Ohne große Kontroversen zu entfachen, kann wohl behauptet werden, dass Nordkorea heute der geheimnisvollste und am meisten isolierte Staat der Welt ist. Auch kann ein Unterschied zwischen Selbsteinschätzung und der Wahrnehmung durch die internationale Staatengemeinschaft wohl kaum diametraler bestehen als hier. Die offizielle nordkoreanische Sichtweise berichtet von einer gerechten, kommunistischen, auf die eigene Stärke und traditionelle Werte (die sogenannte Juche-Ideologie) fokussierten Gesellschaft, für den Westen ist die KDVR (Koreanische Demokratische Volksrepublik) bestenfalls ein totalitäres Entwicklungsland, eine perfekte Umsetzung der Orwellschen Visionen oder sogar ein „Schurkenstaat“.
In dieser Hausarbeit, die im Rahmen des Interdisziplinären Kolloquiums „Kollektive Identitäten“ entstand, soll versucht werden, die Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Selbstverständnis im Staat Nordkorea darzustellen und zu untersuchen. Ein besonderes Augenmerk fällt dabei auch auf den ausgeprägten Führerkult rund um die Familie Kim, den Lenkern des Landes seit der Teilung der koreanischen Halbinsel.
Auch um sich der Antwort auf die drängende Frage zu nähern, wie das System Nordkoreas bis heute seine Existenz sichern konnte, ist es wichtig zu klären, inwieweit die Realität in Nordkorea dem Selbstbild des Landes entspricht.
Die zentrale Frage ist allerdings, ob eine Arbeit über Nordkorea überhaupt den Anspruch erfüllen kann, fundiert und sachlich richtig zu sein. Angesichts einer faktisch nicht vorhandenen Informationspolitik ist dieser Staat immer noch eine „black box“ für die Forscher. Während der Süden ergiebig in vielen Abhandlungen analysiert wurde und wird, man unzählige Aufsätze und Webseiten finden kann und Journalisten ungehindert vor Ort recherchieren können, ist es ungleich komplizierter, verlässliche Informationen über den Norden zu bekommen. Es existieren natürlich Bücher, aber durch die Isolationspolitik und strenge Pressezensur gibt es wenig echte Insider-Informationen. Allerdings richtet sich in letzter Zeit, vor allem bedingt durch jüngste geopolitische Entwicklungen und Ereignisse in Nordkorea (Zugkatastrophe im April 2004, mögliche Atomtests im September 2004) der Fokus der Öffentlichkeit immer stärker auf dieses „unbekannte“ Land.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Allgemeines
2.1 Die Geschichte der Teilung bis zum Ende des Koreakrieges
2.2 Die Juche–Ideologie als Grundlage
2.3 Die Isolation als Folge
3. Die beiden gegensätzlichen Bilder von Nordkorea
4. Die Realität und der Anspruch
5. Der Kim-ismus als Ersatzreligion
6. Fazit
Literaturliste
1. Einleitung
Ohne große Kontroversen zu entfachen, kann wohl behauptet werden, dass Nordkorea heute der geheimnisvollste und am meisten isolierte Staat der Welt ist. Auch kann ein Unterschied zwischen Selbsteinschätzung und der Wahrnehmung durch die internationale Staatengemeinschaft wohl kaum diametraler bestehen als hier. Die offizielle nordkoreanische Sichtweise berichtet von einer gerechten, kommunistischen, auf die eigene Stärke und traditionelle Werte (die sogenannte Juche-Ideologie) fokussierten Gesellschaft, für den Westen ist die KDVR (Koreanische Demokratische Volksrepublik) bestenfalls ein totalitäres Entwicklungsland, eine perfekte Umsetzung der Orwellschen Visionen[1] oder sogar ein „Schurkenstaat“.
In dieser Hausarbeit, die im Rahmen des Interdisziplinären Kolloquiums „Kollektive Identitäten“ entstand, soll versucht werden, die Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Selbstverständnis im Staat Nordkorea darzustellen und zu untersuchen. Ein besonderes Augenmerk fällt dabei auch auf den ausgeprägten Führerkult rund um die Familie Kim, den Lenkern des Landes seit der Teilung der koreanischen Halbinsel.
