Die Gattung des Genre erlebt ihren Höhepunkt in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts, nach den gewonnen Kämpfen der Holländer gegen die Spanier, welche die Unabhängigkeit der Niederlande zufolge hatte.1 Johannes Vermeer ist der heutzutage bekannteste Vertreter der holländischen Genremalerei der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Obwohl nur wenige seiner Gemälde erhalten sind und er bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts fast vollständig vergessen wurd, wird er, seit seiner Wiederentdeckung durch den Kunstkritiker Théophile Thoré im Jahre 1863, als der virtuoseste Vertreter der Genremalerei seiner Zeit angesehen. Ein Grund hierfür ist vermutlich seine innovative und einzigartige Methode, das Licht in seinen Bildern darzustellen. Dabei gehört das Licht, genauso wie der von Vermeer gewählte Bildausschnitt und die im Raum dargestellten Gegenstände und Figuren, seiner neuerungsbewussten Methode der Raumgestaltung an.
Seine Art, den Raum darzustellen, einzuteilen und abzugrenzen ist einzigartig. Das Zusammenspiel der von ihm benutzten Effekte hat die Bezeichnungen „Vermeerscher Ort“ oder auch „Struktur Vermeer“ geprägt. Diese Begriffe beziehen sich auf die verschiedenen Vorgehensweisen, die Vermeer in seinen Genrebildern zur Darstellung von Interieurs verwendet, und setzen sich aus verschiedenen, immer wiederkehrenden, Elementen zusammen. In den unterschiedlichen Schaffensphasen sind die für ihn typischen Kennzeichen mal mehr und mal weniger intensiv ausgeprägt, aber die meisten Räume in seinen Genreszenen lassen sich doch auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Die folgende Arbeit wird sich mit Vermeers Bemühen befassen, in seinen Bildern den für seine Genrebilder so typischen Intimraum zu gestalten auseinandersetzen und sich mit seiner Gestaltung eines, dem Betrachter verschlossenen und sich dennoch ihm erschließenden Bereiches auseinander zu setzen. Dabei werden vor allem die verschiedenen Möglichkeiten der Raumeinteilung, die mittels diverser Gegenstände und Figuren erzielt wird, analysiert. Ein weiterer wichtiger Punkt wird die Entwicklung der Perspektive in Vermeers Genremalerei sein. Als Ansatz für die Analyse dient die Untersuchung einiger Bilder Vermeers. Hierbei bezieht die Arbeit sich vor allem auf seine frühen Werke, bei denen die Entwicklung der Raumgestaltung am ausgeprägtesten ist.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Delft und die Genremalerei im 17. Jahrhundert
III. Die Genre-Malerei Johannes Vermeers
IV. Die Komposition des Vermeerschen Ortes in seinen frühen Interieurszenen
IV.2 Die Briefleserin am offenen Fenster
IV.3 Offizier mit lachender Frau
IV.4 Merkmale der frühen Werke anhand der vorhergegangenen Bildanalysen
V. Die Küchenmagd als Fixpunkt im Œuvre Vermeers
VI. Der Vermeersche Raum nach der Küchenmagd
VI.1 Der Liebesbrief
VII. Definition des Vermeerschen Raumes
Literatur
I. Einleitung
In der Malerei werden solche Bilder als dem „Genre“ zugehörig bezeichnet, die sich mit dem alltäglichen Tun und Treiben der Menschen befassen, die also weder ein historisches, noch ein religiöses oder mythologisches Thema behandeln. Die Gattung des Genre erlebt ihren Höhepunkt in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts, nach den gewonnen Kämpfen der Holländer gegen die Spanier, welche die Unabhängigkeit der Niederlande zufolge hatte.[1]
Johannes Vermeer ist der heutzutage bekannteste Vertreter der holländischen Genremalerei der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Obwohl nur wenige seiner Gemälde erhalten sind und er bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts fast vollständig vergessen wurde[2], wird er, seit seiner Wiederentdeckung durch den Kunstkritiker Théophile Thoré im Jahre 1866[3], als der virtuoseste Vertreter der Genremalerei seiner Zeit angesehen. Ein Grund hierfür ist vermutlich seine innovative und einzigartige Methode, das Licht in seinen Bildern darzustellen. Dabei gehört das Licht, genauso wie der von Vermeer gewählte Bildausschnitt und die im Raum dargestellten Gegenstände und Figuren, seiner neuerungsbewussten Methode der Raumgestaltung an.
