Während im Zuge der deutschen Nachhaltigkeitsdebatte kontrovers über den zehnprozentigen Ethanolanteil im E10-Benzin diskutiert wird, fahren brasilianische Fahrzeuge bereits seit Jahrzehnten mit Treibstoffen, die zu 25 bis 100 Prozent aus Alkohol bestehen. Letzteren stellt das Land seit den 1970er Jahren in großen Mengen auf Basis von Zuckerrohr her.
In dieser Arbeit werden zunächst die naturräumlichen und klimatischen Voraussetzungen sowie die zentralen Nebenerscheinungen der Massenproduktion von zuckerrohrbasiertem Treibstoffethanol herausgearbeitet. Anschließend wird mittels einer umfassenden internationalen Literaturrecherche analysiert, welche Motivationen und politischen Maßnahmen den breiten Einsatz dieses nachwachsenden Rohstoffs als Kraftstoff in Brasilien bedingt haben und welche Akteure und Machtverhältnisse ihn bis heute bestimmen. Davon ausgehend wird erörtert, wie dies ökonomisch zu bewerten ist und welche ökologischen und sozialen Konsequenzen daraus resultieren. Abschließend wird der Frage nachgegangen, ob Brasilien mit diesem Weg ein Vorbild für die Welt darstellt und inwieweit seine Ethanolpolitik auf andere Regionen übertragen werden kann.
Insgesamt zielt die Arbeit durch die Analyse des brasilianischen Falles darauf ab, einen fundierten und konstruktiven Beitrag zur aktuellen Debatte um den Einsatz nachwachsender Rohstoffe als Treibstoff zu liefern.
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Grundlagen
2.1 Naturräumliche Bedingungen und Verortung des Zuckerrohranbaus
2.2 Größenordnung und zentrale Begleiterscheinungen der Ethanolproduktion
3. Ethanol als Treibstoff – ein politisches Projekt seit 1975
3.1 Auslöser und Ziele einer langjährigen Förderpolitik
3.2 Zentrale Phasen der Ethanolpolitik seit 1975
3.2.1 Nationales Förderprogramm Proálcool bis 1989
3.2.2 Deregulierungspolitik zwischen 1990 und 2002
3.2.3 Erneute Dynamik auf dem Ethanolmarkt seit 2003
3.3 Machtverhältnisse zwischen den Hauptakteuren der Ethanolpolitik
4. Konflikte um Ethanol
4.1 Ökonomische Konflikte
4.2 Umweltkonflikte
4.2.1 Landnutzungsveränderungen durch die Expansion der Monokulturen
4.2.2 Umweltbilanz
4.3 Soziale Konflikte
4.3.1 Auswirkungen auf die Lebensmittelproduktion und die Kleinbauernschaft
4.3.2 Arbeitsbedingungen auf den Zuckerrohrplantagen
5. Brasiliens Ethanolwirtschaft – ein Vorbild für die Welt?
6. Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis
Anhang
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildungen
Abb. 1: Zuckerrohranbauflächen und mögliche künftige Expansion
Abb. 2: Entwicklung der Ernteflächen und der Produktion von Zuckerrohr in Brasilien (1974/75 bis 2012/13)
Abb. 3: Ethanol- und Zuckerproduktion sowie Zuckerrohranbauflächen in Brasilien (2012/13)
Abb. 4: Regionale Verteilung der Ethanolproduktionsanlagen
Abb. 5: Preisverhältnis zwischen reinem Ethanol und Gasolina C in Pará, Bahia und São Paulo (2006 bis 2009)
Abb. 6: Gegenwärtige Nutzung und Eignungsgrad potenzieller Expansionsflächen des Zuckerrohranbaus
Abb. 7: Räumliche Ausdehnung der Rinderwirtschaft sowie des Soja- und Zuckerrohranbaus (1980 bis 2006)
Abb. 8: Die 6 Biome Brasiliens und ihr Anteil an der Gesamtfläche des Landes
Abb. 9: Naturnahe Vegetationsformationen Brasiliens
Tabelle
Tab. 1: Erntefläche, Produktion und Ertrag ausgewählter Agrar- und Fleischprodukte in Brasilien (1970 bis 2007)
1.Einleitung
Die kontroverse deutsche Debatte über die Beimischung von Bioethanol zu fossilem Kraftstoff kann aus brasilianischer Sicht nur belächelt werden. Denn während hierzulande bereits der zehnprozentige Ethanolanteil im E10-Benzin auf große Ablehnung stößt, fahren brasilianische Fahrzeuge schon seit Jahrzehnten mit Treibstoffen, die zu 25 bis 100 Prozent aus Alkohol bestehen. Letzteren stellt das Land seit den 1970er Jahren in großen Mengen auf Basis des nachwachsenden Rohstoffs Zuckerrohr her. Darüber hinaus wurde in den vergangenen Jahren auch ein Programm zur Förderung der Biodieselproduktion in Brasilien eingeführt. Dieses befindet sich jedoch noch in der Anfangsphase[1] und wird daher im Folgenden nicht näher analysiert.
