Die folgende Arbeit soll zeigen, was nach Luhmanns Systemtheorie Organisationen oder auch organisierte soziale Systeme als autopoietische Systeme erscheinen lässt, welche Theoriebausteine dazu nötig sind, welcher Operationen und Elemente es dazu bedarf und was in diesem Zusammenhang Entscheiden heißt.
Zunächst soll in das Thema eingeführt werden, indem gezeigt wird, was soziale Systeme im Allgemeinen als autopoietische Systeme ausmacht und charakterisiert, um dann spezieller Organisationen als autopoietische Systeme zu beobachten. Im weiteren Verlauf werden die wichtigsten Begriffe zur Organisation wie Mitgliedschaft, Entscheidung, Zeit, Unsicherheit, Personal, Technik, Selbstbeschreibung und Rationalität näher beschrieben, um dann abschließend auf das Verhältnis von Organisation und Gesellschaft einzugehen.
Zudem soll gezeigt werden, auf welche Besonderheiten es beim Verhältnis zwischen funktional differenzierter Gesellschaft und organisierten Systemen ankommt. So wie jede Theorie ist auch diese Theorie „nur“ eine Konstruktion. Das Besondere an der Beobachtung des Beobachters Luhmann ist die Umstellung auf Differenz und der damit eingeleitete besondere Umgang mit Paradoxien. Paradoxien bzw. paradoxe Unterscheidungen sind nicht zu umgehen, im Gegenteil sie können sogar Möglichkeiten ermöglichen; im Falle des Systems zum Beispiel durch ein Reentry der Unterscheidung von System und Umwelt in das System und die durch die Orientierung des Systems an dieser Entscheidung mögliche Autopoiesis eben dieses Systems.
In dieser Arbeit wird man auf diese Paradoxien stoßen, wobei die Paradoxie der Einheit der Differenz von System und Umwelt – welches „die“ Unterscheidung der Systemtheorie darstellt – also die Welt, allgegenwärtig ist und ausgeblendet wird. Daher wird alle Beobachtung je nach Wahl der Systemreferenz auf System oder Umwelt als „Ort“ der Beobachtung bezogen werden. Dabei ist zu beachten, dass schon die Wahl der Systemreferenz bereits ein Entscheidungsprozess ist.
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Autopoietische Systeme
3. Die Organisation als autopoietisches System
3.1. Mitgliedschaft und Motive
3.2. Entscheidungen
3.2.1. Die Paradoxie des Entscheidens
3.2.2. Zeitverhältnisse
3.2.3. Unsicherheitsabsorption
3.2.4. Risiko und Entscheidungen
3.2.5. Entscheidungsprämissen
3.2.6. Entscheidungsprogramme
3.2.7. Personal
3.3. Die Organisation der Organisation
3.4. Strukturelle Wandel
3.5. Technik
3.6. Selbstbeschreibung
3.7. Rationalität
4. Organisation und Gesellschaft
Literatur
1. Einleitung
Die folgende Arbeit soll zeigen, was nach Luhmann - in seiner Systemtheorie - Organisationen oder auch organisierte soziale Systeme als autopoietische Systeme erscheinen lassen, welche Theoriebausteine dazu nötig sind, welcher Operationen und Elemente es dazu bedarf und was in diesem Zusammenhang Entscheiden heißt
Zunächst soll in das Thema eingeführt werden, indem gezeigt wird, was soziale Systeme im Allgemeinen als autopoietische Systeme ausmacht und charakterisiert, um dann spezieller Organisationen als autopoietische Systeme zu beobachten. Im weiteren Verlauf werden die wichtigsten Begriffe zur Organisation wie Mitgliedschaft, Entscheidung, Zeit, Unsicherheit, Personal, Technik, Selbstbeschreibung und Rationalität näher beschrieben, um dann anschließend, abschließend und den Schluss bildend auf das Verhältnis von Organisation und Gesellschaft einzugehen. Zudem soll gezeigt werden, auf welche Besonderheiten es beim Verhältnis zwischen funktional differenzierter Gesellschaft und organisierten Systemen ankommt. Die Aufteilung dieser Arbeit wurde dabei aus Gründen der Adäquanz des Themas bewusst zum Teil an Luhmanns Einteilung des Themas in „Organisation und Entscheidung“ orientiert.