Auch um sich der Antwort auf die drängende Frage zu nähern, wie das System Nordkoreas bis heute seine Existenz sichern konnte, ist es wichtig zu klären, inwieweit die Realität in Nordkorea dem Selbstbild des Landes entspricht.
Die zentrale Frage ist allerdings, ob eine Arbeit über Nordkorea überhaupt den Anspruch erfüllen kann, fundiert und sachlich richtig zu sein. Angesichts einer faktisch nicht vorhandenen Informationspolitik ist dieser Staat immer noch eine „black box“ für die Forscher. Während der Süden ergiebig in vielen Abhandlungen analysiert wurde und wird, man unzählige Aufsätze und Webseiten finden kann und Journalisten ungehindert vor Ort recherchieren können, ist es ungleich komplizierter, verlässliche Informationen über den Norden zu bekommen. Es existieren natürlich Bücher, aber durch die Isolationspolitik und strenge Pressezensur gibt es wenig echte Insider-Informationen. Allerdings richtet sich in letzter Zeit, vor allem bedingt durch jüngste geopolitische Entwicklungen und Ereignisse in Nordkorea (Zugkatastrophe im April 2004, mögliche Atomtests im September 2004) der Fokus der Öffentlichkeit immer stärker auf dieses „unbekannte“ Land.
Als besonders hilfreich, insbesondere für statistischen Fakten, erwiesen sich die Internetpräsenz des Auswärtigen Amts[2] (Stand: Mai 2004) und der Online-Version der Country Studies der Federal Research Division of the Library of Congress[3].
Bei den in der Arbeit verwendeten Büchern muss ebenfalls sehr genau analysiert werden, inwiefern diese der Wahrheit entsprechen. Als Beispiel seien hier die Veröffentlichungen aus der ehemaligen DDR oder pro-koreanischen Bücher von Pan und Rinser erwähnt, die allerdings trotzdem sehr wichtig für diese Arbeit sind, bieten sie doch einen Beleg für die unterschiedliche Auffassung ein und desselben Systems, welches ja das Hauptanliegen dieser Arbeit sein soll.
Im folgenden soll nun mit Hilfe dieser Quellen versucht werden, die eingangs erwähnten Fragestellungen zu untersuchen und befriedigend zu klären.
2. Allgemeines
Die Einwohnerzahl Nordkoreas liegt je nach Schätzung zwischen 14 (internationale Hilfsorganisationen) und 22 (offizielle Angabe) Millionen. Das Land wird seit über 50 Jahren von der stalinistisch geprägten Partei der Arbeit Koreas (PdAK) regiert[4], deren Vorsitz bis zu seinem Tod 1994 der „große Führer“ Kim Il Sung innehatte und danach von seinem Sohn der „liebe Führer“ Kim Jong Il übernommen wurde. Nordkorea ist auch ethnisch ein sehr einheitliches und isoliertes Land. Abgesehen von einem geringen Anteil Chinesen gibt es keine ethnischen oder sprachlichen Minderheiten.
2.1 Die Geschichte der Teilung bis zum Ende des Koreakrieges
Das Ende des zweiten Weltkriegs in der Pazifikregion und die Kapitulation der Japaner beendeten auch die japanische Besetzung der koreanischen Halbinsel. 1945 rückten die Truppen der USA und der UdSSR in Korea ein und vereinbarten, Korea am 38. Breitengrad zu teilen. Die USA besetzte den Süden und die Sowjetunion den Norden.
Ab 1947 bauten beide Mächte eigene Regierungen auf. Im Norden setzten politische und ökonomische Umwälzungen nach sowjetischen Muster ein und füllten das vorhandene Machtvakuum aus. Der 33-jährige Koreaner Kim Il Sung wurde von der Armee am 19. September ins Amt gesetzt.
Die mit Kim ins Land gekommenen und teilweise in der UdSSR geborenen 400 Koreaner wurden zu den Kadern in der Partei und Administration. Kim Il Sung und seine Gefolgsleute gewannen einen immer größeren Aktionsraum, da sie das Vertrauen der Besatzungsmacht gewannen, indem sie das stalinistische Sozialismusmodell direkt übernahmen. Im Dezember 1948 zog die Sowjetunion ihre Truppen ab und Kim arbeitete auf die Alleinherrschaft hin.
