Auch junge Menschen erleben Arbeitslosigkeit als Belastung, die mit Selbstzweifeln, Perspektivlosigkeit, Motivationsverlust und depressiven Verstimmungen einhergeht. Für sozial benachteiligte Jugendliche ist der Einstieg ins Berufsleben durch persönliche und soziale Faktoren zusätzlich erschwert. Sozial bedingte Ungleichheit wirkt sich nicht nur auf Bildungschancen, sondern auch auf Gesundheitschancen aus. Gerade die am stärksten belasteten Milieus haben wenig Zugang zum Gesundheitssystem oder zu Präventionsmaßnahmen.
Was können Einrichtungen, wie die Jugendberufshilfe, deren Tätigkeit mit der Lebenssituation junger Menschen verbunden ist, im Bereich der Gesundheitsförderung leisten? Welche Angebote eignen sich, benachteiligte Jugendliche im Bereich der Stressregulation zu unterstützen, um ihre Ausbildungsfähigkeit zu erhöhen?
Wie diese Arbeit aufzeigt, können sich Erklärvideos und YouTube aus dem Bereich der digitalen Jugendmedienkulturen als Zugang für Unterstützungsangebote eignen. Denn YouTube ist das beliebteste Internetangebot bei Jugendlichen. Ziel dieser Arbeit ist es, die theoretischen Grundlagen darzulegen, die die Entwicklung eines Konzepts zur Stressbewältigung anhand von Erklärvideos (Tutorials) und Social Media ermöglicht.
Dazu wird YouTube als Lernplattform eingesetzt. Die Methode der Klopfakupressur (EFT) wird über Erklärvideos zielgruppengerecht vorgestellt. Ein innovatives und lebensweltadressiertes E-Learning-Konzept, um eine einfach zu erlernende Stressbewältigungsmethode kennen zu lernen.
2 Potentiale von Webvideos – Lernen mit YouTube
2.3 YouTube als Bildungsressource
2.4 YouTube als Social Community
3 Lehr- und Lerntheoretische Hintergründe
3.1 Lernen am Modell
3.2 Konstruktivismus – Lernen als Konstruktion
3.3 Konnektivismus – Lernen in Netzwerken
3.4 Zusammenfassende Bewertung
4 Aspekte des Übergangsgeschehens benachteiligter Jugendlicher
4.1 Belastungsfaktoren sozial benachteiligter Jugendlicher
4.2 Probleme im Übergangssystem
4.3 Unterstützungsangebote
5 Emotionales Selbstmanagement mit Klopfakupressur
5.1 Wirksamkeit energetischer Psychologie
5.2 EFT – Emotional Freedom Techniques
5.3 Online-Ressourcen zu EFT
6 Mediendidaktische Begründung der Lernumgebung
6.1 Online-Lernen – Vorteile digitaler Medien
6.2 Die Einrichtung SINA
6.3 Teilnehmerinnen und Zielgruppe
6.4 Konzeption der Lernumgebung
6.4.1 Entwicklung von Erklärvideos
6.4.2 Kollaboratives Lernen mit YouTube
6.4.3 Online-tutorielle Lernbegleitung
7 Zusammenfassung und Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: YouTube wird Alltagsmedium
Abb. 2: Tätigkeiten im Internet/am Computer – Schwerpunkt: sich informieren 2014
Abb. 4: Aktive Beteiligung im Internet 2014
Abb. 5: Lernprozessschritte im Rahmen der sozial-kognitiven Lerntheorie
Abb. 6: Faktoren konstruktiven, konstruktivistisch aufgeklärten Lernens
Abb. 7: Aktivitäten im Internet – Schwerpunkt Kommunikation
Abb. 9: EFT mit Herz und Seele Protokoll
Abb. 11: Grundfigur für das didaktische Design
Abb. 12: Tätigkeiten im Internet/am Computer in der Schule 2014
Abb. 13: Techniken des Erklärvideos
Abb. 14: Binomische Formeln (Mathe-Song)
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Energietherapie effektiver als Verhaltenstherapie bei geringerer Behandlungsdauer
Tab. 2: Tabellarische Übersicht der Potentiale digitaler Medien und ihre Anwendung
1 Einleitung
„Jeder arbeitslose Jugendliche einer zu viel“ (Bundespresseamt 2016). Bundeskanzlerin Angela Merkel betont in einer Pressemeldung der Bundesregierung im März 2016 die Dringlichkeit und Wichtigkeit wirksamer Maßnahmen gegen die „Ausbildungslosigkeit“ junger Menschen. Problematisch ist, dass vor allem sozial benachteiligte Jugendliche verstärkt von Arbeitslosigkeit betroffen sind.