Die dargestellte Situation wirft verschiedene Fragen auf: Welche Auslöser und welche politischen Maßnahmen führten zu dem breiten Einsatz nachwachsender Rohstoffe als Kraftstoff in Brasilien? Wie ist dies ökonomisch zu bewerten und welche ökologischen und sozialen Konsequenzen resultieren daraus? Und schließlich: Stellt Brasilien mit diesem Weg ein Vorbild für die Welt dar?
Die Beantwortung dieser Leitfragen erfordert zunächst die Darlegung zentraler Grundlagen zum Thema. Daher werden zu Beginn der Arbeit nicht nur die naturräumlichen und klimatischen Voraussetzungen erläutert, die die Massenproduktion von zuckerrohrbasiertem Ethanol ermöglichen, sondern auch einige zentrale Begleiterscheinungen jener Kraftstoffproduktion, die für das Verständnis der anschließenden Ausführungen von großer Bedeutung sind.
Danach erfolgt eine fundierte Analyse der politischen Rahmenbedingungen und Fördermaßnahmen, mittels derer die gegenwärtige Position Brasiliens in der Herstellung und Verwendung von Ethanolkraftstoffen erreicht wurde. Hier wird zwischen den wichtigsten Phasen der Alkoholpolitik unterschieden, was auch der Identifikation der Hauptakteure und ihrer Machtverhältnisse dient. Die Interessensgegensätze, die dabei herausgearbeitet werden, sind wiederum maßgeblich für das Verständnis der in Kapitel 4 erfolgenden Konfliktanalyse. Diese unterscheidet zwischen ökonomischen, ökologischen sowie sozialen Konflikten und berücksichtigt nicht nur die Positionen wichtiger Akteure der brasilianischen Ethanolpolitik, sondern auch internationale Sichtweisen.
Diese analytische Darstellung ermöglicht im 5. Abschnitt die Beantwortung der Frage nach der Vorbildhaftigkeit des brasilianischen Modells. Dabei wird insbesondere die Übertragbarkeit der beschriebenen Ethanolwirtschaft auf andere Regionen der Welt sowie die mögliche künftige Entwicklung kritisch betrachtet. Insgesamt soll die Arbeit durch die Erörterung des brasilianischen Falles einen fundierten und konstruktiven Beitrag zur aktuellen Debatte um den Einsatz nachwachsender Rohstoffe als Treibstoff liefern.
2.Grundlagen
2.1 Naturräumliche Bedingungen und Verortung des Zuckerrohranbaus
Eine entscheidende Voraussetzung für die brasilianische Massenproduktion von Treibstoff auf Zuckerrohrbasis sind die naturräumlichen Charakteristika des größten lateinamerikanischen Staates. Daher bildet deren Darstellung den Beginn der vorliegenden Arbeit.
