Die Arbeit geht der Frage nach, ob sich Auswirkungen des frühkindlichen bilingualen Erstspracherwerbs auf die Sprachentwicklung und Sprachfähigkeit des Kindes nachweisen lassen und inwieweit positive als auch negative Folgeerscheinungen durch frühen Mehrspracherwerb auftreten können.
Dazu erfolgt eingangs eine Definition des Begriffs „Mehrsprachigkeit“, um den Gegenstand der Untersuchung genauer eingrenzen und benennen zu können. Im Anschluss an die terminologische Begriffsbestimmung wird der Fokus auf den frühkindlichen Mehrspracherwerb gerichtet, wobei neben dem Vorgang des generellen Spracherwerbs im Kindesalter auch die verschiedenen Formen des bilingualen Erwerbs dargestellt werden sollen. Um den Bereich der Sprachverarbeitung des menschlichen Gehirns noch einmal zu beleuchten, wird danach kurz auf die Sprachproduktion und –rezeption in den Gehirnarealen eingegangen, bevor Studienergebnisse von neurophysiologischen Untersuchungen analysiert werden. Anhand der näheren Betrachtung von Vor- und Nachteilen frühkindlicher Mehrsprachigkeit werden daraus Schlussfolgerungen über die Auswirkung früher Bilingualität auf die generelle Entwicklung der Sprachfähigkeit gezogen.
Inhaltsverzeichnis
1) Einführung
2) Definition des Terminus Mehrsprachigkeit
3) Der frühkindliche Erstspracherwerb
3.1) Kindlicher Spracherwerb und bilingualer Erstspracherwerb
3.2) Methoden des bilingualen Erstspracherwerbs
4) Sprachverarbeitung im Gehirn
4.1) Methoden der Untersuchung von Zweisprachigkeit auf neurophysiologischer Ebene
5) Vor- und Nachteile frühkindlicher Bilingualität
6) Fazit
Literaturverzeichnis:
1) Einführung
Die vorliegende Arbeit soll der Frage nachgehen, ob sich Auswirkungen des frühkindlichen bilingualen Erstspracherwerbs auf die Sprachentwicklung und Sprachfähigkeit des Kindes nachweisen lassen und inwieweit positive als auch negative Folgeerscheinungen durch frühen Mehrspracherwerb auftreten können. Dazu erfolgt eingangs eine Definition des Begriffs „Mehrsprachigkeit“, um den Gegenstand der Untersuchung genauer eingrenzen und benennen zu können. Im Anschluss an die terminologische Begriffsbestimmung wird der Fokus auf den frühkindlichen Mehrspracherwerb gerichtet, wobei neben dem Vorgang des generellen Spracherwerbs im Kindesalter auch die verschiedenen Formen des bilingualen Erwerbs dargestellt werden sollen. Um den Bereich der Sprachverarbeitung des menschlichen Gehirns noch einmal zu beleuchten, wird danach kurz auf die Sprachproduktion und –rezeption in den Gehirnarealen eingegangen, bevor Studienergebnisse von neurophysiologischen Untersuchungen analysiert werden. Anhand der näheren Betrachtung von Vor- und Nachteilen frühkindlicher Mehrsprachigkeit werden daraus Schlussfolgerungen über die Auswirkung früher Bilingualität auf die generelle Entwicklung der Sprachfähigkeit gezogen.
Im abschließenden Fazit werden alle zuvor analysierten Punkte zusammengefasst und zur Beantwortung der Fragestellung herangezogen.
