Ob sie die öffentliche Meinung nun widerspiegelt oder selbst formt, unumstritten ist, dass die Presse bis heute ein akkurates Abbild der Stimmung einer Gesellschaft liefert. Dies gilt umso mehr für das 19. Jahrhundert, in dem die Zeitung noch das einzige Massenmedium war. Jeder, der sich über alltägliches Geschehen jenseits seines unmittelbaren Bekanntenkreises informieren wollte, musste zur Zeitung greifen. Zeitungsarchive versetzen uns deshalb in die Lage, die Entwicklung politischer Klimata mit hoher zeitlicher Auflösung nachzuzeichnen, was in dieser Arbeit anhand der Berichterstattung zum Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 in der britischen Presse geschehen soll. Das Hauptziel wird es dabei sein, die Wahrnehmung der bedeutendsten Kriegsereignisse in der britischen Öffentlichkeit zu untersuchen, insbesondere bezüglich einer möglichen Bedrohung des europäischen Mächtegleichgewichts.
Obwohl der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 ein relativ isolierter Konflikt zwischen zwei Großmächten war, hatte er nachhaltige Auswirkungen nicht nur für die deutschen Siegerstaaten, die als geeintes Deutschland aus dem Konflikt hervorgingen, und für den Verlierer Frankreich, der als Reaktion auf die Verluste einen nachhaltigen Revanchismus entwickelte, sondern darüber hinaus auf das europäische Mächtesystem als Ganzes. Das Gleichgewicht der Mächte hatte ab seiner Formulierung als europapolitisches Grundprinzip im Wiener Vertrag von 1815 ein relativ friedliche Phase gewährleistet, die bis zum Krimkrieg von 1853-1856 währte, in dem neue, jedoch abermals relativ stabile Machtverhältnisse entstanden. Im Verlauf des Deutsch-Französischen Krieges, spätestens jedoch mit dem Friedensschluss, wurde das Prinzip des Gleichgewichts der Mächte jedoch weitgehend ausgehebelt. Die deutsche Einigung einerseits und andererseits die Demütigung Frankreichs, beispiellos in der französischen Geschichte bis dato, veränderten nicht nur die Machtrelationen, sondern schufen auch eine tiefe Feindschaft zwischen zwei europäischen Großmächten, die homöostatische Beziehungsgefüge in Europa nicht mehr zuließ, sondern das politische System erstarren ließ. Somit war mit dem Friedensschluss 1871 nicht nur ein erneuter Konflikt zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich mehr als wahrscheinlich, sondern es war auch abzusehen, dass die Lokalisation des Krieges das nächste Mal deutlich schwieriger werden könnte.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 1.1 Forschungsstand
- 1.2 Quellenbestand
- 2. Das europäische Mächtesystem vor dem Krieg
- 2.1 Die späteren Neutralen
- 2.1.1 Großbritanniens Europapolitik im 19. Jahrhundert
- 2.1.2 Russlands Umorientierung nach dem Krimkrieg
- 2.1.3 Österreich-Ungarns Außenpolitik vor 1870
- 2.2 Die Kriegsparteien
- 2.2.1 Französische Außenpolitik bis zur Luxemburgkrise 1867
- 2.2.2 Preußen und die süddeutschen Staaten: „Das Warten auf die reife Frucht“
- 3. Vorgeschichte des Krieges
- 3.1 Die Spanische Revolution von 1868 und der Thronfolgestreit
- 3.2 Der Weg in die Julikrise
- 3.3 Emser Depesche und Kriegserklärung
- 4. Koalitionen und Koalitionsbemühungen
- 4.1 Frankreichs Versuche einer Koalitionsbildung
- 4.2 Die Entstehung der „Neutralenliga“
- 4.3 Preußen und seine süddeutschen Verbündeten
- 5. Großbritanniens Politik zu Beginn des Deutsch-Französischen Krieges
- 6. Presse
- 6.1 Presse im 19. Jahrhundert
- 6.2 Die Times und der Manchester Guardian
- 7. Der Deutsch-Französische Krieg in der britischen Presse
- 7.1 Vertragsentwurf zwischen Preußen und Frankreich
- 7.2 Die ersten Schlachten des Krieges
- 7.3 Die Schlacht von Sedan und Revolution in Frankreich
- 7.4 Annexion Elsass-Lothringens als deutsches Kriegsziel
- 7.5 Deutsche Reichseinigung
- 7.6 Der lange Weg zum Waffenstillstand vom 28. Januar 1871
- 7.7 Vorfrieden von Versailles am 26. Februar 1871
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Wahrnehmung des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 in der britischen Presse, insbesondere im Hinblick auf die mögliche Bedrohung des europäischen Mächtegleichgewichts. Die Analyse der Berichterstattung soll Aufschluss darüber geben, wie die britische Öffentlichkeit die wichtigsten Kriegsereignisse bewertete und ob und wann eine Gefährdung des Gleichgewichts erkannt wurde.