Seine Art, den Raum darzustellen, einzuteilen und abzugrenzen ist einzigartig. Das Zusammenspiel der von ihm benutzten Effekte hat die Bezeichnungen „Vermeerscher Ort“ oder auch „Struktur Vermeer“ geprägt.[4] Diese Begriffe beziehen sich auf die verschiedenen Vorgehensweisen, die Vermeer in seinen Genrebildern zur Darstellung von Interieurs verwendet, und setzen sich aus verschiedenen, immer wiederkehrenden, Elementen zusammen. In den unterschiedlichen Schaffensphasen sind die für ihn typischen Kennzeichen mal mehr und mal weniger intensiv ausgeprägt, aber die meisten Räume in seinen Genreszenen lassen sich doch auf einen gemeinsamen Nenner bringen.
Die folgende Arbeit wird sich mit Vermeers Bemühen befassen, in seinen Bildern den für seine Genrebilder so typischen Intimraum zu gestalten auseinandersetzen und sich mit seiner Gestaltung eines, dem Betrachter verschlossenen und sich dennoch ihm erschließenden Bereiches auseinander zu setzen. Dabei werden vor allem die verschiedenen Möglichkeiten der Raumeinteilung, die mittels diverser Gegenstände und Figuren erzielt wird, analysiert. Ein weiterer wichtiger Punkt wird die Entwicklung der Perspektive in Vermeers Genremalerei sein. Als Ansatz für die Analyse dient die Untersuchung einiger Bilder Vermeers. Hierbei bezieht die Arbeit sich vor allem auf seine frühen Werke, bei denen die Entwicklung der Raumgestaltung am ausgeprägtesten ist. Die Arbeit wird weniger auf die Interpretation der Gemälde eingehen, die bei Vermeer sowieso nicht so leicht zu erfassen ist, sondern vordergründig auf ihre Komposition.
II. Delft und die Genremalerei im 17. Jahrhundert
Im 17. Jahrhundert taucht Delft als ein wichtiges künstlerisches Zentrum auf. In dieser Stadt leben in jenem Jahrhundert eine Menge bekannter holländischer Künstler, die Meister in den verschieden altbewährten oder innovativen Bereichen sind. Ausschlaggebend für seine Entwicklung ist die Nähe Delfts zu Den Haag und die Entstehung der unabhängigen holländischen Republik 1648, durch die der Einfluss von Spanien verringert wird. Die Stadt gehört zu diesem Zeitpunkt einer der nördlichen protestantischen Republiken an.[5]
Schon vor 1650 gab es in Delft Genremalerei. Man unterscheidet in dieser Zeit vier Haupttypen dieser Gattung: Interieurszenen mit reichen jungen Leuten, Bewachungsposten mit ihren Soldaten, bäuerliche Szenen und Figuren von denen nur die Hälfte des Körpers dargestellt ist. Allerdings war zu der Zeit das Genre noch keine so anerkannte Form, wie es später der Fall sein wird.[6]
Der bekannteste Vertreter der Genremalerei in Delft vor 1650 war Anthonie Palamadesz (1601-1673). Palamadesz´ Genreszenen, die vor allem fröhliche Gesellschaften darstellen, werden vor allem wegen ihres eleganten Charakters bewundert.[7] Seine Räume sind allerdings meist nicht sehr tief, sie erscheinen weit und flach. Sie sind zumeist durch eine oder sogar zwei seitliche Wände gegliedert, das Licht kommt stets von links oben, aber nur selten kann man die Lichtquelle identifizieren.[8]