Im Süden wurde unter dem autoritären Regime von Syngman Rhee im August 1948 die Republik Korea gegründet, die von den USA mit massiven Wirtschaftshilfen zu einem starken Gegenpol gegen den Kommunismus ausgebaut wurde. Die Koreanische Demokratische Volksrepublik wurde am 9. September 1948 als Gegenstück zu Republik Korea im Süden gegründet. Nach dem Abzug der sowjetischen und dem teilweisen Abrücken der amerikanischen Truppen 1949 wuchs die Opposition gegen den südkoreanischen Präsidenten Syngman Rhee ständig. Kim Il Sung sah sich in seiner Überzeugung bestätigte, dass er den Südkoreanern als Befreier willkommen wäre, wenn er die Rhee-Regierung absetzen und die zwei koreanischen Staaten wieder vereinigen würde. Am 25. Juni 1950 überschritten nordkoreanische Truppen den 38. Breitengrad und griffen den Süden an. Damit begann der Koreakrieg. In der Volksrepublik wurde er als Vaterländischer Befreiungskrieg bezeichnet. Die USA reagierten sofort militärisch und bekamen dafür nachträglich die Rückendeckung des UN-Sicherheitsrates. Trotzdem eroberten die Nordkoreaner fast den gesamten Süden. Dann drangen die Truppen Südkoreas, der USA und anderer UN-Mitgliedsländer bis zur nordkoreanisch-chinesischen Grenze vor. Anschließend kämpften sich nordkoreanische Truppen mit chinesischer Unterstützung wieder bis nach Seoul vor, woraufhin diese bis zum 38. Breitengrad zurückgeschlagen wurden. Nach einem langen Stellungskrieg an dieser Front kam es im Juli 1951 auf Vorschlag der Sowjetunion zu Waffenstillstandsverhandlungen, welche im Juli 1953 zu einem Waffenstillstandsabkommen führten, welches bis heute besteht[5]. Es gibt keinen Friedensvertrag zwischen den beiden Ländern. Die Fronten verhärteten sich, so dass das Ziel beider Staaten, die Wiedervereinigung, bis heute nicht realisiert werden konnte. 1955 befreite sich Kim Il Sung von der sowjetischen und chinesischen Einflüssen und wurde unabhängiger Alleinherrscher.[6] Kim entwickelte die Juche-Ideologie, die fortan die Entwicklung des Staates bestimmen sollte. Im Laufe des chinesisch-sowjetischen Konflikts seit Mitte der 60er Jahre verkündete Nordkorea die Unabhängigkeit von der gemeinsamen Außenpolitik des sozialistischen Lagers.
2.2 Die Juche–Ideologie als Grundlage
Der Begriff des „Juche“ läßt sich nicht direkt in die deutsche Sprache übertragen. Pan übersetzt ihn mit „wirkliches Wesen des Herrn“ oder „Herr sein“.[7] Selbst in koreanischen Quellen wird das Wort nicht übersetzt, sondern mit einem Zitat von Kim Il Sung erklärt:
„Establishing Juche means taking the attitude of a master towards the revolution and construction. Since the masters of revolution an construction are the masses of the people, they should take a responsible attitude of a master towards the revolution and construction. The attitude of a master finds expression in an independent and creative stand.”[8]
Schon Anfang des 20. Jahrhunderts haben koreanische Nationalisten das in der koreanische Übersetzung lautende Wort „Juche“ verwendet, um auf die nationale Identität und politische Unabhängigkeit Koreas hinzuweisen.[9]
Die Ideologie bestimmt formal alle wichtigen politischen Prozesse des Landes. Juche in seiner Bedeutung als „eigener Weg“ spielt als Konsequenz aus der Geschichte Koreas, in der es von verschiedenen Mächten als direkte Einflusssphäre betrachtet, besetzt oder kolonialisiert worden war, eine zentrale Rolle in der Außenpolitik des Landes. Diese Einstellung ist auch als Folge des drängenden Einflusses der SU und Chinas in Nordkorea zu sehen.[10]
Der Begriff beinhaltet die beiden Grundgedanken, dass jeder Mensch für sein eigenes Schicksal verantwortlich ist und dass er unabhängig von äußeren Abhängigkeiten sein soll, sozusagen die Verfolgung des eigenen Weges aus eigener Kraft. Die freie Entfaltung des Menschen ist eine der Hauptaussagen.[11] Juche beinhaltet Merkmale wie Selbstsicherheit und Selbstvertrauen. Dadurch widersetzt sich, so Pan, das Individuum sozialer Unterdrückung und den Fesseln der Natur, und verpflichte ihn konstruktiv am gesellschaftlichen Fortschritt mitwirken.[12]
2.3 Die Isolation als Folge
Das Konzept der Unabhängigkeit wird von Nordkorea insoweit auch tatsächlich konsequent verfolgt, als dass es seit seiner Gründung versucht sich selbst mit allen benötigten Gütern zu versorgen. Gleichzeitig schottet es sich aber auch in einer kaum nachzuvollziehenden Weise von seiner Außenwelt ab. Die Koreanische Demokratische Volksrepublik ist als stark isolierter Staat, von internationalen Informationsprozessen abkapselt. Politische Entscheidungsprozesse sind auch für Experten kaum nachvollziehbar und finden in kleinen verschlossenen Zirkeln statt.