So wie jede Theorie ist auch diese Theorie „nur“ eine Konstruktion. Das Besondere an der Beobachtung des Beobachters Luhmann ist die Umstellung auf Differenz und der damit eingeleitete besondere Umgang mit Paradoxien. Denn die Theorie selbstreferenzieller autopoietischer Systeme „[...] arbeitet unter der Voraussetzung des Einschlusses des Ausschlusses der Paradoxie.“[1] Und weiter: „Die Paradoxie ist und bleibt ihr Satz vom Grunde, ihr transzendentaler Grundsatz.“[2] Alles Beobachten ist stets paradox, schon die Unterscheidung von System und Umwelt ist paradox, sie setzt sich selbst voraus. In Bezug auf ein System: „Ein System setzt sich selbst voraus, weil/obwohl es sich nicht selbst voraussetzen kann, d.h. A, weil Nicht –A.“[3] Paradoxien bzw. paradoxe Unterscheidungen sind nicht zu umgehen, im Gegenteil sie können sogar Möglichkeiten ermöglichen; im Falle des Systems zum Beispiel durch ein Re-entry der Unterscheidung von System und Umwelt in das System und die durch die Orientierung des Systems an dieser Entscheidung mögliche Autopoiesis eben dieses Systems. In dieser Arbeit wird man auf diese Paradoxien stoßen, wobei die Paradoxie der Einheit der Differenz von System und Umwelt – welches „die“ Unterscheidung der Systemtheorie darstellt – also die Welt, allgegenwärtig ist und ausgeblendet wird. Daher wird alle Beobachtung je nach Wahl der Systemreferenz auf System oder Umwelt als „Ort“ der Beobachtung bezogen werden. Dabei ist zu beachten, dass schon die Wahl der Systemreferenz bereits zum Entscheidungsprozess gehört. Entscheidungstheorie ist somit zu begreifen als Theorie des selektiven Prozesses, deren Prämissen kontingent auf den Prozess selbst zu sehen sind.[4]
2. Autopoietische Systeme
Nach Luhmann entstehen Systeme über Ausdifferenzierung, sie differenzieren sich von ihrer Umwelt, setzen sich different zur Umwelt.[5] Sie werden auch erst durch diese Differenz beobachtbar. Beim Prozess der Ausdifferenzierung, dieser rekursiven Systembildung, kommt es somit zu einer Differenzierung von System und Umwelt, alles was nicht zur Organisation gehört, wird ausgeschlossen. Es wird eine Grenze gezogen, eine Differenz von Innen und Außen erzeugt: „Als System lässt sich demnach alles bezeichnen, worauf man die Unterscheidung von Innen und Außen anwenden kann.“[6] Wenn sich ein System selbst unterscheidet, spricht Luhmann in Anlehnung an Spencer Brown[7] vom Reentry, dem Wiedereintritt der Unterscheidung in sich selbst oder dem Wiedereintritt einer Form in eine Form.[8] Nur durch Selbstreferenz ist Fremdreferenz möglich. Fremdreferenzielles wird selbstreferenziell unterschieden, wenn ein System sich unterscheidet und zwar dadurch, dass es sich von dem unterscheidet, was es nicht ist, seiner Umwelt.[9] Zu der Unterscheidung von System und Umwelt kommt die Unterscheidung von System zu System.[10] Beziehungen zu anderen Systemen werden durch strukturelle Kopplungen ermöglicht. Und erst das heißt auch, „[...] dass ein System nur in bezug auf seine Umwelt als problematisch verstanden werden kann: Hätte es keine Grenzen, hätte es keine Probleme.“[11]
Die Autopoiesis eines Systems kann nur auf der Grundlage seiner eigenen operativen Geschlossenheit bestehen, also wenn das System sich selber durch seine eigenen Operationen produzieren und reproduzieren kann und ein selbstreferenzielles zirkuläres Gefüge bildet. Soziale Systeme bestehen aus Kommunikationen, rekursiv vernetzten Operationen,[12] sie reproduzieren sich somit in Ereignissen.[13] Eine Kommunikation ist eine „[...] autopoietische Operation, die rekursiv auf sich selbst zurückgreift und vorgreift [...].“[14] Kommunikationen gibt es nur in sozialen Systemen.[15] Durch Kommunikationen reproduziert sich das soziale System und durch Kommunikation entsteht bzw. aktualisiert sich auch immer Gesellschaft.[16]
Autopoietische Systeme unterscheidenden sich selbst, sind operativ geschlossen und kognitiv offen, anders geht es nicht, denn operative Geschlossenheit ist nur durch kognitive Offenheit möglich. Und ebenfalls gilt: Voraussetzung von Offenheit ist Geschlossenheit.[17] Ein System muss seine Umwelt auf bestimmte Ereignisse hin beobachten, um dann möglicherweise etwaige Irritation in Information zu transformieren.[18]