Als 1650 Willem II stirbt und sein Nachfolger Willem III erst eine Woche nach seinem Tod geboren wird, beginnt Delfts erste Periode ohne den sogenannten „Stadholder“. Das Resultat dieser Situation besteht in der Verminderung des politischen Einflusses und der Unterstützung des Hofes im Bereich der Kunst. Die Künstler wenden sich daraufhin von den Bildgattungen ab, für die Delft zuvor bekannt war, nämlich Porträt- und Historienbilder, und schenken ihre Aufmerksamkeit fortan der naturalistischen Landschaftsmalerei, Darstellungen von Kircheninterieuren und häuslichen Szenen. Dadurch steigt Delft sehr schnell zu einem der Hauptkunstzentren der nördlichen Niederlande auf.[9]
Die Genremalerei, also die Darstellung alltäglicher Handlungen, ist vermutlich die Gattung, die von der Delfter Schule zwischen 1650 und 1675 am besten vertreten wird. Seine Hauptvertreter sind Pieter de Hooch und, ein kurze Zeit nach ihm, Johannes Vermeer.[10]
Vermeer wird allgemein als der große Erneuerer der Genremalerei angesehen. Allerdings hat de Hooch schon verschiedene Innovationen eingeführt, die Vermeer nach ihm dann ausgebaut hat. So hat de Hooch zum Beispiel auch schon das durch ein Fenster eintretende Licht dargestellt. Er hat außerdem seine Bilder perspektivisch sehr genau aufgebaut. Wahrscheinlich hat Vermeer seine Bilder gekannt und hat seine eigenen Neuerungen auf der Vorarbeit de Hoochs aufgebaut.[11]
Bei der Malerei von Vermeer ist die humorvolle Lebensschilderung, die unter anderem ein wichtiges Merkmal der Kunst Jan Steens aus Leiden war, nicht mehr vorhanden. Seine Bilder strahlen Ruhe aus, sie sind wie Gombrich es ausdrückt „in Wirklichkeit Stilleben mit menschlichen Gestalten“.[12]
III. Die Genre-Malerei Johannes Vermeers
Obwohl Johannes Vermeer auch heute noch sehr beliebt ist, weiß man ziemlich wenig über ihn selbst. Er wurde 1632 in Delft als Sohn eines Schneiders geboren. Darüber hinaus weiß man nichts über seine Ausbildung und seine Jugendzeit. Er tritt 1653 als Meister in die Malerguilde des Heiligen Lukas ein. Im selben Jahr heiratet er Catharina Bolnes, die aus einer sozial höher gestellten Familie als der seinen stammt. Diese Heirat macht es für den protestantischen Vermeer notwendig zum Katholizismus zu konvertieren. Zwischen 1657 und 1670 genießt der Künstler die Unterstützung des wohlhabenden Sammlers Pieter Claesz van Ruijven, der ungefähr die Hälfte seiner Werke aufkauft. Gegen Ende seines Lebens leidet er unter finanziellen Schwierigkeiten und stirbt schlussendlich 1675 völlig verarmt. Er scheint weder Schüler noch Nachfolger hinterlassen zu haben, die sein Schaffen hätten fortführen können.[13]
In den zweiundzwanzig Jahren, in denen Vermeer gemalt hat, nämlich zwischen 1653 und 1675, hat er zwischen fünfundvierzig und sechzig Bildern gemalt. Verglichen mit der Produktion seiner Kollegen ist das mit einem Durchschnitt von zwei bis drei Bildern pro Jahr ziemlich wenig. Von den vierunddreißig oder fünfunddreißig heute noch erhaltenen Bildern stellen fünfundzwanzig Interieurszenen dar.[14]