Die optimalen Anbaubedingungen der ursprünglich aus Südasien stammenden Zuckerrohrpflanze, die im 16. Jahrhundert durch portugiesische Kolonisten nach Brasilien gelangte, umfassen Temperaturen zwischen 21° C und 26° C sowie Niederschläge zwischen 1200 und 1300 mm pro Jahr, wobei zur Ernte eine Trockenzeit erforderlich ist.[2] Brasilien bietet diese natürlichen Gegebenheiten in verschiedenen Teilen des Landes, das sich zwischen 5° N und 34° S erstreckt und – bis auf einen kleinen subtropischen Bereich im Süden – durch das Klima der inneren und äußeren Tropen dominiert wird.[3] Abbildung 1 zeigt die räumliche Verteilung aktueller und potenzieller Anbauregionen für Zuckerrohr in Brasilien.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Zuckerrohranbauflächen und mögliche künftige Expansion
Quelle: KOHLHEPP (2010a, S. 362).
Wie aus der Karte eindeutig hervorgeht, befindet sich das derzeit größte Anbaugebiet im Südosten des Landes und ist vor allem auf den Bundesstaat São Paulo konzentriert.[4] Dort herrschen günstige klimatische Bedingungen, die eine trockene Ernteperiode von Mai bis November ermöglichen, da die Hauptniederschläge trotz des ganzjährigen Passateinflusses aus südöstlicher Richtung im Südsommer zu verzeichnen sind.[5]
Daneben ist auch der Nordosten Brasiliens für den Zuckerrohranbau von Bedeutung. Die dortigen Gebiete sind zwar den inneren Tropen zuzuordnen, lassen aber eine Ernteeinfuhr zwischen September und März zu, weil sie sich auf der Leeseite der Küstengebirge befinden und dadurch nicht über das ganze Jahr die durch den Südostpassat bedingten großen Niederschlagsmengen vorweisen.[6]
Eine künftige Expansion der Zuckerrohrproduktion ist in klimatischer Hinsicht im Mittelwesten möglich, was ebenfalls in Abbildung 1 dargestellt ist. Dieses Gebiet weist durch sein ebenes Relief auch die nötigen topographischen Voraussetzungen auf, um eine großflächige Mechanisierung der Landwirtschaft zu begünstigen.[7] Darüber hinaus ist im brasilianischen Nordosten eine Erweiterung der Anbauflächen in das Landesinnere hinein denkbar, jedoch erhöht sich dort auch die Aridität. Daher ist – insbesondere in der semiariden Sertão-Zone – aufgrund der ausgedehnten Trockenzeit eine starke Bewässerung der Plantagen erforderlich, sodass diese Region nicht als optimales Expansionsgebiet angesehen werden kann. Dementsprechend gilt der Mittelwesten wegen seiner relativen klimatischen und naturräumlichen Vorteilhaftigkeit sowie seiner Nähe zur gegenwärtigen Hauptanbauregion São Paulo als bedeutendste Expansionsregion für die Zukunft.[8]
Insgesamt sind die geschilderten naturräumlichen Charakteristika eine maßgebliche Prämisse dafür, dass Brasilien weltweit mit Abstand der größte Zuckerrohrproduzent ist. Allein in der Saison 2012/13 baute es auf einer Fläche von rund 8,5 Millionen Hektar 595 Millionen Tonnen Zuckerrohr an.[9] Diese Größenvorteile und Erfahrungswerte in der Kultivierung jener Pflanze, die bis in die Kolonialzeit zurückreichen, stellen eine wichtige Voraussetzung für die Produktion von Treibstoffethanol dar. Zum Einstieg in dieses Thema liefert das folgende Kapitel wichtige Eckdaten.
2.2 Größenordnung und zentrale Begleiterscheinungen der Ethanolproduktion
In der Saison 2012/13 wurden 51 Prozent des geernteten Zuckerrohrs zu 24 Milliarden Litern Ethanol verarbeitet, während die andere Hälfte auf die Zuckerherstellung entfiel.[10] Diese Zahlen sind sowohl in ihrer absoluten Größenordnung, als auch in Bezug auf den hohen Ethanolanteil auf die staatliche Förderung der Verwendung von Alkohol als Kraftstoff zurückzuführen, die seit 1975 in Brasilien betrieben wird.[11]
Vor Beginn dieser Politik betrug die jährlich produzierte Alkoholmenge nur rund 1,1 Milliarden Liter und diente primär der Spirituosenherstellung.[12] Die enorme Kapazitätserweiterung ist zwar zu knapp einem Drittel auf Produktivitätssteigerungen durch verbesserte Züchtungs-, Düngungs- und Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen zurückzuführen, basiert aber zu über zwei Dritteln auf der Vergrößerung der Erntefläche, die sich in weniger als 40 Jahren vervierfacht hat.[13] Den massiven Anstieg des Flächenverbrauchs und der entsprechenden Zuckerrohrproduktion seit Beginn der Ethanolkraftstoffpolitik veranschaulicht Abbildung 2.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Entwicklung der Ernteflächen und der Produktion von Zuckerrohr in Brasilien (1974/75 bis 2012/13)
Quelle: GIERSDORF (2013, S. 52).
