Wie können Schüler das Feedback ihrer Mitschüler zur eigenen Leistungsverbesserung nutzen?

Veränderte Feedbackkultur in kooperativen Lernformen im Sportunterricht. Eine qualitative Interviewstudie


Master's Thesis, 2016

115 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ... 1
2. Kooperatives Lernen im Sportunterricht ... 2
2.1 Begründungsmuster für Kooperatives Lernen ... 3
2.2 Zum Potential Kooperativen Lernens im Sportunterricht ... 5
2.3 Problemebenen Kooperativen Lernens ... 7
2.4 Konstitutive Merkmale Kooperativen Lernens ... 9
2.4.1 Gemeinsames Gruppenziel ... 9
2.4.2 Spielraum für Entscheidungen ... 10
2.4.3 Individuelle Verantwortung für das Gruppenziel ... 10
2.4.4 Positive Wechselbeziehung in Bezug auf den Lernprozess ... 11
2.5 Handlungsmuster im Konzept Kooperatives Lernen ... 12
2.5.1 Die Rolle und Aufgaben der Lehrkraft ... 13
2.5.2 Die Rolle und Aufgaben der Schülerinnen und Schüler ... 15
2.6 Aktueller Forschungsstand ... 17
3. Veränderte Feedbackkultur im Sportunterricht ... 19
3.1 Definition und Differenzierung des Feedbackbegriffs ... 20
3.2 Feedbackfunktionen ... 22
3.3. Bedingungen für ein gelingendes Feedback ... 22
3.4. Zum Einsatz von Feedback im Sportunterricht ... 24
3.4.1 Feedback und Bewegungslernen ... 24
3.4.2 Feedbackarbeit in kooperativen Lernarrangements ... 26
4. Zwischenfazit und Fragestellung ... 27
5. Untersuchungsdesign ... 28
5.1 Bestimmung der Stichprobe ... 29
5.2 Auswahl der Untersuchungsmethode ... 30
5.3 Methodenentwicklung und Leitfadenkonstruktion ... 32
5.4 Untersuchungsdurchführung ... 33

5.5 Datenaufbereitung ... 34
5.6 Datenauswertung ... 35
6. Untersuchungsergebnisse ... 38
6.1 Leistungsentwicklung ... 39
6.1.1 Individuelle Leistungsentwicklung ... 39
6.1.2 Leistungsentwicklung der Kleingruppe ... 39
6.1.3 Faktoren zur Leistungsentwicklung ... 40
6.1.4 Feedbackeinfluss auf die Leistungsentwicklung ... 41
6.2 Beteiligung an Feedbackprozessen ... 41
6.2.1 Die Rolle des Feedbackgebers ... 42
6.2.1.1 Umgang mit dem Feedbackgeben ... 42
6.2.2 Erkenntnisse aus beiden Rollen ... 43
6.2.2.1 Subjektives Begriffsverständnis ... 43
6.2.2.1 Subjektive Gelingensbedingungen ... 43
6.3.1 Rolle als Feedbackempfänger... 46
6.3.1.1 Wahrnehmung des Mitschülerfeedbacks ... 46
6.3.1.2 Wahrnehmung des Lehrerfeedbacks ... 47
6.3.1.3 Mitschüler oder Lehrerfeedback ... 47
7. Diskussion ... 48
7.1 Methodisches Vorgehen ... 48
7.2 Ergebnisdiskussion ... 50
8. Fazit und Ausblick ... 53
9. Literaturverzeichnis ... 56
10. Anhang... 60

1
1. Einleitung
Ein zentraler Bestandteil menschlicher Kommunikation ist der Austausch von Informationen.
Besonders im Kontext der Schule ist dieser Informationsaustausch häufig durch Rückmeldungen von
anderen gekennzeichnet. In der Regel kommt in diesen Situationen der Lehrperson die Rolle des
Rückmelders zu, die Schülerinnen und Schüler fungieren als Empfänger seiner Botschaften. Dahinter
kann die Absicht stehen, einem störenden Schüler sein unsoziales Verhalten zu verdeutlichen oder in
Form von Bewertungen schulische Leistungen durch Noten rückzumelden. Rückmeldungen finden in
LehrLernkontexten auch häufig als unterstützendes Element für die Kontrolle und Gewährleistung
eines progressiven Lernverlaufes statt. Für diese Situationen hat sich der englische Begriff
,,Feedback" in der deutschen Sprache etabliert. Ein klassisches Bild aus dem Schulalltag ist hierfür der
Schüler, der mit dem fertig ausgefüllten Arbeitsblatt zum Pult des Lehrers geht, woraufhin dieser
Häkchen hinter Richtiges macht und Falsches nochmal zu erläutern versucht. Im Sportunterricht
würden die Schüler z. B. auf einer Weichbodenmatte die Flugrolle üben und im direkten Anschluss
ein Feedback in Form einer Bewegungskorrektur von der Sportlehrkraft erhalten.
Während in klassisch geschlossenen Unterrichtsformen diese Rollenverteilung unangetastet bleibt,
gibt es offenere Unterrichtskonzepte, in denen die Lehrkraft nicht mehr die alleinige
Rückmeldeinstanz für die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler sein muss. Diese Arbeit
beschäftigt sich ausgehend vom Konzept Kooperatives Lernen, welches von Ingrid Bähr (2005a,
2005b) für den Sportunterricht adaptiert worden ist, mit der wechselseitigen Kommunikation im
Unterrichtsgeschehen, die dort zu großen Teilen unter den Mitschülern stattfindet.
Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Perspektive der Schülerinnen und Schüler auf Feedback und ihre
Beteiligung an den Feedbackprozessen, die in der Übernahme von für sie ungewohnten Rollen
besteht, zu erfassen. Es geht darum, wie sie mit diesen Rollen umgehen und wie sie das Feedback
ihrer Mitschüler zur eigenen Leistungsverbesserung nutzen.
Zur Beantwortung dieser Frage gliedert sich die Arbeit in einen vorangehenden Theorieteil und einen
anschließenden empirischen Teil. Im theoretischen Teil der Arbeit werden die beiden theoretischen
Bausteine erläutert. Das ist zum einen das Kooperative Lernen, dessen Lernpotentiale zunächst im
Spiegel aktueller Gesellschafts und Bildungsanforderungen verortet werden, um anschließend
Probleme sowie konstitutive Merkmale und die Übernahme bestimmter Rollen zu beleuchten. Der
zweite Baustein des Theorieteils thematisiert eine veränderte Feedbackkultur (in kooperativen
Lernumgebungen). Hier geht es um die Erläuterung des Feedbackbegriffs, Gelingensbedingungen
sowie Einsatzmöglichkeiten von Feedback im Sport und eine didaktische Einführung in den
kooperativen Sportunterricht.

2
Dieser erste Teil der Arbeit bietet die Grundlage für den zweiten, empirischen Teil. Hierfür wird auf
ein qualitatives Untersuchungsdesign in Form von problemzentrierten Interviews zurückgegriffen, die
mit vier Schülerinnen und Schülern einer EFKlasse (früher 10. Klasse) eines Gymnasiums im
Münsterland geführt wurden. Diese Interviews fanden im Anschluss an eine sechswöchige
Unterrichtsreihe im Inhaltsfeld ,,Bewegungsgestaltung" zum Thema ,,Wir entwickeln eine
Gruppenchoreographie!" statt, die von einer ausgewählten Lehrkraft unter Berücksichtigung der
Theoriebausteine und der Untersuchungsabsicht entsprechend konzipiert und unterrichtet wurde.
Diese Unterrichtsreihe wurde vom Autor über weite Strecken begleitet.
2. Kooperatives Lernen im Sportunterricht
,,Der Mensch, jeder Mensch, ist nicht nur ein Individuum, ein unteilbarer Einzelner, sondern auch
ein homo socialis, ein in verschiedenen Gruppierungen lebender, wirkender und Verantwortung
habender Mensch, IchDuundWir sind eben nicht auseinanderzureißen, sondern machen die
Choreographie des Menschen aus, sind die potentiellen Seinsweisen seiner Existenz" (Meyer &
Winkel, 1993, S. 5).
Dieses ,,anthropologische Faktum" allein macht Kooperation auch zu einer pädagogischen Aufgabe.
Hinzu kommt, dass auch Lernprozesse in sozialen Kontexten stattfinden und durch den Austausch mit
anderen angeregt werden. Mit Blick auf die Institution Schule, besteht ihr Auftrag darin Sach, Sozial
und Selbstkompetenz zu vermitteln. Bereits in der deutschen Bildungsdiskussion Anfang der 1970er
Jahre wies der Pädagoge Heinrich Roth (1971, zit. nach Heckt, 2010, S. 19) darauf hin, dass sich diese
Kompetenzen nicht isoliert voneinander entwickeln, weshalb fachliches und soziales Lernen im
Unterricht gleichermaßen Beachtung finden sollte. Zunehmende Aufmerksamkeit erhielten
kooperative Lernformen im deutschen Bildungssektor jedoch erst Ende der 90er Jahre, angeregt
durch die amerikanischkanadischen Pädagogen Norm und Cathy Green (Heckt, 2010, S. 26). Bevor
im Verlauf des Kapitels Begründungsmuster, Potentiale und Probleme im Zusammenhang mit
kooperativem Unterricht ihre Berücksichtigung finden, geht es zunächst erstmal darum, diesen
Begriff etwas näher zu bestimmen.
Grundsätzlich sollte in der Diskussion um das Konzept ,,Kooperatives Lernen" beachtet werden, dass
es sich hierbei nicht um eine gänzlich neue Erfindung handelt, sondern um eine Methode, die
ausgehend von in Kleingruppen organisiertem Unterricht, diverse schüler, erfahrungs und
problemzentrierte Ansätze der Didaktik aufgreift (Bähr, 2005a, S. 4). Dementsprechend schwer fällt
es unter der Vielzahl heutiger Publikationen und Autoren, eine einheitliche und umfassende Begriffs
bzw. Konzeptdefinition zu identifizieren. Je nach ­ mal engerem, mal weiter gefasstem ­ Verständnis
zu Kooperativem Lernen variiert die Auffassung dessen, was es ausmacht und charakterisiert. Die von
Paul Klingen (2009) vorgenommene Differenzierung in eine weitere und engere Definition bietet

