Systemaufstellungen gewinnen nicht nur im deutschsprachigen Raum an immer größerer Beliebtheit. Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Menschenbild in Systemischen Aufstellungen und begibt sich auf die Suche nach einem Subjektverständnis, das auch für die Aufstellungsarbeit weiterführend sein könnte. Angeregt wurde diese Beschäftigung durch Texte von Sparrer und Essen. In ihren Schriften hinterfragen die beiden AufstellerInnen das traditionelle Bild von Subjekt und Authentizität und rufen implizit zur Suche nach einem neuen Subjektverständnis auf. Dieser Suche wird in der vorliegenden Magisterarbeit mit der Philosophie Gilles Deleuzes begegnet.
Deleuze kann in seinen frühen Werken „Woran erkennt man den Strukturalismus?“ und „Logik des Sinns“ als Strukturalist gelten. Strukturalistische Autoren haben sich – inspiriert durch die Linguistik Saussures – sehr ausführlich mit der Rolle des Subjekts auseinandergesetzt. Mit dem Konzept des Schauspielers ist in Deleuzes Philosophie ein besonderes Verhältnis zum dargestellten Ereignis verbunden. Deleuze versteht den Schauspieler nach stoischem Verständnis als jemanden, der zwischen eigener Person und Rolle zu unterscheiden gelernt hat und seine Rolle qua Profession auf Distanz hält. Der Stellvertreter in einer Aufstellung – der aufgrund der repräsentierenden Wahrnehmung Ereignissen nachspürt, die er persönlich nicht erlebt hat – soll mit diesem deleuzianischen Schauspieler verglichen werden.
Das Subjektverständnis, das Deleuze in seinen frühen Schriften zugrunde legt, nimmt Abstand von einem Subjekt, welches von „Einheitsstiftern“ geprägt ist. Deleuze plädiert für ein mannigfaltiges Denken, das sich von einem dialektischen Widerspruchsdenken befreit und stattdessen Vielfalt annehmen kann. Das Subjekt dieses vielfältigen Denkens ist nicht an eine feste Identität gebunden. Stattdessen wird es als Element einer Struktur gedacht, welches an jedem neuen Platz des strukturalen Raumes einen neuen Sinn erfährt. Deleuze benennt ein solches Subjekt mit der Metapher des Nomaden – eine Metapher, die Bewegung verbildlichen soll.
Die vorliegende Arbeit widmet sich der Frage, inwieweit der Strukturalismus dem Ruf Sparrers und Essens nach einem anderen Bild von Selbst und Authentizität gewinnbringend nachkommen kann und verdeutlicht im Gegenzug die Bereicherung, welche die Aufstellungsarbeit als Praxis für eine theoretische Philosophie bedeuten könnte.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 1.1 Inhaltliches Vorgehen
- 1.2 Methodisches Vorgehen
- 2. Erfahrungen aus Systemischen Aufstellungen können die Vorstellung von Subjektivität und Authentizität verändern
- 2.1 Systemische Aufstellungen - philosophisch betrachtet
- 2.1.1 Grundlagen und Phänomene in Systemischen Aufstellungen
- 2.1.2 Aufstellungen als Nichtanhaftungstraining
- 2.1.3 Diskussionen um die Systemische Aufstellung
- 2.2 Das Verständnis von Authentizität in verschiedenen Kontexten
- 2.2.1 Von einem authentischen Persönlichkeitskern hin zum kernlosen Subjekt
- 2.2.2 ,,Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt" - Exkurs zum ,,linguistic turn"
- 2.2.3 Authentizität als Gegenwärtigkeit verlangt ein Handeln im Kontext
- 3. Parallelen zwischen dem Strukturalismus bei Deleuze und der Systemischen Aufstellung
- 3.1 Grundlagen des Strukturalismus in der Linguistik Saussures
- 3.2 Die Bedeutung des Platzes bei Deleuze und in der Aufstellung
- 3.2.1 Die Vorrangigkeit des Platzes im Strukturalismus
- 3.2.2 Der gute Platz in der Aufstellung
- 3.3 Die Neigung des Strukturalismus für ein gewisses Theater