Das größere Vulnerabilitätsrisiko der Jugendlichen führt häufig zu Motivationsverlust bei der Ausbildungsplatzsuche und kann den gesamten beruflichen Sozialisationsprozess negativ beeinflussen (vgl. Oser & Düggeli 2008: 46-47). Auch Lübcke und Welling machen darauf aufmerksam, dass sich die berufsbiografische Entwicklung problematisch gestaltet, wenn der Versuch, in die Arbeitswelt einzutreten, zu einer belastenden Phase wird, die von Selbstzweifeln, Orientierungsproblemen, Enttäuschung und Abbrüchen begleitet ist (vgl. Lübcke & Welling 2015: 49). Wie das Forschungsprojekt „Prekäre Übergangsverläufe“ von Großkurth u. a. (2015) in Analysen von Übergangsverläufen ehemaliger Haupt- und Förderschüler herausstellt, befindet sich noch vier Jahre nach der Pflichtschulzeit jeder vierte Hauptschüler und jeder zweite Förderschüler beruflich auf prekärem Weg. Wie die Studie außerdem aufzeigt, führen bei benachteiligten Jugendlichen multiple Problemlagen und insbesondere Störungen des seelischen Wohlbefindens zu Einschränkungen (vgl. Großkurth u. a. 2015: 14).
Laut Weltgesundheitsorganisation ist insbesondere die Förderung der psychischen Gesundheit eine wichtige Aufgabe des 21. Jahrhunderts, die in sozial-ökonomischen Bereichen und bildungspolitischen Kontexten wahrgenommen werden muss (vgl. WHO-Konferenz Psychische Gesundheit 2005). Da berufliche Verläufe auch indirekt wie z. B. durch psychische Belastungen beeinflusst sein können (vgl. Großkurth u.a. 2015: 44), wird die Problemstellung und Relevanz einer Intervention auf der Ebene der Jugendberufshilfe als pädagogische Aufgabe deutlich.
Die vorliegende Arbeit hat daher das psychische Wohlergehen benachteiligter Jugendlicher im Blick – d. h. bei der Zielgruppe ein Bewusstsein von der Bedeutung psychischen Wohlbefindens zu schaffen, indem die Stresskompetenz gefördert wird und damit auch letztlich die Ausbildungsfähigkeit.
Dazu wird ein Konzept für ein niederschwelliges, praktisches Hilfsangebot in Form von Erklärvideos auf der Videoplattform YouTube zur Selbstfürsorge mit der Methode „Emotional Freedom Technique“ – Technik der Emotionalen Freiheit (im folgenden EFT abgekürzt) für Jugendwerkstatt-Teilnehmerinnen der Einrichtung „Soziale Integration Neue Arbeit“ (im folgenden SINA abgekürzt) entwickelt. EFT ist eine leicht erlernbare, wirksame und nützliche Selbsthilfemethode bei Stress, Ängsten, Hilflosigkeit und anderen unangenehmen Gefühlen (vgl. EFT-DACH e. V. 2016).
Nach Gold und Lehman (2012) sollte eine niederschwellig angelegte Maßnahme zur Gesundheitsförderung so geschaffen sein, dass
Personen ohne großen Aufwand daran teilnehmen können,
die Maßnahme in den Lebenswelten der Menschen stattfindet,
die Maßnahme von den Möglichkeiten und Fähigkeiten der Teilnehmenden ausgeht.