3
dahingehend eine gute, erste Orientierung. Für Ihn (2009, S. 1) liegt der kleinste gemeinsame Nenner
im Begriffsverständnis darin, dass ,,mindestens zwei Personen ein gemeinsames Ziel verfolgen,
welches nur über gemeinschaftliche Arbeits und Verständigungsprozesse erreichbar ist". Er
konkretisiert in einem engeren Begriffsverständnis die Aspekte des Lernens ,,von und miteinander"
sowie das ,,wechselseitige und gezielte Unterstützen" der Schülerinnen und Schüler. Sie übernehmen
in kooperativen settings, je nach Anforderungen der Aufgabe und des Inhalts, außerdem bestimmte
Rollen, als ,,Feedbackgeber, Korrigierender, Motivierender, Beratender" (Klingen, 2009, S. 3).
In den Teilkapiteln Konstitutive Merkmale kooperativen Lernens (Kap. 2.4) und Handlungsmuster im
Kooperativen Lernen (Kap. 2.5) werden die zentralen Elemente dieser Unterrichtsmethode noch
tiefergehend erläutert. Zunächst geht es jedoch darum, die Notwendigkeit kooperativen Lernens vor
dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher, schulischer und lerntheoretischer Entwicklungen zu
verdeutlichen.
2.1 Begründungsmuster für Kooperatives Lernen
In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten erleben gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche
Strukturen einen beschleunigten Wandel. Diese, sich stetig verändernde, Lebenswelt zeigt sich,
neben einer zunehmenden Globalisierung und Vernetzung, in der Pluralisierung der heutigen
Gesellschaft, wodurch in ihr aufwachsende und lebende Menschen mit einer Fülle an individuellem
Entscheidungsspielraum für verschiedenste Lebensbereiche ausgestattet sind. Dies betrifft z.B. im
Privaten das Aufbrechen von traditionellen Familienmustern oder die Ausformung von
Moralvorstellungen und Werten. Durch die Zunahme an Freiheitsgraden in einer stetig komplexer
werdenden Welt entstehen jedoch auch neue Anforderungen und Unsicherheiten, die insbesondere
die heranwachsenden Generationen betreffen (Stamm, 2008, S. 8). So werden vom Wirtschafts und
Arbeitssektor nicht mehr ausschließlich fachliche Qualifikationen gefordert, zunehmend rücken auch
persönliche Kompetenzen hinsichtlich der Eigenverantwortlichkeit des Handelns, der Fähigkeit zur
Flexibilität und Kooperation sowie der Bereitschaft für selbstständiges und lebenslanges Lernen in
einer Wissensgesellschaft in den Fokus (Weidner, 2003, 17f.).
Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen, die Gesellschaft und Arbeitswelt an junge
Menschen stellen, ist es die Aufgabe der Schule, als zentrale Bildungs und Erziehungsinstanz auf
diese Realitäten einzugehen, um den Ansprüchen eines ganzheitlichen Bildungsauftrags gerecht zu
werden. Entscheidend dafür ist jedoch auch ein veränderter Blick auf die Art und Weise des Lehrens
und Lernens.

4
Nach dem so genannten ,,PisaSchock" zu Beginn des neuen Jahrtausends und der anschließenden
umfassenden Lehrplanreform mit verstärkter Output bzw. Kompetenzorientierung, ist in der
deutschen Bildungslandschaft unter dem Schlagwort ,,neue Lernkultur", mit stetig wachsender
Beachtung, eine pädagogische Bewegung entstanden, deren Ausgangspunkt ein veränderter Blick auf
LehrLernprozesse ist. Für Tillmann (2007, S. 8) lässt sich diese neue Perspektive im Wesentlichen
durch drei Bezugspunkte konkretisieren:
,,Zunächst einmal steht die Betrachtung des Lernens gegenüber dem Lehren deutlich im
Vordergrund".
,,Es wird [ wie bereits beschrieben ] Bezug zu gesellschaftlichen Veränderungen und
Anforderungen einer ,,Wissensgesellschaft" hergestellt: ,,Diese hochkomplexe Gesellschaft mit
einer unberechenbaren Zukunft erfordert eine Kultur des selbst organisierten Lernens. Es sei dies
ein Lernen, dass auf die Bewältigung neuer gesellschaftlicher Risiken ausgerichtet sein müsse"
(Kirchhöfer 2004, S. 112, zit. nach Tillmann, 2007, S. 8).
,,Schließlich beziehen sich diese Konzepte immer wieder auf konstruktivistische Lerntheorien, in
denen Lernen als aktiver, konstruktiver und selbstgesteuerter Prozess beschrieben wird" (Mandl
2010, S. 22, zit. nach Tillmann, 2007, S. 8).
Vor diesem Hintergrund haben kooperative Inszenierungen des Lernens in der pädagogisch
didaktischen Diskussion (u.a.: Friedrich Jahresheft 2008, Sportpädagogik 6/2005, Pädagogik
04/2007), in der Lehrer Aus und Weiterbildung und in den Schulen fächerübergreifend eine
gestiegene Aufmerksamkeit erfahren. Heckt (2010, S. 26) spricht in diesem Zusammenhang sogar von
einer ,,Bewegung kooperativen Lernens" in Deutschland, wenngleich in Diskrepanz dazu zu
konstatieren ist, dass offene Unterrichtsformen und Gruppenunterricht im Schulalltag v.a. an
weiterführenden Schulen noch immer unterrepräsentiert sind (Haag, Hanfstengel & Dann, 2001, S.
930). Die durch konstruktivistische Auffassungen getragenen Argumente für die stärkere
Aufmerksamkeit und den praktischen Einsatz dieser Unterrichtsmethode beziehen sich auf die
Tatsache, dass Kooperatives Lernen von den Schülerinnen und Schülern ein hohes Maß an
Eigenaktivität im Lernprozess verlangt (Bähr, 2005a, S. 5). Dies verhindert aus lernpsychologischer
Perspektive die Produktion von trägem, nicht transferierbarem Wissen, da der Lernende nicht mehr
als passiver Rezipient von direkten Instruktionen der Lehrkraft, sondern als aktiver und
selbstgesteuerter Konstrukteur seiner Lernprozesse, verstanden wird (Konrad & Traub, 2005, S. 19).
Ein weiteres Ziel des kooperativen Gruppenunterrichts ist die Entwicklung sozialer Kompetenzen.
Diese wird durch eine gemeinsam zu bewerkstelligende Aufgabe sowie die Förderung der
Solidaritäts und Mitbestimmungsfähigkeit im selbstverantworteten Arbeiten im Team erreicht
(Gröben, 2010, S. 104).

