So wie der Computer als allerneueste Erfindung des Menschen zu neuen literarischen und visuellen künstlerischen Ausdrucksweisen anregt, die im Internet ein breitgefächertes Forum finden, so lud vor rund 80 Jahren das damals neue Medium Radio zu neuen kreativen, literarischen und auditiven Entfaltungsmöglichkeiten ein: Eine dieser Ausdrucksweisen war das Hörspiel.
Nahezu die gesamte literarische Intelligenz der Weimarer Republik - Alfred Döblin, Arnold Zweig, Bertolt Brecht, Walter Benjamin, Joseph Roth, Ernst Bloch, Kurt Weill, u.v.a. - haben eine mehr oder weniger intensive Beziehung zu diesem neuen Medium entwickelt. Das neue Medium wurde in den höchsten Tönen als weltbewegende Innovation gepriesen(1) , jedoch auch als mysteriöser Apparat dämonisiert(2) und am Ende von Kapitalisten und Nationalsozialisten funktionalisiert(3) .
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1 "Denn daß du an den Äther rührst, Funkturm, daß du als sichtbare Zeugung, aufgerichtet bist, um ins mächtige All die Wellen des Menschen auszupulsen, das erst, Funkturm, macht dich ja so schön, weil es dich magisch macht." - Zweig, Arnold: "An den Funkturm, den Nachbarn." In: Hay, Gerhard: Literatur und Rundfunk 1923-1933. Hildesheim 1975.
2 "Achten Sie darauf, wie diese irrsinnige Schallröhre scheinbar das Dümmste, Unnützeste und Verbotenste von der Welt tut und eine irgendwo gespielte Musik wahllos, dumm und roh, dazu noch jämmerlich entstellt, in einen fremden, nicht zu ihr gehörenden Raum hinein schmeißt - und wie sie dennoch den Urgeist dieser Musik nicht zerstören kann, sondern an ihr nur ihre eigene ratlose Technik und geistlose Betriebmacherei erweisen muß!" - Hesse, Hermann: Der Steppenwolf. Frankfurt am Main 1972.
3 Der Lautsprecher ist ein Instrument der Massenpropaganda, das man in seiner Wirksamkeit heute noch gar nicht abschätzen kann. Jedenfalls haben doch unsere Gegner nichts damit an-zufangen gewußt. Um so besser müssen wir lernen, damit umzugehen." - Goebbels, Joseph: Tagebuchnotiz, 1933.
Inhaltsverzeichnis
I. Einführung
II. Literatur im Wandel
2. 1 Technologischer Fortschritt und neue Wahrnehmung
2. 2 Wahrnehmung als ästhetische Komponente und ihre literarische Umsetzung in „Berlin Alexanderplatz“
III. Rundfunk – Entwicklung und Theorien
3. 1 Die Entstehung des Radios in Deutschland .
3. 2 Döblins Rundfunktheorie – Eine Utopie?
3. 3. Döblin, Brecht und Benjamin – Das Radio als Propaganda-Medium für sozialistische Ideologien
IV. Literatur und Rundfunk
4.1 Altes Medium vs. Neues Medium: "Berlin Alexanderplatz" vs. "Die Geschichte vom Franz Biberkopf"
4. 2 Die futuristischen Einflüsse in Döblins Hörspiel
V. Resümee und neue Partizipationsformen der Literatur
VI. Literaturverzeichnis
"Sprach Jeremia, wir wollen Babylon heilen, aber es ließ sich nicht heilen. Verlaßt es, wir wollen jeglicher nach seinem Land ziehen. Das Schwert komme über die Kaldäer, über die Bewohner Babylons." Berlin Alexanderplatz -
I. Einführung
So wie der Computer als allerneueste Erfindung des Menschen zu neuen literarischen und visuellen künstlerischen Ausdrucksweisen anregt, die im Internet ein breitgefächertes Forum finden, so lud vor rund 80 Jahren das damals neue Medium Radio zu neuen kreativen, literarischen und auditiven Entfaltungsmöglichkeiten ein: Eine dieser Ausdrucksweisen war das Hörspiel.
Nahezu die gesamte literarische Intelligenz der Weimarer Republik - Alfred Döblin, Arnold Zweig, Bertolt Brecht, Walter Benjamin, Joseph Roth, Ernst Bloch, Kurt Weill, u.v.a. - haben eine mehr oder weniger intensive Beziehung zu diesem neuen Medium entwickelt. Das neue Medium wurde in den höchsten Tönen als weltbewegende Innovation gepriesen[1], jedoch auch als mysteriöser Apparat dämonisiert[2] und am Ende von Kapitalisten und Nationalsozialisten funktionalisiert[3].