Dieser stetige Aufwärtstrend, der nur zwischen 2010 und 2011 einen größeren Einbruch verzeichnete – mitunter aufgrund von mangelnden Investitionen während der Finanzkrise[14] –, birgt jedoch die Gefahr der Verdrängung anderer Landnutzungsformen. Denn die Expansion der Zuckerrohr-Monokulturen erfolgte zwar bislang überwiegend auf degradierten Weideflächen sowie in den Savannen der Cerrado-Region, findet aber zunehmend auch auf gegenwärtig genutztem Weide- und Ackerland statt.[15]
Neben der starken räumlichen Ausdehnung der monokulturellen Zuckerrohrfelder einschließlich der dadurch bedingten Landnutzungsveränderung ist auch die Konzentration auf São Paulo charakteristisch für die brasilianische Ethanolkraftstoffproduktion. Dies gilt nicht nur für die bereits in Kapitel 2.1 geschilderte Verortung der Plantagen, sondern auch für die Standorte der Destillerien und somit für den gesamten Produktionsprozess. Dementsprechend wurden in der Erntesaison 2012/13 rund 60 Prozent des brasilianischen Alkohols allein in diesem Bundesstaat hergestellt,[16] dessen Schlüsselrolle in Abbildung 3 hervorgehoben wird.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Ethanol- und Zuckerproduktion sowie Zuckerrohranbauflächen in Brasilien (2012/13)
Quelle: GIERSDORF (2013, S. 49).
Grundsätzlich folgen die Standorte sämtlicher Ethanolproduktionsanlagen auch außerhalb São Paulos stets der Verteilung der Zuckerrohr-Plantagen,[17] was Abbildung 4 zu erkennen gibt. Diese zeigt die Lage der gegenwärtig produzierenden (Operando), im Bau befindlichen (Implantação) und geplanten (Projeto) Alkoholfabriken, deren Standorte sich auf den Nord- und Südosten konzentrieren und vorwiegend in Richtung Mittelwesten expandieren.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: Regionale Verteilung der Ethanolproduktionsanlagen
Quelle: MME; EPE (2010, S. 250).
Die dargestellte Verortung der Destillerien hat im Produktionsprozess den Vorteil, dass von der Ernte bis zur Verarbeitung in der Regel nicht mehr als 20 Kilometer zurückgelegt werden müssen. Dies ermöglicht neben einer Transportkostenminimierung insbesondere auch die Reduktion von Saccharoseverlusten durch Lagerzeiten von weniger als 36 Stunden.[18]
Diese räumliche Konzentration ist in der überwiegenden Mehrheit der Fälle auch mit einem wirtschaftlichen Integrations- und Wachstumsprozess verbunden. Denn das Gros der Destillerien ist im Besitz eigener Anbauflächen und stellt sowohl Zucker als auch Alkohol her, da letzterer aus der Melasse, einem Nebenprodukt der Zuckerherstellung, gewonnen werden kann. Darüber hinaus existieren auch autonome Destillerien, die sich durch die direkte Vergärung des Zuckerrohrsaftes rein auf die Ethanolproduktion fokussieren.[19]
Insgesamt geht die Herstellung von Ethanolkraftstoffen in Brasilien damit nicht nur in regionaler, sondern auch in kapitalistischer Hinsicht mit einem starken Konzentrationsprozess bei gleichzeitiger Flächenexpansion einher.