Autopoiesis ist von Strukturerhaltung zu unterscheiden. Autopoietische Systeme können stets nur mit eigenen Strukturen operieren. Von Strukturdeterminiertheit kann man sprechen, wenn bestimmte Elemente oder Verknüpfungen von Elementen sich erprobt haben und für weiteres Operieren benutzt werden können, wie z. B. entschiedene Entscheidungen, die nicht Veränderungsbedürftig erscheinen. Solche Strukturen wie auch das Systemgedächtnis wahren die Unterschiede, die Differenzen und somit das System. Die Strukturen werden vom System unter Beachtung der Umwelt beobachtet. Diese Umwelt des Systems ist ebenfalls seine Konstruktion.[19] Das System informiert sich somit selbst und organisiert sich selbst.[20]
Systeme sind immer schon umweltangepasst und umweltabhängig, wobei sie ihr Bestehen, ihre Autopoiesis gegen ihre Umwelt zu sichern versuchen. Systeme operieren somit stets gegen ihre Umwelt und versuchen operational Differenz herzustellen.[21] „Wenn man von Autopoiesis spricht, muss man davon ausgehen, dass das System von seiner Umwelt toleriert wird und in diesem Sinne immer schon angepasst ist; denn sonst könnte es sich nicht reproduzieren.“[22] Die einzig darüber hinausgehende Möglichkeit wäre – vorausgesetzt die Umwelt ließe dies zu - die Steigerung der Komplexität des Systems, wodurch allerdings die Möglichkeiten zur Irritation erhöht würden, was aber auch die Probleme im System erhöht und damit auch weitere Lösungen gesucht werden müssen. Daher geht es letztendlich nur um die „[...] Anpassung des Systems an sich selbst.“[23]
Komplexe Systeme können in einer komplexen Umwelt bestehen, wobei dann verstärkt „Spannungen, Widersprüche und Konflikte“[24] auftreten und außerdem kann zu hohe Komplexität des Systems auch zu einer „Immobilisierung“ des Systems führen.[25]
Da das System streng genommen nichts über seine Umwelt weiß, ist Imagination die Möglichkeit des Systems zum weiteren Operieren, aber nicht zur besseren Anpassung. Der structural drift bestimmt letztendlich, „ [...] ob und wie lange noch das System ‚richtig liegt’.“[26]
3. Die Organisation als autopoietisches System
Alles was für autopoietische Systeme zutrifft, trifft auch für Organisationen zu, die wichtigsten Punkte seien noch einmal für Organisationen beschrieben:
Die Unterscheidung von System und Umwelt geht der Selbst-/Fremdunterscheidung von Organisation als autopoietischem System voraus, ist aber nicht gleichzeitig zu unterscheiden.[27] Auch die Organisation kann sich von ihrer Umwelt unterscheiden und sich selbst beobachten, wobei dies sozusagen nur als Prozess geschieht, sie „[...] benutzen die eigene Identität nur, um immer neue Bestimmungen anzubringen und wieder aufgeben zu können.“[28]
Organisationen als autopoietische soziale Systeme sind operativ geschlossene Systeme. Sie reproduzieren sich laufend ereignishaft durch sich selbst, mittels unterschiedenen elementaren oder basalen Operationen.[29] Die elementaren Ereignissen oder Elemente sind die Kommunikationen von Entscheidungen.[30] Durch den Vollzug von Kommunikationen reproduziert sich somit jede Organisation selbst, es stehen nur eigene Elemente zur Verfügung. Eine Organisation ist somit ein System, welches sich selbst als Organisation erzeugt.[31] Sie differenzieren sich mittels Entscheidungen als Kommunikationen aus und operieren mit Entscheidungen als Elementen, produzieren operativ Entscheidungen aus Entscheidungen.[32] Das Treffen von Entscheidungen läuft immer unter Beachtung von bereits getroffenen Entscheidungen und unter Beachtung solcher Sachverhalte, die das System für entscheidungsrelevant hält.[33] Es erzeugt somit operativ die Elemente, aus denen es „besteht“ durch die Elemente, aus denen es besteht,[34] wobei die Elemente als Ereignisse der Form von Kommunikationen in der Form von Kommunikation von Entscheidungen immer Zeitform haben.[35] Organisationen müssen ihre Entscheidungsfähigkeit immer wieder neu erzeugen und erhalten, sind somit äußerst instabil.