2) Definition des Terminus Mehrsprachigkeit
Eine einzige Definition des Begriffs „Mehrsprachigkeit“ existiert aufgrund der verschiedenen Definitionsmöglichkeiten nicht.[1] Darum soll hierbei auf eine allgemeine Begriffsbestimmung zurückgegriffen werden. So versteht man unter „Mehrsprachigkeit“:
„[...] verschiedene Formen von gesellschaftlich oder institutionell bedingtem und individuellem Gebrauch von mehr als einer Sprache. Er beschreibt Sprachkompetenzen von Einzelnen wie Gruppen und verschiedene Situationen, in denen mehrere Sprachen in Kontakt miteinander kommen oder in einer Konversation beteiligt sind. Diese verschiedenen Sprachen schließen nicht nur offizielle Nationalsprachen mit ein, sondern auch Regional-, Minderheiten- und Gebärdensprachen und sogar Sprachvarietäten wie Dialekte. Der Begriff wird gleichsam als ein Oberbegriff sowohl für verschiedene Formen von Sprachenerwerb im Laufe des Lebens eines Individuums als auch für die Verwendung der Sprachen im Alltag, im Arbeitsleben und in Institutionen verwendet.[2] Der Begriff ,Mehrsprachigkeit' schließt damit auch automatisch den Begriff ,Zweisprachigkeit' bzw. ,Bilingualität' mit ein und wird in der deutschsprachigen Forschung häufig synonym mit diesem Begriff verwendet.(Riehl 2014:9)“[3]
Der in der obigen Definition genannte Begriff der „Bilingualität“ hat im Kontext der linguistischen Forschung eine Sonderrolle inne, die hierbei benannt werden muss. So steht in der deutschsprachigen Forschung zwar der Terminus „Mehrsprachigkeit“ als umfassender Begriff für alle Formen des Mehrspracherwerbs, in der englischsprachigen aber wird diese Bezeichnung genau konträr durch die Terminologie „bilingual“ bzw. „Bilingualism“ wiedergegeben.[4] Die Bezeichnung „bilingual“ bzw. „Bilingualität“ wiederum bezieht sich im deutschsprachigen Kontext nur auf die individuelle Mehrsprachigkeit und dabei konkret auf das Ergebnis frühkindlich erlernter Mehrsprachigkeit.[5]
3) Der frühkindliche Erstspracherwerb
Um auf die Besonderheiten des bilingualen Erstspracherwerbs eingehen zu können, muss zunächst anhand des monolingualen Spracherwerbs gezeigt werden, welche Abläufe mit dem generellen Erwerb von Sprache verbunden sind. Aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Arbeit werden die einzelnen Etappen des Erwerbs jedoch nicht in aller Ausführlichkeit erläutert, sondern nur benannt. Der Fokus liegt dabei, hinsichtlich des Vergleichs mit früher Bilingualität, auf dem Stadium des Wortschatzerwerbs. Im darauffolgenden Abschnitt werden die damit verbundenen Methoden der bilingualen Erziehung analysiert.
3.1) Kindlicher Spracherwerb und bilingualer Erstspracherwerb
Der frühkindliche Spracherwerb gliedert sich der Reihenfolge nach in die Stadien der Lautproduktion und Lautrezeption (bis zum 3./4. Lebensmonat), der Entwicklung von Gestik und Mimik (intensional ca. ab dem 11. Lebensmonat), des Erwerbs des ersten Wortschatzes (ab ca. 12 Monaten), des Syntaxerwerbs (ab dem 12 bis 16. Monat) und der Ausprägung konversationeller und diskursiver Fähigkeiten (2./3. Lebensjahr).[6] Im Vergleich zum monolingualen Erstspracherwerb verläuft der bilinguale Spracherwerb auf ähnliche Weise.[7] Besonders im Hinblick auf das Erlernen lexikalischen Wissens und grammatikalischer Strukturen fällt dabei auf, dass es bei kleinen Kindern öfters zur Vermischung von Wörtern zweier Sprachen bzw. des grammatikalischen Satzbaus beider Sprachen kommt.[8] Dies wurde in der Forschung lange Zeit als Indiz dafür betrachtet, dass bilingual aufwachsende Kinder beide Sprachen undifferenziert voneinander erlernen, also als Ein-System.[9] Neuere Untersuchungen[10] zeigen aber, dass bilinguale Kinder in der Lage sind, je nach Sprache des Kommunikationspartners, ein Sprachsystem abzurufen, während sie das andere unterdrücken.[11] Würde sich die Ein-System-Hypothese bewahrheiten, wären die Kinder demnach nicht fähig, von jeweils nur einem System Gebrauch zu machen, demzufolge das Vokabular und die grammatische Struktur nur einer Sprache abzurufen. Diesbezüglich wird als derzeitiger wissenschaftlicher Konsens angenommen, dass bilingualer Erstspracherwerb nicht anderes ist als ein dualer Erstspracherwerb, demzufolge beim Prozess des Erwerbs zwei Sprachen unabhängig voneinander wie Erstsprachen behandelt und erlernt werden.