Im internationalen Vergleich war Brasilien Mitte der 1970er Jahre das erste Land, das zur Massenproduktion von Treibstoffethanol überging, und galt rund 30 Jahre lang in diesem Bereich als größter Produzent weltweit. Daraufhin wurde es auf dieser Position von den USA abgelöst, die mittlerweile einen deutlichen Vorsprung aufweisen. Dort wird jedoch Mais als Ausgangsprodukt verwendet, weshalb Brasilien nach wie vor den größten Hersteller von Alkohol aus Zuckerrohr darstellt. Zusammen liefern beide Länder mehr als 70 Prozent der weltweiten Ethanolproduktion.[20]
Im Folgenden soll nun die Frage beantwortet werden, welche politischen Maßnahmen zu dem in den vergangenen beiden Abschnitten skizzierten Status quo in Brasilien geführt haben und welche Ziele und geopolitischen Intentionen damit verbunden sind.
3. Ethanol als Treibstoff – ein politisches Projekt seit 1975
3.1 Auslöser und Ziele einer langjährigen Förderpolitik
Zunächst ist es erforderlich, die politisch-historische Ausgangslage im Brasilien der 1970er Jahre zu kennen, um verstehen zu können, welche Motivation mit der Förderung von Ethanoltreibstoff verfolgt wurde. Hierbei ist von zentraler Bedeutung, dass sich das Land von 1964 bis 1984 unter der Herrschaft des Militärregimes befand.[21]
In dieser Zeit erlebte Brasilien ein Wirtschaftswunder, das sich zwischen 1969 und 1973 ereignete und durch sehr starke Wachstumsraten des BIP von rund 11 Prozent pro Jahr bei einer verhältnismäßig geringen Inflation gekennzeichnet war. Dabei erlebte der Automobilsektor mit einem jährlichen Wachstum von circa 30 Prozent die größte Expansion und verzeichnete starke Zuflüsse ausländischen Kapitals. Mehrere multinationale Konzerne wie Volkswagen, Fiat, Ford, Chrysler und General Motors siedelten ihre Produktionsstätten in São Paulo an, was eine ausgeprägte wirtschaftliche Konzentration in dieser Region zur Folge hatte.[22] Allerdings bedingte der Automobilboom eine starke Abhängigkeit von Erdölimporten aus dem Nahen Osten, die sich im Jahr 1974 auf 80 Prozent des gesamten brasilianischen Erdölkonsums belief.[23]
In diesem Kontext ist es einleuchtend, dass Brasilien im Jahr 1973 massiv von der ersten Ölkrise beeinträchtigt wurde, zu der es infolge des Jom-Kippur-Krieges kam. Durch den arabischen Erdölboykott und insbesondere durch die starken Preiserhöhungen verschärften sich die Inflation und die Auslandsverschuldung des Landes maßgeblich.[24]
Dies widersprach dem zentralen Anliegen der Militärregierung, ein starkes Wirtschaftswachstum auf Basis einer sicheren, nationalen Energieversorgung zu erzielen.[25] Daher intensivierte sie ihr politisches Handeln ab 1974 im Bereich der Importsubstitution, die als Industrialisierungsprogramm bereits seit den 1930er Jahren existierte. Nun wurde der Fokus jedoch nicht mehr nur auf die Schaffung einer nationalen Konsumgüterindustrie gelegt, sondern zunehmend auch auf die Herstellung von halbfertigen Produkten und Kapitalgütern sowie ganz besonders auf die Suche nach eigenen Energiequellen. Eine Maßnahme, die in diesem Zusammenhang ergriffen wurde, war die Einführung des als Proálcool bezeichneten Programa Nacional do Álcool im Jahr 1975, dessen vorwiegendes Ziel die Substitution von Benzin durch brasilianisches Ethanol aus Zuckerrohr war.[26]