5
2.2 Zum Potential Kooperativen Lernens im Sportunterricht
Die pädagogischen und lernorientierte Potentiale einer Unterrichtsmethode können nur zur
Entfaltung gebracht werden, wenn sie institutionell bzw. curricular ,,erwünscht" sind, d.h. mit den
aktuell geltenden Bildungs und Erziehungszielen der Schule übereinstimmen. In Anlehnung daran
formuliert auch jedes Schulfach seinen partikulären Auftrag für eine ganzheitliche Erziehung. Die
erläuterten Chancen und Potentiale, die das kooperative Lernen grundsätzlich bietet, erfordern in
diesem Fall also einen Abgleich mit dem selbstverstandenen Auftrag des Schulsports. In den
Rahmenvorgaben des Schulsports für NordrheinWestfalen (Ministerium für Schule und
Weiterbildung des Landes NordrheinWestfalen, 2014, S. 4) heißt es dazu:
,,Als Teil der Schule orientiert sich der Schulsport an deren Erziehungs und Bildungsauftrag.
Dieser soll einerseits die optimale Entfaltung der Möglichkeiten und Fähigkeiten des Individuums
sowie andererseits die selbstständige Teilhabe und Partizipation an Gesellschaft und Kultur
unterstützen und fördern. Durch die systematische Anleitung von Lern, Erziehungs und
Bildungsprozessen entfaltet Schule in unterschiedlichen, als gesellschaftlich bedeutsam
angesehenen fachlichen Bereichen ein entsprechendes Bildungsangebot. Der Schulsport
repräsentiert einen dieser Bildungsbereiche".
Auch in Zeiten kompetenzorientierter Kernlehrpläne ist für das Fach Sport das didaktische Konzept
des erziehenden Sportunterrichts in seinem Grundanliegen weiterhin richtungsweisend (Aschebrock,
2013). Mit der Formulierung des Doppelauftrags für einen erziehenden Sportunterricht (s. z.B.
Neumann, 2004) in NordrheinWestfalen, wird diesem Erziehungs und Bildungsverständnis auf
Lehrplanebene schulformübergreifend Rechnung getragen. Es beinhaltet zwei zentrale Anliegen: Zum
einen soll damit den Schülerinnen und Schülern durch die Erziehung zum Sport die Erschließung der
Bewegungs, Spiel und Sportkultur ermöglicht werden. Neben dieser Sachgebietserschließung steht
mit der Erziehung durch Sport gleichberechtigt die Persönlichkeitsentwicklung im Sinne einer
Entwicklungsförderung durch Bewegung Spiel und Sport im Fokus (Bähr & Gerecke, 2010, S. 81).
Prohl (2012, S. 101) weist diesbezüglich ausdrücklich darauf hin, dass die Vermittlung dieser beiden
Bildungsaufträge keinen additiven Charakter hat. Vielmehr muss es das Ziel eines voll entwickelten
erziehenden Sportunterrichts sein, diese Elemente miteinander verknüpft zu realisieren.
Die
Kohärenz
zwischen
diesem
Doppelauftrag
(Sachgebietsaneignung
und
Persönlichkeitsentwicklung) vor dem Hintergrund der Art und Weise seiner idealtypischen
Inszenierung und den Potentialen kooperativen Lernens liegt auf der Hand. Im sportlichen Kontext
verortet Prohl (2012, S. 101) das Kooperative Lernen demnach als Vermittlungsansatz, der die
Bewegungsbildung im Horizont allgemeiner Bildung realisiert (vgl. Abb. 1).

6
Abb. 1. Kooperatives Lernen im bildungstheoretischen Kontext des Erziehenden Sportunterrichts (modifiziert
nach Prohl, 2012, S. 105).
Wenn wir dieses Modell auf die Unterrichtspraxis übertragen wollen, müsste eine Unterrichtsreihe,
die sich z.B. mit dem Erlernen des Handstandes beschäftigt, so aussehen: Die Schülerinnen und
Schüler können ihren jeweils individuellen Lernweg verfolgen und diesen wechselseitig mit ihren
Mitschülern in ihrer Kleingruppe besprechen, reflektieren, verändern oder ergänzen (Bähr, 2005a, S.
3). In dieser gemeinsamen Auseinandersetzung mit dem Sachgebiet Handstand werden neben dem
Zuwachs einer bestimmten motorischen Fertigkeit auch persönlichkeitsbildende Kompetenzen
benötigt und ihre Förderung somit angebahnt (Bähr, 2005a, S. 3). Die Schülerinnen und Schüler sind
gefordert, selbstbestimmt Entscheidungen über ihre Lernwege zu treffen Gleichzeitig fungieren sie
im Team als Unterstützung für ihre Mitschüler, analysieren gemeinsam mögliche Fehlwege und
reflektieren Fortschritte im Lernprozess jedes Einzelnen, um ebenso als ganze Gruppe dem Lernziel
näher zu kommen.
Neben der curricularen Komponente liegt vor allem in dem genuinen Charakter von Bewegung, Spiel
und Sport das besondere Potential für kooperatives Lernen. ,,So ist in der ,Natur der Sache` des
Sports selbst die Möglichkeit und häufig sogar die Notwendigkeit zur Kooperation bereits angelegt"
(Bähr, 2005a, S. 4). Ähnlich sieht Prohl (2004, S. 142) ,,sportspielbezogene Vermittlungsprozesse [...]
besonders geeignet, da typische Merkmale kooperativer Lernformen [...] ebenso typische Merkmale
von Sportspielsituationen sind" (vgl. Kap. 2.4).
Kooperation ist in oberflächlich betrachtet rein individuellen Bewegungsfeldern wie dem Turnen
(siehe das Beispiel Handstand) oder der Leichtathletik für die Bewegungsaneignung und
Technikverfeinerung immanent sei es um Hilfestellungen zu geben, zu motivieren, oder als
Feedbackgeber die Außensicht auf den Bewegungsvollzug des Mitschülers oder der Mitschülerin zu
spiegeln.

7
In Teamsportarten wie Fußball, Basketball oder Handball, aber auch in Tanz oder Akrobatikgruppen
ist bereits im Namen der Bezug zu einer kooperierenden Gemeinschaft angelegt. So definiert der
Duden (2015) den Begriff ,,Team" als: ,,Gruppe von Personen, die gemeinsam an einer Aufgabe
arbeiten". Das Ausüben solcher Sportarten ist demnach sowieso nur möglich, wenn der oder die
Einzelne seinen bzw. ihren Beitrag zum Gelingen des Spiels in einem Team leistet, während
gleichzeitig jedes einzelne Teammitglied ein Interesse am Lernfortschrift seiner Mitspieler bzw.
Mitspielerinnen hat (Bähr, 2005a, S. 4).
Hinzu kommt außerdem ein Alleinstellungsmerkmal des Sports im Fächerkanon der Schule. Die
Schülerinnen und Schüler begegnen sich hier bei der Bewältigung von Bewegungsaufgaben nicht nur
auf einer gemeinsamen gedanklichen und sprachlichen Ebene, sondern unmittelbar auch auf einer
leiblichen (Bähr, 2005a, S. 5). Es findet also eine ,,[...] Verknüpfung präreflexiver sozialer Beziehungen
(im gemeinsamen leiblichen SichBewegen) und reflexiver sozialer Beziehungen (im sprachlichen
Austausch über das gemeinsame SichBewegen) [statt]" (Bähr, 2005a, S. 5). Für FunkeWienecke
(1997, S. 38) ereignet sich Sozialität im Feld des Sports daher in einer ,,ersten ursprünglichen und
nicht zu überspringenden Form als Zwischenleiblichkeit".
2.3 Problemebenen Kooperativen Lernens
Neben der beschriebenen, gesteigerten Aufmerksamkeit und den fachübergreifenden bzw.
sportbezogenen Argumenten für die Implementierung kooperativen Unterrichts in den Schulalltag,
bedarf es auch der Thematisierung potentieller und tatsächlicher Schwierigkeiten im Umgang mit
diesem Unterrichtskonzept. Es ist vor allem die Frage der Diskrepanz zwischen dem pädagogischen
Potential auf der einen und der geringen Repräsentanz im Schulalltag auf der anderen Seite, die einer
tiefergehenden Analyse erfordert. So lässt sich der verhältnismäßig geringe Einsatz von
Gruppenunterricht (vgl. Kap. 2.1) durchaus als Symptom für scheinbar tieferliegende Problemebenen
kooperativer settings identifizieren. Gudjons (2002) hat in diesem Zusammenhang mehrere Aspekte
zusammengetragen, von denen drei in der Folge erläutert werden, um dem Kern des häufig
zurückhaltenden oder ablehnenden Umgangs mit dem Lernen in Gruppen (vgl. Kap. 2.5.1; Kap. 2.6)
näher zu kommen:
Gruppenunterricht ist systemwidrig
Zwischen Kontrolle und Ohnmacht
Gruppenunterricht ­ komplex und störanfällig
Das Systemwidrige an der kooperativen Orientierung des Unterrichts liegt zum einen historisch
begründet, da Individuelles, korrektes und fehlervermeidendes Arbeiten über weite Strecken der