[12] Ob dabei von einem bilingualen Erstspracherwerb gesprochen werden kann oder bereits Zweitspracherwerb stattfindet, hängt vom Alter des Kindes davon ab. Die kritische Phase ist damit das dritte Lebensjahr, bis zu welchem noch von bilingualen Erstspracherwerb die Rede sein kann.[13] Der Grund für die Erhebung dieser Altersgrenze ist der sogenannte vocabulary spurt, der im Alter von 1;9 bis 3;6 für einen rasanten Anstieg des Wortschatzes sorgt und der im Alter von ca. 3;6 stetig abnimmt.[14] Während dieser Phase wird der Wortschatz nicht intensional erlernt, was ebenso der Grund dafür ist, dass ab dem Alter von ca. 4 jede Form des Erlernens einer anderen Sprache als die Muttersprache, als Zweitspracherwerb bezeichnet wird.[15]
3.2) Methoden des bilingualen Erstspracherwerbs
Für den bilingualen Erstspracherwerb gibt es diverse Methoden der Sprachvermittlung, die unterschiedlich effizient sind. So wird das Partnerprinzip (auch „Eine Person-eine Sprache“-Prinzip genannt) in der Forschung gemeinhin als besonders geeignet angesehen.[16] Gemäß dieser Art der Sprachvermittlung, die auf einer Theorie des Linguisten Jules Ronjat beruht, sprechen beide Elternteile konsequent in jeweils einer/ihrer Sprache mit dem Kind, ohne auf die Sprache des Partners auszuweichen.[17] Andere Studien[18] belegen allerdings, dass Kinder einen größeren Vorteil aus einer Sprachvermittlung beziehen, bei der beide Elternteile zumindest teilweise die Sprache verwenden, die konträr zur Umgebungssprache ist.[19] Dabei steht letztlich die Häufigkeit der verwendeten Wörter im Fokus, die sich durch stete Wiederholung im kindlichen Wortschatz einprägen und die in der anderssprachigen Umgebung auf diese Weise besser vermittelt werden können. Der Unterschied dieser beiden Vermittlungsmethoden besteht beim Kind in dem Wissen darüber, dass es beim „Partnerprinzip“ weiß, dass es zwei unterschiedliche Sprachen spricht (Muttersprache und Vatersprache). Bei einer eher „gemischten“ Sprachvermittlung ist dieses Bewusstsein weniger stark bis gar nicht ausgeprägt.[20]
4) Sprachverarbeitung im Gehirn
Als Sprachzentrum des menschlichen Gehirns wird seit den Untersuchungen der Neurologen Pierre Paul Broca und Carl Wernicke, das jeweils nach ihnen benannte „Broca-Wernicke-Areal“ genannt.[21] Dieses, in der linken Gehirnhälfte ansässige Zentrum, ist zwar ein für die Sprachverarbeitung bedeutender Bereich, allerdings konnten neuere Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren beweisen,[22] dass die Hypothese, dass das Broca-Areal als Zentrum der Sprachverarbeitung und der Sprachproduktion dient, während das Wernicke-Areal für das Sprachverständnis zuständig ist, nur eingeschränkt gilt.[23] Anders als zuvor angenommen, beweisen Studien,[24] dass neben dem Broca-Wernicke-Areal, dessen Aufgabengebiete hinsichtlich Sprachproduktion und –rezeption nicht streng voneinander abgegrenzt sind, weitere Bereiche in den Sprachprozess involviert sind, worunter auch z.T. Regionen der rechten Gehirnhälfte zählen.[25] So ist heute nicht mehr von einem arbeitsteiligen Areal die Rede, das für den Vorgang der menschlichen Sprachfähigkeit zuständig ist, sondern von einem über das gesamte Gehirn verteilten Netzwerk, das zur „Organisation“ der Sprachfähigkeit des Menschen dient.[26]
4.1) Methoden der Untersuchung von Zweisprachigkeit auf neurophysiologischer Ebene
Die Untersuchung der Bilingualität auf neurophysiologischer Ebene beruht mehrheitlich auf Studien mit mehrsprachigen Aphasiepatienten, bei denen die Sprachfähigkeit der einen oder beider Sprachen eingeschränkt ist.[27] Eine weitere Variante ist die Durchführung eines bildgebenden Verfahrens, i.d.R. EKP- oder fMRT-Verfahren,[28] bei gesunden bilingualen Probanden.[29] Die nachfolgenden Ergebnisse der Untersuchungen beruhen auf Tests mit Probanden der zweiten Kategorie.