Auf diese Weise konnten neben der Verringerung des Importbedarfs an Erdöl auch die Interessen der Zuckerproduzenten befriedigt werden. Diese waren nach einem starken Rückgang der Zuckerpreise Anfang des Jahres 1975 in eine schwere Absatzkrise geraten. Daher nahmen die betroffenen Großunternehmen Einfluss auf das Militärregime, um Unterstützung zu erhalten, da sie durch ihren Exportanteil von 30 Prozent an der Gesamtproduktion deutlich der Volatilität des Weltmarktes ausgesetzt waren. Die Diversifikation ihrer Aktivitäten sowie die Nutzung von Überschusskapazitäten durch die Ethanolproduktion verschaffte hier eine willkommene Abhilfe.[27]
Dementsprechend folgte das Militärregime durch sein Ethanolprogramm einerseits einer ökonomischen Rationalität, andererseits geopolitischen Impulsen zur Reduzierung der Abhängigkeit von externen Energielieferanten, in diesem Fall speziell von den arabischen Ölstaaten.[28] Die Verwendung von Alkohol als Treibstoff war jedoch zu jenem Zeitpunkt in Brasilien keine Neuheit. So waren bereits in den 1920er Jahren Forschungsaktivitäten in diesem Bereich durchgeführt worden, die auch zum Verkauf verschiedener Alkohol-Kraftstoffgemische führten. Dies erfolgte beispielsweise während der Weltwirtschaftskrise 1929 oder während des Zweiten Weltkrieges. Dabei lag jedoch noch keine konsequente Förderpolitik zugrunde.[29]
Das Ziel der Energieautarkie[30] wurde somit erst durch das Proálcool -Programm ab 1975 systematisch in die Treibstoffpolitik integriert. Wie diese Umsetzung konkret erfolgte und welche Akteure hierbei von Bedeutung waren, wird in den nächsten Abschnitten dargestellt.
3.2 Zentrale Phasen der Ethanolpolitik seit 1975
3.2.1 Nationales Förderprogramm Proálcool bis 1989
Nach der Einführung des Proálcool -Programms durch den Präsidenten Ernesto Geisel im November 1975 verpflichtete das Militärregime den staatlichen Mineralölkonzern Petrobras zur Beimischung von zunehmenden Mengen an anhydriertem Ethanol, also Alkohol ohne Wasserzusatz, zum Benzin. Da der Alkoholanteil jedoch in allen Bundesstaaten noch deutlich unter 25 Prozent lag, war zunächst keine Anpassung der Kfz-Motoren erforderlich. Durch subventionierte Kredite förderte die Regierung parallel dazu die entsprechende Ausweitung der Destillationskapazitäten, was zum Verbrauch des Zuckerrohrüberschusses und zu einem schnellen Anstieg der Ethanolproduktion führte.[31]
Eine deutliche Erweiterung der Maßnahmen wurde jedoch erst durch die zweite Ölkrise 1979 ausgelöst, die zu einer massiven Verschärfung der Inflation sowie der Auslandsverschuldung des Landes führte und schließlich eine tiefe Rezession verursachte.[32] Mit dem Ziel des Regimes, neben der Verringerung der Importabhängigkeit auch ein erneutes Wirtschaftswunder zu stimulieren,[33] wurde die Vergabe geförderter Niedrigzinskredite für den Bau neuer Destillerien ausgeweitet. Hiervon profitierten allerdings in erster Line die Großproduzenten.[34]
Darüber hinaus erhöhte die Militärregierung nicht nur die Beimischungsquote von anhydriertem Ethanol zu Benzin auf 20 Prozent, sondern verpflichtete die internationalen Automobilkonzerne auch zur Fertigung von Fahrzeugen, die rein auf Basis von hydriertem, also wasserhaltigem Ethanol fuhren. Die entsprechenden Motoren, die vom Forschungszentrum der brasilianischen Luftwaffe entwickelt worden waren, gingen nach der erstmaligen Integration in das Modell Fiat 147 im Jahr 1979 in die Serienproduktion aller in Brasilien operierenden Automobilhersteller über.[35]
