, welche in der Regel durch Überführung des Gegenstandes in amtlichen Gewahrsam und Begründung eines öffentlich-rechtlichen Verwahrungsverhältnisses vollzogen wird.[7] Allerdings sind Beschlagnahmen auch auf andere Weise möglich, z.B. dann, wenn Gegenstände auf Grund ihrer Beschaffenheit (Grundstücke, Räume), ihrer Art (vederblich, gefährlich) oder ihrer Größe nicht in Verwahrung genommen werden können oder wenn der Zweck der Beschlagnahme auch ohne Inverwahrungnahme erreicht werden kann[8].
Eine Sicherstellung kann demgegenüber formlos erfolgen, wenn die sicherzustellende Sache herrenlos oder der Gewahrsamsinhaber nicht bekannt ist, oder wenn die Sache vom Verfügungsberechtigten ‑ ausdrücklich oder stillschweigend ‑ freiwillig zur Verfügung gestellt wird (wobei andererseits die freiwillige Herausgabe eine förmliche Sicherstellung durch Beschlagnahme nicht ausschließt[9] ). Formlosigkeit bedeutet dabei insbesondere, dass es auf Grund der Herrenlosigkeit bzw. Freiwilligkeit der Herausgabe weder einer besonderen Anordnungskompetenz noch bestimmter Anforderungen hinsichtlich der Durchführungsbefugnis bedarf, so dass diese durch jedes Strafverfolgungsorgan vorgenommen werden kann.
Im Rahmen der §§ 111b ff. ist die förmliche Sicherstellung vorgeschrieben und in verschiedenen Formen anzutreffen (vgl. § 111c). Auf diese wird in der Folge noch im Einzelnen zurückzukommen sein.
B. Die Sicherstellung nach §§ 111b ff. StPO
Die Vorschriften der §§ 111b-111n StPO bilden v.a. das Instrumentarium zur schnellen vorläufigen Sicherstellung von aus Straftaten erlangten Vorteilen. Sie dienen dazu, schon im frühen Stadium eines Ermittlungsverfahren den staatlichen sowie – im Fall der in § 111b V geregelten Rückgewinnungshilfe – ggfs. den privaten Zugriff auf bestimmte Vermögenswerte zu sichern. Denn Verfall bzw. Einziehung (zu den Begriffen s.u. Abschnitte IV 1b, S. 13 und IV 1c, S. 15) werden erst mit dem Urteil, das am Ende eines unter Umständen langen Strafverfahrens steht, ausgesprochen und es ist unschwer nachzuvollziehen, dass ein Tatverdächtiger bestrebt sein wird, sich in der Hauptverhandlung vermögenslos zu stellen.[10] Aus diesem Grund sind frühzeitige Sicherungsmaßnahmen ein geeignetes und wirksames Mittel, solchen Einwänden und nachträglichen Vermögensverfügungen entgegenzutreten.
I. Abgrenzung zu anderen Formen der Sicherstellung
Im Stadium des Ermittlungsverfahrens kennt das deutsche Strafprozessrecht zwei Arten von Sicherstellungen: Zum einen die mit vorliegender Arbeit thematisierte Sicherstellung für Verfall, Einziehung und Rückgewinnungshilfe gem. §§ 111b ff., zum anderen die Sicherstellung von Beweisgegenständen gem. §§ 94, 98.[11]
Während die Sicherstellung im ersteren Fall allein durch Beschlagnahme (zum Begriff s.o. Kapitel A II, S. 3) möglich ist, ist nach § 94 eine Beschlagnahme nur erforderlich, wenn der Gegenstand nicht freiwillig herausgegeben wird (vgl. § 94 II); ansonsten genügt eine formlose Sicherstellung.
Kommt ein Beweisgegenstand zugleich als Verfalls- oder Einziehungsgegenstand in Betracht, so ist die Beschlagnahme nach § 94 zwar ausreichend[12] ; wegen des nur nach § 111c V eintretenden Veräußerungsverbots empfiehlt sich aber die gleichzeitige Beschlagnahme nach §§ 111b I, 111e. Jeder nach § 94 beschlagnahmte Gegenstand steht für die Sicherung des Verfalls und der Einziehung zur Verfügung; umgekehrt kann jeder nach §§ 111b ff. beschlagnahmte Gegenstand zugleich als Beweismittel verwertet werden, wobei jedoch für das Akteneinsichtsrechts des Verteidigers gem. § 147 die Beschlagnahme nach § 94 erforderlich ist[13].