Wie diese Arbeit aufzeigt, können sich für eine niederschwellige Maßnahme Erklärvideos und YouTube aus dem Bereich der digitalen Jugendmedienkulturen als Zugang für Unterstützungs- und Beratungsangebote für Jugendliche eignen (vgl. Gold & Lehmann 2012: 41). Denn computervermittelte Kommunikation ist nicht nur zunehmend audiovisuell (vgl. Döring 2014: 293), sondern YouTube ist das beliebteste Internetangebot bei Jugendlichen (Feierabend, Plankenhorn & Rathgeb 2014), wie aus der Studie Jugend, Information, [Multi-] Media (JIM) von 2014 zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger hervorgeht.
Ziel dieser Arbeit ist es, die theoretischen Grundlagen darzulegen, die die Entwicklung eines Konzepts für EFT als Erklärvideo auf YouTube für benachteiligte jungen Frauen in der Berufsvorbereitung ermöglichen. Dieses Konzept wird abschließend dargestellt.
Die folgenden Fragen sind von besonderem Interesse:
Kann durch die teilnehmerinnengerechte Lehrmethode ein Beitrag zum Abbau von Benachteiligung geleistet werden?
Welches Potential haben dabei Erklärvideos und YouTube als Lernumgebung sowie die Methode EFT zur Entwicklung von Stresskompetenz für benachteiligte Jugendliche im Übergang Schule und Beruf – besteht ein Bedarf nach persönlicher Stabilisierung und wie sollte das mediendidaktische Konzept für die Zielgruppe der Teilnehmerinnen der Jugendwerkstatt SINA gestaltet sein?
Kann neben der Präsentation von Inhalten der Umgang mit YouTube Lernprozesse bei der Zielgruppe unterstützen und fördern?
Hier sei noch einmal hervorgehoben, dass Onlineangebote, die sich speziell an benachteiligte Jugendliche und ihre Bedarfe richten, kaum vorhanden sind (vgl. BMFSFJ 2013: 305) und YouTube für Bildungszwecke pädagogisch allgemein noch wenig wahrgenommen wird (vgl. Lauffer & Renate 2015: 12) – erst recht nicht im Hinblick auf die hier zur Diskussion stehende Zielgruppe benachteiligter Frauen und Mädchen.
Die Arbeit gliedert sich in sieben Teile:
Der Einleitung folgt in Kapitel 2 das Thema Webvideo und videobasiertes Lehren und Lernen. Anschließend wird dargestellt, dass Jugendliche YouTube als wichtigste Videoplattform im Internet (vgl. Döring 2014: 293) ganz selbstverständlich in unterschiedlichen Zusammenhängen verwenden. Danach werden im dritten Kapitel lehr- und lerntheoretische Modelle auf das Konzept des Lernens mit YouTube angewendet und deren Auswahl begründet. Anschließend befasst sich Kapitel 4 mit der Situation benachteiligter Jugendlicher im Übergang von der Schule in den Beruf und begründet den Bedarf eines Hilfsangebots und hier speziell auch der Gesundheitsförderung. In Kapitel 5 wird die Methode EFT und deren Einsatzbereich vorgestellt. Abschließend wird in Kapitel 6 das mediendidaktische Konzept der Lernumgebung entworfen, denn der Erfolg eines webbasierten E-Learning-Angebots ist abhängig von einer schlüssigen Gestaltung (vgl. de Witt, Kerres & Stratmann 2002: 3). In Kapitel 7 werden Schlussfolgerungen im Hinblick auf Zielsetzung und Fragestellung der Arbeit gezogen sowie Hinweise auf offengebliebene Fragen und weiteren Forschungsbedarf gegeben.