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Entwicklung des Systems Schule höher bewertet wurden, als solidarisches, kreatives und
selbstständiges Agieren. Andererseits liegt den Funktionen der Schule, mit grundsätzlichen Prinzipien
wie der Selektion und der Benotung des Individuums, ein eher konkurrenzorientiertes Verständnis
von Leistung zu Grunde (Gudjons, 2002, S. 7).
Das Spannungsfeld zwischen ,,Kontrolle und Ohnmacht", welches für viele Lehrkräfte in den offenen
settings des kooperativen Unterrichts entsteht, ist eine weitere Problemebene des
gruppenbezogenen Lernens. Die Neuinterpretation der eigenen Rolle vom Kontrolleur und Lenker, zu
der eines bzw. einer sich im Hintergrund befindlichen Beobachter/in und Moderator/in erleben viele
Lehrkräfte als großes Risiko für den Lernerfolg in ihrem Unterricht (vgl. ausf. Kap. 2.5.1; Kap. 2.6).
Diese empfundene Ohnmacht kann wiederum Einfluss auf die zukünftige konzeptionelle Ausrichtung
des eigenen Unterrichts haben und somit die Entscheidung gegen Gruppenkonstellationen nach sich
ziehen.
Hinzu kommt die nicht zu verschweigende potentielle Störanfälligkeit dieses komplexen Konzepts.
Damit sind nicht in erster Linie Zwischenrufe und Unaufmerksamkeiten gemeint, wie sie in
geschlossenem Unterricht vorkommen, sondern vielmehr Probleme, die sich innerhalb der
Kleingruppe ergeben können und somit die implizierten Lernprozesse negativ beeinflussen.
Neber (2001) hat diesbezüglich die, in der Fachliteratur, am häufigsten beschriebenen Effekte
zusammengetragen, welche im Folgenden kurz dargestellt werden:
,,sucker
Effekt":
Wenn
sich
leistungsstärkere
Gruppenmitglieder
von
den
leistungsschwächeren ausgenutzt fühlen und in der Folge durch diese empfundene
Ungerechtigkeit ihr Engagement einstellen.
,,gangingup Effekt": Meint die Verständigung der Gruppenmitglieder auf die simpelste und
am wenigsten anstrengendste Lösung des gestellten (Bewegungs)Problems (vgl. hierzu
explizit Kap. 2.5.1).
,,freerider Effekt": Hier wird den stärkeren Mitgliedern der Gruppe die Problemlösung
überlassen, die Schwächeren klinken sich aus dem Arbeitsprozess aus.
,,statusabhängiger Effekt": Damit ist die teilweise Ausgrenzung einzelner Gruppenmitglieder
gemeint, in dem sie in die gemeinsame Interaktion und Kommunikation nur oberflächlich
oder gar nicht eingebunden werden.
Um diese Effekte und Probleme zu minimieren oder zu verhindern, ist kooperativ ausgerichteter
Gruppenunterricht auf die Implementierung fachgerechter Strukturen und ein differenziertes Bild

9
der Aufgaben und Rollen seiner Protagonisten angewiesen. Diese werden in der Folge tiefergehend
erläutert.
2.4 Konstitutive Merkmale Kooperativen Lernens
Konzeptgerechte Strukturen für kooperatives Lernen sind unabdingbar,
damit sich Erfolge einstellen
und potentielle Probleme vermieden werden können. In methodischer Hinsicht werden die
Lernprozesse in kooperativen settings häufig durch den kooperativen Dreischritt (vgl. Kap. 3.4.2)
kanalisiert (Müller, 2014, S. 6), schließlich bedeutet Kooperatives Lernen mehr, als die Schülerinnen
und Schüler im klassischen Sinne einer ,,Gruppenarbeit" in Kleingruppen einzuteilen und sie
anschließend mit einem Arbeitsauftrag zu beschäftigen. Der Horizont verschiedener
Organisationsmodelle kooperativen Lernens ist dabei deutlich breiter gefasst. Je nach beabsichtigtem
Lernziel können hierfür auch Partner oder Expertenmodelle (Huber, 2001) eingesetzt werden wie
bspw. die ,,Jigsaw"Methode, oder das Gruppenpuzzle sowie Unterrichtsprojekte (Prohl, 2012) oder
problemlösender Kleingruppenunterricht (Lange, 2006).
Im Folgenden sollen diejenigen Variablen herausgestellt werden, die für eine erfolgreiche Gestaltung
kooperativer Lernprozesse essentiell sind. Während Johnson & Johnson (2008) fünf Bedingungen für
die erfolgreiche Umsetzung kooperativen Lernens feststellen, sieht Slavin (2000) lediglich zwei
notwendige Kriterien für die Etablierung solcher Lernumgebungen. Als Grundlage für diese Arbeit
dienen die vier, aus sportdidaktischer Perspektive identifizierten Merkmale nach Bähr (2005a,
2005b), die sich hierfür an Hubers (2001) drei
1
,,Bedingungen der Kooperation in Lerngruppen"
orientiert hat.
2.4.1 Gemeinsames Gruppenziel
In einem, von allen Mitgliedern der Kleingruppe anerkannten Gruppenziel, liegt der notwendige
motivationale Ausgangspunkt eines kooperativ gestalteten Unterrichts (Bähr, 2005a, S. 7). Dadurch
soll eine positive Abhängigkeit im Bemühen um Leistung innerhalb der Gruppe gewährleistet werden
(Johnson & Johnson, 2008, S. 17f). Dieses gemeinsame Ziel kann sich im Sportunterricht z.B. am
Lösen eines Bewegungsproblems orientieren oder im Einüben einer bestimmten Technik. In einer
möglichen Unterrichtseinheit zum Hürdenlaufen bedeutet dies, dass sich die KleingruppenMitglieder
1
Das Merkmal ,,Gemeinsames Gruppenziel" (vgl. Kap. 2.4.1) gehört nicht zu den ursprünglichen drei
Bedingungen der Kooperation nach Huber (2001).

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gemeinsam darauf einigen herauszufinden zu wollen, wie man Hindernisse mit kleinstmöglichem
Geschwindigkeitsverlust überlaufen kann.
2.4.2 Spielraum für Entscheidungen
Kooperative Lernarrangements zeichnen sich dadurch aus, dass die darin agierenden Schülerinnen
und Schüler die wesentlichen Herausforderungen der Bewegungsaufgabe eigenaktiv erfahren,
identifizieren, erforschen und daraus Konsequenzen für ihren weiteren Lern und Übungsweg ziehen
(Bähr, 2005a, S. 7). Dazu kann auch die Erkenntnis zählen, dass ein eingeschlagener Lernweg für das
Erreichen des Lernziels die nicht optimale Entscheidung war und deshalb verworfen oder modifiziert
werden muss.
Um einen möglichst flüssigen Hürdenlauf mit minimalem Geschwindigkeitsverlust zu absolvieren,
könnten die Schülerinnen und Schüler der Kleingruppe in der Erfahrungsphase als wichtigen Aspekt
eine maximal kleine Flugphase über das Hindernis identifizieren und daraus (ggfls. gemeinsam mit
der Lehrkraft) Konsequenzen für ihren weiteren Lernweg ableiten. Eine Kleingruppe könnte zunächst
mit Hilfe von niedrigeren Pappkartons das Überlaufen trainieren, während einzelne Teammitglieder
als ,,Spotter" die Außensicht reflektieren. In einer anderen Gruppe könnte zuerst der Aspekt des
,,Laufrhythmus" als wichtige Kenngröße für einen flüssigen Hürdenlauf Beachtung finden und
demnach bestimmte Abstände zwischen Hindernissen in Abhängigkeit der Schrittzahl erprobt
werden. Typischerweise wechseln die Gruppen in kooperativen Lernformen diese eingeschlagenen
Übungswege im Verlauf des Lernprozesses.
2.4.3 Individuelle Verantwortung für das Gruppenziel
Durch das bloße Festlegen eines Gruppenziels (vgl. Kap. 2.4.1) ist nicht automatisch gewährleistet,
dass dieses nur zu erreichen wäre, wenn alle Gruppenmitglieder dazu ihren Beitrag leisten (Bähr,
2005a, S. 8). Daher sollten in kooperativem Unterricht idealerweise Gruppenziele verankert sein, die
zur besseren Realisierung einen konstruktiven Beitrag jedes bzw. jeder Einzelnen verlangen.
Hier muss jedoch je nach sportlichem Inhaltsfeld differenziert werden. Für Staffelläufe, Tanz und
Akrobatikgruppen ist eine individuelle Verantwortung bei der Bewältigung von Bewegungsaufgaben
a priori vorhanden, da bereits das Nichteinbringen einer Person das Erreichen des Ziels kaum mehr
möglich macht (Bähr, 2005a, S. 8).
In Team oder Individualsportarten verhält es sich dagegen auf den ersten Blick etwas anders. Gibt
es einen überragenden Basketballer in der Mannschaft, kann ein Spiel auch ohne das Zutun Einzelner
gewonnen werden. Das Erlernen des Handstandes in einer Vierergruppe kann für einzelne Mitglieder
auch gelingen, wenn ein Schüler oder eine Schülerin ihre Gruppenmitglieder gar nicht unterstützt. Da