Eine weitere, auf das Vermögen zielende Beschlagnahmevorschrift findet sich in den Regelungen zum Verfahren gegen Abwesende. Nach § 290 I kann durch Beschluss des Gerichts das inländische Vermögen des abwesenden Angeklagten „mit Beschlag belegt“ werden, wenn gegen ihn der Erlass eines Haftbefehls gerechtfertigt wäre. Ausschließlicher Zweck dieser Vermögensbeschlagnahme ist, die Gestellung des Abwesenden zu erzwingen und dadurch die Durchführung der Hauptverhandlung zu ermöglichen.[14]
II. Normgenese
Die Vorschriften der §§ 111b-111l haben erst relativ spät, nämlich im Zuge der großen Strafrechtsreform (1969 bis 1975) der sozial-liberalen Koalition durch Art. 21 Nr. 29 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) vom 2.3.1974[15] (in Kraft seit 1.1.1975) Eingang in die Strafprozessordnung gefunden. Der Bedarf nach einem Instrument zur vorläufigen Sicherstellung rechtswidrig erlangter Vermögensvorteile (einschließlich ihrer Sicherung für Verletztenansprüche) war allerdings bereits im Jahr 1962 durch den Sonderausschuss des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform aufgezeigt worden. In einer Fußnote zum damals neu geschaffenen § 73 I 2 StGB (i.d.F. des 2. StrRG vom 14.07.1969[16] ) hieß es:
„In die Strafprozeßordnung ist eine Vorschrift aufzunehmen, wonach Vermögensvorteile, die Täter oder Teilnehmer aus einer Straftat erlangt haben, sicherzustellen, gegebenenfalls zu beschlagnahmen sind, wenn dringender Tatverdacht besteht. Soweit diese Vermögensvorteile nur deshalb nicht nach § 109 [des E 1962 = § 73 I 2 StGB; Anm. d. Verf.] für verfallen erklärt werden, weil Ersatzansprüche Dritter bestehen, ist eine Regelung folgender Art vorzusehen:
Den Geschädigten ist, soweit sie bekannt sind, von der Sicherstellung Mitteilung zu machen. Im übrigen sind sie öffentlich auf die Sicherstellung hinzuweisen. Ihnen ist eine Frist (von vielleicht drei Jahren) einzuräumen, innerhalb deren sie ihre Ansprüche gegen den Täter oder Teilnehmer geltend machen können. Zur Befriedigung dieser Ansprüche stehen die sichergestellten Vermögensvorteile zur Verfügung. Sind nach Ablauf der Frist noch Vermögensvorteile vorhanden, so gehen sie auf den Staat über. Vorher ist für den Verurteilten noch einmal die Möglichkeit einer rechtlichen Überprüfung der Höhe der aus der Straftat erlangten Vermögensvorteile zu eröffnen.“[17]
Die Umsetzung dieser Forderung erfolgte im wesentlichen in den §§ 111b ff., wobei jedoch von der damals vorgeschlagenen Möglichkeit, als Verletzter Ansprüche auch noch nach Jahren geltend machen zu können, aus Gründen der Rechtssicherheit und der Praktikabilität Abstand genommen wurde:
„Es wurde allerdings nicht als durchführbar erachtet, Gegenstände allgemein während eines längeren Zeitraums nach Abschluß des Strafverfahrens zur Verfügung etwaiger Verletzter zu halten und nach Fristablauf die erneute Überprüfung in einer Art Nachverfahren und sodann den Übergang auf den Staat vorzusehen. [...] Weiterhin ist aus Gründen der Prozeßökonomie und im Interesse der Klarheit für alle Beteiligten angezeigt, die Hauptverhandlung grundsätzlich mit einer endgültigen Entscheidung abzuschließen.“[18]
In der Praxis erlangten die Vorschriften zunächst wenig Bedeutung.[19] Dies wurde v.a. auf die hohe Komplexität der Materie, die ihren Niederschlag in einer außerordentlich komplizierten gesetzlichen Regelung gefunden hat[20], zurückgeführt. Hieran hat sich bislang nichts geändert – zu einer noch in der 13. Legislaturperiode geplanten und mit Gesetzentwürfen bereits vorbereiteten Gesamtrevision des Einziehungs- und Verfallsrechts ist es nach dem Regierungswechsel 1998 nicht mehr gekommen.[21]
Lediglich in zwei Punkten hat der Gesetzgeber die Vorschriften seit ihrem Bestehen den (mutmaßlichen oder begründeten) Anforderungen der Zeit angepasst:
Zunächst kam es im Jahre 1992 durch das Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetzbuchs und anderer Gesetze[22] im Bereich des Verfallsrechts zur Einführung des sog. Bruttoprinzips. Durfte sich die Anordnung des Verfalls bis dahin nur auf den vermögensmäßigen Zugewinn des Täters beziehen[23], wurde § 73 StGB dahingehend umformuliert, dass seither alles, was „der Täter oder Teilnehmer für die Tat oder aus ihr erlangt“ hat, dem Verfall unterliegt. Diese Gesetzesänderungen hat sich insofern auch auf das Verfahren nach §§ 111b ff. ausgewirkt, als die sicherstellende Behörde mit Blick auf das Übermaßverbot keine Überlegungen hinsichtlich des Umfangs der vorläufigen Beschlagnahme anstellen muss. Dem sichernden Zugriff unterliegen alle vermögenswerten Gegenstände, soweit der Anfangsverdacht für eine Straftat besteht und von einer späteren richterlichen Verfallsanordnung ausgegangen werden kann.