- 3.3.1 Paradox des Schauspielers
- 3.3.2 Der Stellvertreter als Schauspieler im Sinne Deleuzes
- 3.3.3 Schauspieler seiner Ereignisse werden
- 3.4 Von der Idee des Amor fati zum Grundsatz Hellingers: Anerkennen, was ist
- 3.4.1 Nihilismus als zweifache Abwertung des menschlichen Lebens
- 3.4.2 Die Überwindung des Nihilismus
- 3.4.3 Amor fati – zum Verhältnis von Schicksal und Freiheit
- 3.4.4 Parallelen zur Familienaufstellung nach Hellinger
- 4. Übertragung des Subjektverständnisses im Strukturalismus auf den Bereich der Aufstellung
- 4.1 Das Subjekt im französischen Strukturalismus
- 4.1.1 Die Frau als Zeichen bei Lévi-Strauss
- 4.1.2 Das Verschwinden des Subjekts bei Foucault
- 4.1.3 Sinn, Un-Sinn und das Differenzdenken
- 4.1.3.1 Sinn und Un-Sinn
- 4.1.3.2 Philosophien der Differenz
- 4.2 Das Subjekt bei Deleuze
- 4.2.1 Das wahre Subjekt ist die Struktur selbst
- 4.2.2 Das Subjekt als Nomade
- 4.2.3 Das Verhältnis von Schauspieler und Nomade
- 4.3 Abgrenzung des strukturalistischen Subjektverständnisses von der soziologischen Rollentheorie Goffmans
- 4.3.1 Einführung in die soziologische Rollentheorie nach Goffman
- 4.3.2 Unterschiede zwischen dem Selbst bei Goffman und dem strukturalistischen Subjektverständnis
- 5. Fazit: Möglichkeiten und Grenzen der Übertragung strukturalistischer Gedanken auf Systemische Aufstellungen
- 5.1 Strukturalismus und Aufstellungsarbeit bereichern sich gegenseitig
- 5.1.1 Aufstellungen als Verbildlichung des Sinnverständnisses Deleuzes
- 5.1.2 Anregung zu einem neuen Subjektverständnis in Aufstellungen
- 5.2 Kritik am Subjektverständnis des Strukturalismus
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Magisterarbeit befasst sich mit dem Menschenbild in Systemischen Aufstellungen und untersucht, wie das Subjektverständnis in dieser Methode hinterfragt und möglicherweise neu definiert werden kann. Die Arbeit analysiert die Parallelen zwischen dem Strukturalismus, insbesondere bei Deleuze, und der Systemischen Aufstellung. Ziel ist es, ein Subjektverständnis zu entwickeln, das sowohl für die philosophische Betrachtung als auch für die Praxis der Systemischen Aufstellung fruchtbar ist.
- Die Rolle des Subjekts in Systemischen Aufstellungen
- Die Bedeutung von Authentizität in verschiedenen Kontexten
- Parallelen zwischen dem Strukturalismus und der Systemischen Aufstellung
- Das Subjektverständnis im französischen Strukturalismus
- Die Übertragung strukturalistischer Gedanken auf Systemische Aufstellungen
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel stellt die Thematik und das methodische Vorgehen der Arbeit vor. Kapitel zwei befasst sich mit der Frage, wie Erfahrungen aus Systemischen Aufstellungen das Verständnis von Subjektivität und Authentizität beeinflussen. Kapitel drei untersucht Parallelen zwischen dem Strukturalismus bei Deleuze und der Systemischen Aufstellung. Kapitel vier widmet sich der Übertragung des Subjektverständnisses im Strukturalismus auf den Bereich der Systemischen Aufstellung. Kapitel fünf beleuchtet die Möglichkeiten und Grenzen der Übertragung strukturalistischer Gedanken auf Systemische Aufstellungen.
Schlüsselwörter
Systemische Aufstellungen, Subjekt, Authentizität, Strukturalismus, Deleuze, Platz, Schauspieler, Nomade, Rollentheorie, Goffman, Sinn, Un-Sinn, Differenzdenken
- Quote paper
- Andrea Berreth (Author), 2004, Schauspieler seiner eigenen Ereignisse werden - Zum Subjektbegriff in systemischen Aufstellungen und bei Deleuze, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38316