Mit der Wirtschaftskrise gingen nicht nur immense Vermögensverluste einher, auch die Arbeitslosenzahlen explodierten geradezu. 1932 betrug die Arbeitslosenzahl in Deutschland über 29 Prozent. Die Leute schrien nach Veränderung – Adolf Hitler und die NSDAP schienen sie zu bieten. Unter den vielen „Arbeitsbeschaffungsmassnahmen“ ist wohl keine so berühmt wie die des Autobahnbaus. Umfragen ergaben, dass im Schnitt jeder vierte Deutsche findet, dass der Nationalsozialismus auch seine guten Seiten hatte – Hitler habe viel Schlimmes getan, aber immerhin die Autobahn gebaut, heisst es oft. Doch wie viel steckt wirklich hinter dem Mythos der „Reichsautobahn“ und beseitigte sie wirklich das Problem der Arbeitslosigkeit?
Hat Hitler die Arbeitslosigkeit durch den Autobahnbau beseitigt?
"Kameraden, soeben kommt ihr vom Arbeitsamt. Es ist der Wille unseres Führers, dass ihr diese Stätte nicht mehr betretet. Wir gehen nicht mehr stempeln, sondern wir bauen Straßen."[1]
Kurz davor marschierten 720 Arbeiter vom Arbeitsamt Richtung Frankfurter Börse, wo sie bereits von Fritz Todt, Generalinspekteur für das deutsche Strassenwesen, erwartet wurden. Schaufeln werden verteilt und die Menge, geführt von Todt an der Spitze, macht sich auf den Weg zur Baustelle im Frankfurter Wald. Eindrücklicher könnte man den Bau der neuen Strecke der Reichsautobahn Frankfurt-Mannheim-Heidelberg nicht inszenieren.
Wieder 720 Arbeiter die aus ihrer miserablen Lage geholt werden und endlich Beschäftigung finden. Die Autobahn, von den Nationalsozialisten als Arbeitsbeschaffungsmassnahme propagiert, sollte endlich die Nachwehen der Weltwirtschaftskrise 1929 lindern und zahlreichen Arbeitslosen eine Anstellung verschaffen – doch war dem wirklich so?
Die USA gingen als Gewinner aus dem Ersten Weltkrieg hervor. Vom Krieg nicht geschädigt – er wurde ja nicht auf ihrem Boden geführt – erholte sich die amerikanische Wirtschaft rasch und profitierte durch Kreditvergabe von den finanziellen Nöten der anderen Kriegsparteien. England und Frankreich hatten immense Schulden bei den Amerikanern angehäuft, welche sie wiederum durch Reparationen aus Deutschland abzahlen wollten. Zur Zahlung der fälligen Schulden nahm Nachkriegsdeutschland amerikanische Kredite auf. Ein Kreislauf welcher die Weltwirtschaft ungemein ankurbelte. Die blühende Wirtschaft veranlagte viele Privatpersonen in den USA zur Aufnahme von Krediten, um sich damit Aktien zu kaufen, in der Hoffnung diese mit den vielversprechenden Renditen zurückzahlen zu können. Als der Dow Jones 1929 aber deutlich verlor, brach Nervosität aus. Die Kurse stagnierten und vielen Privatanlegern wurde bewusst, dass sie so ihre Kredite nicht zurückzahlen konnten. Am 24. Oktober brach ohne erkennbaren Grund Panik an der Wall Street aus. Massive Verkäufe liessen die Kurse einstürzen – der Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929.
Mit der Wirtschaftskrise gingen nicht nur immense Vermögensverluste einher, auch die Arbeitslosenzahlen explodierten geradezu. 1932 betrug die Arbeitslosenzahl in Deutschland über 29 Prozent. Die Leute schrien nach Veränderung – Adolf Hitler und die NSDAP schienen sie zu bieten. Unter den vielen „Arbeitsbeschaffungsmassnahmen“ ist wohl keine so berühmt wie die des Autobahnbaus. Umfragen ergaben, dass im Schnitt jeder vierte Deutsche findet, dass der Nationalsozialismus auch seine guten Seiten hatte – Hitler habe viel Schlimmes getan, aber immerhin die Autobahn gebaut, heisst es oft. Doch wie viel steckt wirklich hinter dem Mythos der „Reichsautobahn“ und beseitigte sie wirklich das Problem der Arbeitslosigkeit?