Zum besseren Verständnis eine kurze Erklärung der in der vorliegenden Arbeit verwendeten Begriffe: Die Bezeichnungen Video, Bewegtbild, Webvideo und Erklärvideo sind synonym zu verstehen. Gleiches gilt für soziale Netzwerke, Social-Media oder Web 2.0-Onlinedienste. Als Eigenname werden YouTube, Facebook, EFT, SINA ohne Anführungszeichen gesetzt. Lange sowie Sonderzeichen enthaltende Internetadressen (auch URL) wurden zum Teil über den Kurz-URL Dienst www.bitly.com umgewandelt. Zur besseren Lesbarkeit wird auf geschlechtsspezifische Formulierungen überwiegend verzichtet.
2 Potentiale von Webvideos – Lernen mit YouTube
In diesem Kapitel wird die aktuelle Bedeutung und hohe Verbreitung von Webvideos aufgezeigt (Kap. 2.1) und das Medium Video als Lernmittel charakterisiert (Kap. 2.2). Anschließend wird erläutert, welche Bedeutung die Videoplattform YouTube, die eine Mischung aus nutzergenerierten sowie professionellen Videos im Internet bereithält, für Jugendliche als Bildungsressource (Kap. 2.3) und Social Community (Kap. 2.4) einnimmt.
2.1 Bedeutung von Webvideos
Unter einem Webvideo versteht man ein Video in digitaler Form, das in Abgrenzung zu den beispielsweise auf DVD verbreiteten Videos auf einer Webseite zu betrachten ist. Bei einem Webvideo (auch als Videoclip, Internetvideo oder Online-Video benannt), kann es sich sowohl um eine kurze Videosequenz handeln, als auch um eine längere Filmproduktion. Webvideos werden mittlerweile als Internet-Fernsehen bezeichnet. Vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat durch Webvideos das Interesse am Fernsehprogramm stark nachgelassen (vgl. Döring 2014: 293).
Nicht nur private Webseiten beinhalten immer öfter Videos, auch traditionelle Medien erweitern ihren Onlineauftritt mit Videos, um im Internet präsent zu sein (vgl. Stephan u.a. 2010: 139-140). Insgesamt nehmen die Verbreitung von Webvideos und Videoplattformen sowie die verstärkte Nutzung von bewegten Bildern im Internet zu. Wie Gerstmann und Gräßer feststellen, verändern YouTube und Online-Videoplattformen nicht nur die Sehgewohnheiten von Menschen (vgl. Gerstmann & Gräßer 2015: 13), sondern nehmen auch Einfluss auf den Bereich der Bildung. Dazu zählt die hohe Verbreitung von YouTube-Kanälen (ein Kanal ist ein Bereich auf YouTube, auf dem Internet-Nutzer ihre Webvideos hochladen können) mit Erklärvideos zu verschiedenen Themen. Die populäre „Khan Academy“ verfügt beispielsweise über einen umfangreichen YouTube-Kanal mit über 3000 Lernvideos (vgl. Khan Academy 2016).
Im E-Learning kommen mittlerweile auch Lernszenarien vor, die ausschließlich Video zur Vermittlung von Inhalten verwenden (vgl. Stephan u.a. 2010: 144).
Im Bereich Webvideo dominieren die sozialen Videoplattformen, wie zum Beispiel YouTube. Der Begriff sozial bezeichnet soziale Medien (auch soziale Netzwerke, Social-Media oder Web 2.0-Onlinedienste). YouTube gehört zu der Kategorie soziale Medien. Das Verbindende an sozialen Medien ist, dass Internet-Nutzer selbst erstellte Inhalte (auch User-Generated Content) online austauschen und miteinander kommunizieren können (vgl. Döring 2014: 286). Rund 70 % der 14- bis 29-Jährigen verwenden inzwischen häufiger Videoplattformen wie YouTube als das linear verbreitete Fernsehen (vgl. Gerstmann & Gräßer 2015: 8). Zwar verwenden nicht nur Jugendliche YouTube, aber wie Abb. 1 zeigt, ist die Vielnutzung deutlich vom Alter abhängig (vgl. Goldmedia Custom Research 2015: 1). Besonders bei der jungen Zielgruppe ist YouTube zum Alltagsmedium avanciert.