Die Bildung von eigenen Strukturen wird nur durch eigene Operationen geleistet, es kommt zu keinerlei Strukturimport aus der Umwelt der Organisation in die Organisation. Strukturen werden also nur über eigene Operationen erzeugt oder geändert,[36] denn die Organisation kann nur durch selbst aufgebaute Strukturen operieren, die auch nur im Moment des Operierens wirksam sind.[37] Da Organisationssysteme selbstreferenziell operieren, können sie auf den Unterschied, den sie zu ihrer Umwelt darstellen, reagieren, indem sie ihre Strukturwahlen daran orientieren, „[...] dass Umweltstrukturen und Systemstrukturen teils abhängig, teils unabhängig voneinander variieren bzw. variiert werden könnten.“[38] Das heißt, sie sind in der Lage, ihre System/Umwelt Beziehung in zweifacher Weise kontingent zu setzen und weiter zu relationieren. Die Unbestimmtheit wird dann durch Bestimmung der Systemidentität, Grenzziehung und selbstreferenzielle Strukturbildung in Bestimmtheit überführt.[39]
Auch um einen vergangenen Zustand zu bestimmen, hat die Organisation nur eigene Operationen zur Verfügung. Dies ist wichtig, da an dem Punkt, an dem das System eine Operation beendet hat, wieder Angeknüpft werden muss. Die Autopoiesis vollzieht sich durch Anknüpfen von Operationen an Operationen desselben Systems. Und bestimmte Operationen ermöglichen immer nur ganz bestimmte weitere Möglichkeiten. Die Organisation zieht damit quasi Grenzen, unterscheidet sich von ihrer Umwelt, bezeichnet die Grenze zwischen System und Umwelt und ist damit auf Selbstorganisation angewiesen; sie vollzieht Selbstorganisation.[40]
Alle Operationen haben damit eine Doppelfunktion: Sie legen den historischen Zustand des Systems fest, von dem aus weiter operiert werden muss, und sie bilden Strukturen aus, die ein Wiedererkennen und Wiederholen bestimmter Operationen ermöglichen. Strukturen in Organisationen sind notwendige Komplexitätsreduktionen; über Strukturen werden die möglichen Möglichkeiten, die einer Organisation zur Verfügung stehen, um weitere Anschlussoperationen vollziehen zu können, reduziert. Als oberste Prämisse von Organisationen kann somit Komplexitätsreduktion gesehen werden, z. B. dass die zu einem bestimmten Zeitpunkt verwirklichte Auswahl von Entscheidungen, die zur weiteren Anpassung an die Realität nötig sind, möglichst „optimal“ selektiert werden.[41] Denn ein System ist komplex, wenn es so viele Elemente umfasst, „[...] dass nicht mehr jedes Element mit jedem anderen verknüpft werden kann, sondern Relationierungen selektiv erfolgen müssen.“[42]
Die Funktionen der Kommunikation beziehen sich auf die Autopoiesis der Systeme, die Ermöglichung weiterer Kommunikationen. Jede Kommunikation hat ein Thema und liefert zugleich einen Anknüpfungspunkt für weitere Kommunikationen. Auch Widersprüche oder Entscheidungen werden bearbeitet, wenn sie zu einer Erweiterung des Systems führen würden, ansonsten würden sie nicht beachtet werden.[43] Über Themen der Kommunikation wird die Kommunikation sachlich differenziert und zeitlich strukturiert.[44] Es wird festgelegt, was dazu gehört und was nicht. Sie fungieren als Gedächtnis im System, welches mit dieser Funktion regelt, was es erinnern muss und was es vergessen kann. Nur auf systeminterne Themen, die für die Fortführung, also die Autopoiesis, von Bedeutung sind, wird sich bezogen.