Im Bereich der syntaktischen Verarbeitung zeigen Tests, die auf grammatischen Fehlkonstellationen basieren,[30] eine sehr viel höhere Resonanz bei Probanden, die bilingual aufwuchsen als bei jenen, die die Sprache erst im Stadium des Zweitspracherwerbs (nach dem 3. bzw. 6. Lebensjahr) erlernt hatten.[31] Tests mit semantischer Fehleranalyse zeigten diese Abweichungen zwischen den beiden Gruppen der Probanden hingegen nicht.[32] Auch im Bereich der Aktivierung bestimmter Hirnareale spiegelt ein Unterschied zwischen bilingualem Erstspracherwerb und Zweitspracherwerb im Hinblick auf die Syntax die gleichen Ergebnisse wieder. Während bei den Probanden mit bilingualem Erstspracherwerb in fMRT-Studien nachgewiesen werden kann, dass die linke frontale Hirnregion weniger stark aktiviert wird als bei Probanden, die die Sprache als Zweitsprache erlernten, zeigen sich diese Unterschiede im Bereich der Hirnaktivität bei semantischen Tests nicht.[33] Der Grund für diese Ergebnisse liegt in den verschiedenartigen, altersbedingten Methoden des Gehirns, sich Syntax und Semantik aneignen zu können. So geht Michael Ullman von der Annahme aus, dass der sehr frühe Erwerb von zwei Sprachen dazu führt, dass die Syntax als „implizit-prozedual“[34] erlernt, die Semantik hingegen als „explizit-deklarativ“[35] erworben wird.[36] Gemäß dieser Theorie und durch die zuvor genannten neuronalen Untersuchungen, zeigt sich, dass bilingualer Erstspracherwerb dazu führt, dass das Gesamtgehirn weniger Gehirnsubstrat für den Vorgang der bilingualen Kommunikation aufwenden muss.[37] Zudem kann bei den früh bilingual Aufgewachsenen nachgewiesen werden, dass auf der Erwerb und die Kommunikation in einer dritten Sprache mit weniger Aktivität der Sprachregionen des Gehirns einhergeht, als bei vergleichbaren Probanden, die die Zweitsprache später gelernt hatte.[38]
Weitere Ergebnisse der neuronalen Hirnaktivierungsmuster ergaben, dass Frühmehrsprachige weniger Variationen der verschiedenen Sprachen bei der Sprachproduktion im Gehirn aufweisen und ein Netzwerk im Broca-Areal ausgebildet haben, das fähig ist, weitere Sprachen zu integrieren, weshalb es bilingual Aufgewachsenen leichter fällt neue Sprachen dazuzulernen.[39]
5) Vor- und Nachteile frühkindlicher Bilingualität
Bilinguale Erziehung in der frühen Kindheit zeitigt neben positiven Effekten auf sprachlicher und kognitiver Ebene auch einige Nachteile für die mehrsprachigen Sprecher. Dabei ist evident, dass bilingual aufgewachsene Kinder besonders im Bereich der verbalen Aufgabenlösung signifikante Nachteile im Unterschied zu monolingualen Sprechern haben.[40] Im Umkehrschluss sind bilinguale Kinder dafür im Bereich der nonverbalen Kompetenzen bevorteilt.[41] Als Vorteil der Mehrsprachigkeit erweist sich zum einen eine besser entwickelte Fähigkeit der „Mentalisierung“ (Theory of Mind), womit ein höher entwickeltes empathisches Bewusstsein, im Vergleich zu einsprachig erzogenen Kindern gleichen Alters, bezeichnet wird.[42] So zeigten Studien mit zweisprachig aufgewachsenen 3-jährigen Kindern,[43] dass diese sich mit höherer Wahrscheinlichkeit in die Gedanken- und Vorstellungswelt anderer Personen einfühlen können, als ihre monolingualen Altersgenossen. Zum anderen sind bei bilingualen Kindern auch die kommunikative Kompetenz und die mit der „Mentalisierung“ einhergehende Einfühlung in die Sprachkompetenzen des Gesprächspartners ausgeprägter.[44] Ebenso hat frühe Bilingualität zur Folge, dass sich Kinder eher Kommunikationsstrategien, wie z.B. das Gestikulieren zur Verdeutlichung des Gesagten, aneignen, umso besser auf das Vokabular der je nach Gesprächssituation „angemessenen“ Sprache zurückgreifen zu können.