Abb. 1: YouTube wird Alltagsmedium
Quelle: Goldmedia Custom Research GmbH 2015: http://bit.ly/1RzKOnI (Stand: 25.12.2015)
Der Schweizer Rundfunk stellt zum 10-Jährigen Bestehen von YouTube fest: „YouTube ist allgegenwärtig“ (SRF 2015). YouTube entwickelt sich stetig weiter und es entstehen häufig neue Trends und Formate, denn die Webvideo-Szene ist „hyperaktiv“ (Gerstmann & Gräßer 2015: 13). Mehr als 100 Stunden Videomaterial wird auf YouTube im Minutentakt hochgeladen (vgl. YouTube 2015).
Die hohe Verbreitung von Webvideos ist den angebotenen Web 2.0-Schnittstellen und -Funktionen geschuldet, wonach sich Videos mit wenig Aufwand in weitere Webseiten integrieren oder weiterleiten lassen (vgl. Stephan u.a. 2010: 140). Schließlich sind auch moderne digitale Aufnahmegeräte und mobile Endgeräte einfach zu handhaben, um Videos zu produzieren und online zu veröffentlichen (vgl. Lauffer & Renate 2015: 11). Ob Videos auch zum Lernen geeignet sind und welche Vor- und Nachteile das Lernen mit Video hat, wird im folgenden Kapitel beleuchtet.
2.2 Video als Lernmedium
„Video is the new text“ – dieses Zitat von Josh Bersin 2013, Präsident von
Bersin & Associates, einem Unternehmen für Beratung zu E-Learning und Wissensmanagement, bringt die Bedeutung des Formats Video auf den Punkt: Das Medium Video wird im E-Learning-Bereich zum zentralen Lehrwerkzeug (vgl. Hanfstein 2015). Immer häufiger ersetzen Videos Texte. Aber was macht ein Video aus und wofür eignet es sich in der Lehre? Zunächst wird ein Video als analoge oder digitale Aufnahme der Realität definiert (vgl. Niegemann, Domagk & Hessel 2007: 267). Nach den Ausführungen von Niegemann, Domagk und Hessel eignen sich für Lehr- und Lernprozesse drei unterschiedliche Formen, in denen sich Videos einsetzen lassen:
1. Zur Darstellung und Vermittlung von Inhalten, die überwiegend vom Lehrer gestaltet sind. Dieses Verfahren ist geeignet, wenn man in ein Themengebiet einführt oder zur Demonstration einer Methode, vgl. hierzu auch Loviscach (2011), Pfeiffer (2015) und Hoffmann (2013).
2. Videos zur Aufzeichnung und Reflektion von Verhaltenssequenzen, zum Beispiel im Bereich Lehrerbildung wie bei Vohle und Reinmann (2012).
3. Videos, die durch Lernende selbst erstellt werden, zum Beispiel in medienpädagogischen Projekten mit Jugendlichen, wie bei Schön (2013), Rummler und Wolf (2012) und Lübcke und Welling (2015).
In den oben genannten Untersuchungen wurde aufgezeigt, dass sich Videos als Lernmedien vielfältig nutzen lassen. Für das Konzept der vorliegenden Arbeit wird das darbietende Lehrverfahren wie bei Loviscach (2011) als geeignet erachtet (vgl. hierzu Kap. 3.1 und Kap. 6.4.1), wobei nicht die Selbstherstellung von Videos, sondern die Nutzung von Videos als Lehrmittel im Vordergrund steht.