- Die Machtverhältnisse in Europa vor dem Deutsch-Französischen Krieg
- Die Rolle Großbritanniens im europäischen Mächtesystem
- Die Berichterstattung des Deutsch-Französischen Krieges in der britischen Presse (am Beispiel der Times und des Manchester Guardian)
- Die Wahrnehmung des Krieges und die Reaktion auf die sich verändernden Machtverhältnisse
- Die Einschätzung der Gefährdung des europäischen Mächtegleichgewichts in der britischen Presse
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik ein und erläutert die Bedeutung der Presse im 19. Jahrhundert als Massenmedium. Sie betont das Hauptziel der Arbeit: die Untersuchung der Wahrnehmung des Deutsch-Französischen Krieges in der britischen Öffentlichkeit und die Analyse möglicher Bedrohungen des europäischen Mächtegleichgewichts. Der Autor skizziert den Aufbau der Arbeit und benennt die Quellen.
2. Das europäische Mächtesystem vor dem Krieg: Dieses Kapitel analysiert das europäische Mächtesystem vor dem Ausbruch des Krieges, indem es die Positionen der späteren Kriegsparteien (Frankreich und Preußen) sowie der neutralen Mächte (Großbritannien, Russland, Österreich-Ungarn) beleuchtet. Es untersucht die Außenpolitik dieser Mächte und die bestehenden Spannungen und Allianzen. Der Schwerpunkt liegt auf der Darstellung der jeweiligen Interessen und Strategien, die zum Krieg führten.
3. Vorgeschichte des Krieges: Dieses Kapitel beschreibt detailliert die Ereignisse, die zum Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges führten. Es beleuchtet die Spanische Revolution von 1868, den Thronfolgestreit und die Emser Depesche als entscheidende Wendepunkte auf dem Weg zum Krieg. Der Fokus liegt auf der Analyse der diplomatischen Bemühungen und der Eskalation der Spannungen zwischen Frankreich und Preußen.
4. Koalitionen und Koalitionsbemühungen: Dieses Kapitel analysiert die Versuche Frankreichs, eine Koalition gegen Preußen zu schmieden, sowie die Bildung der "Neutralenliga". Es untersucht die Strategien der beteiligten Mächte und deren Einfluss auf den Kriegsverlauf. Der Fokus liegt auf den politischen und militärischen Implikationen dieser Koalitionsbemühungen.
5. Großbritanniens Politik zu Beginn des Deutsch-Französischen Krieges: Dieses Kapitel konzentriert sich auf die britische Außenpolitik zu Beginn des Krieges. Es analysiert die Haltung Großbritanniens zu den Kriegsparteien und dessen Bemühungen um die Aufrechterhaltung des europäischen Friedens. Die Rolle Großbritanniens als potentieller Vermittler und die Herausforderungen seiner Neutralitätspolitik werden untersucht.
6. Presse: Dieses Kapitel bietet eine Einführung in den Kontext der Presse im 19. Jahrhundert und stellt die beiden ausgewählten Zeitungen – The Times und den Manchester Guardian – vor, deren Berichterstattung im Folgenden analysiert wird. Es legt die methodischen Grundlagen für die Analyse der Presseberichterstattung dar.
