Nur Gott selbst weiß, was das für ein Zeichen war, das er Kain aufdrückte, nachdem dieser seinen Bruder ermordet hatte. Zwar ist es ein Zeichen „dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände“ (Gen 4, 15), ein Schutzzeichen also. Dennoch ist es nicht näher beschrieben - ein Signifikant scheinbar ohne Signifikat, deutbar innerhalb der Diegese nur durch seine Wirkung auf andere und seinen Kontext zum Brudermord. Dieses göttliche Zeichen hat seinen Ursprung in der biblischen Geschichte um Kain und Abel, dessen Fabel sich mit Mord, Ungerechtigkeit und Schuld auseinandersetzt und nicht nur mannigfach exegiert, sondern auch dichterisch verarbeitet worden ist.
Wie kommt es, dass zwei Autoren zu Beginn des 20. Jahrhunderts überhaupt auf diesen biblischen Topos zurückgreifen? Zum einen waren weder Hermann Hesse noch Thomas Mann "Neutöner". Zum anderen hatte das, was unter dem Begriff ‚Kunstreligion‘ zusammengefasst wird, in der frühen Moderne Hochkonjunktur. Wie schon das epochenbestimmende Werk "Also sprach Zarathustra von Friedrich Nietzsche „die Übernahme bestimmter rhetorischer und linguistischer Topoi des Evangeliums“ durchexerziert, benutzen auch Mann und Hesse das alttestamentarische Kainszeichen in ihrem Werk speziell für ihre Zwecke, ohne sich dabei dem Christentum zu verpflichten.
Wie dieser Spagat von biblischer Determination hin zu einer Neuinterpretation in der literarischen Moderne gelingt, wie es sich mit den Gezeichneten in den Werken verhält, also was sie ‚auszeichnet‘, und inwiefern Mann und Hesse dabei gerade auf das Kainszeichen zurückgreifen, soll im Folgenden anhand der Werke "Demian" und "Tonio Kröger" behandelt werden.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Das Kainsmal – eine Annäherung
- 3. Das Kainszeichen in Manns Tonio Kröger und Hesses Demian
- 3.1. Analyse von Tonio Kröger unter dem Aspekt des Kainszeichens
- 3.2. Analyse von Demian unter dem Aspekt des Kainszeichens
- 4. Kunstreligion in der Moderne
- 5. Das Kainszeichen unter semiotisch-semantischen Gesichtspunkten
- 6. Der Einfluss Nietzsches auf Tonio Kröger und Demian
- 7. Abschließende Betrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Verwendung des Kainsmal-Motivs in ausgewählten Werken der frühen Moderne, insbesondere in Thomas Manns Tonio Kröger und Hermann Hesses Demian. Ziel ist es, die literarische Entwicklung und Neuinterpretation des biblischen Topos im Kontext der Kunstreligion der Epoche zu analysieren.
- Literarische Tradierung des Kainsmal-Motivs
- Neuinterpretation des Kainszeichens in der frühen Moderne
- Der Einfluss der Kunstreligion auf die Darstellung des Motivs
- Semiotisch-semantische Analyse des Kainszeichens
- Vergleichende Analyse von Tonio Kröger und Demian
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik des Kainsmal-Motivs ein und stellt die zentrale Forschungsfrage nach der literarischen Entwicklung und Neuinterpretation dieses biblischen Topos in der frühen Moderne dar. Sie betont die Mehrdeutigkeit des Zeichens und dessen unterschiedliche Konnotationen im Laufe der Geschichte, von der biblischen Darstellung bis hin zu literarischen Adaptionen, die Kain nicht nur als schuldigen Mörder, sondern auch als Protagonisten mit differenzierten Eigenschaften zeigen. Die Einleitung legt den Fokus auf Thomas Mann und Hermann Hesse, die das Motiv in ihren Werken Tonio Kröger und Demian aufgreifen und neu interpretieren.