Bei einem Video ist die realistische Darstellung von Bedeutung, denn ein Video nutzt die Alltagswahrnehmung, und Bewegtbilder sind die wichtigste Form der Wahrnehmung. Audiovisuelle Darstellungen und Erklärungen von Lernobjekten können Lernzusammenhänge veranschaulichen und vereinfachen (vgl. Hoffmann 2013: 21). Folgt man den Überlegungen von Stephan u.a. (2010) steigert der Einsatz von Videos die Behaltensleistung signifikant und komplexe Sachverhalte oder praktische Prozesse lassen sich leicht vermitteln. Eine Videodarstellung unterstützt den Betrachter dabei, ein mentales Modell zu konstruieren. Somit entfällt die Aufgabe, statische Bilder oder Texte zu dekodieren. Weiterhin kann ein Video viele Informationen in kurzer Zeit bündeln, denn ein Filmset übermittelt bereits Informationen (vgl. Hanfstein 2015). Aus den Beispielen wird deutlich, dass Lernvideos den Vorteil bieten, Wissen einfach und schnell aufzunehmen. Ein weiterer Vorteil von Video besteht darin, Abläufe mehrfach zu beobachten, wenn das Video gestoppt, vor- und zurückgespult wird (vgl. Stephan u.a. 2010: 141).
Auch wenn das Lernen mit Video von einer linearen Ausstrahlung wie Fernsehen abgekoppelt ist, gilt es zu bedenken, dass das Bewegtbild als Unterhaltungsmedium begriffen wird. Ohne konkrete Instruktion über Zweck und Ziel des angebotenen Videos führen audiovisuelle Medien zu einer „Zerstreuungsgefahr“. Kritisch anzumerken ist auch, dass die Lernverarbeitung mit Video überschätzt werden kann und die Gefahr besteht, dass nur oberflächlich gelernt wird (vgl. Niegemann, Domagk & Hessel 2007: 265).
Die vorherigen Ausführungen zeigen dennoch die verstärkte Entwicklung zu audiovisuellen Kommunikations- und Lernprozessen auf – dabei dominieren zunehmend audiovisuelle Informationen. Auch die Suche nach Erklärungen im Videoformat wird weiter zunehmen (vgl. Schön 2013: 4); für Lernprozesse mit Video ergeben sich auf Grund dessen neue Anknüpfungspunkte (vgl. Lauffer & Renate 2015: 13). Vor diesem Hintergrund wird im nachfolgenden Kapitel auf YouTube als Bildungsressource eingegangen.
2.3 YouTube als Bildungsressource
Für jugendliche Internet-Nutzer ist die bevorzugte Suchmaschine nicht mehr Google, sondern YouTube. Das bedeutet, als Antwort auf eine Suchanfrage im Internet wird nicht Text, sondern Video erwartet (vgl. Hoffmann 2013: 19). Aus der Studie Jugend, Information, [Multi-] Media (JIM) von 2014 zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger geht hervor, dass YouTube das beliebteste Internetangebot ist (vgl. Feierabend, Plankenhorn & Rathgeb 2014). Abb. 2 der JIM-Studie 2014 zeigt, dass 10 % regelmäßig Videos sehen, in denen Anleitungen gezeigt werden.
Abb. 2: Tätigkeiten im Internet/am Computer – Schwerpunkt: sich informieren 2014
Quelle: Feierabend, Plankenhorn & Rathgeb 2014: 29
Sind Erklärvideos auf YouTube eine Bildungsressource für Jugendliche und was fasziniert Jugendliche daran? In diesem Kapitel wird untersucht, welche Potentiale Erklärvideos haben, denn sie sind mittlerweile ein wichtiger Bestandteil von YouTube (vgl. Back & Tödtli 2012: 65). Es gibt kaum einen Bereich, zu dem es nicht schon ein Erklärvideo gibt. Sehr häufig finden sich nutzergenerierte Erklärvideos und dies oftmals in Form von „Peer Education“, ein pädagogischer Ansatz, der die Wissensweitergabe von Jugendlichen an Jugendliche bezeichnet.
Auf YouTube befindet sich eine thematische Vielfalt von Haare flechten, Mobiltelefone hacken, Pflanzen- und Kokosnusskrabben-Pflege bis hin zu wissenschaftlichen und politischen Themen. Professionell produziert, hätten die eigenwilligen Themen den Weg in die Öffentlichkeit wahrscheinlich nicht geschafft (vgl. Wolf 2015: 31). Im Folgenden wird „BibisBeautyPalace“ vorgestellt, ein populärer deutscher YouTube-Kanal, der in erster Linie Themen wie Kosmetik und Lifestyle für eine junge Zielgruppe produziert (vgl. Abb. 3).