[45] Zur Kommunikation von Entscheidungen: Entscheidungen betreffen immer auch Unterscheidungen in der Form von Alternativen.[46] „Entscheidungen können nur kommuniziert werden, wenn auch die abgelehnten Möglichkeiten mitkommuniziert werden, denn anders würde nicht verständlich werden, dass es sich überhaupt um eine Entscheidung handelt.“[47]
Es kann aber auch Anderes als Kommunikation in Organisationen unterschieden werden, unabhängig von der Kommunikation von Entscheidungen.[48] Aber die Kommunikation von Entscheidungen ist die „[...] Art und Weise, in der die Organisation sich selbst unterscheidet und daran erkennt, was sie tut.“[49] Eine Organisation ist in diesem Verständnis vor allem formale Organisation, die ständig mit der Abarbeitung durch Entscheidungen von selbst durch Entscheidungen erzeugter Unsicherheit, also mit Unsicherheitsabsorption, beschäftigt ist. Autopoiesis wird so erst möglich durch die Unsicherheit des Systems und die ständige Absorption der aktuellen Unsicherheit.[50]
3.1. Mitgliedschaft und Motive
In Organisationen gibt es in Bezug auf Operationen keine Überschneidungen. Zwischen Operationen in psychischen und solchen in sozialen Systemen wird stark unterschieden.[51] Psychische Systeme werden als Umwelt von sozialen Systemen unterschieden. Die autopoietische Kommunikation in Organisationen operiert unabhängig vom Bewusstsein, setzt aber dessen Operationsfähigkeit voraus. Durch Externalisierungsleistungen der wahrnehmenden psychischen Systeme ermöglichen sie ihre Autopoiesis.[52]
Das System unterscheidet psychische Systeme kommunikativ als Personen, als Adressen, Autoren und Themen von Kommunikationen. „Personen entstehen [...] durch Teilnahme von Menschen an Kommunikationen.“[53] Und weiter: „Sie leben nicht, sie denken nicht, sie sind Konstruktionen der Kommunikation der für Zwecke der Kommunikation.“[54] Somit können dann Handlungen und motivierte Handlungen auf Personen zugerechnet werden, wobei Motive als soziale Konstrukte unterschieden werden, sie liefern sozial zurechenbare Gründe für bestimmte Handlungen, sie bilden „[...] die Anschlußstellen für strukturelle Kopplungen zwischen psychischen Systemen [...].“[55] Soziale Systeme bilden mittels dieser Handlungen ein Gedächtnis. Dies wird bei der Beobachtung von Handlungen benötigt.[56] Die Entscheidungen müssen nacheinander beobachtet werden, sie können nicht alle zum gleichen Zeitpunkt beobachtet werden.[57]
Das Sichbilden von Organisationen ist somit dann zu beobachten, „[...] wenn Systeme über besondere Mitgliedsrollen ausdifferenziert werden [...].“[58] Die psychischen Systeme werden dann integriert, im Sinne einer „[...] wechselseitige Einschränkung der Freiheitsgrade von Systemen [...]“[59], die strukturell aneinander gekoppelt sind. Karrieren als „differenzorientiertes Integrationsprinzip“[60] dienen dann ebenfalls als struktureller Koppler. Sie entstehen aus selbst- und fremdselektiv erzeugten Positionsgeschichten von Personen.[61] Der zentrale Koppler Mitgliedschaft vereint in sich Vertrag, Motivation, Person und Karriere.