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dies dem Anliegen kooperativen Lernens widerspricht, ist es notwendig, individuelle
Verantwortlichkeit bspw. durch eine abschließende GruppenHandstandPräsentation herzustellen
oder das Gelingen eines Angriffs im Basketball nicht nur nach der Kategorie ,,Treffer oder kein
Treffer" zu beurteilen, sondern auch nach mannschaftstaktischem Verhalten und Spielzügen die das
Einbringen aller Teammitglieder sei es als Blocksteller, Passspieler, Werfer und Rebounder
hervorzuheben.
Ein solches Arrangement einer Bewegungsaufgabe bedarf laut Bähr (2005a, S. 8) zwei
beachtenswerter Aspekte: Transparenz und relative Leistungsbeurteilung. Schüler akzeptieren
Vorgaben und Regelumstellungen eher, sobald die Lehrkraft den pädagogischdidaktischen
Hintergrund deutlich macht oder die Schüler diesbezüglich selbst entsprechende Lösungen
entwickeln sollen. Darüber hinaus sorgt eine Leistungsbeurteilung, die sich relativ an der
Vorerfahrung des einzelnen Schülers oder der Schülerin orientiert, für eine verstärkte
Leistungsbereitschaft auf Seiten der Sportschwächeren.
2.4.4 Positive Wechselbeziehung in Bezug auf den Lernprozess
Es gehört zum Kern einer aus verschiedenen Individuen zusammengesetzten Gruppe, dass sie
innerhalb dieser Verbindung in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen. Kooperative
Lernumgebungen müssen versuchen eine ,,positive Abhängigkeit" zwischen den Gruppenmitgliedern
zu erzeugen (Johnson & Johnson, 2008, S. 16). Zur Schaffung einer solchen konstruktiven
Lernatmosphäre ist es aus der Leistungsperspektive von Nöten, konkurrenzfördernde Elemente des
Lernens zu vermeiden (Bähr, 2005a, S. 9). Dazu zählt der Verzicht auf absolute Leistungsmaßstäbe
und individualistische Lernformen, die dem Einzelnen ein gutes Abschneiden attestieren, sobald er
oder sie bessere Leistungen erbringt als seine Mitstreiter.
Um eine positive soziale Interdependenz unter den Schülerinnen und Schülern anzuregen, sollten
nach Bähr (2005a, S. 9) drei Aspekte Berücksichtigung finden: Mit Blick auf die Bewertung der
Leistungen sollte eine Kombination vom bereits erwähnten relativen Leistungsmaßstab für das
Individuum (vgl. Kap. 2.4.3) mit einer Gruppenwertung der Lernergebnisse in den Fokus rücken.
Insbesondere leistungsstärkere Gruppenmitglieder werden dadurch doppelt motiviert, indem sie
sowohl durch eine eigene Leistungssteigerung als auch durch das Einbringen ihres ,,Knowhows" für
die Gruppe zum Erreichen einer guten Bewertung beitragen können.
Ein weiterer Punkt liegt in der Stärkung der Identifikation aller Mitglieder mit ihrer Gruppe. Dies kann
praktisch durch Interaktionsspiele zum Kennenlernen oder zur Vertrauensstärkung initiiert werden.
Auch Gruppenrituale wie ein gemeinsamer Gruppenname, eine spezielle Begrüßung oder ein
gemeinsamer ,,Schlachtruf" können den Zusammenhalt in der Kleingruppe stärken.

12
Eine letzte, wenngleich nicht unproblematische, Möglichkeit ist das Einführen von Sozialnoten, um
dadurch prosoziales Verhalten in den Kleingruppen zu fördern. Dadurch würde jedoch die
gegenseitige Unterstützung aus dem gemeinsamen Lernprozess heraus nicht mehr, wie eigentlich im
kooperativen Lernen beabsichtigt, ,,natürlich" entstehen. Eine Konsequenz könnte, in Anbetracht der
direkten Notenrelevanz, eine Atmosphäre aufgesetzter Unterstützung unter den Schülerinnen und
Schülern sein.
2.5 Handlungsmuster im Konzept Kooperatives Lernen
Es ist auf theoretischer Ebene notwendig, zwischen den fachgerechten Strukturen bzw. Merkmalen
(vgl. Kap. 2.4) im Planungs und Gestaltungsprozess kooperativer Lernarrangements und den
Anforderungen und Aufgaben, die sich daraus für die in der Praxis handelnden Personen ergeben, zu
differenzieren (siehe Abb. 2
2
).
Einhergehend mit den konstruktivistischen Annahmen über das Lernen, die die lerntheoretische
Grundlage für das Konzept Kooperativen Lernens bilden, ändert sich in der Unterrichtspraxis das
Verständnis über die Rollen und Aufgaben, die von den beteiligten Akteuren, d.h. der Lehrkraft und
den Schülerinnen und Schülern, eingenommen bzw. übernommen werden.
Abb. 2. Merkmale kooperativer Lehr/Lernprozesse im Unterricht
(Bähr, 2005a, S. 11).
2
Das gestrichelte rote Kästchen in der Abbildung markiert den Prozess kooperativen Handelns. Die Stichpunkte
ober und unterhalb, stehen für die Vorbereitung und die Nachbereitung des Unterrichts.

13
2.5.1 Die Rolle und Aufgaben der Lehrkraft
Die Lehrkraft plant, erstellt und gewährleistet durch ihr Handeln eine Lernumgebung, die in
räumlicher, zeitlicher und materieller Hinsicht kooperativen Ansprüchen genügt und die sich an den
erläuterten spezifischen Merkmalen orientiert (Bähr, 2005a, S. 15). Im Planungsprozess betrifft dies
zunächst das Festlegen eines Lernziels, das auch die Förderung sozialer Kompetenzen beinhalten
sollte (Konrad & Traub, 2005, S. 57) sowie das Formulieren eines Arbeitsauftrags, der i.d.R. einen
Aufforderungscharakter an die Eigenaktivität der Schülerinnen und Schüler enthält. Dies kann bspw.
durch das Stellen eines Bewegungsproblems geschehen. Nach Achtergarde (2011, S. 41) gilt es
hierbei außerdem folgende Aspekte und Fragen zu beachten:
Sinn klarmachen: Wissen die Schüler, warum sie die Arbeitsaufträge ausführen sollen bzw.
worauf sie mit ihrer Arbeit zusteuern?
Anforderungen Schülern deutlich machen: Wissen die Schüler, wie sie ihre gefundenen
Lösungen präsentieren sollen? Ist ihnen bekannt, nach welchen Kriterien der Lehrer ihre
Leistung bewertet?
Möglichkeiten zu eigenen Entdeckungen lassen: Ist der Auftrag so offen gestellt, dass die
Schüler kreativ arbeiten können? Sind mehrere sinnvolle Lösungen möglich und auch von
den Schülern zu leisten?
Nicht überfordern: Knüpft der Auftrag an Bekanntes an? Haben die Schüler genug Zeit für die
Erarbeitung und Ausgestaltung? Haben die Schüler Erfahrung mit der geforderten
Präsentationsform?
In puncto Sozialverhalten initiiert die Lehrkraft zu Beginn des Unterrichtsvorhabens zudem eine
Erarbeitungsphase für gemeinsame Regeln des Umgangs miteinander (Bähr, 2005a, S. 15), sofern die
Lerngruppe keine bis wenige Erfahrungen mit kooperativem Lernen hat.
Eine weitere Rahmenbedingung, die einen wesentlichen Einfluss auf das Gelingen kooperativen
Unterrichts hat und im Verantwortungsbereich der Lehrkraft liegt, ist die Zusammensetzung der
Kleingruppen für den Lernprozess. Hier kann die Lehrperson selbst tätig werden oder die Schüler
dazu anregen, unter gemeinsam verabredeten Zuordnungskriterien, die Gruppen selbst zu bilden.
Neben der festzulegenden Gruppengröße, die normalerweise zwischen zwei bis vier Personen liegen
und sechs Peronen nicht überschreiten sollte (Renkl & Beisiegel, 2003, S. 13, zit. nach Bähr, 2005a, S.
15), ist hier die natürliche Heterogenität im Hinblick auf die ,,Persönlichkeit, Fähigkeit,
Verantwortung, Verpflichtung, Motivation oder Status innerhalb der Gruppe" zu berücksichtigen
(Konrad & Traub, 2005, S. 56). Häufigstes Kriterium für die Gruppeneinteilung ist dabei das Kriterium
der Leistung bzw. Fähigkeit. Je nach Aufgabenstellung können leistungshomogene Gruppen (für eine
primäre Trainingsorientierung) oder leistungsheterogene Gruppen gebildet werden. Diesbezüglich
besteht jedoch keine Einigkeit. Während Konrad & Traub (2005, S. 57) argumentieren, dass zu große
Leistungsunterschiede in den Kleingruppen eine effektive Kooperation behindern, plädiert