[45] Hinsichtlich der kognitiven Kompetenzen haben Studien ergeben, dass bei mehrsprachig aufgewachsenen Kindern die Fähigkeit zur Aufmerksamkeitskontrolle deutlich ausgeprägter ist, als bei ihren einsprachig aufgewachsenen Altersgenossen.[46] Mit diesem Befund geht die Fähigkeit bilingualer Sprecher einher, das für die konkrete Situation benötigte Vokabular der jeweiligen Sprache abzurufen, während das zu diesem Zeitpunkt nicht benötigte Vokabular inhibiert, also blockiert wird.[47] Darin liegt ein der Nachteil der Mehrsprachigkeit: während einsprachig aufgewachsene Kinder problemlos auf das gesamte Repertoire eines einzigen erlernten Wortschatzes zurückgreifen können, benötigen mehrsprachig aufgewachsene Kinder mehr Zeit um auf den Wortschatz zweier Sprachen zurückzugreifen und dabei das Vokabular der für den jeweiligen Anlass nicht relevanten Sprache zu unterdrücken.[48] Ein weiterer Nachteil, der aus früh erlernter Zweisprachigkeit resultiert, ist der kleinere Umfang des erlernten Wortschatzes von bilingualen Kindern.[49] So ergaben Studien[50] über die Zeitspanne von ca. zwei Jahren mit 25 bilingualen Kindern, die ab frühester Kindheit englisch und spanisch lernten, sowie mit 35 monolingualen Kindern (32 englischsprachig und 3 spanischsprachig), dass die zweisprachig aufgewachsenen Kinder nur über die Hälfte des Vokabulars verfügten, welches die einsprachig aufgewachsenen Kinder beherrschten.[51]
6) Fazit
Ausgehend von den zuvor analysierten Punkten lässt sich zusammenfassen, dass Mehrsprachigkeit im frühen Kindesalter einen sehr großen Einfluss auf die Sprachentwicklung und Sprachproduktion des bilingualen Kindes hat. So bildet ein bilingual aufgewachsenes Kind gleichzeitig zwei Sprachsysteme aus, die jeweils hinsichtlich der linguistischen Kategorien Phonetik, Lexik, Grammatik und Pragmatik separat nebeneinander erlernt werden müssen.[52] Da bilinguale Kinder in verschiedenen Kommunikationssituationen auf je eine der beiden Sprachen in vermehrter Frequenz zurückgreifen können, während sie die andere Sprache inhibieren, kann (mit relativer Sicherheit) ausgeschlossen werden, dass beide Sprachen in einem simultanen Verfahren erworben werden. Vor allem Kinder, die in Form des sog. „Partnerprinzips“, d.h. jeweils ein Elternteil benutzt eine Kommunikationssprache, erzogen wurden, zeigen während ihrer Sprachentwicklung ein großes Vermögen dafür, Sprachen zu trennen und dadurch intensional unterscheiden zu können, welche Sprache sie benutzen.[53] Hinsichtlich ihres umfassenden zweisprachigen Vokabulars kann es dabei zu Situationen des Code-switchings kommen, zur Produktion von Satzkonstellationen bei denen auf Basis der Syntax einer Sprache die Lexik beider Sprachen verwendet werden, um sich artikulieren zu können. Die bilinguale Sprachentwicklung ist dabei nur bis zum Alter von ungefähr 3 Jahren möglich, da dem zweisprachigen Kind der Erwerb des Wortschatzes während des vocabulary spurts am einfachsten fällt, da diese die letztmalige Phase der automatischen Aneignung eines großen Umfangs an Wortschatz darstellt. Generelle Vorteile des frühen Bilingualismus zeigen sich bei der Untersuchung der Gehirnaktivität von Probanden durch bildgebende Verfahren. So zeigen diese Studien, dass der frühe Erwerb zweier Sprachen dazu führt, dass die Sprachregion des Gehirns weniger Aufwand für den Sprachprozess betreibt, als die vergleichbare Hirnregion eines Zweitsprachenlerners. Neben diesen Vorteilen zeigen bilingual erstsprachig aufgewachsene Kinder ausgeprägte non-verbale Fähigkeiten, etwa im Bereich der Fokussierung der Aufmerksamkeit oder der Empathiefähigkeit, die bei ihren Altersgenossen weniger stark entwickelt sind.