Das neue Medium faszinierte Skeptiker, wie auch Sympathisanten und brachte viel arbeitswütige Kreativität und liebevolle Auseinandersetzungen zum Vorschein. Und nur, weil Gutenbergs geniale Erfindung des Buchdrucks Literaten ab einem bestimmten Zeitpunkt - nämlich ab der Entdeckung einer neuen Technik als Art "Spielwiese" - nicht mehr gänzlich zu befriedigen scheint.
Warum dies so zu sein scheint, möchte ich in dieser Arbeit am Beispiel des Hörspiels "Die Geschichte vom Franz Biberkopf"[4] von Alfred Döblin und dem vor rund 80 Jahren entwickelten Rundfunk untersuchen. Auch die Frage, ob es für so einen komplex strukturierten Roman wie "Berlin Alexanderplatz"[5] überhaupt eine Möglichkeit zur literarischen Umsetzung im Hörfunk gibt, werde ich mittels Döblins rundfunktheoretischen Ansichten erörtern. Und die unendliche Utopie der Hörer-, Leser-, und Zuschauerbeteiligung, die sozialistisch geprägte Hoffnung eines beidseitigen Kommunikationsvorgangs, wird uns als zentrale Frage durch diese Arbeit führen und einen Ausblick auf neue Ideologien und Technologien geben.
II. Literatur im Wandel
2. 1 Technologischer Fortschritt und neue Wahrnehmung
Alfred Döblin hat mit Berlin Alexanderplatz einen Roman geschrieben, in dem er sich nicht nur thematisch mit der fundamentalen Irritation der Wahrnehmung auseinander setzte, mit der sich die in den Großstädten des beginnenden 20. Jahrhunderts lebenden Menschen permanent konfrontiert sahen, sondern er versuchte in seinem Werk auch, die neue Erfahrungswirklichkeit des urbanen Menschen in darstellungs-ästhetischer Hinsicht zu verarbeiten.
Die Wahrnehmungsherausforderungen, die durch die Konzentration von Produktion, Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien (vor allem das Radio), Handel, sowie Verkehrs- und Informationsfluss an den Menschen des 20. Jahrhunderts gestellt wurden, waren und sind für die im großstädtischen Lebensraum lebenden Menschen besonders stark ausgeprägt. Durch das unglaubliche Tempo, mit dem die städtischen Lebensräume expandieren, erlangt das Dilemma des modernen Menschen, mit seinen gewohnten Wahrnehmungsmustern die neuartige Erfahrungswirklichkeit nicht mehr abbilden zu können, für eine immer größere Zahl von Menschen an Aktualität. Im Jahr 1800 war Peking die einzige Millionenstadt, 1850 überschritten London und Paris die Millionengrenze und als Döblin seinen Roman Berlin Alexanderplatz 1929 veröffentlichte, gab es weltweit bereits über 16 Großstädte mit über einer Millionen Einwohnern. Der Prozess der Verstädterung, der von Beginn des 19. Jahrhunderts an exponential voranschritt und dessen Ende bis heute nicht abzusehen ist, zeichnet sich für eine Revolution der Wahrnehmungsbedingungen des Menschen verantwortlich, wie sie in diesem Maße noch nie zuvor stattgefunden hat.
2. 2 Wahrnehmung als ästhetische Komponente und ihre literarische Umsetzung in „Berlin Alexanderplatz“
Diese sich rasant verändernde äußere Wahrnehmung, verknüpft mit einem ganz neuen Lebensgefühl, findet sich thematisch bei allen Vertretern des Expressionismus. So führte auch das Verhältnis von großstädtischer Erfahrungswirklichkeit zur Entwicklung neuer darstellungsästhetischer Konzepte in der Literatur der Moderne.