14
Achtergarde (2011, S. 50f) ausdrücklich für leistungsheterogene Gruppen, da diese soziale Prozesse
fördern, indem die Leistungsstärkeren dazu angehalten werden, den Schwächeren zu helfen. Hinzu
kommt eine verstärkte Motivation durch einen vergleichbaren Wettbewerb zwischen den
Kleingruppen.
Die, von Bähr (2009, S. 184) als ,,Herzstück" kooperativen Lernens bezeichnete, sensible Begleitung
der Lernprozesse nimmt im Unterrichtsverlauf den zeitlich größten Handlungsraum der Lehrkraft ein.
Diese Auffassung des Handelns ist gleichzeitig einer wesentlich veränderten Rolleninterpretation im
Vergleich zu klassisch lehrerzentrierten, anweisenden Unterrichtsformen unterworfen. Die direkte
LehrerSchülerInteraktion tritt in den Hintergrund, während die SchülerSchülerKommunikation in
den Kleingruppen in den Vordergrund rückt (Bähr, 2005a, S. 16). Die Lehrkraft agiert hier aus der
pädagogischen Haltung eines ,,Lernberaters bzw. Moderators" (Green & Green, 2007, S. 98) heraus.
Dadurch wird die klassische Rolle der Lehrkraft als Problemlöser bzw. Problemlöserin ,,auf dem
vermeintlich beschwerlichen Weg der SchülerInnen vom NichtKönnen zum Können" umgedeutet
(Prohl, 2004, S. 126). Idealerweise bietet die Lehrperson den Lernenden ihre Bereitschaft für eine
Beratung an und tritt ­ sofern keine Gefahrensituation vorliegt erst dann an die Kleingruppen
heran, wenn diese ihn oder sie um eine Unterstützung bitten (Bähr, 2005a, S. 17). Ziel eines solchen
Beratungsgespräches ist die Identifizierung des aktuellen Problems im Lernprozess, woraus die
Lerner versuchen sollen Lösungswege abzuleiten (Bähr, 2005a, S. 18). Hierin liegt ein gehobener
Anspruch an die Lehrkräfte, da das eigenverantwortliche Problemlösen der Schülerinnen und Schüler
auch Irrwege miteinschließen kann, die von der Lehrperson zugelassen werden sollten (vgl. Kap.
2.4.1). Bähr (2009, S. 184) gibt zu bedenken, dass Lehrkräfte an dieser Stelle häufig ,,mehr oder
minder systematisch" überfordert wirken und im Unterrichtsverlauf dazu neigen, eine ,,sokratische"
Gesprächskultur durch invasive, direkte Interventionen zu ersetzen (vgl. Kap. 2.6). Dies ist jedoch
insofern problematisch, da ein solches Eingreifen demotivierend wirkt und somit zu einer
verringerten Lernbereitschaft in den Kleingruppen führt (Brüning & Saum, S. 137, 2009).
Eine weitere Herausforderung für das Handeln der Lehrkraft ist die Neigung unter den Schülerinnen
und Schülern, sich mit einer schnellen, oberflächlichen Lösung eines (Bewegungs)Problems
zufrieden zu geben. Um dem entgegenzuwirken, ist es die Aufgabe der Lehrkraft als vorsätzliche
,,Störgröße" (Lippens, 1997, S. 9, zit. nach Prohl 2004, S. 126) Anreize für eine produktive
Weiterbearbeitung zu setzen, in dem Aufgaben modifiziert oder neue Probleme generiert werden.
Mit Ablauf der Lernzeit obliegt es der Lehrperson, als Organisator bzw. Organisatorin die
Lernergebnisse zu sichern und gemeinsam mit der Lerngruppe den Lernprozess konstruktiv zu
reflektieren. Die Lerngruppen bekommen die Möglichkeit, ihre Arbeitsergebnisse im Hinblick auf

15
zuvor festgelegte Qualitätskriterien einzuordnen. Außerdem identifizieren, diskutieren und lösen sie
zusammen mit der Lehrperson Probleme, die entweder in der Auseinandersetzung miteinander oder
mit der Sache entstanden sind (Bähr, 2005b, S. 9). Die Ergebnisse dieser Lernprozessauswertung
werden anschließend in Form von Leitlinien z.B. auf Postern dokumentiert, um sie für die folgenden
Unterrichtsreihen nutzbar zu machen (Bähr, 2005a, S. 21).
2.5.2 Die Rolle und Aufgaben der Schülerinnen und Schüler
In der bereits angesprochenen, eigenaktiven Rolle liegt der Kern der Handlungsweisen auf Seiten der
Schülerinnen und Schüler. Die daraus entstehenden Herausforderungen für ihr Handeln verortet
Prohl (2004, S. 125) auf vier verschiedenen Ebenen, den so genannten ,,Good practice" Hypothesen:
Aufgabenorientierung:
Akzeptanz eines gemeinsamen Lernziels
Kollaboration:
gemeinsame Bewältigung der Aufgabe
Selbstständigkeit:
eigenständige Wahl des Lernweges
Kommunikation:
Verzahnung von Fremd/Eigenwahrnehmung
Nach Einteilung der Gruppen und der Benennung des Bewegungsproblems oder der
Bewegungsaufgabe beginnt diese zentrale Phase des selbstständigen Agierens. Zur Aufgabe der
Schülerinnen und Schüler gehört es ab hier, im Sinne einer ,,Selbststeuerung des Teams" (Bähr,
2005a, S. 12), den Raum und die Vielfalt möglicher Erprobungswege tatsächlich und vor allem
lernzielbezogen zu nutzen. Dazu müssen sich alle Teammitglieder auf die einzelnen Schritte ihres
gemeinsamen Lernpfades einigen, sie konstruktiv diskutieren und innerhalb der Gruppe organisieren,
was ­ pädagogisch durchaus beabsichtigt ­ das Einhalten zuvor verabredeter Verhaltensregeln (,,Wir
lassen uns gegenseitig ausreden", etc.) verlangt. Schon hier fordert das kooperative setting von ihnen
die Übernahme verschiedener Rollen (vgl. Tab. 1), als ,,Ideengeber", ,,Mitsuchender" oder
,,Organisierender".
Tab. 1. Rollenaufgaben beim kooperativen Lernen (mod. nach Klingen, 2009)
Motivator
Feedbackgeber
Kritischer Freund
Ideengeber
Annehmender
Mitsuchender
Modell
Fragender
Helfender
Lehrexperte
Vermittler
Organisierender
Pate
Ist das gemeinsame Vorgehen abgesprochen und mit der Lehrkraft ggfls. abgestimmt, vollzieht sich
anschließend das Handeln der Schülerinnen und Schüler auf kommunikativer Ebene häufig in der,
von Prohl herausgestellten ,,Verzahnung von Fremd und Eigenwahrnehmung" (s.o.). Es ist an dieser

16
Stelle wichtig zu betonen, dass die Kollaboration untereinander kein kollektivistisches Handeln im
Lernprozess nach sich zieht. Jedes Gruppenmitglied sollte einen individuellen Lernweg verfolgen
können und diesen wechselseitig mit ihren bzw. seinen Mitschülern in der Kleingruppe besprechen,
reflektieren, verändern oder ergänzen (Bähr, 2005a, S. 3).
Mit der angesprochenen ,,Verzahnung" der einzelnen Perspektiven geht die Übernahme weiterer
verschiedener, anspruchsvoller Rollenaufgaben einher. Mal in der Außensicht als Feedbackgeber auf
den Bewegungsablauf beim Korbleger eines Gruppenmitgliedes, wenig später dann im Rollentausch
als selbst aktiv Ausführender der Bewegung, der oder die auf Rückmeldungen seiner bzw. ihrer
Kleingruppe angewiesen ist. Der Austausch darüber findet, als besonderes Charakteristikum des
Sports (vgl. Kap 2.2),
,,sowohl auf körperlicher Ebene (im Sinne realen oder virtuellen Mitbewegens als
,Zwischenleiblichkeit`) als auch auf verbaler Ebene über ihr Bewegungslernen [statt]: Sie spiegeln,
stützen oder führen die Bewegung anderer, bieten Bewegungsvorbilder an und ahmen diese
nach, fassen eigene Bewegungsgefühle als Anregung für andere in Worte, usw." (Bähr, 2005a, S.
13)
Hinzu kommt der anschließende reflektierte Umgang mit der gewählten Lernstrategie. Die
Schülerinnen und Schüler sollen einzeln und/oder in der Gruppe ihren Umgang mit
Lernschwierigkeiten oder die Effizienz ihrer gewählten Lernstrategie hinsichtlich des gesteckten
Lernziels analysieren und Lernhemmnisse als Konsequenz ausschalten, um einen progressiven
Lernverlauf zu gewährleisten (Klingen, 2009, S. 3).
Grundsätzlich gilt: Die Rücknahme der Lehrkraft als externer ,,Steuerer" des Lernens seiner
Schülerinnen und Schüler sorgt nicht von selbst für eine erfolgreiche Gestaltung der Lernprozesse in
den Kleingruppen (Bähr, 2005a, S. 13). Die verschiedenartigen Anforderungen kooperativer
Lernumgebungen an das selbstverantwortete Handeln verlangen den Schülerinnen und Schülern
Kompetenzen auf verschiedenen Ebenen ab (ZPG Sport, 2011). In personaler Hinsicht müssen die
Schülerinnen und Schüler über eine ausreichende Lernmotivation und Lernausdauer verfügen.
Sachliche Kommunikation, das Übernehmen von Verantwortung als Hilfestellender und die Fähigkeit
andere zu unterstützen, sind soziale Kompetenzen, die keineswegs als selbstverständlich aufgefasst
werden sollten. Für Klingen (2009, S. 5) setzt das wechselseitige Unterstützen außerdem ein
Mindestmaß fachlicher Kenntnisse unter den Gruppenmitgliedern voraus, genauso wie eine
Methodenkompetenz, die nicht nur die Organisation des Lernweges beinhaltet, sondern vor allem
auch gewisse Vorstellungen zu Fehlerbildern beim Erlernen einer sportlichen Fertigkeit.
Um bei diesen vielfältigen Anforderungen Überforderungen auf der Schülerseite zu vermeiden,
müssen die Schülerinnen und Schüler auf dem, von Achtergarde (2007) beschriebenen Weg zum
,,Lern und Lehrexperten", sukzessive begleitet werden. In der Frage wie diese Kompetenzen erlernt