Organisationen organisieren „[...] ihre Grenzen primär über Mitgliedschaftsrollen und Zulassung zur Mitgliedschaft [...].“[62] Mitgliedschaft kann daher, und tut dies verstärkt, als Hierarchie wirken, eben zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern.[63] „Alle müssen exkludiert werden, außer denjenigen, die wir anstellen.“[64] Durch diese Unterscheidung von Mitgliedschaft/Nichtmitgliedschaft wird eine Differenz gesetzt, eine Grenze gezogen und selektiert.[65] Da Mitgliedschaft „eine entscheidungsfähige Angelegenheit“[66] ist, ist dies möglich. Entweder man gehört mittels Entscheidung entschieden zur Organisation, und genau das macht formale Organisation aus, und ermöglicht es Verhalten, das formal geregelt ist, als Entscheidung zu behandeln[67] oder man ist ausgeschlossen. Beide Male aber gehört man zur Umwelt der Organisation, deren Entstehung dann zu beschreiben ist als: „Rekonstruktion doppelter, relativ unabhängig variierender Kontingenzen.“[68]
In Organisationen werden nur Kommunikationen unterschieden und verarbeitet als Kommunikationen der Organisation, wenn sie von Mitgliedern der Organisation als Mitglied getätigt werden.[69] Es kann bestimmtes Verhalten motiviert und koordiniert werden, welches nur durch „Mitgliedschaft in solchen Systemen erwartet werden“[70] kann. Den Mitgliedern kann auf diese Weise Arbeit verordnet werden. Durch Entscheidungen werden den Mitgliedern nur bestimmte Möglichkeiten ermöglicht, die mit der Entscheidung zur Mitgliedschaft fallen, es sind bestimmte Bedingungen zu erfüllen.[71] Dadurch wird versucht „zwischenmenschliches Handeln sinnhaft [zu] orientieren“[72] und aufeinander zu beziehen. Und indem Handlungsmöglichkeiten reduziert werden, wird ebenfalls Komplexität reduziert. Die Problematik besteht für Luhmann dann darin, dass bestimmte Möglichkeiten gegen andere Möglichkeiten stehen.[73] So ist die Mitgliedschaftsentscheidung gleichzeitig „[...] eine Entscheidung zur Anerkennung von Bedingungen der Mitgliedschaft, und das heißt: eine Entscheidung zum Akzeptieren von Entscheidungsprämissen, inclusive Bedingungen der legitimen Änderung oder Respezifikation solcher Entscheidungsprämissen.“[74]
Die Mitgliedschaftsbedingungen bestehen somit in formalisierten Erwartungen an die Rolle als Mitglied. Erwartungen sind dann formalisiert, wenn sie zu Mitgliedschaftsbedingungen geworden sind. Wenn an das Weiterbestehen des Systems gekoppelt wird, von Persönlichkeit abgesehen wird, Rollen getrennt werden und dies als akzeptiert gilt. Auch in Bezug auf Erwartungen kann reflexives Entscheiden entstehen: „Erwartungen werden zu Entscheidungsprämissen und in diesem Sinne zu Entscheidungen über Entscheidungen.“[75] Formale Organisation wirkt somit indirekt durch die in der Erwartungsstruktur möglichen Möglichkeiten.
Es gibt bestimmte Regeln, die eine Mitgliedschaft oder eben die Nichtmitgliedschaft zum System regeln und kontingent halten. Desweiteren bestimmen bestimmte Regeln, welche Verhaltensmöglichkeiten den Mitglieder des Systems ermöglicht werden.[76] Diese beiden Kontingenzbereiche, entstehen durch Regeln, die durch Entscheidungen erzeugt werden. „In diesem Sinne kann man den Organisationsmechanismus charakterisieren als Systematisierung nicht oder weniger kontingenter Beziehungen zwischen Kontingentem. Seine Rationalität beruht auf einer Relationierung von Relationen. Dabei wirkt die Relationierung von Kontingentem selbstselektiv auf ihre eigenen Möglichkeiten; denn selbst Beliebiges ließe sich nicht beliebig kombinieren.“[77] Organisationen entstehen somit, indem Kontingenzen reduziert und gesteigert werden. Dies gilt auch für ihre interne Arbeitsweise; Stellen zum Beispiel verbinden Verhaltensprogramme und kontingente Kommunikationsbeziehungen mit Personen.[78]
Ein Zweck der Organisation kann durch die Einrichtung der Erwartungen unabhängig von den Zwecken und Motiven der Mitglieder bearbeitet werden. Dabei ist an das Akzeptieren der Organisationszwecke und damit zusammenhängend die Entscheidungsprogramme zu denken. Rollen als Verhaltenserwartungen werden zu Stellen abstrahiert, indem durch die Begrenzung der Möglichkeiten eine feste Struktur geschaffen wird. Bestimmte Stellen müssen zwar besetzt sein, sind aber nicht an bestimmte Personen gebunden, dafür sind sie aber an bestimmte Programme gebunden und nur mit begrenzten Kommunikationsmöglichkeiten versehen. Sie stellen die kleinste strukturelle Einheit der Organisation.[79] Diese Verbindung ermöglicht es Kontingenz zu operationalisieren, weil so Anweisungen zum Ändern der strukturellen Verhaltensprämissen in Abhängigkeit der als fest angenommenen Prämissen zur Verfügung stehen. Einschränkungen gibt es nur „[...] in der Form der Bedingungen sinnvoller Relationierung.“[80] Die durch die Mitgliedschaftsregeln und die Stellen zugelassene Kontingenz bleibt nicht ohne Konsequenzen: „Dadurch dass alle Strukturen als kontingent erfahren werden, entsteht ein Selektionszwang mit Bindungseffekten im System selbst.“[81] Beim Aufbau des Systems, den Entscheidungsprämissen und den Stellen werden selbstselektiv Strukturen gebildet.