Die zweite Änderung betrifft die §§ 111b ff. selbst. Bei Schaffung der Vorschriften hatte man auf Grund der mit einer Sicherstellung (sowie ggfs. mit deren Begleitmaßnahmen) einhergehenden, relativ schwerwiegenden Grundrechtseingriffe, eine hohe Eingriffsschwelle für erforderlich gehalten. Danach mussten „dringende Gründe“ für eine spätere richterliche Einziehungs- oder Verfallsanordnung sprechen. Diese Voraussetzung erwies sich in der Folge jedoch allzu oft als Hemmschuh einer effektiven Sicherstellungspraxis. Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 04.05.1998[24] hat der Gesetzgeber dieser, vor allem von Praktikern vorgebrachten Kritik Rechnung getragen und den erforderlichen Verdachtsgrad durch Streichung des Wortes „dringend“ zum einfachen Verdacht (entspricht dem Anfangsverdacht des § 152 II) herabgestuft.
Auch wenn mit den beschriebenen Anpassungen die Handhabung der Vorschriften in zentralen Punkten erleichtert wurde, wird die Reform des Einziehungs- und Verfallsrechts insgesamt noch als notwendig angesehen.[25] Die am Ende der 13. Legislaturperiode nicht mehr zustande gekommene Gesamtüberarbeitung, die im Bereich des Verfahrensrechts zu einer wesentlichen Vereinfachung geführt hätte, wäre insofern auch heute ein geeigneter Anknüpfungspunkt.[26]
Bevor wir uns im IV. und den folgenden Kapiteln (unten S. 12 ff.) mit den Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 111b ff. beschäftigen, soll im folgenden Abschnitt zunächst ein tabellarischer Überblick über die Vorschriften gegeben und deren zentrale Sicherungsformen, die Werkzeuge der Sicherung: Beschlagnahme und dinglicher Arrest, vorgestellt werden.
III. Sicherungsformen
Die §§ 111b ff. bilden heute ein sehr ausdifferenziertes Instrumentarium zur (vorläufigen) Sicherung von Vermögenswerten, das auf den ersten Blick äußerst kompliziert wirkt und worauf zumindest teilweise die geringe Popularität der Regelungen zurückzuführen sein dürfte. Zur besseren Orientierung sei deswegen zunächst ein tabellarischer Überblick über die möglichen Sicherungsformen gegeben (nachfolgend 1). Im Anschluss werden – im Sinne einer ersten Orientierung ‑ die wesentlichen Aspekte der im Rahmen der §§ 111b ff. anzutreffenden Sicherungsformen, Beschlagnahme (unten 2) und dinglicher Arrest (unten 3), dargestellt.
1. Tabellarischer Überblick
Nachfolgende Tabelle stellt in groben Zügen die rechtlichen Grundlagen der Sicherstellung für Einziehung und Verfall (Spalten 1 und 2) sowie derjenigen zur Rückgewinnungshilfe (Spalte 3) dar. Die inhaltlich über das bisher Dargestellte hinausgehenden Erläuterungen sind nicht als Vorgriff auf später folgende Kapitel zu verstehen, sondern sollen den Rückbezug auf die Tabelle erleichtern und diese insgesamt aus sich heraus verständlich machen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Gegenstände können sein: bewegliche Sachen, Grundstücke, Forderungen und andere Vermögensrechte sowie Schiffe und Luftfahrzeuge.