17
werden können, verweist Bähr (2005a, S. 13) auf gegensätzliche Vorstellungen in der Fachliteratur.
Während Forneck (2002) den Kompetenzerwerb direkt an die Inhalte, Kontexte und Personen in den
kooperativen settings gebunden sieht, betonen Weidner (2003) und Konrad und Traub (2001) die
Notwendigkeit
vorhergehender
themenungebundener
Vorbereitungen
mit
Kennenlern,
Interaktions, Kommunikations und Kooperationsübungen.
2.6 Aktueller Forschungsstand
Die Erwartungen, die mit der Wirksamkeit kooperativen Lernens verbunden werden sind
weitreichend (vgl. Kap. 2.1). Tatsächliche Argumente für oder gegen den Einsatz dieser
Unterrichtsmethode lassen sich jedoch nur durch empirische Überprüfungen sammeln. Mit Bezug auf
zahlreiche Studien und Metaanalysen hat Terhart (2005, S. 152) folgende mehrfach nachgewiesene
Wirkungsaspekte zusammengestellt:
Kleingruppenarbeit ist klassischem, geschlossenem Unterricht hinsichtlich der
Reproduktion von Wissen und der Nachhaltigkeit des erworbenen Wissens überlegen.
Diese Überlegenheit lässt sich außerdem für die Ausprägung sozialer Verhaltensweisen,
hinsichtlich der Disziplin und Kooperation, konstatieren.
Für den Bereich der Persönlichkeitsbildung lässt sich diese Überlegenheit ebenfalls
festhalten. Die Schüler entwickeln in stärkerem Maße eine Leistungs und
Sozialpersönlichkeit.
Sie zeigen weiter eine verstärkte Sensitivität im Hinblick auf ihre Fähigkeiten zur
Selbstreflexion und reduzieren persönlichkeitsbezogene Beeinträchtigungen durch
weniger ängstliches, nervöses und depressives Verhalten.
Außerdem fördert kooperatives Lernen die Diagnosefähigkeit von internen
Gruppenkonflikten, verbessert die Koordination und Organisation des Lernweges und
verstärkt die Zielorientierung.
So
gesehen
besitzt
kooperativer
Kleingruppenunterricht
verglichen
mit
klassischen
Unterrichtsformen wie dem Frontalunterricht ein größeres Potential hinsichtlich der Entwicklung
sozialer Kompetenzen und der Lernleistung.
Gröben (2010, S. 105) gibt an dieser Stelle jedoch zu bedenken, dass die bereits erläuterte
kompetente Anleitung dieses Lernverfahrens entscheidenden Einfluss auf dessen Wirksamkeit hat.

18
Dann, Diegritz und Rosenbusch (2002) kommen in einer umfangreichen Felduntersuchung
3
zu dem
Ergebnis, dass zu häufiges Intervenieren der Lehrperson den Lernprozess der Kleingruppe behindert.
Dazu zählt bspw. das häufige Kontrollieren des Arbeitsfortschritts, inhaltliches Lenken oder das
Unterbinden von empfundenen Störungen, ohne auf die Gruppenvorgänge einzugehen.
,,Die Gruppenmitglieder konzentrieren sich auf die erwachsene Autoritätsperson und damit zwar
kurzfristig verstärkt auf die Aufgabe; verlässt die Lehrkraft aber die Gruppe, so steigt die
Bereitschaft, sich vom Thema ablenken zu lassen, sehr schnell an. [...] Schlechte
Arbeitsergebnisse sind die Folge". (Dann et. al., 2002, S. 13)
Hingegen konnten als positives Lehrverhalten, die Präzision des Arbeitsauftrages und eine Integration
und Sicherung der Arbeitsergebnisse analysiert werden. Als entscheidende Einflussgrößen auf
kooperatives Lernen in Kleingruppen leitet Gröben (2005, S. 50) in Anbetracht der vielzähligen
Studienergebnisse die sogenannten ATIEffekte ab. Hierbei hängt der Erfolg der Lehrmethode bzw.
des Treatments (T) von der ,,Eignung" (A wie Apitude) bestimmter Persönlichkeitsmerkmale der
Lehrpersonen und der Lernenden sowie von der Form ihrer Interaktion (I) ab. Als diesbezüglich
vorteilhaft erweisen sich Lehrpersonen, die sich in ihrem Beruf als Berater und Vermittler und nicht
als ,,wissende Autorität" verstehen (Gröben, 2005, S. 50). Auf Seiten der Schülerinnen und Schüler
gewinnen v.a. diejenigen, die der Offenheit des settings und der Aufgaben mit Interesse und Neugier
begegnen. Je höher dabei das Kompetenzniveau der Schülerinnen und Schüler, desto mehr können
sie durch wenig vorstrukturierte Lernsettings profitieren, wohingegen schwächere Schülerinnen und
Schüler verstärkt durch vorstrukturierte Kleingruppenarbeit Lernerfolge erzielen können (Gröben,
2005, S. 50).
Die umfänglich beforschten Effekte kooperativen Lernens und ihr Einsatz in der Praxis vieler
Schulfächer dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der sportpädagogische Diskurs hier lange
Zeit hinterher hing (Gröben, 2010, S. 108). Jedoch wurde in der kürzeren Vergangenheit in mehreren
Feldstudien
4
der GoetheUniversität Frankfurt am dortigen Institut für Sportwissenschaft ,,Peer
basierter Unterricht" mit klassischen Vermittlungsformen wie der ,,methodischen Übungsreihe" bzw.
,,Spielreihe"
hinsichtlich
der
motorischen
Lernleistung,
der
subjektiv
empfundenen
Ausführungsqualität der ausgeführten Bewegung sowie der sozialen Kohäsion innerhalb der
3
Es wurden 16 Klassenlehrerinnen und ­lehrer (8m/8w, mit vergleichbarer Berufserfahrung) in bayrischen
Hauptschulen, im 5. Und 6. Jahrgang in ihrem Unterricht beobachtet. Es handelte sich hauptsächlich um
Deutschunterricht. Die Stunden wurden audiovisuell aufgezeichnet und hinsichtlich der Lehrvariablen für
einen erfolgreichen Unterricht ausgewertet.
4
Die Untersuchungen umfassten einen Eingangs, Ausgangs und Transfertest. In allen Untersuchungen wurden
die Lernenden hinsichtlich ihres Leistungsstandes für die Versuchsgruppen randomisiert. Die Probanden kamen
aus der Primarstufe (Tauchen), der Sekundarstufe I (Hürdenlauf) und Jugendvereinsmannschaften (Volleyball
und Handball).

19
Gruppen verglichen
(Gröben, 2005; Gröben, 2010). Untersucht wurden Sportspiele (Volleyball und
Handball) und Individualsportarten (Hürdenlauf und Streckentauchen).
Die folgende Tabelle gibt einen ersten Überblick über die Untersuchungsergebnisse:
Tab. 2. Untersuchungsergebnisse der Effektbereiche ,,motorische Lernleistung in der Übungsphase" (mot. LL ET
AT), ,,Nachhaltigkeit und Transferierbarkeit der motorischen Lernleistung" (mot. LL RT/TR), subjektiv
empfundene Qualität der erlernten Handlungen (SDBQ) und der ,,sozialen Kohäsion" (soz. Koh.). Als
,,Vorteil wird ein mindestens signifikanter Gruppenunterschied (p< .05) hinsichtlich des untersuchten
Effekts gewertet. (mod. nach Gröben, 2010, S. 111)
Praxisfeld
Effektbereiche
Mot. LL ETAT
Mot. LL RT/TR
SDBQ
soz. Koh.
Volleyball
Kein Vorteil
Vorteil
Vorteil
Vorteil
Handball
Kein Vorteil
Vorteil
Kein Vorteil
Vorteil
Streckentauchen
Kein Vorteil
Vorteil
Vorteil
Vorteil
Hürdenlauf
Kein Vorteil
Vorteil
Vorteil
Vorteil
Die Ergebnisse zeigen zwar, dass kooperativ unterrichtete Gruppen bezüglich der motorischen
Lernleistung zumindest kurzfristig keinen Vorteil hatten, allerdings konnten klare Vorteile in puncto
Nachhaltigkeit und Transferierbarkeit des Gelernten belegt werden. Des Weiteren lassen sich
eindeutige positive Effekte in den Bereichen der subjektiv empfundenen Qualität der erlernten
Handlungen und der sozialen Kohäsion nachweisen.
Diese vielfältige Überlegenheit kooperativ basierten Unterrichts gegenüber klassischen,
geschlossenen Vermittlungsformen kohäriert mit den, eingangs dargestellten Forschungsergebnissen
in anderen Praxisfeldern, weshalb Gröben (2010, S. 112) konstatiert: ,,Damit scheint es zumindest
plausibel, dass die Empfehlungen hinsichtlich der Durchführung des kooperativen Lernens in
Kleingruppen auch im Sportunterricht Geltung haben".
3. Veränderte Feedbackkultur im Sportunterricht
,,Fakt ist, dass wir ohne Feedback nicht auskommen, sei es im privaten oder professionellen
Kontext. Denn Feedback ist eines der wirkmächtigsten Instrumente der menschlichen
Kommunikation [...]. Feedback kann zwar keine Wunder bewirken, aber es kann Impulse,
Irritationen, Frust und Freude auslösen. Es kann zum Nachdenken und Nachbessern ebenso
anregen wie zur Festigung und Verstetigung von Erhaltenswertem beitragen" (Buhren, 2015, S.
7).

