Ein umfassendes Verständnis des menschlichen Erlebens und Verhaltens bedarf anthropologischer Theorien, welche die Natur des Menschen in seiner Ganzheit und Komplexität erfassen. Erkenntnistheoretische Überlegungen sind dabei unerlässlich, um den menschlichen Bedürfnissen und Kräften gerecht zu werden.
Auf der Grundlage eines existenz-analytischen Menschenbildes können sich auch vermeintlich so unversöhnliche Theorien wie die tendenziell ressourcenorientierte Logotherapie ("Entscheide dich selbst!") und die eher defizitorientierte Psychoanalyse ("Erkenne dein irrationales, illusionäres Selbst!") in einem bereichernden Dialog begegnen.
Während die Logotherapie im therapeutischen Prozess vor allem unbewusste geistige Ressourcen wie das Freiheits- und Verantwortungsbewusstsein, Werte, die Stimme des Gewissens und sinnvolle Interessen bzw. Ziele bewusst macht, deckt die Psychoanalyse vor allem Defizite wie (individuelle und gesellschaftliche) Verdrängungen, Rationalisierungen, Widerstände und Übertragungen auf. Aus der Pädagogik wissen wir, dass man so Ressourcen-orientiert wie möglich und so Defizit-orientiert wie nötig arbeiten sollte.
Die Franklsche Logotherapie und die Frommsche Psychoanalyse sind miteinander kompatibel, weil sie mit dem Postulat eines metaphysischen Bedürfnisses des Menschen über ein entscheidendes gemeinsames Element verfügen. Für beide Richtungen wird dadurch die Erfahrung von Glück, Lebenszufrieden bzw. Sinn unter ganz bestimmten Bedingungen erfahrbar. Aus einer ganzheitlich-systemischen Perspektive ergänzen sie einander in zweierlei Hinsicht: Einerseits stärkt die Logotherapie im Allgemeinen eher die Ressourcen, wohingegen die Psychoanalyse ihr Augenmerk vor allem auf die Defizite und Widerstände legt. Beide Aspekte sollen in einem therapeutischen Prozess Raum haben. Andererseits betont die Logotherapie sehr stark die Eigenverantwortung des Individuums. Fromm weist demgegenüber mit dem Gesellschafts-Charakter auf wichtige gesellschaftliche Einflüsse hin. Insgesamt ermöglicht der Dialog zwischen diesen beiden Theorien ein umfassenderes Verständnis des menschlichen Erlebens und Verhaltens, als es eine Theorie für sich alleine vermag.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- TEIL I – DIALOG ÜBER THEORETISCHE KONZEPTE ...……………………………
- Erkenntnistheoretischer Einstieg – weltanschauliche Verzerrungen
- 1.1 Kulturell bedingte Verzerrungen von Theorien
- 1.2 Zeitgeist bedingte Verzerrungen von Theorien………………….
- 1.2.1 Zeitgeist bedingte Verzerrungen der Freudschen Theorie.
- 1.3 Methodisch bedingte Verzerrungen
- 1.3.1 Wahrnehmungspsychologische Überlegungen.
- 1.3.2 Chance und Gefahren qualitativer Methoden....
- 1.4 Fromms Kritik psychoanalytischer Verzerrungen
- 1.5 Frankls Kritik psychoanalytischer Verzerrungen...\n1
- 1.6 Objektivität in der Geisteswissenschaft
- 2 Existenzphilosophische Erkenntnisse über den Menschen
- 2.1 Die Bedingungen menschlicher Existenz: Instinktarmut und Selbst-Bewusstsein...... 22
- 2.2 Die metaphysischen Bedürfnisse der menschlichen Existenz…..\n
- 2.3 Die Lösungsmöglichkeiten menschlicher Existenz.......\n
- 2.3.1 Der Rahmen der Orientierung..\n
- 2.3.2 Objekt(e) der Hingabe\n
- 2.4 Das systemische Prinzip der Noodynamik.
- 2.5 Das Bild vom Menschen\n
- 3 Die menschliche Natur und noopsychophysische Gesundheit\n
- 3.1 Die Natur des Menschen - Potential und Aufgabe
- 3.2 Der Standpunkt eines normativen Gesundheitsverständnisses\n
- 3.3 Das Dilemma des Individuationsprozesses und die zwei Auswege ..\n
- 3.3.1 Integrität vs. Entfremdung…………………….\n
- 3.3.2 Rationale und irrationale Kräfte.
- 3.3.3 Die sinnvolle bzw. produktive Orientierung.
- 3.3.4 Die sinnwidrige bzw. nicht-produktive Orientierung\n
- 3.3.5 Sinnvolle/produktive vs. sinnwidrige/nicht-produktive Orientierung\n
- 3.4 Die Stimme des Gewissens\n
- Das menschliche Erleben und Verhalten aus anthropologischer Sicht
- Die erkenntnistheoretischen Grundlagen der Logotherapie und Psychoanalyse
- Die Unterschiede zwischen ressourcenorientierter Logotherapie und defizitorientierter Psychoanalyse
- Die Bedeutung des metaphysischen Bedürfnisses für das menschliche Streben nach Glück, Sinn und Lebenszufriedenheit
- Die Relevanz eines ganzheitlich-systemischen Ansatzes in der Therapie
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Diplomarbeit „Logotherapie und Psychoanalyse im Dialog" befasst sich mit der Frage, wie die beiden Theorien in einen konstruktiven Austausch treten und sich gegenseitig bereichern können. Die Arbeit untersucht die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Ansätze und zeigt auf, wie sie sich in einem therapeutischen Prozess sinnvoll ergänzen können.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik ein und erläutert die Relevanz des Dialogs zwischen Logotherapie und Psychoanalyse.
Der erste Teil der Arbeit befasst sich mit den erkenntnistheoretischen Grundlagen der beiden Theorien. Er beleuchtet die kulturellen, zeitgeistlichen und methodischen Verzerrungen, die in psychologischen Theorien auftreten können. In diesem Kontext werden die Kritiken von Erich Fromm und Viktor Frankl an der Psychoanalyse betrachtet.
Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich mit existenzphilosophischen Erkenntnissen über den Menschen. Er analysiert die Bedingungen menschlicher Existenz, die metaphysischen Bedürfnisse des Menschen und die Lösungsmöglichkeiten, die der Mensch zur Verfügung hat.
Der dritte Teil der Arbeit behandelt die menschliche Natur und die noopsychophysische Gesundheit. Er beleuchtet die Natur des Menschen, das Potential und die Aufgabe, die im Individuationsprozess liegen.
Schlüsselwörter
Logotherapie, Psychoanalyse, Erich Fromm, Viktor Frankl, Existenzanalyse, Metaphysisches Bedürfnis, Sinn, Lebenszufriedenheit, Ressourcenorientierung, Defizitorientierung, Ganzheitlich-systemischer Ansatz, Individuationsprozess, Menschliches Erleben, Menschliches Verhalten, Erkenntnisgewinnung, Psychotherapie
- Quote paper
- Patrick Lenherr (Author), 2017, Logotherapie und Psychoanalyse im Dialog. Auf dem Weg zum Verständnis des menschlichen Verhaltens und Erlebens, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/383638