Da Stellen personenunabhängig und bezüglich Personen auf Austauschbarkeit derselben eingerichtet sind, können alle Eigenschaften von Personen, die für die Erfüllung ohne Bedeutung sind, unbeachtet bleiben. In diesem Rahmen aber kann durch die Mitgliedschaft das Verhalten konditioniert werden.[82] Durch Mitgliedschaftsregeln wie das Akzeptieren von Autorität gegen ein Gehalt können die Verhaltensanforderungen an Mitglieder und die Motive der Mitglieder verbunden werden; wobei Motivation zu verstehen wäre als das Verhältnis von psychischer Rigidität gegenüber der Organisation.[83] Auch die Mitgliedschaft in Organisationen ist durch Geld zu regeln; so verhält sich die Mitgliedschaftsmotivation in Organisationen proportional mit steigendem Geldbedarf; Regulierungen über Herrschaft, Weisung und Kontrolle werden von dem Interesse den Arbeitsplatz zu behalten oder eine bessere Stelle zu erlangen abgelöst.[84] Das Medium Geld kann mittels Organisationen, z. B. über die Schaffung von Stellen und damit verbundene Weisungskompetenz, also über Einstellung und Entlassung und über Karrieren, und Arbeitsteilung in Macht gewandelt werden, wobei das primäre Medium die Stellen bleibt.[85] Dennoch, Mitglieder müssen die Anweisungen im Dienst anerkennen, ansonsten droht ihnen die Entlassung, dies nennt Luhmann die förmliche Organisationsmacht.[86] Hiervon zu unterscheiden ist die faktische Macht oder auch Personalmacht, womit die Karrierenbildung gemeint ist, die Zuweisung zu bestimmten Stellen, wobei ihre Grenzen unterschiedlich gesetzt werden: „Die Organisationsmacht hat nach all dem Grenzen in der Knappheit brauchbaren Personals, die Personalmacht hat Grenzen in der Knappheit begehrter Stellen im Organisationssystem.“[87] Luhmann meint tendenziell erkennen zu können, dass eine Steigerung der Macht in Organisationen einen Machtausgleich verhindert, da „[...] der Differenzierung von Machtquellen keine Differenzierung von Machtthemen“ entspricht.[88] Durch einen Zuwachs der Macht der Mitglieder problematisieren sich die Machtverhältnisse zwischen ihnen.
[...]