Ein Nachteil der frühen Mehrsprachigkeit liegt allerdings darin, dass Kinder durch das Erlernen der doppelten Wortanzahl ein weniger ausgeprägtes Vokabular besitzen als monolingual Aufgewachsene. Das Wortschatzrepertoire ist bei monolingualen sogar um die Hälfte höher als bei bilingualen Kindern, was sich allerdings im Laufe der Schulzeit ausgleicht. Zudem verzögert sich bei frühen bilingualen Kindern die sprachliche Reaktionszeit, weshalb Testergebnisse im Bereich der verbalen Fähigkeiten schlechter ausfallen, da die für den Kommunikationsgebrauch nicht benötigte Sprache immer aktiv bleibt und vor dem kommunikationsangemessenen Sprachakt inhibiert werden muss.
Literaturverzeichnis:
Monographien:
- Dietrich, Rainer (2007): Neurolinguistik. 2. aktual. und erw. Aufl., Sammlung Metzler 342. Stuttgart [u.a.]: Metzler.
- Franceschini, Rita (2010): Einleitung. Sprache und Biographie. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 160.
- Klann-Delius, Gisela (2008): Spracherwerb. 2. aktual. und erw. Aufl., Sammlung Metzler 321. Stuttgart [u.a.]: Metzler.
- Riehl, Claudia Maria (2014): Mehrsprachigkeit. Eine Einführung. Darmstadt: WBG.
Aufsätze und Beiträge in Herausgeberschriften:
- Bialystok, Ellen (2009): Bilingualism. The good, the bad, and the indifferent. In: Bilingualism. Language and Cognition 12 (1).
- Rohmann, Hike; Aguado, Karin (2009): Der Spracherwerb. Das Erlernen von Sprache. In: Müller, Horst M. (Hrsg.), Arbeitsbuch Linguistik. Eine Einführung in die Sprachwissenschaft. 2. überarb. und aktual. Aufl., UTB 2169. Paderborn [u.a.]: Schöningh.
- Wartenburger, Isabell (2012): Mehrsprachigkeit. In: Höhle, Barbara (Hg.), Psycholinguistik, Berlin: Akademie Verlag.
[1] So verweist Isabell Wartenburger auf die engen und weiten Definitionsmöglichkeiten dieses Begriffs: „Einige Ansätze gehen von sehr engen Definitionen aus, nach denen nur Personen als multilingual bezeichnet werden, die mehr als eine Sprache von Geburt an erworben haben. Eine weniger enge Definition, […] bezeichnet alle Menschen als multilingual oder mehrsprachig, die mehr oder weniger regelmäßig in mehr als einer Sprache kommunizieren.“ In: Wartenburger, Isabell (2012): Mehrsprachigkeit. In: Höhle, Barbara (Hg.), Psycholinguistik, Berlin: Akademie Verl., S. 175.
[2] Riehl verweist hierbei auf einen Definitionsansatz von R. Franceschini. Vgl.: Franceschini, Rita (2010): Einleitung. Sprache und Biographie. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 160, 7-9; In: Riehl, Claudia Maria (2014): Mehrsprachigkeit. Eine Einführung. Darmstadt: WBG, S. 9.
[3] In: Riehl, Mehrsprachigkeit, S. 9.
[4] Vgl.: Dietrich, Rainer (2007): Neurolinguistik. 2. aktual. und erw. Aufl., Sammlung Metzler 342. Stuttgart [u.a.]: Metzler, S. 120.
[5] „In der englischsprachigen Literatur wird der Ausdruck „bilingual“ für die Existenz zweier Sprachen in einer Gesellschaft und für die Beherrschung zweier Sprachen durch eine Person verwendet. Ferner werden mit „bilingual“ alle Formen individueller Mehrsprachigkeit bezeichnet, also das Ergebnis des bilingualen Erstspracherwerbs, des kindlichen, jugendlichen und erwachsenen Zweitspracherwerbs und des Fremdsprachenlernens. Im Deutschen wird „bilingual“ enger, nur für die individuelle Mehrsprachigkeit verwendet und da auch bevorzugt für das Ergebnis des bilingualen Erstspracherwerbs.“ In: Ebd.
[6] In: Klann-Delius, Gisela (2008): Spracherwerb. 2. aktual. und erw. Aufl., Sammlung Metzler 321. Stuttgart [u.a.]: Metzler, S.23ff..
[7] Vgl.: Dietrich: Psycholinguistik, S. 121.
