Die Auswirkungen von Maschinen auf das Leben der Menschen wurden immer schon kontrovers diskutiert. Mit dem Einzug von Maschinenteilen in den menschlichen Körper, zum Beispiel durch Prothesen, wird dieses Thema greifbarer als je zuvor. Menschen werden maschinenähnlicher und Maschinen werden immer menschenähnlicher, wie man zum Beispiel an den immer natürlicher werdenden Dialogen mit automatisierten Telefonhotlines feststellen kann. In dieser Arbeit werden zwei verschiedene Positionen zu den gesellschaftlichen Auswirkungen der Vereinigung von Mensch & Maschine verglichen und auf ihre Plausibilität hin überprüft. Zum einen wird die Position von William Gibson beschrieben, dem Vater des Cyberpunk und dem Erfinder des Cyberspace, der bereits in den achtziger Jahren auf mögliche Probleme derartiger Technologien hinwies. Dem wird die Position von Donna Haraway gegenübergestellt, die in der Erschaffung von Cyborgs, also der Vermischung von Mensch und Maschine, eine Chance für den Feminismus und die Position der Frauen in der Gesellschaft sieht. Auch Haraway entwickelt Szenarien, die negative Auswirkungen dieser Vermischung nahelegen. Beide Positionen werden getrennt voneinander auf logische Richtigkeit und inhaltliche Glaubwürdigkeit hin überprüft und anschließend miteinander verglichen. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Positionen werden herausgestellt und die Überzeugungskraft ihrer jeweiligen Schlussfolgerungen kritisch hinterfragt.
Inhalt
0 Einleitung
1 Begriffsbestimmung Borging
2 Borging und seine gesellschaftlichen Auswirkungen bei Donna Haraway
3 William Gibsons Neuromancer
3.1 Möglichkeiten des Borging in William Gibsons Neuromancer
3.2 Gesellschaftliche Auswirkungen des Borgings in Neuromancer
3.3 Die Gesellschaftsstruktur in Neuromancer
3.4 Das Körperbild in Neuromancer
3.5 Das Kontinuum von Mensch und Maschine in Neuromancer
4 Zusammenfassung
0 Einleitung
„I am in my body the way most people drive their cars.“ sagte die amerikanische Künstlerin Laurie Anderson (1983) und schloss sich damit René Descartes Idee von einer strikten Trennung von Körper und Geist an. Wie für Descartes war auch für sie völlig klar, sich nach dieser Trennung mit dem Geist anstatt mit dem Körper zu identifizieren und den Körper als bloßes Werkzeug ihres Geistes zu sehen (Meditationes, 1994, 189). Der Mensch wird von einigen Anthropologen als das Wesen bezeichnet, welches zur Schaffung, Veränderung und Verbesserung von Werkzeugen fähig ist (Kapp, 1978, 14). Wenn nun der Körper selbst zum Werkzeug wird, so erlaubt die menschliche Natur, diesen auch als Werkzeug zu nutzen, zu verändern und zu verbessern. Der Prozess dieser Veränderung und Verbesserung wird seit 1960 im englischen Sprachgebrauch „Borging“ genannt (Dery, 1996, 229). Die prominentesten Beispiele für Borging sind aus der Science-fiction Literatur bekannt. Menschen mit künstlichen Gliedmaßen und Organen oder Wesen mit implantierten Waffen bevölkern unter dem Namen Cyborg[1] die Fantasie der Menschen. Die Maschine als ein hochentwickeltes Werkzeug erhält Einzug in den menschlichen Körper und wird Teil von ihm. Doch nicht nur Romane füllen sich zunehmend mit zu Maschinen werdenden Menschen, auch in der Realität werden Menschen mehr und mehr mit Maschinenteilen versehen. So gibt es Menschen mit Herzschrittmachern, künstlichen Hüftgelenken, Hörgeräten, Zahnspangen, Sehhilfen und Protesen aller Art. Diese Menschen sehen die implantierten technischen Geräte als Teil ihrer Person und werden so zu Cyborgs.
Auf der anderen Seite werden die echten Maschinen immer menschenähnlicher gestaltet. So enthält das Programm Microsoft Word 2000 Hilfsprogramme (sogenannte Assistenten), die ein Gesicht zeigen und versuchen auf Fragen, die in menschlicher Sprache eingegeben wurden, zu reagieren. Ein weiteres Beispiel ist die telefonische Fahrplanauskunft der Deutschen Bahn, die versucht, wie ein menschlicher Telefonist die Informationswünsche der Kunden zu befriedigen.