[1] Luhmann, 2000: S. 55
[2] Luhmann, 2000: S. 55
[3] Krause, 2001: S. 182
[4] Vgl. Luhmann, 1971 h: S. 477
[5] Vgl. Luhmann, 1987 d: S. 54f; Luhmann, 1997: S. 597
[6] Luhmann, 1964: S. 24
[7] Siehe Spencer Brown, 1997
[8] Vgl. Luhmann, 2000: S. 72
[9] Vgl. Luhmann, 2000: S. 79
[10] Vgl. Luhmann, 2000: S. 410
[11] Luhmann, 1987 c: S. 1692
[12] Vgl. Luhmann, 2000: S. 48
[13] Vgl. Luhmann, 2000: S. 53
[14] Luhmann, 2000: S. 59
[15] Vgl. Luhmann, 2000: S. 59
[16] Vgl. Luhmann, 2000
[17] Vgl. Luhmann, 2000: S. 54
[18] Vgl. Luhmann, 2000: S. 53, 56, 57
[19] Vgl. Luhmann, 2000: S. 47, 48, 50ff, 54, 57, 68
[20] Vgl. Luhmann, 2000: S. 23
[21] Vgl. Luhmann, 2000: S. 55
[22] Luhmann, 2000: S. 74
[23] Luhmann, 2000: S. 74
[24] Luhmann, 1969: S. 395
[25] Luhmann, 1970: S. 76
[26] Luhmann, 2000: S. 78
[27] Vgl. Luhmann, 2000: S. 46f
[28] Luhmann, 2000: S. 47
[29] Vgl. Luhmann, 2000: S. 50 ff
[30] Vgl. Luhmann, 2000: S. 63, 65, 68
[31] Luhmann, 2000: S. 45
[32] Vgl. Luhmann, 1997: S. 830, 833
[33] Vgl. Luhmann, 2000: S. 65
[34] Vgl. Luhmann, 2000: S. 49
[35] Vgl. Luhmann, 2000: S. 45f
[36] Vgl. Luhmann, 1999: S. 313f
[37] Vgl. Baecker, 2002: S. 101
[38] Luhmann, 1975 b: S. 47
[39] Vgl. Luhmann, 1975 b: S. 47f
[40] Vgl. Baecker, 2002: S. 101
[41] Vgl. Luhmann, 1978: S. 19
[42] Luhmann, 1978: S. 13
[43] Vgl. Luhmann, 2000: S. 60
[44] Vgl. Luhmann, 1987 d: S. 268f
[45] Vgl. Luhmann, 2000: S. 60
[46] Vgl. Luhmann, 2000: S. 67
[47] Luhmann, 2000: S. 64
[48] Vgl. Luhmann, 2000: S. 69
[49] Luhmann, 1993: S. 287
[50] Vgl. Luhmann, 2000: S. 47
[51] Vgl. Luhmann, 2000: S. 81
[52] Vgl. Luhmann, 2000: S. 119f
[53] Luhmann, 2000: S. 90
[54] Luhmann, 2000: S. 90-91
[55] Luhmann, 1993: S. 304
[56] Vgl. Luhmann, 2000: S. 94f
[57] Vgl. Luhmann, 1978: S. 112f
[58] Luhmann, 1994: S. 189
[59] Luhmann, 2000: S. 99
[60] Luhmann, 2000: S. 106
[61] Vgl. Luhmann, 2000: S. 103f
[62] Luhmann, 1987 d: S. 268f
[63] Vgl. Luhmann, 2000: S. 111f
[64] Luhmann, 1995: S. 16
[65] Vgl. Luhmann, 1975 a: S. 10
[66] Luhmann, 1964: S. 35
[67] Vgl. Luhmann, 1999: S. 296
[68] Luhmann, 1975 b: S. 40
[69] Vgl. Luhmann, 1991: S. 202
[70] Luhmann, 1984: S. 1327
[71] Vgl. Luhmann , 1975 a: S. 12
[72] Luhmann, 1969: S. 392
[73] Vgl. Luhmann, 1969: S. 392
[74] Luhmann, 1991: S. 202
[75] Luhmann, 1999: S. 296
[76] Vgl. Luhmann, 1975 c: S. 99
[77] Luhmann, 1975 c: S. 100
[78] Vgl. Luhmann, 1975 c: S. 100
[79] Vgl. Luhmann, 1975 b: S. 41f
[80] Luhmann, 1975 b: S. 42
[81] Luhmann, 1975 b: S. 42
[82] Vgl. Luhmann, 1994: S. 190
[83] Vgl. Luhmann, 1999: S. 318
[84] Vgl. Luhmann, 1978: S. 111f
[85] Vgl. Luhmann, 1999: S. 309ff
[86] Vgl. Luhmann, 1975 c: S. 104
[87] Luhmann, 1975 c: S. 105
[88] Luhmann, 1975 c: S. 112
- Quote paper
- Daniel Dorniok (Author), 2005, Organisationen oder organisierte soziale Systeme als autopoietische Systeme und ihre Entscheidungen. Betrachtungen zu Luhmanns Systemtheorie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38629
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