20
Die Bezugnahme dieser Arbeit auf eine ,,neue Lernkultur" in Schule und Unterricht (vgl. Kap. 2.1),
ließe sich auf der MikroEbene für ein Unterrichtskonzept Kooperatives Lernen verschiedentlich
konkretisieren. In dieser Abschlussarbeit stehen die sich verschiebenden Kommunikationswege
während des Unterrichts im Mittelpunkt. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf dem wechselseitigen
Feedback zwischen den Mitschülern. Aus einer veränderten Auffassung des Lernens ­ sprich: der
neuen Lernkultur ­ resultiert eine veränderte Auslegung der einzunehmenden Rollen auf Seiten der
Lehrkraft sowie der Schülerinnen und Schüler (vgl. Kap. 2.5). Die Lernenden werden in ihrem
selbstverantworteten Handeln bspw. zum Ideengeber im Problemlösungsprozess für und mit ihren
Mitschülern und Mitschülerinnen oder sie spiegeln bspw. die Außensicht auf eine
Bewegungsausführung als Feedbackgeber oder Feedbackgeberin. Legt man das Bild eines klassischen
fertigkeitsorientierten Sportunterrichts daneben, in dem sich die Lehrperson als alleinige
,,Korrekturinstanz" von jedem der Schülerinnen und Schüler nacheinander die Ausführung der
Flugrolle anschaut, um anschließend dazu eine Rückmeldung zu geben, was beim nächsten Mal noch
zu verbessern wäre, stellt die Betonung der wechselseitigen Kommunikation zwischen den
Lernenden während des Lernprozesses durchaus einen Kulturwandel für den (Sport)Unterricht dar.
Bevor in diesem Kapitel auf die Rolle von Feedback im Sport und dessen methodische Einführung in
kooperativen settings eingegangen wird, soll zunächst der Begriff als Konzept definiert werden sowie
anschließend seine Funktion und notwendige Bedingungen für ein erfolgreiches Arbeiten mit
Feedback konkretisiert werden.
3.1 Definition und Differenzierung des Feedbackbegriffs
Mit dem Hinweis von Buhren (2015, S. 10), dass Feedback durch seine Verwendung in vielen
Wissenschaftsbereichen als ,,ein Allrounder oder eine eierlegende Wollmilchsau" aufgefasst werden
kann, wird die Notwendigkeit einer genaueren Klärung und Eingrenzung dieses Begriffs bereits
deutlich.
Der Ursprung des Wortes im wissenschaftlichen Kontext liegt in der Kybernetik, einem
Wissenschaftsgebiet, das sich mit der Steuerung und Regelung von Systemen befasst, weshalb der
Feedbackbegriff dort als Rückkoppelung bzw. als die Rückmeldung von Informationen aufgefasst wird
(Krause, 2007, S. 46). Es geht hier genauer um den Vergleich eines Istzustandes mit einem
Sollzustand und somit zunächst um die Festlegung der Diskrepanz dieser beiden Zustände, um in der
Folge Maßnahmen einzuleiten, die diese Diskrepanz minimieren. Beispielsweise sorgen in der
Biologie regulative (homöostatische) Prozesse dafür, dass überlebenswichtige Parameter, wie der
Blutzuckerspiegel oder der osmotische Druck der Zellen, weitestgehend konstant gehalten werden.

21
Innerhalb zwischenmenschlicher Kommunikation kann sich ein Feedback (engl. Für Rückmeldung,
Rückinformation) auf einzelne Personen über Personengruppen, bis hin zu komplexen sozialen
Systemen wie bspw. der Schule, dann häufig in Form einer Evaluation, beziehen. In Lehr
/Lernkontexten wird Feedback als diagnostisches Konzept bzw. Instrument zwischen einer
erbrachten Leistung und dem beabsichtigten Lernziel eingesetzt (Krause, 2007, S. 46). Aus
konstruktivistischer Perspektive handelt es sich dabei um ein Angebot an Lernende, von dem sie ,,für
die individuelle oder auch kollektive Wissenskonstruktion Gebrauch machen" (Krause, 2007, S. 49).
Es ist hier jedoch, abweichend vom Ausgangsmodell in der Kybernetik, zu beachten, dass ,,Formen
und Wirkungen des Feedbacks sehr unterschiedlichen Bedingungen und Kontexten unterliegen"
(Buhren, 2015, S. 11). Daher kann ,,Feedback" als Konzeptbegriff nicht einheitlich verwendet werden,
sondern bedarf eines differenzierenden Zusatzbegriffes, wie z.B. ,,Spontanfeedback, förderndes
Feedback, positives oder negatives Feedback, Individualfeedback, Systemfeedback, kollegiales
Feedback, etc." (Buhren, 2015, S. 11).
Zur besseren Einordnung der erforderlichen Komponenten für ein Feedback kann die
Kommunikationspsychologie dienen. Hier ist ,,Feedback die Botschaft eines Senders, der
Feedbackquelle, an einen (oder mehrere) Rezipienten, den/ die Feedbackempfänger" (Krause, 2007,
S. 46). Ilgen, Fischer und Taylor (1979, zit. nach Krause, 2007, S. 46) nennen als potentielle
Feedbackquellen entweder andere Personen, das Aufgabenumfeld oder sich selbst. Mögliche
Feedbackgeber (in Form von anderen Personen) können Lehrende, Vorgesetzte, Peers
(Gleichgestellte), Untergebene oder Außenstehende sein.
Das heißt mit Blick auf den Unterricht, ein Feedback kann nicht nur vom Lehrenden an den
Lernenden gegeben werden. Genauso sind wechselseitige Feedbacks unter den Lernenden möglich,
aber auch ausdrücklich das, u.a. zu den ,,zehn Merkmalen guten Unterrichts" (Meyer, 2003) zählende
Schülerfeedback an den Lehrenden als methodisches Verfahren für die Qualitätssicherung des
Unterrichts.
Ein Beispiel für das Aufgabenumfeld als Feedbackquelle, könnte im sportlichen Kontext das Reißen
der Hochsprunglatte sein, sofern das Ziel der Aufgabe war, sie zu überspringen. Die auf den Boden
gefallene Latte fungiert als Sender an den Sportler, dem dadurch aufgezeigt wird, die Aufgabe nicht
zielgemäß bewältigt zu haben. Diese extrinsischen Formen des Feedbacks lassen sich von
intrinsischem Feedback in Form von Selbstbeurteilung unterscheiden. Ein intrinsisches Feedback ist
jedoch erst ab einer gewissen Erfahrung in einem bestimmten Aufgabenbereich sinnvoll (Krause,
2007, S. 47). Ein geübter Fußballer kann nach einem missglückten Spannstoß bspw. durchaus
nachvollziehen, an welchen Stellen die Bewegungsausführung fehlerhaft war. Weitere Bezugspunkte
von Feedback können in der folgenden Tabelle 3 nachvollzogen werden.
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Details

Title
Wie können Schüler das Feedback ihrer Mitschüler zur eigenen Leistungsverbesserung nutzen?
Subtitle
Veränderte Feedbackkultur in kooperativen Lernformen im Sportunterricht. Eine qualitative Interviewstudie
College
University of Münster
Grade
1,3
Author
Year
2016
Pages
115
Catalog Number
V388470
ISBN (eBook)
9783668626300
ISBN (Book)
9783668626317
File size
1615 KB
Language
German
Keywords
kooperatives Lernen, Feedback, Sportdidaktik, qualitative Studie, Sportunterricht
Quote paper
Milan Schellig (Author), 2016, Wie können Schüler das Feedback ihrer Mitschüler zur eigenen Leistungsverbesserung nutzen?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/388470

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