Es ist bekannt, dass die Idee einer Autobahn keine Eingebung des Führers Adolf Hitler war. Die „AVUS“ (Automobil-Verkehrs- und Übungsstrasse) war die erste Autobahn der Welt, welche aufgrund ihrer Kürze jedoch eher als autobahnähnlich gilt. Sie wurde 1921 und somit klar vor der Zeit des Nationalsozialismus eröffnet. Sie diente bis 1940 als Renn- und Teststrecke und war nicht für den öffentlichen Verkehr bestimmt. 1924 wurde in Italien das erste Teilstück der Autobahn Mailand-Varese eröffnet, die gegen Maut allen Bürgern als Verkehrsweg zugänglich war. 1926 wurde die HaFraBa gegründet, eine Gesellschaft zur Planung einer Autobahn Hamburg-Frankfurt-Basel. Damals noch von den Nationalsozialisten abgelehnt, wurde später die Ideen-Urheberschaft jener Strecke von ihnen verkündet: „Die Reichsautobahnen, wie wir sie jetzt bauen, haben nicht als von der HaFraBa vorbereitet zu gelten, sondern einzig und allein als die Straßen Adolf Hitlers“.[2] Der Mythos, dass die Nationalsozialisten die erste Autobahn gebaut haben, kann somit also klar zurückgewiesen werden.
Doch der wohl am grössten verbreitete Mythos bezüglich der Autobahn, der sich bis heute hält, ist der Aspekt zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Bei der Machtergreifung Hitlers lagen die Arbeitslosenzahlen bei rund 6 Millionen. Der Autobahnbau beschäftigte zum Höhepunkt hingegen nicht mehr als rund 130'000 Personen. Der oft propagierte Rückgang der Arbeitslosigkeit in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft, ist eher durch eine allgemeine wirtschaftliche Erholung im Zuge der Arbeitsbeschaffung durch Staatsverschuldung zurückzuführen. Während die Arbeitslosenzahlen bis Sommer 1936 auf rund 1 Million sanken, schossen die Staatsausgaben zwischen 1933 und 1938 von 1,9 Milliarden auf über 17 Milliarden Reichsmark. Gleichzeitig stieg der Anteil der Ausgaben für die Wehrmacht von 4% auf über 50% an. Nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, sowie erneuten Ausweitung der Rüstungsindustrie 1938, war praktisch Vollbeschäftigung erreicht. Die Arbeitslosigkeit wurde demnach vor allem durch eine verschleierte Aufrüstung der Wehrmacht sowie andere staatsfinanzierte Massnahmen gesenkt. 1939 stieg die Staatsverschuldung jedoch derart an, dass sie nur noch durch einen erfolgreichen Eroberungskrieg getilgt werden konnte.
Der Effekt der Autobahnen als Arbeitsbeschaffungsmassnahme kann somit klar als marginal bezeichnet werden. Ganz anders hingegen der Propagandaeffekt hinter der Idee: Die „Strassen des Führers“ sollten ein modernes Selbstbild des NS-Regimes widerspiegeln. Der erste Schritt dabei war der massenpsycholgisch verwertbare Statuseffekt des privaten Autobesitzes. Das Ziel einer künftigen Massenmotorisierung sollte durch das „KdF-Sparprogramm“ (Kraft durch Freiheit) ermöglicht werden. Durch Sparmarken erwerbbar, kostete das Automobil 990 Reichsmark und sollte somit für jeden erschwinglich sein. Desweiteren war Autorennsport der beliebteste Sport der 1930er Jahre, an dem auch Hitler grosses Interesse zeigte. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges musste die Produktion des KdF-Wagens jedoch zugunsten von Rüstungsgütern eingestellt werden. Der andererseits propagierte Aspekt der Autobahnen zur Kriegsvorbereitung muss zudem abgewiesen werden. In der Reichswehrführung bestanden stets Zweifel über den Nutzen von Autobahnen im Falle eines Krieges, da sie dem Feind markante Orientierung für Luftabgriffe boten. Es ist eher anzunehmen, dass die Propagandisten die Kriegswichtigkeit der Autobahnen zu legitimieren versuchten, als der Bau bereits weitestgehend zugunsten kriegsentscheidender Rüstungsmassnahmen eingestellt wurde. So gering der arbeitspolitische oder militärische Nutzen der Autobahn auch gewesen sein mag – ideologisch war er von zentralem Nutzen. Vom Spatenstich 1933 in Frankfurt bis zur Einstellung