Der Mensch wird mehr und mehr zur Maschine, während die Maschinen dem Menschen immer ähnlicher werden. Dieses Phänomen hat direkten Einfluss auf das Selbstbild des Menschen, seine moralischen Werte sowie seinen Status in der Welt. Wird sich der Mensch, wie Laurie Anderson, als Geist identifizieren, der einen Körper kontrolliert? Wenn ja kann ein Angriff auf einen Körper immer noch als Gewalt gegen den Menschen interpretiert werden? Wird die kategorielle Unterscheidung zwischen Mensch und Maschine verschwinden? Wenn ja, was ist dann der Unterschied zwischen Körperverletzung, Mord und Sachbeschädigung und welches Alter und welches Geschlecht haben Menschen? Die Fragen, die sich in diesem Kontext ergeben, sind vielfältig.
Einer der ersten Autoren, die sich mit den gesellschaftlichen Folgen des Borging beschäftigt haben, ist William Gibson mit seinem Roman Neuromancer (1984). Dieser dystopische Roman wurde der Anfang eines kulturellen Paradigmas, dem Cyberpunk. Die Auswirkungen neuer Technologien, besonders die Auswirkungen von Borging-Technologien, wurden im Cyberpunk durchweg als negativ für die Gesellschaft beschrieben. Dagegen begreifen Teile der feministischen Literatur, besonders Donna Haraway, Cyborgs als eine kulturelle Chance für die Gesellschaft. In der folgenden Arbeit möchte ich daher Gibsons Position zu den gesellschaftlichen Folgen von Borging genauer untersuchen und mit der Position von Haraway vergleichen.
1 Begriffsbestimmung Borging
Um der Möglichkeit einer Begriffsverschiebung im Laufe der Debatte über Cyborgs vorzubeugen, ist es zunächst wichtig die genaue Bedeutung von Borging bei den einzelnen Vertretern zu ermitteln. Es wäre ja zum Beispiel möglich, dass in neueren Argumentationen Arten von Borging eine Rolle spielen, die Gibson, als der Vorreiter, noch nicht bedacht hatte. Da es in Gibsons Roman keine explizite Definition für Borging gibt, ist die einzige Möglichkeit der logischen Begriffsbestimmung über seine Extension (Dummett, 1982, 94-96). Das bedeutet, sämtliche Objekte herzunehmen, die bei Gibson unter die Möglichkeiten des Borging fallen. Da es bei Gibson auch das Wort Borging oder Cyborg selbst nicht gibt, suchen wir nach allen Beschreibungen von Sachverhalten, die unter eine vorher festgelegte Arbeitsdefinition von Borging fallen. David F. Channell (1991, 129) bietet folgende Definition an: Ein Cyborg ist eine besondere Verbindung zwischen Mensch und Maschine. „[The machine ] needs to function without the benefit of consciousness, in order to cooperate with the body’s own autonomous homeostatic controls.“ Dery (1996, 230) zufolge unterscheidet sich anhand dieser Definition die Mensch-Maschine-Verbindung bei der einfachen Benutzung eines Werkzeugs von der Mensch-Maschine-Verbindung im Cyborg. Die Benutzung eines Werkzeugs ist auf eine bewusste Entscheidung des Menschen angewiesen. Die Maschine im Cyborg tut ihren Dienst ohne bewusste Entscheidungen des Menschen.
Diese Definition wird von Dery selbst implizit ausgeweitet, indem er noch auf derselben Seite Mäuse mit Menschengenen und Menschen mit Tierorganen als Cyborgs bezeichnet, obwohl diese eindeutig außerhalb seines selbst gewählten Definitionsbereiches liegen. Keine der mir bekannten expliziten Cyborg-Definitionen fasst alle von Haraway und Gibson beschriebenen Manipulationen des menschlichen Körpers. Daher werde ich mit der folgenden Arbeitsdefinition die von Gibson und Haraway angeführten Objekte filtern.
Borging bezeichnet alle intentionalen, also beabsichtigten, Veränderungen eines
Menschen, die durch einen operativen Eingriff erreicht werden. Diese Verände-
rungen können temporär oder dauerhaft sein und den Körper, den Geist oder
die Psyche betreffen.