Abb. 3: BibisBeautyPalace
Quelle: BibisBeautyPalace: [Ausschnitt] http://bit.ly/21OXwBL (Stand: 01.12.2015)
Bianca Heinicke, die den YouTube-Kanal betreibt, hatte 2012 ein Video-Tutorial über eine Flechtfrisur hochgeladen, da sie dazu selber nichts im Internet gefunden hatte. Sie produzierte weiterhin Videos auf YouTube und gab Instruktionen, beispielsweise zur Verwendung von Make-Up und Modetipps. Ihr YouTube-Kanal hat mittlerweile über zwei Millionen Abonnenten (vgl. Rösch & Seitz 2015)! Jedoch ist Bianca Heinicke nicht die einzige YouTuberin, die Modetipps gibt. Aus didaktischer Perspektive hat es Vorteile, wenn verschiedene Verfasser einen Sachverhalt auf unterschiedliche Weise gestalten und ihre Inhalte von professionell bis unkompliziert kommunizieren. Wolf spricht hierbei auch von „Folkdidaktik = Laiendidaktiker gestalten originell und sind oftmals innovativ“. (Wolf 2015: 32). Der informelle und oftmals lockere Kommunikationsstil wirkt wenig bedrohlich und kann ein positives Lernklima erzeugen.
Ein Überblick über typische Formate auf YouTube, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben und bei Jugendlichen beliebt sind, findet sich auf http://medienpad.de/p/youtube-genrekunde (vgl. Seitz & Rösch 2013). Neben Mode, Sport und Musik sind auch Themen aus Schule und Lebenspraxis gefragt (vgl. Wolf 2015: 34). Darüber hinaus finden sich auf YouTube viele Videos mit gesundheitsbezogenen Inhalten, die häufig aufgerufen werden (vgl. Döring 2014: 294).
Jugendliche nutzen Erklärvideos als kostenlose Nachhilfe oder im Bereich Freizeit und Hobby und eignen sich dabei Fertigkeiten auf informellem Weg an (vgl. Wolf 2015: 30). Aus der Untersuchung von Rummler und Wolf (2012) zur Nutzung von Webvideos geht hervor, dass fast alle der befragten Jugendlichen Lerninteressen bei der Videonutzung zeigten und mehr als die Hälfte bereits gezielt ein Erklärvideo gesucht hat, um Handlungsabläufe daraus nachzumachen. Außerdem hat das Lernen mit Video Vorteile für diejenigen, die Probleme mit Textverständnis und -produktion haben (vgl. Lauffer & Renate 2015: 14).
Hieraus ergibt sich, dass Erklärvideos auf YouTube einer jugendlichen Zielgruppe als Vermittlungsmethode vertraut sind. Der niederschwellige Zugang macht YouTube geeignet, der Zielgruppe ein relativ fernliegendes Thema wie EFT anzubieten. Dass YouTube nicht nur ein potenzieller Lernort, sondern für jugendliche Internet-Nutzer auch eine beliebte Internet-Gemeinschaft (auch Social Community) darstellt, wird im folgenden Kapitel ausgeführt.
2.4 YouTube als Social Community
Seit ihren Anfängen ist YouTube mit Funktionalitäten ausgestattet, anhand derer Internet-Nutzer mit einem Google-Konto Videos bewerten und kommentieren können. Populäre Videos verbreiten sich durch Web 2.0-Onlinedienste, Weiterleitungen und Empfehlungen schnell. Dieser Netzwerkcharakter hat zum großen Erfolg von YouTube beigetragen (vgl. Rösch & Seitz 2015: 2). YouTube ist sogar vor dem sozialen Netzwerk Facebook das beliebteste Internetangebot bei jugendlichen Internet-Nutzern. Dies geht aus der Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland (JIM-Studie 2014) hervor. Auf die Frage „Gibt es ein oder mehrere Angebote im Internet, die du zur Zeit besonders gut findest?“ erhielt YouTube mit 30 % die meisten Stimmen. Facebook lag bei 23 %. Grundsätzlich entfällt der größte Anteil der persönlichen Onlinenutzung nach Einschätzung der Jugendlichen auf den Bereich Kommunikation (vgl. Feierabend, Plankenhorn & Rathgeb 2014: 25).