Seit den 60er Jahren veröffentlicht Nordkorea keine regelmäßigen Wirtschaftsstatistiken mehr und deshalb gibt es über die wirtschaftliche Entwicklung nur Schätzungen. Ausländern wird die Einreise nur selten gestattet, Besucher werden rund um die Uhr bewacht und erhalten genaue Vorschriften, was sie sich ansehen dürfen.[13] Über das Land dringen also so gut wie keine Informationen unabhängiger Beobachter ins Ausland.
Aus dieser Isolation heraus erwächst ein ernsthaftes Informationsdefizit. Viele Autoren schreiben über die Schwierigkeit verlässliche Informationen über Nordkorea zu erlangen. Es gebe über Nordkorea so wenig Wissen wie über keinen anderen Staat der Erde. Nur wenige Politikwissenschaftler beschäftigen sich mit den Land. Dementsprechend rar sind auch politikwissenschaftliche Literatur, Dokumente oder Quellen. Die DVRK veröffentlicht ferner keine wirtschaftlichen oder politischen Kennzahlen. Ausnahme sind die Redetexte Kim Il Sungs und Kim Jong Ils, wobei diese, nach Meinung vieler Beobachter abstrakt und von der politischen Realität des Landes weit entfernt seien.
Eigene Recherchen oder Interviews mit nordkoreanischen Entscheidungsträgern seien in der Regel unmöglich. Maass setze seine Untersuchung, wie er sagt, auch aus „verstreuten Teilinformationen“ zusammen.[14]
Aus diesen Gründen ist es schwierig die Glaubwürdigkeit der Informationen über das Land zu überprüfen. Deshalb unterliegen viele der bereits beschriebenen Zustände in der KDVR dem Verdacht, unter Umständen ungerechtfertigte Verallgemeinerungen oder subjektiv verzerrte Eindrücke darzustellen. Es ist aus diesem Grund unbedingt notwendig, zuerst eine grundlegende Einschätzung zu erarbeiten, wie diese Informationen zu bewerten sind. Ich werde die Darstellungen der Autoren über die Möglichkeiten eigener Beobachtungen kritisch überprüfen und versuchen, darin Hinweise auf die tatsächlichen Lebensbedingungen in Nordkoreas zu finden.
[...]
[1] vgl: Orwell, George: 1984. 29. Aufl, Berlin 1997
[2] http://www.auswaertiges-amt.de
[3] http://countrystudies.us/
[4] vgl. Maretzki, 1991, S. 7f;
[5] Maretzki 1991, S. 13ff
[6] Maretzki 1991, S. 7
[7] Pan 1992, S. 62
[8] Kim Il Sung, 1992, Bd. VI: S. 257
[9] Maass 2002, S. 71
[10] Maass 2002 S. 71
[11] Pan 1992 S. 62, Maass 2002 S. 69
[12] ebd. 1992, S 62ff
[13] Maass 2002 S. 5
[14] Maass 2002, S. 7ff
- Quote paper
- MA Thorsten Schankin (Author), 2004, Nordkorea - Ein Vergleich zwischen Selbstdarstellung und Außenwirkung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39109
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