des gesamten Baubetriebs 1941 war das ökonomisch-technische Projekt Autobahn stets vom psychologischen Aspekt der „Strassen des Führers“ begleitet. Medial inszeniert gelang es, an möglichst vielen Stellen im Reich, Menschen bei der Arbeit zu zeigen. Der Mythos der Massenbeschäftigung rückte also schon damals in den Mittelpunkt. Das Projekt Autobahn übte einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die mediale Welt aus. Von Plakaten, Brettspielen, Briefmarken oder Rundschaubeiträgen bis hin zur Lyrik war das Propagandainstrument Autobahn vertreten. Zu Beginn wurde die Vision der „Autobahn“ verkauft, die einzelnen Baustellen als Zeichen des nationalsozialistischen Modernisierungswillens hin zu einem Gesamtnetz der „Strassen des Führers“. Dann, nach erfolgreicher Fertigstellung, musste erzählt werden, was nun nicht mehr war: die Idee, der Plan, der endgültige Prozess. Die Autobahn war Monument und Kunstwerk zugleich: „Die Reichsautobahn muss wie die chinesische Mauer, die Akropolis der Athener, wie die Pyramiden Ägyptens ein Turm im Weichbild der Weltgeschichte werden [...].“[3] Die Autobahn als erhabenes Monument, Weltwunder und Kunstwerk. Darin werden nicht nur die Allmacht des Führers und die Ewigkeit des Reiches beschworen, sondern auch das Bild der modernen Industriegesellschaft vermittelt. Ob die Bevölkerung genauso empfand, bleibt fraglich.
Hat Hitler nun die Arbeitslosigkeit durch den Autobahnbau beseitigt? – ganz klar nein. Die Beschäftigung von rund 100'000 Personen (zum Höhepunkt knapp 130’00) bei Arbeitslosenzahlen von rund sechs Millionen, ist nicht viel mehr als ein Tropfen auf dem heissen Stein. Die Arbeitslosigkeit war bereits im Rückgang als die Nationalsozialisten an die Macht kamen – wahrscheinlich der Grund wieso der Mythos der Arbeitsbeschaffung durch Autobahnbau so populär wurde. Viele hatten wieder Arbeit, also war die Lüge perfekt. Der wirtschaftspolitische Nutzen ist so gering einzuschätzen wie der militärische. Von 6’900 geplanten Kilometern wurden gerade einmal 3’800 fertiggestellt. Die Wenigen, die beim Bau beschäftigt wurden, mussten oft in schäbigen Baracken hausen. Die Löhne blieben armselig und viele erkrankten, da sie den körperlichen Anstrengungen nicht gewachsen waren. 1941 stellte Hitler das Projekt ein, da er jeden Verfügbaren an der Front brauchte. Die Sparprogramme für den KdF-Wagen waren meist nicht mehr, als verlorenes Geld. Ein Privatwagen blieb ein Luxusgut für die oberen Zehntausend und Fotos zeigen meist leere Autobahnen.
Was bleibt also von den „Strassen des Führers“? Nicht viel mehr als ein Mythos, der sich bis heute fest in den Köpfen hält. Aufgrund des geringen Verkehrsaufkommens, gab der Führer die Autobahn im Herbst 1943 erneut frei – diesmal für Radfahrer.
Quellen und Literatur:
Wiegrefe, Klaus: Wie es wirklich war, Die Autobahn-Legende, in: Der Spiegel, Spiegel Special 1/2008.
Erhard Schütz: Jene blassgrauen Bänder, Die Reichsautobahn in Literatur und anderen Medien des „Dritten Reiches“, ASLonline. Online Archiv. 2. Mai 2000.
[1] Fritz Todt, 23. September 1933, nach: Wiegrefe, Klaus: Wie es wirklich war, Die Autobahn-Legende, in: Der Spiegel, Spiegel Special 1/2008.
[2] Das Bundesarchiv: Ein sehr, sehr guter Rat. Bilderstrecke über Besprechungen Todts mit Senator Punicelli. Veröffentlicht: 15.06.2013, gefunden am 26.05.2017, http://www.bundesarchiv.de/oeffentlichkeitsarbeit/bilder_dokumente/01234/index-4.html.de
[3] Emil Maier-Dorn: Die kulturelle Bedeutung der Reichsautobahn (Anm. 2), S. 736, nach: Erhard Schütz: Jene blassgrauen Bänder, Die Reichsautobahn in Literatur und anderen Medien des „Dritten Reiches“, ASLonline. Online Archiv . 2. Mai 2000.
- Quote paper
- Lino Gal (Author), 2017, Mythos "Reichsautobahn". Beseitigte Hitler dadurch wirklich das Problem der Arbeitslosigkeit?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/382663