Obwohl sich das Internet durch Web 2.0-Onlinedienste immer stärker zum „Mit-Mach-Web“ entwickelt hat, beteiligen sich Jugendliche relativ wenig, d. h. nur ein geringer Teil ist mit eigenen Videos aktiv oder präsentiert sich auf einem Weblog. Hinzu kommt, dass zwar viele Jugendliche ein YouTube-Konto haben, dieses aber nicht häufig verwenden (vgl. Gerstmann & Gräßer 2015: 8). Abb. 4 zeigt, dass Jugendliche dennoch zunehmend von Funktionen zum Kommentieren und Bewerten Gebrauch machen – vor allem auf Videoportalen (vgl. Feierabend, Plankenhorn & Rathgeb 2014: 29-30).
Abb. 4: Aktive Beteiligung im Internet 2014
Quelle: Feierabend, Plankenhorn & Rathgeb 2014: 29
Es steht außer Zweifel, dass Videoplattformen und vor allem YouTube bei Jugendlichen beliebt sind. Als Ursache für die besonders aktive Beteiligung auf YouTube kommt in Betracht, dass beliebte Videoproduzenten, wie z. B. die YouTuberin Bianca Heinicke (vgl. hierzu Kap. 2.3), mit ihren Zuschauern interagieren. Das Verhältnis zwischen Zuschauer und YouTuber ist relativ nah, da auf Kommentare, Bewertungen und Videowünsche reagiert wird und „die Stars zum Anfassen sind.“ (Döring 2014: 294). Charakteristisch dafür ist, dass auf YouTube über den Rückkanal der Kommentare eine Interaktion stattfindet, über die die YouTuber mit ihren Zuschauern oftmals einen intensiven Austausch pflegen (vgl. Wolf 2015: 35). Somit kann YouTube als Social Community Personen zueinander in Beziehung setzen und zwar von unten nach oben (vgl. Baumgartner 2006: 20). Seitz stellt fest:
„YouTube hat eine spezifische Kultur, eigene Codes, eigene Stars, eigene Seh- und Nutzungsgewohnheiten und vor allem eine Community. (Fast) Alles, was erfolgreich auf YouTube ist, bezieht die Community ein, hört auf sie, entwickelt sich mit der Community weiter.“ (Seitz 2015: 38).
Besonders Funktionalitäten wie Bewertungen und Kommentare lassen sich methodisch als Werkzeuge für den Austausch über Lernthemen mit einer jugendlichen Zielgruppe wirkungsvoll nutzen. Wenn Lernende ein Erklärvideo betrachten, es kommentieren oder weiterempfehlen, werden Lernende zu Lehrenden: Wolf fasst dies als „Ko-Konstruktion des kollektiven Wissensraums“ zusammen (Wolf 2015: 35). Somit wird das Lernen auch kollaborativ (vgl. hierzu Kap. 6.4.2). Ein inhaltlicher Austausch würde nicht nur zu einem persönlichen Lernfortschritt führen, auch die Qualität der Erklärvideos kann sich durch Feedback verbessern. Weiterhin zeigen Vohle und Reinmann auf, dass sich beim Lernen mit Video Online-Plattformen für soziale Interaktionen gut eignen (vgl. Vohle & Reinmann 2012). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die genannten Funktionen und Ausprägungen von YouTube für das Konzept gewinnbringend einsetzen lassen.
- Quote paper
- Vanessa Gee (Author), 2016, Konzeption einer YouTube-Lernplattform zur Klopfakupressur (EFT), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/386182
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