Bernhard Schlink befasst sich in seinem Roman Der Vorleser intensiv mit der Schuldfrage. Vor allem anhand seiner beiden Hauptfiguren, Hanna und Michael erörtert er wodurch man sich am Geschehen des Zweiten Weltkrieges mitschuldig macht. Michael wird als passiver Schuldiger dargestellt, da er sich in eine ehemalige Aufseherin eines KZ-Lagers verliebt. Brisanter wird das Thema der Schuldfrage in Bezug auf die Aufseherin selbst. Hanna Schmitz ist Analphabetin und war an den Taten des Zweiten Weltkrieges durch ihre Arbeit als Aufseherin aktiv beteiligt.
Schlink bringt uns diese Person auf eine ganz ungewohnte Art und Weise nahe, nämlich indem er sie uns nicht als herzloses Monster vorstellt, sondern indem er uns nach und nach Sympathie für sie entwickeln lässt, bevor er uns in ihr dunkles Geheimnis einweiht. Schlink leitet somit eine neue Art der Konfrontation mit der nationalsozialistischen Vergangenheit ein. Wurde zuvor meistens der Konflikt mit der eigenen Familie in Bezug auf die Taten des Zweiten Weltkrieges gesucht, so finden wir hier eine neue Art der Auseinandersetzung: die eines Jungen mit seiner Geliebten. Auf diese Art wird die Distanz, die zuvor durch die sogenannte Väterliteratur zur Tätergeneration aufgebaut wurde, abgebaut. Es ergibt sich eine ganz neue Perspektive auf die Schuldfrage.
Schlink stellt Hanna nicht als klischeehafte Nazi-Verbrecherin dar, reduziert sie aber auch nicht auf eine simple Sympathiefigur, wodurch er den Leser dazu auffordert sich selbst ein Bild über diese Frau zu machen und sich ernsthaft mit ihr und ihren Taten auseinander zu setzen. Hinzu kommt der Analphabetismus als Behinderung, die verschiedene Handlungen von Hanna Schmitz erklärt. Ob man diese Behinderung allerdings als Verminderung ihrer Schuldfähigkeit ansehen soll, bleibt im Buch ungeklärt. Schlink überläßt seinen Lesern die schwierige Aufgabe, darüber zu urteilen, inwiefern Hanna eine gewalttätige nationalsozialistischen Täterin ist und inwiefern sie ein Opfer ihrer Leseschwäche und der ungewöhnlichen Umstände ist.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- Entwicklung der Figur im Buch
- Die Einführung von Hanna Schmitz im ersten Teil des Buches
- Die Liebesbeziehung zwischen Hanna und Michael
- Hanna vor Gericht
- Hannas Entwicklung im Gefängnis
- Vergleich von Hanna mit Hermine Ryan
- Die Schuldfrage
- Zusammenhang von Analphabetismus und Schuld
- Die Schwierigkeit über Hanna zu urteilen
- Die Schuld von Michael
- Konklusion
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Roman "Der Vorleser" von Bernhard Schlink befasst sich mit der komplexen Thematik der Schuld im Nachkriegsdeutschland, insbesondere im Kontext des Holocausts. Schlink erforscht die individuellen und gesellschaftlichen Dimensionen der Schuld, indem er die Beziehungen zwischen Hanna Schmitz, einer ehemaligen KZ-Aufseherin, und Michael, einem jungen Mann, in den Mittelpunkt stellt.
- Die Rolle des Analphabetismus als erklärender Faktor für Hannas Handlungen
- Die Ambivalenz der Figur Hanna Schmitz als Täterin und mögliches Opfer
- Die Frage nach der Schuld von Michael, der sich in Hanna verliebt und ihre Vergangenheit ignoriert
- Die Bedeutung des Schweigens und der Versöhnung in der Aufarbeitung der Vergangenheit
- Die Darstellung der Täter-Opfer-Dialektik im Kontext der NS-Verbrechen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Hauptfiguren und den zentralen Konflikt des Romans vor. Michael, der Protagonist, verliebt sich in Hanna, eine Frau, die sich ihm gegenüber als geheimnisvoll und kontrollierend präsentiert. Hanna, die Analphabetin ist, trägt ein Geheimnis mit sich, das den Leser langsam in die Vergangenheit der Nazizeit führt.
Die Figur Hanna Schmitz wird im zweiten Kapitel detailliert dargestellt. Schlink beschreibt ihre Lebensgeschichte und die Entwicklung ihrer Beziehung zu Michael. Dabei zeigt er die Ambivalenz ihrer Persönlichkeit, die sich durch die Kombination von Stärke und Schwäche, Kontrolliertheit und Verletzlichkeit auszeichnet. Hanna versucht, ihre Vergangenheit und ihren Analphabetismus zu verstecken, gleichzeitig wird ihre Schuld und ihre Verantwortung für die Geschehnisse im KZ immer deutlicher.
Das dritte Kapitel befasst sich mit der Frage der Schuld und ihrer vielfältigen Dimensionen. Schlink untersucht die Rolle des Analphabetismus als erklärendes Element für Hannas Verhalten, analysiert aber auch die Möglichkeit, dass ihre Taten über ihre Leseschwäche hinausgehen.
Im vierten Kapitel wird die Beziehung zwischen Michael und Hanna im Kontext der Vergangenheit dargestellt. Schlink erforscht, wie sich Michael mit der Schuld seiner Geliebten auseinandersetzt und wie er mit seinem eigenen Schweigen und seiner Verantwortung für ihre Taten umgeht.
Schlüsselwörter
Der Roman "Der Vorleser" von Bernhard Schlink thematisiert die Frage der Schuld im Nachkriegsdeutschland, insbesondere im Kontext des Holocausts. Die Schlüsselfragen des Romans drehen sich um die Rolle des Analphabetismus, die Ambivalenz der Figur Hanna Schmitz als Täterin und mögliches Opfer, die Schuld von Michael, der sich in Hanna verliebt, sowie das Schweigen und die Versöhnung in der Aufarbeitung der Vergangenheit. Weitere wichtige Themen sind die Täter-Opfer-Dialektik im Kontext der NS-Verbrechen und die unterschiedlichen Perspektiven auf die Geschichte. Der Roman verwendet zahlreiche Symbole und Metaphern, um die Komplexität der Themen und die emotionale Tiefe der Figuren darzustellen.
- Quote paper
- Christina di Bartolomeo (Author), 2003, Die Täter-Opferrolle von Hanna in Bernhard Schlinks "Der Vorleser", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39375