[8] Vgl.: Hinsichtlich dieses Phänomens sei auf die Studien von Deuchar & Quay aus dem Jahre 2009 verwiesen. In: Ebd. Diese Form der „Vermischung“ zweier Sprachen wird als Code-switching bezeichnet und „dient der Optimierung der Kommunikation, indem sämtliche zur Verfügung stehenden sprachlichen Mittel systematisch genutzt werden mit dem Ziel, sich möglichst präzise auszudrücken.“ In: Rohmann, Hike; Aguado, Karin (2009): Der Spracherwerb. Das Erlernen von Sprache. In: Müller, Horst M. (Hrsg.), Arbeitsbuch Linguistik. Eine Einführung in die Sprachwissenschaft. 2. überarb. und aktual. Aufl., UTB 2169. Paderborn [u.a.]: Schöningh, S. 284.
[9] Vgl.: Gemäß der Ein-System-Hypothese wurde wiederum in eine dreistufige Entwicklung der Separation beider Sprachen unterschieden: „Das Nebeneinader von Ausdrücken in beiden Sprachen in Äußerungen gegenüber dem selben Adressaten und die zeitliche Verteilung solcher sogenannter gemischter Äußerung wurde als Evidenz für eine dreistufige Entwicklung gesehen, eine erste Stufe, in der das lexikalische und das grammatische Wissen des Kindes nicht separat organisiert sind, eine zweite, in der das lexikalische Wissen sprachenweise getrennt, das grammatische aber noch nicht separiert ist und eine dritte, in der sich auch das grammatische Wissen in zwei mentale Grammatiken separiert (vgl. Volterra & Taeschner 1978; Taeschner 1983).“ Ebd.
[10] Vgl.: Genesee 2005, Nicoladis 2008. In: Riehl: Mehrsprachigkeit, S. 85.
[11] „D.h. wenn sie mit einem unbekannten Gesprächspartner konfrontiert werden, dehnen die Kinder den Gebrauch der Sprache, die dieser Gesprächspartner spricht, soweit sie es können.“ Ebd.
[12] Vgl.: Dazu Dietrich: „Insgesamt ist also anzunehmen, dass der bilinguale Erstspracherwerb tatsächlich ein doppelter Erstspracherwerb ist und nicht ein Beginn mit einem fusionierten System und der alllmählichen Separation in zwei.“ Ebd., S. 122f..
[13] Riehl: Mehrsprachigkeit, S. 86.
[14] Vgl.: Klann-Delius: Spracherwerb, S. 38f..
[15] Auch der darauffolgende Zweitspracherwerb kann noch einmal in ein frühkindliches (bis 6 Jahre) und ein späteres Stadium unterschieden werden und unterliegt damit verbundenen Einschränkungen des Spracherwerbs. In: Riehl: Mehrsprachigkeit, S. 86.
[16] Vgl.: Dietrich: Psycholinguistik, S. 120. Sowie: Riehl: Mehrsprachigkeit, S. 83.
[17] In: Ebd. Riehl betont allerdings auch die Problematik der Umsetzbarkeit dieser Strategie: „Aber das Prinzip birgt auch Nachteile, etwa wenn einer der Partner einsprachig ist und damit von einem Teil des Familiengesprächs ausgeschlossen bleibt. […] In der Realität wird das Prinzip auch wirklich nicht so konsequent angewandt: So hat bereits Egger (1985) für Südtirol festgestellt, dass nur etwa die Hälfte der Eltern, die beide Sprachen (hier: Italienisch und Deutsch) in der Familie verwenden, das Prinzip anwenden. In den übrigen Familien spricht ein Elternteil eine Sprache und der andere verwendet beide Sprachen mit dem Kind. De Houwer (2009:111) nimmt sogar an, dass die Praxis, dass ein Elternteil eine Sprache und der andere beide spricht, außerhalb von traditionellen mehrsprachigen Gesellschaften die meisterbreiteste ist.“
[18] Riehl: Mehrsprachigkeit, S. 83.
[19] Ebd.
[20] Ebd.
[21] Riehl: Mehrsprachigkeit, S. 35.
[22] Diese werden ausführlicher in 4.1 behandelt.
[23] Riehl: Mehrsprachigkeit, S. 35.
[24] Riehl bezieht sich dabei auf eine Studie von Li Ping aus dem Jahre 2013, In: Ebd.)
[25] Ebd.