Den Absatz der neuen Ethanol-Pkws sicherte das Regime durch günstige Kreditkonditionen und steuerliche Anreize sowie durch die staatliche Festlegung der Preise für Zuckerrohr, Zucker, Ethanol und Benzin. Auf diese Weise wurde garantiert, dass Alkohol an den von Petrobras eigens dafür errichteten Zapfsäulen stets billiger als Benzin angeboten wurde. Durch das umfangreiche Maßnahmenpaket waren Mitte der 1980er Jahre über 90 Prozent aller verkauften Neuwagen in Brasilien reine Ethanolfahrzeuge.[36]
In der konkreten Ausgestaltung zeigte das Proálcool -Programm eine starke Prägung durch die autoritäre, zentralistische Militärregierung und ihr Großmachtstreben, was sich in einer deutlichen Fokussierung auf nationales Wirtschaftswachstum und Energieautarkie äußerte.[37] So erklärt sich auch, dass der Prozess der brasilianischen Redemokratisierung, der 1985 mit der Wahl einer zivilen Regierung durch das Parlament einsetzte, zu einer schrittweisen Verminderung staatlicher Interventionen in der Ethanolpolitik führte. Dieser politische Veränderungsprozess wurde auch durch die Hyperinflation und die Schuldenkrise bedingt, die auf die hohen Staatsausgaben des Regimes folgten. Zudem verursachte der Rückgang der Erdölpreise bei gleichzeitiger Steigerung der Zuckerpreise in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre zunehmende Kritik an den stark regulierten Fördermaßnahmen.[38]
Schließlich wurde der Übergang zur Demokratie durch die Verfassungsgebung 1988 und die direkte Präsidentschaftswahl 1989 besiegelt. Dieser Zeitpunkt kann auch als formelles Ende des Proálcool -Programms angesehen werden.[39] Weshalb die Verwendung von Ethanol als Treibstoff dennoch nicht zum Erliegen kam und durch welche staatlichen Anreize dies bedingt wurde, zeigt das nächste Kapitel.
[...]
[1] Vgl. FATHEUER (2007, S. 64).
[2] Vgl. GIERSDORF (2013, S. 48f.); SCHÖLZEL (2000, S. 89).
[3] Vgl. ANHUF (2010, S. 21); GIERSDORF (2013, S. 48).
[4] Vgl. hierzu auch Kapitel 2.2 dieser Arbeit.
[5] Vgl. ANHUF (2010, S. 22); GIERSDORF (2013, S. 48f.).
[6] Vgl. ebd.
[7] Vgl. MARTINELLI; FILOSO (2008, S. 886); SCHÖLZEL (2000, S. 25).
[8] Vgl. ANHUF (2010, S. 22f.); GIERSDORF (2013, S. 184); KOHLHEPP; ANHUF (2010, S. 142f.); SCHÖLZEL (2000, S. 25f.; 94).
[9] Vgl. GIERSDORF (2013, S. 51). Diese Gebiete entsprechen ungefähr 10 Prozent der Anbaufläche, 2 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche und 1 Prozent der Gesamtfläche des Landes. Damit erreicht die Zuckerrohrproduktion bei Weitem nicht die Dimensionen des Sojaanbaus, dessen Flächenverbrauch derzeit circa dreimal so hoch ist. Soja stellt somit in quantitativer Hinsicht das wichtigste Anbauprodukt Brasiliens dar, benötigt aber immer noch deutlich weniger Fläche als die Viehwirtschaft. Vgl. FATHEUER (2007, S. 65); GALLI (2012, S. 290); GIERSDORF (2013, S. 51; 75); KOHLHEPP (2010b, S. 377); MONIZ-BANDEIRA (2013, S. 220).
[10] Vgl. GIERSDORF (2013, S. 54).
[11] Vgl. SCHÖLZEL (2000, S. 92). Die Ziele und die konkrete Ausgestaltung dieser Maßnahmen werden in Kapitel 3 erläutert.
[12] Vgl. GIERSDORF (2013, S. 54); SCHÖLZEL (2000, S. 94).
[13] Vgl. GIERSDORF (2013, S. 51); KOHLHEPP (2010a, S. 361); MARTINELLI; FILOSO (2008, S. 886); SCHÖLZEL (2000, S. 94).
[14] Vgl. ANGELO (2012, S. 646).
[15] Vgl. ANA; COBRAPE (2011, S. 170); GALLI (2012, S. 299); MARTINELLI; FILOSO (2008, S. 886); RIBANDO SEELKE; YACOBUCCI (2007, S. 20). Eine detaillierte Darstellung dieser Landnutzungsveränderungen und ihrer Konsequenzen erfolgt in Kapitel 4.2.1 dieser Arbeit.