Charakteristisch für Vermeers frühe Werke ist die Großformatigkeit, die Mehrfigurigkeit und die Tonigkeit. Sie behandeln religiöse und mytologische Thematiken. Der Wechsel des Künstlers zur Gattung des Genre bezeichnet seine Suche nach einem eigenen Stil. Auf eine Reihe nahsichtiger Interieurszenen folgen einige Gemälde mit zwei oder drei Figuren, eine Entwicklung, die durch die Küchenmagd plötzlich abgebrochen wird. Dieses Gemälde, das eine Einzelfigur zeigt, markiert Vermeers Durchbruch zum völlig eigenen Stil. Nachdem der Künstler in diesem Bild einen großen Reichtum an Variationen von Malweisen und Farbgebung angewendet hat, wird in den darauf folgenden Werken die Anzahl der Objekte und Farben wieder reduziert. Es entsteht eine Gruppe von Bildern mit großen Einzelfiguren in ruhiger Handlung, zum Beispiel Die Perlenwägerin und Die Briefleserin, die der Milchmagd von der Raumgestaltung ähnlich sind . In seiner späten Genremalerei, ab 1665, tauchen dann jeweils zwei Figuren in kleinem Maßstab in geräumigen Interieurs auf. Bei diesen Werken, zu denen Die Malkunst und Der Liebesbrief gehören, arbeitet Vermeer vor allem den Kontrast zwischen Licht und Schatten aus.[15]
Obwohl die meisten seiner Bilder die Wirklichkeit des damaligen Alltags widerspiegeln, haben sie dennoch nichts mit Vermeers Leben zu tun. Seine Malerei stellt eine ganz eigene, autonome Welt dar. Seine Bilder sind, was ihre Interpretation angeht, nicht auf eine einzige Möglichkeit beschränkt. Er fügt zwar Symbole ein, die in seiner Zeit geläufig sind, zeigt sie jedoch nicht in derselben Eindeutigkeit, wie es seine Zeitgenossen tun. Er läßt so den Sinn des Bildes in der Schwebe. Die Ungewissheit über die Bedeutung seiner Bilder ist von ihm beabsichtigt und sogar absichtlich konstruiert.[16]
[...]
[1] Max J. Friedländer : Über die Landschaftsmalerei und andere Bildgattungen. A.A.M. Stols und Bruno Cassirer, Den Haag/Oxford 1947, S.191-211
[2] Hugh Honour, John Fleming : Weltgeschichte der Kunst, 6. Auflage, Prestel Verlag, München 2000, S.555
[3] Der Brockhaus : Kunst. Künstler, Epochen, Sachbegriffe. Hrsg. : Lexikonredaktion des Verlags F.A. Brockhaus. 2. Auflage, Verlag F.A. Brockhaus, Mannheim und Leipzig, 2001, S.1200
[4] Daniel Arasse : Vermeers Ambition. Übersetzung ins Deutsche : Hella Faust. Verlag der Kunst, Dresden 1996, S. 17
[5] Axel Rüger : Vermeer and Painting in Delft. Hrsg. : National Gallery Company Limited, Butler and Tanner, Frome und London, 2001. S. 9-12
[6] Michiel C.C. Kersten, Danielle H.A.C Lokin, in Zusammenarbeit mit Michiel C. Plomp : Les Maîtres de Delft, contemporains de Vermeer, Editions Falmmarion, Paris 1996, S.26
[7] Axel Rüger, S.24
[8] Kersten, Lokin, Plomp, S.26
[9] Axel Rüger, S.31
[10] Axel Rüger, S.47
[11] Kersten, Lokin, Plomp, S.201
[12] Gombrich, S. 430-233
[13] Axel Rüger, S.56
[14] Arasse, S.25-49
[15] Hedwig Waldmann : Die Farbe und ihr Verhältnis zu anderen Bildkategorien im Œuvre von Vermeer. drucken & binden GmbH, München 1990, S.29-78
[16] Arasse, S.31-72
- Quote paper
- Christina di Bartolomeo (Author), 2004, Der Vermeersche Raum, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39373
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