2. Das Kainsmal – eine Annäherung: Dieses Kapitel befasst sich eingehend mit dem biblischen Kontext des Kainsmal-Motivs. Es analysiert das vierte Kapitel der Genesis, in dem der Brudermord an Abel und die darauf folgende Markierung Kains durch Gott geschildert werden. Die Analyse beleuchtet die vielschichtigen Interpretationen des Ereignisses und die damit verbundenen moralischen Fragen. Es wird die Ambivalenz des Zeichens als sowohl Schutz- als auch Stigma hervorgehoben und der Kontext des ersten Mordes, der ersten Sünde und des ersten Opfers wird ausführlich beleuchtet. Das Kapitel legt den Grundstein für die anschließende Auseinandersetzung mit den literarischen Adaptionen des Motivs in der frühen Moderne.
Schlüsselwörter
Kainsmal, Kainszeichen, Brudermord, Thomas Mann, Hermann Hesse, Tonio Kröger, Demian, Kunstreligion, frühe Moderne, Bibel, Semiotik, Semantik, Nietzsche.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu "Das Kainsmal in der frühen Moderne: Eine literaturwissenschaftliche Analyse von Tonio Kröger und Demian"
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit untersucht die Verwendung des Kainsmal-Motivs in Thomas Manns Tonio Kröger und Hermann Hesses Demian. Der Fokus liegt auf der literarischen Entwicklung und Neuinterpretation dieses biblischen Topos im Kontext der Kunstreligion der frühen Moderne.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt die literarische Tradierung des Kainsmal-Motivs, dessen Neuinterpretation in der frühen Moderne, den Einfluss der Kunstreligion auf die Darstellung des Motivs, eine semiotisch-semantische Analyse des Kainszeichens und einen vergleichenden Analyse von Tonio Kröger und Demian. Der biblische Kontext des Brudermordes und die Ambivalenz des Kainszeichens als Schutz und Stigma werden ausführlich beleuchtet.
Welche Werke werden analysiert?
Die Hauptwerke der Analyse sind Thomas Manns Tonio Kröger und Hermann Hesses Demian. Die Arbeit betrachtet, wie diese Autoren das biblische Kainsmal-Motiv aufnehmen und neu interpretieren.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in sieben Kapitel: Einleitung, eine Annäherung an das Kainsmal, die Analyse des Motivs in Tonio Kröger und Demian, Kunstreligion in der Moderne, eine semiotisch-semantische Analyse des Kainszeichens, der Einfluss Nietzsches und eine abschließende Betrachtung. Jedes Kapitel wird in der Zusammenfassung der Kapitel detailliert beschrieben.
Welche Rolle spielt die Kunstreligion?
Die Arbeit untersucht den Einfluss der Kunstreligion der frühen Moderne auf die Darstellung und Interpretation des Kainsmal-Motivs in den analysierten Werken. Es wird betrachtet, wie das Motiv im Kontext der künstlerischen und religiösen Strömungen der Epoche neu interpretiert wird.
Welche methodischen Ansätze werden verwendet?
Die Arbeit verwendet literaturwissenschaftliche Methoden, darunter eine vergleichende Analyse der beiden Romane, sowie semiotisch-semantische Ansätze zur Interpretation des Kainszeichens. Der biblische Kontext wird ebenso berücksichtigt wie der Einfluss von philosophischen Denkern wie Nietzsche.
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit?
Schlüsselwörter sind Kainsmal, Kainszeichen, Brudermord, Thomas Mann, Hermann Hesse, Tonio Kröger, Demian, Kunstreligion, frühe Moderne, Bibel, Semiotik, Semantik und Nietzsche.
Was ist die zentrale Forschungsfrage?
Die zentrale Forschungsfrage ist die nach der literarischen Entwicklung und Neuinterpretation des biblischen Kainsmal-Topos in der frühen Moderne, insbesondere in den Werken von Thomas Mann und Hermann Hesse.
- Arbeit zitieren
- Nikolai Ziemer (Autor:in), 2016, Das Kainsmal-Motiv in ausgewählten Werken der frühen Moderne, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/386685