2 Dieser Begriff ist hier in dem Sinne zu verstehen, dass die Herausgabe des Einziehungs- oder Verfallsgegenstandes aus irgendeinem Grund nicht möglich ist.
3 Funktionell zuständig ist im Ermittlungsverfahren der Ermittlungsrichter (§§ 162 bzw. 169 StPO) und nach Anklageerhebung das nach §§ 24 ff. und 74 ff. GVG zuständige Gericht.
2. Beschlagnahme
Wo unmittelbar auf inkriminierte, also Einziehung oder Verfall unterliegende Gegenstände zugegriffen wird, erfolgt die Sicherstellung gem. § 111c ausschließlich durch Beschlagnahme. Dabei werden unter dem Begriff der Beschlagnahme, in Abhängigkeit vom Sicherungsobjekt, eine ganze Reihe verschiedenartiger Sicherungsinstrumente zusammengefasst, wie ein Blick in die Absätze 1-4 der Vorschrift zeigt. Ohne auf rechtliche Detailfragen einzugehen[27], seien diese im Folgenden kurz vorgestellt:
a) Bewegliche Sachen werden von der beschlagnahmenden Behörde in Verwahrung genommen oder die Beschlagnahme wird gem. § 111c I „durch Siegel oder in anderer Weise kenntlich gemacht“. Letztere Form kommt in Betracht, wenn die Verwahrung bei der Behörde wegen Art oder Größe der Sache unmöglich oder aus anderen Gründen (z.B. fehlende Lagermöglichkeit verderblicher Waren) nicht angebracht ist.[28]
b) Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte (v.a. das Wohnungseigentum) werden durch Eintragung eines Beschlagnahmevermerks ins Grundbuch sichergestellt. Den genauen Umfang der Beschlagnahme bestimmen die nach Abs. 2, S. 2 d.V. entsprechend anwendbaren §§ 20 II, 21 ZVG.
c) Bei Forderungen und anderen Vermögensrechten wird die Beschlagnahme durch Pfändung entsprechend den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in Forderungen und andere Vermögensrechte (§§ 829-863 ZPO) bewirkt, wobei die Staatsanwaltschaft (in Person eines Rechtspflegers) die Aufgaben des Gerichtsvollziehers wahrnimmt (vgl. § 829 II 2 ZPO und § 111f I).
d) Schiffe, Schiffsbauwerke und Luftfahrzeuge werden, dem Grundsatz des § 111c IV 1 folgend, wie bewegliche Sachen, also durch Ingewahrsamnahme oder Kenntlichmachung, beschlagnahmt. Soweit Fahrzeuge der vorbezeichneten Art im entsprechenden Register[29] eingetragen sind, wird eine Beschlagnahme dort vermerkt. Nicht eingetragene, aber eintragungsfähige Fahrzeuge können gem. § 111c IV 3 zur Eintragung der Beschlagnahme angemeldet werden.
[...]
[1] vgl. die Darstellungen zur Normgenese, unten Kapitel B II, S. 5
[2] Die „Neuentdeckung“ der Beschlagnahmevorschriften für die Praxis wird v.a. Johann Podolsky vom LKA Baden-Württemberg zugeschrieben; vgl. ders., DPolBl. 2000, S. 24 ff. und Der Kriminalist 2001, S. 146
[3] Paragraphen ohne Gesetzesbezeichnung sind nachfolgend solche der StPO.
[4] AK-Achenbach, vor §§ 111b-111n Rdnr. 16 (Hervorhebungen im Original); vgl. auch schon seine kritisch-hoffnungsvolle Auseinandersetzung mit den Vorschriften aus dem Jahr 1985 in: FS-Blau, S. 7 ff.
[5] vgl. gerade zu den spezifisch polizeilichen Problemstellungen die Artikel von Hoffstadt, Der Kriminalist 2001, S. 152 f.; Müller, DPolBl. 2000, S. 27 ff.; Pietsch, DPolBl. 2000, S. 24 ff. und Veith, Der Kriminalist 2001, S. 151 f.
[6] Beachte aber, dass das Ordnungswidrigkeitenrecht keine Einziehung, sondern nur den Verfall kennt; instruktiv hierzu der Beitrag von Probst, DPolBl. 2000, S. 9 ff.
[7] vgl. Meyer-Goßner, Vor § 94 Rdnr. 3
[8] Maßnahmen der Sicherstellung sind bei Grundstücken und Räumen die Absperrung, die Versiegelung und das Verbot des Betretens, bei beweglichen Sachen bspw. das Verbot an den unmittelbaren Besitzer, sie herauszugeben, zu vernichten oder sonst über sie zu verfügen.