Um Äquivokationen zu vermeiden, trenne ich die Begriffe Geist und Psyche. Der Begriff Psyche bezeichnet in diesem Kontext objektive charakterliche Eigenschaften eines Individuums, also für das Individuum typische Verhaltensweisen. Der Begriff Geist hingegen bezeichnet die subjektive Eigenschaft ein Bewusstsein zu besitzen.
Ein operativer Eingriff ist eine zeitlich begrenzte Maßnahme, die außerhalb des Alltags des operierten Individuums stattfindet und ohne dessen direkte Aktivität zum Erfolg führen kann. Damit grenzt sich das Borging der Psyche theoretisch von Sozialisation und Lernen ab, die beide auch dauerhafte psychische Veränderungen hervorrufen.
Diese Arbeitsdefinition ist weit genug, um sowohl Gibsons als auch Haraways Begriff von Cyborg einschließen zu können. Im nächsten Kapitel werde ich Haraways Ausführungen zu den Fragen darüber untersuchen, was ein Cyborg ist und welche Auswirkungen seine Schaffung auf die Gesellschaft hat.
2 Borging und seine gesellschaftlichen Auswirkungen bei Donna Haraway
„A cyborg is a cybernetic organism, a hybrid of machine and organism, a creature of social reality as well as a creature of fiction.“ (Haraway, 2000, 69) heißt es in Haraways Cyborg Manifesto. Wie im letzten Kapitel bereits angedeutet, ist Haraways Cyborgbegriff, wie sie ihn später verwendet, weiter. Er fasst neben Mischwesen aus verschiedenen Organismen, wie Mensch und Tier, auch Mischwesen aus Maschine und Organismus. Weiterhin sind einige Cyborgs bei Haraway Wesen, die die Gegensätze physisch und nicht physisch vereinen (Haraway, 2000, 72-73). Daher ist es, um ihrer Argumentation zu folgen, sinnvoll den Cyborgbegriff der obigen Arbeitsdefinition entsprechend auf die von ihr genannten Objekte auszuweiten. Interessanterweise ist ein Cyborg für Haraway gleichwohl „a creature of social reality as well as a creature of fiction.“ Damit geht es ihr nicht nur um mögliche Prozesse, sondern auch um gesellschaftliche Prozesse, die bereits stattfinden.
Zusammenfassend verkörpern Cyborgs für Haraway die Schnittstelle im wesentlichen dreier binärer Unterscheidungen:
-Mensch - Tier
-Organismus - Maschine
-Physisch - Nichtphysisch (Haraway, 2000, 72-73)
Die erste Unterscheidung bezieht sich auf transgene Tiere. Die zweite kombiniert biologische Organismen mit Maschinenteilen. Die letzte Unterscheidung bezieht sich nicht auf prinzipiell nicht-physische Dinge, sondern meint die Unsichtbarkeit von Technologien durch Miniaturisierung. Mit anderen Worten handelt es sich um die Unterscheidung zwischen Nano- und Makrotechnologie (Haraway, 2000, 73).
Die genaue Zusammensetzung oder Funktionsweise der Cyborg-Mischwesen ist für Haraway unbedeutend. Daher beschränkt sie sich auf nur wenige Beispiele für Cyborgs. Viel wichtiger sind für sie vier andere Punkte.
1. Im Cyborg können sich Eigenschaften aus allen Kategorien von Lebewesen (Mensch, Tier, Maschine, Männlich, Weiblich, schwarz, weiß,...) vereinigen.
Damit kann der Cyborg keiner derartigen Kategorie zugeordnet werden. (Haraway, 2000, 72-74)
2. Cyborgs sind durch die vielen Kombinationsmöglichkeiten von Technologien sehr verschieden. (Haraway, 2000, 74-75)
3. Veränderungen, die an Cyborgs vorgenommen werden, beeinflussen auch das Selbstbild des Cyborgs. (Haraway, 2000, 75)
4. Cyborgs sind nicht mehr auf organische Reproduktion durch heterosexuelle Kombination angewiesen. (Haraway, 2000, 70+71)
[...]
[1] Cyborg [‘saib]rg] ist ein Kunstwort aus Cyb(ernetic) Org(anism). Das Wort wurde 1960 von Manfred Clynes geprägt und bezeichnet ursprünglich Wesen, die zum Teil aus Maschinenteilen und zum Teil aus organischen Teilen bestehen.
- Arbeit zitieren
- Franz Wegener (Autor:in), 2005, Folgen der Vereinigung von Mensch und Maschine bei Gibson und Haraway, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38425
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