[16] Vgl. GIERSDORF (2013, S. 49).
[17] Zur Verortung der Zuckerror-Anbauflächen vgl. Kapitel 2.1 (Abb. 1) dieser Arbeit.
[18] Vgl. GIERSDORF (2013, S. 49; 54).
[19] Vgl. RIBANDO SEELKE; YACOBUCCI (2007, S. 7); SCHÖLZEL (2000, S. 89f.; 246).
[20] Vgl. ALTVATER (2007, S. 37); BAJPAI (2013, S. 85); GÖSSMANN; QUIROGA (2012, S. 2f.); KOHLHEPP (2010b, S. 378); RIBANDO SEELKE; YACOBUCCI (2007, S. 7).
[21] Vgl. FAUSTO (2013, S. 279ff.).
[22] Vgl. ebd. (S. 291); SMITH; VINHOSA (2002, S. 217).
[23] Vgl. AUGEL (1980, S. 4; 9); FAUSTO (2013, S. 292; 296); GALLI (2011, S. 49); GIERSDORF (2013, S. 14); SCHÖLZEL (2000, S. 45); SMITH; VINHOSA (2002, S. 219).
[24] Vgl. AUGEL (1980, S. 3); FAUSTO (2013, S. 296); GALLI (2011, S. 48).
[25] Vgl. GALLI (2011, S. 49); SMITH; VINHOSA (2002, S. 218f.).
[26] Vgl. FAUSTO (2013, S. 297); GALLI (2011, S. 48); GIERSDORF (2013, S. 14); SCHÖLZEL (2000, S. 90f.). Die konkrete Ausgestaltung von Proálcool wird in Kapitel 3.2.1 erläutert. Neben dem Ethanol-Programm wurden beispielsweise auch die nationale Erdölexploration sowie der Bau von Atom- und Wasserkraftwerken gefördert. Vgl. FAUSTO (2013, S. 297).
[27] Vgl. AUGEL (1980, S. 15); GALLI (2011, S. 49); GIERSDORF (2013, S. 15); KOHLHEPP (2008a, S. 143); SCHÖLZEL (2000, S. 88).
[28] Vgl. FATHEUER (2007, S. 63f.).
[29] Vgl. AUGEL (1980, S. 14); CORREIA (2007, S. 17); SCHÖLZEL (2000, S. 88).
[30] Vgl. GÖSSMANN; QUIROGA (2012, S. 2).
[31] Vgl. GALLI (2011, S. 48; 51); GIERSDORF (2013, S. 15f.; 58); KOHLHEPP (2008a, S. 143); RIBANDO SEELKE; YACOBUCCI (2007, S. 9).
[32] Vgl. KOHLHEPP (2008a, S. 143); SMITH; VINHOSA (2002, S. 221).
[33] Vgl. SMITH; VINHOSA (2002, S. 220f.).
[34] Vgl. GALLI (2011, S. 50f.); GIERSDORF (2013, S. 28f.); KOHLHEPP (2008a, S. 143); RIBANDO SEELKE; YACOBUCCI (2007, S. 9).
[35] Vgl. AUGEL (1980, S. 17); GALLI (2011, S. 51); GIERSDORF (2013, S. 16; 58); RIBANDO SEELKE; YACOBUCCI (2007, S. 9).
[36] Vgl. GALLI (2011, S. 51); GIERSDORF (2013, S. 17; 25; 28; 58; 184); KOHLHEPP (2008a, S. 143); RIBANDO SEELKE; YACOBUCCI (2007, S. 9).
[37] Vgl. SCHÖLZEL (2000, S. 48f.; 277).
[38] Vgl. GALLI (2011, S. 51f.); FATHEUER (2007, S. 64); GIERSDORF (2013, S. 17f.); KOHLHEPP (2008a, S. 145).
[39] Vgl. GIERSDORF (2013, S. 17).
- Quote paper
- Valerie Gruber (Author), 2014, Nachwachsende Rohstoffe als Treibstoff, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/386145
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