[9] LR-Schäfer, § 94 Rdnr. 35; Meyer-Goßner, § 94 Rdnr. 16
[10] vgl. Podolsky, DPolBl. 2000, S. 5
[11] Weitere, hier nicht erörterungsbedürftige Sicherstellungsregelungen enthalten §§ 132 III, 290, 443, 463b I, II sowie §§ 7, 8 UZwGBw und § 2 II GÜV. Darüber hinaus bestehen für präventiv-polizeiliche Zwecke Sicherstellungsregelungen in den Polizei- und Ordnungsgesetzen der Länder (bspw. § 14 HmbSOG) sowie für die Bundespolizei in § 47 BGSG.
[12] KMR-Müller, § 111b Rdnr. 10
[13] vgl. LR-Schäfer, § 94 Rdnr. 4 ff.; SK-Rudolphi, § 94 Rdnr. 4; Meyer-Goßner, § 94 Rdnr. 2
[14] Meyer-Goßner, § 290 Rdnr. 1
[15] BGBl. 1974 I, 469 ff.
[16] BGBl. 1969 I, 717 (734)
[17] Niederschriften, 5. Wahlperiode, S. 1022 (zit. nach BT-Drs. 7/550, S. 291 f.)
[18] BT-Drs. 7/550, S. 292
[19] Podolsky, Der Kriminalist 2001, S. 146: „Die Vorschriften führten bis Mitte der 90er Jahre in der justiziellen Anwendung eher ein Schattendasein. Nennenswerte Vermögenswerte wurden Kriminellen bis dahin nicht entzogen. Ebenso fanden keine gezielten und systematischen Abschöpfungsmaßnahmen statt.“ Die u.a. von Podolsky beschriebene „(Quasi-)Neuentdeckung“ der Vorschriften Mitte der 90er Jahre dürfte m.E. weniger mit deren legislatorischer Veränderung, als vielmehr mit der im Gefolge von Globalisierung (Europäisierung) und Ökonomisierung verstärkt wahrgenommenen Ressourcenknappheit der öffentlichen Haushalte zu tun haben.
[20] Achenbach (FS-Blau, S. 11) bezeichnet die Vorschriften gar als von „ledislatorisches Monstrum“; zustimmend: LR-Schäfer, § 111b Rdnr. 2
[21] vgl. BT-Drs. 13/9742 – Entwurf eines Gesetzes zur verbesserten Abschöpfung von Vermögensvorteilen aus Straftaten der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP; vgl. eingehend dazu Dollmann, Verfall, S. 19 ff.; vgl. auch Hetzer, Kriminalistik 2003, S. 152 sowie die Stellungnahme des Deutschen Richterbundes
[22] vom 28.02.1992, BGBl. 1992 I, 372
[23] Dieses sog. Nettoprinzip erlaubte es dem Täter bis 1992, eigene, aus Anlass der Tat gemachte Aufwendungen vom Verfallsbetrag in Abzug zu bringen.
[24] vgl. Art. 2 Nr. 6a, BGBl. 1998 I, 845 – zum Ganzen auch: Hetzer, Kriminalistik 1998, S. 239 sowie Meyer/Hetzer, NJW 1998, 1023 f.
[25] vgl. statt vieler: AK-Achenbach, §§ 111b-111d Rdnr. 16 ff.; Lackner/Kühl vor § 73, Rdnr. 2; aus kriminalistischer Perspektive: Bohne/Boxleitner, Kriminalistik 2004, S. 240 ff. jeweils m.w.N.
[26] Nachdem die Reform in der 14. Wahlperiode nicht wieder aufgenommen worden, entwickelten sich auf Länderebene Initiativen zur Vereinheitlichung und Effektivierung der Vermögensabschöpfung (vgl. Schmid/Winter NStZ 2002, S. 8 sowie BMI/BMJ, Sicherheitsbericht 2001, Teil II, S. 156). Anfang 2004 wurde ein neuer Anlauf zur Reform des Verfallsrechts genommen – derzeit ist der Referentenentwurf zur Stellungnahme bei den Fachbehörden der Länder.
[27] Einzelheiten zu den Beschlagnahmearten werden unten B.IV.2, S. 20 ff. dargestellt
[28] Meyer-Goßner, § 111c Rdnr. 5
[29] Schiffsregister bzw. Register für Pfandrechte an Luftfahrzeugen.
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