7. Der Deutsch-Französische Krieg in der britischen Presse: Dieses Kapitel untersucht chronologisch die Berichterstattung über den Krieg in The Times und dem Manchester Guardian. Es analysiert die Darstellung der wichtigsten Kriegsereignisse (Vertragsentwurf, Schlachten, Annexion Elsass-Lothringens, Reichseinigung), die unterschiedlichen Perspektiven und die Entwicklung der öffentlichen Meinung in Großbritannien.
Schlüsselwörter
Deutsch-Französischer Krieg 1870/71, britische Presse, Mächtegleichgewicht, The Times, Manchester Guardian, öffentliche Meinung, Europapolitik, deutsche Einigung, französischer Revanchismus, Neutralität, Koalitionen.
Häufig gestellte Fragen zum Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 in der britischen Presse
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit untersucht die Wahrnehmung des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 in der britischen Presse, insbesondere wie die britische Öffentlichkeit die wichtigsten Kriegsereignisse bewertete und ob und wann eine Gefährdung des europäischen Mächtegleichgewichts erkannt wurde. Der Fokus liegt auf der Analyse der Berichterstattung der „Times“ und des „Manchester Guardian“.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt die Machtverhältnisse in Europa vor dem Krieg, die Rolle Großbritanniens im europäischen Mächtesystem, die Berichterstattung des Deutsch-Französischen Krieges in der britischen Presse, die Wahrnehmung des Krieges und die Reaktion auf die sich verändernden Machtverhältnisse sowie die Einschätzung der Gefährdung des europäischen Mächtegleichgewichts in der britischen Presse.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit gliedert sich in sieben Kapitel: Einleitung, Das europäische Mächtesystem vor dem Krieg, Vorgeschichte des Krieges, Koalitionen und Koalitionsbemühungen, Großbritanniens Politik zu Beginn des Deutsch-Französischen Krieges, Presse (Einführung in die Presse des 19. Jahrhunderts und Vorstellung der analysierten Zeitungen) und Der Deutsch-Französische Krieg in der britischen Presse (chronologische Analyse der Berichterstattung).
Wie wird das europäische Mächtesystem vor dem Krieg dargestellt?
Kapitel 2 analysiert das europäische Mächtesystem vor dem Krieg, indem es die Positionen der späteren Kriegsparteien (Frankreich und Preußen) sowie der neutralen Mächte (Großbritannien, Russland, Österreich-Ungarn) beleuchtet. Es untersucht die Außenpolitik dieser Mächte und die bestehenden Spannungen und Allianzen.
Wie wird die Vorgeschichte des Krieges behandelt?
Kapitel 3 beschreibt detailliert die Ereignisse, die zum Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges führten, insbesondere die Spanische Revolution von 1868, den Thronfolgestreit und die Emser Depesche.
Welche Rolle spielt Großbritannien?
Die Arbeit untersucht die Rolle Großbritanniens im europäischen Mächtesystem, seine Außenpolitik zu Beginn des Krieges und seine Bemühungen um die Aufrechterhaltung des europäischen Friedens. Großbritanniens Haltung zu den Kriegsparteien und die Herausforderungen seiner Neutralitätspolitik werden analysiert.
Welche Zeitungen werden analysiert?
Die Analyse der Presseberichterstattung konzentriert sich auf „The Times“ und den „Manchester Guardian“. Kapitel 6 bietet eine Einführung in den Kontext der Presse im 19. Jahrhundert und stellt diese beiden Zeitungen vor.
Wie wird die Berichterstattung über den Krieg analysiert?
Kapitel 7 untersucht chronologisch die Berichterstattung über den Krieg in „The Times“ und dem „Manchester Guardian“, analysiert die Darstellung der wichtigsten Kriegsereignisse (Vertragsentwurf, Schlachten, Annexion Elsass-Lothringens, Reichseinigung) und die Entwicklung der öffentlichen Meinung in Großbritannien.
Welche Schlüsselwörter sind relevant?
Schlüsselwörter sind: Deutsch-Französischer Krieg 1870/71, britische Presse, Mächtegleichgewicht, The Times, Manchester Guardian, öffentliche Meinung, Europapolitik, deutsche Einigung, französischer Revanchismus, Neutralität, Koalitionen.
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- Igor Dukhovny (Author), 2015, Der Deutsch-Französische Krieg und dessen Rezeption in der britischen Presse, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/381094