"Die alten Werke nutzten sich ab. Es veränderten sich auch die Umstände der menschlichen Gesellschaft, besonders rasch nach dem Eindringen der Technik. Und schließlich veränderten sich die Autoren selbst und wünschten, mit der Zeit Schritt zu halten."[6]
Das neue geistige Zeitalter entwickelt einen verzweifelten Protest gegen das in alten Autoritätsstrukturen erstarrte Bürgertum und gegen eine zunehmende Mechanisierung und Technologisierung des Lebens. Die progressive Gruppe der Autoren, die nach neuen Impulsen und Antworten auf die technischen Fortschritte suchte, wurde immer größer. Sie widersetzten sich sehr bewusst den konservativen feudalistischen und humanistischen Gruppen. Auch Alfred Döblin wurde zu dieser progressiven, aktivistischen Gruppe gezählt. Typisch für diese Art der Literatur war die Auflösung der traditionellen Formen in lose verknüpfte Bilderfolgen und chorisch-oratorischen Stimmenspielen. Und so wechseln sich auch in Berlin Alexanderplatz eingefügte Zeitungsausschnitte mit Monologen, Werbeslogans mit anderen mosaikhaften Einzelimpressionen ab, um das neuartige Lebensgefühl Berlins einzufangen. Man spürt förmlich wie verloren der kleine, naive Held Franz Biberkopf der übermächtigen, imposanten Großstadt gegenübersteht:
"Gewimmel, welch Gewimmel. Wie sich das bewegte. Mein Brägen hat wohl kein Schmalz mehr, der ist wohl ganz ausgetrocknet. Was war das alles. Schuhgeschäfte, Hutgeschäfte, Glühlampen, Destillen."[7]
Es wird geschildert, wie Franz Biberkopf alles versucht um dieser Großstadt Herr zu werden, sie zu erobern und zu unterwerfen, ähnlich wie Adam den Garten Eden, jedoch genau daran letztendlich scheitert muss.
Zur Darstellung der komplexen gegenwärtigen Welt verwendet Döblin vor allem die literarischen Mittel der Simultantechnik. Diese Technik, die zur Erfassung der Gleichzeitigkeit verschiedener, räumlich disparater Ereignisse mit dem Ziel, die Vielheit verschiedener Erscheinungen und die Mehrschichtigkeit der Wirklichkeit zu veranschaulichen, dient, wird erst durch die, beim Film bereits verwendete Technik der Montage ermöglicht. Die Lebendigkeit, die immerwährende Bewegtheit wird durch diese Technik vermittelt und der Eindruck der laufenden Handlung verstärkt. Die Liedertexte, die Slogans der Werbeplakate, wie auch die unübersehbare Neuerung Döblins auf dem Gebiet des Erzählens, durch den stream of consciousness dienen ebenfalls diesem Zweck. Der stream of consciousness wird auch von James Joyce verwendet, und viele Kritiker weisen sogar auf Joyce in dieser Beziehung hin, aber Döblin widerlegt diese Behauptungen in dem er 1932 in Mein Buch ,,Berlin Alexanderplatz" schreibt: "Aber ich habe Joyce nicht gekannt, als ich das erste Viertel des Buches schrieb. Später hat mich ja sein Werk, wie ich auch öfter gesagt und geschrieben habe, entzückt, und es war ein guter Wind in meinen Segeln."
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[1] "Denn daß du an den Äther rührst, Funkturm, daß du als sichtbare Zeugung, aufgerichtet bist, um ins mächtige All die Wellen des Menschen auszupulsen, das erst, Funkturm, macht dich ja so schön, weil es dich magisch macht." - Zweig, Arnold: "An den Funkturm, den Nachbarn." In: Hay, Gerhard: Literatur und Rundfunk 1923-1933. Hildesheim 1975.
[2] "Achten Sie darauf, wie diese irrsinnige Schallröhre scheinbar das Dümmste, Unnützeste und Verbotenste von der Welt tut und eine irgendwo gespielte Musik wahllos, dumm und roh, dazu noch jämmerlich entstellt, in einen fremden, nicht zu ihr gehörenden Raum hinein schmeißt - und wie sie dennoch den Urgeist dieser Musik nicht zerstören kann, sondern an ihr nur ihre eigene ratlose Technik und geistlose Betriebmacherei erweisen muß!" - Hesse, Hermann: Der Steppenwolf. Frankfurt am Main 1972.
[3] Der Lautsprecher ist ein Instrument der Massenpropaganda, das man in seiner Wirksamkeit heute noch gar nicht abschätzen kann. Jedenfalls haben doch unsere Gegner nichts damit anzufangen gewußt. Um so besser müssen wir lernen, damit umzugehen." - Goebbels, Joseph: Tagebuchnotiz, 1933.
[4] Döblin, Alfred: Die Geschichte vom Franz Biberkopf. In: Döblin, Alfred: Drama - Hörspiel - Film. Olten 1983.
[5] Döblin, Alfred: Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf. München 1965.
[6] Döblin, Alfred: Die literarische Situation. Baden-Baden 1947. S. 12 ff.
[7] Döblin, Alfred: Berlin Alexanderplatz. München 1965. S. 15