[26] „Die beteiligten Gehirn-Areale bilden ein Netzwerk, das überwiegend (aber nicht ausschließlich) in der linken Gehirnhälfte beheimatet ist. Man spricht daher heute eher von ,Organisation‘ der Sprachen im Gehirn, als von ,Lokalisation.‘ Ebd.
[27] Vgl.: Wartenburger (2012): Mehrsprachigkeit, S. 182.
[28] Ebd., S. 184.
[29] Ebd.
[30] Z.B.: „Die Gans wurde im gefüttert.“ Vgl.: Ebd., S. 183.
[31] Vgl.: Ebd.
[32] Hierbei zeigten auch Probanden, die durch Zweitspracherwerb ein hohes Leistungsniveau in beiden Sprachen hatten, dieselben Ergebnisse wie bilinguale Erstsprachler. Ebd.
[33] Ebd., S. 184.
[34] Als “implizit-prozedual” werden Prozesse des Lernens deklariert, die bestimmte Verfahren der Anwendung miteinbeziehen (z.B. Fahrradfahren).
[35] Als “explizit-deklarativ” werden Lernprozesse bezeichnet, die das Faktenwissen betreffen.
[36] In: Ebd., S. 185.
[37] Riehl: Mehrsprachigkeit, S. 37.
[38] Ebd.
[39] Ebd.
[40] Vgl.: Bialystok, Ellen: Bilingualism. The good, the bad, and the indifferent. In: Bilingualism. Language and Cognition 12 (1), 2009, S. 7. Beispiele zu verbalen und nonverbalen Stärken bzw. Schwächen der bilingualen Sprecher werden im Folgenden erörtert.
[41] Ebd.
[42] Vgl.: Riehl: Mehrsprachigkeit, S. 56f..
[43] Ebd., S. 57.
[44] Vgl.: Ebd. So agieren bilinguale Kinder differenzierter mit Gesprächspartnern, die nur eine der beiden Sprachen sprechen, die das bilinguale Kind beherrscht. D.h. sie nutzen wesentlich häufiger die Vokabeln der Sprache des monolingualen Kommunikationspartners und greifen weniger häufig auf den Wortschatz der anderen Sprache zurück. Riehl verweist dabei auf eine Studie von Comeau/Genesee/Lapaquette.
[45] Ebd.
[46] Diese Ergebnisse zeigten Experimente, die Ellen Bialystok mit mehrsprachigen und einsprachigen Kindern im Alter von 4 bis 6 Jahren durchführte. Anhand von Testverfahren, wie u.a. der „Stroop task“, bei dem die Probanden verbale und visuelle Farbnennungen als konform oder konträr erkennen mussten, konnte nachgewiesen werden, dass sich bilinguale Kinder durchweg besser auf die situative Aufgabenstellung konzentrieren und unwichtige Informationen ausblenden konnten. Vgl.: Riehl: Mehrsprachigkeit, S. 57f.; Bialystok: Bilingualism, S. 6.
[47] Riehl: Mehrsprachigkeit, S. 57.
[48] Bialystok: Bilingualism, S. 4.
[49] „[...] bilinguals generally control a smaller vocabulary in each language than monolinguals. […] This finding is espacially important for descriptions of children's development because vocabulary size is a central measure of children's progress in both the oral and literate forms of language development.“ In: Ebd.
[50] Das Beispiel beruht auf einer Studie von Pearson, Fernandez & Oller (1993). In: Dietrich: Psycholinguistik, S. 124.
[51] Der Autor verweist allerdings darauf, dass das Defizit des Wortschatzes im späteren Entwicklungsverlauf und besonders durch den Schulunterricht ausgeglichen wird. In: Ebd.
[52] Dabei muss betont werden, dass dies nur für den Erwerbsprozess beider Sprachen zutrifft. Dass die Sprachen des mehrsprachigen Sprechers vernetzt sind und deshalb das komplette „Ausschalten“ der anderen Sprache nicht möglich ist, muss in diesem Kontext vorausgesetzt werden. Vgl.: Riehl: Mehrsprachigkeit, S. 100.
[53] Dies ist sogar der Fall, wenn eine der beiden Sprachen gänzlich passiv erlernt wurde. Vgl.: Riehl: Mehrsprachigkeit, S. 83.
- Quote paper
- Bianca Weihrauch (Author), 2017, Mehrsprachigkeit. Die Auswirkungen im frühen Kindesalter auf die Sprachentwicklung und Sprachproduktion des Kindes, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/386855
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